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Niederdeutsches Jahrbuch.
Jahrbuch
des
Vereins fiir niederdeutsche Sprachforschung.
V .
Jahrgang 1905.
XXXI.
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NORDEN nnd LEIPZIG.
Diedr. Soltau's Verlag.
1905.
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JmaaJ^
Druck von Diedr. Soltau in Norden.
Inhalt.
3eite
Altvil. Ein neuer Erklärungsversuch. Von F. Mentz 1
Dat Ei was intwei. Von Robert Sprenger 19
Eine Sammlung plattdeutscher Sprichwörter und Kernsprüche nebst Erzählungs-
bruchstücken Yon John Brinckman. Von A. Römer 20
I. Mecklenburgischer Yolksspiegel aus plattdeutschen Sprichwörtern
und Eemsprüchen 22
IL Aus Brinckman's Notizbuch von 1854 29
III. Bruchstücke von Erzählungen John Brinckman's 31
Bruchstücke von Bruder Philipps Marienleben aus dem Jahre 1324. Von
Fritz Goebel 36
Ein niederdeutsches Lied auf die Schlacht an der Conzer Brücke am 1. August
1675. Von Fritz Goebel 38
Niederdeutsche Dichtungen Altlivlands. Von Th. vonRiekhoff 44
Sprichwörter und Redensarten aus Stapelholm. Von Heinrich Carstens . 58
Zu Fritz Reuters Stromtid. Von R. Sprenger 60
Zu Reuters Kein Hüsung. Von R. Sprenger 61
Zu Meister Stephans Schachbuch. Von R. Sprenger 62
Die Mundart der Prignitz. Von E. Mackel 65
Einleitung 65
Phonetische Darstellung der Laute 85
Geschichtliche Darstellung der Laute 94
Die Vokale der Stammsilben 94
Kurze Vokale 94
Lange Vokale 105
Die Vokale in nebentonigen und unbetonten Silben 121
Die Konsonanten 133
Halbvokale, 1 und r 133
Nasale 139
Verschluss- und Reibelaute 141
Übersicht der Entsprechungen vom heutigen Bestände der Mundart aus 156
Altvil.
Ein neuer Erklärungsversuch.
Das Sachsenspiegelwort altvil hat bis jetzt allen Erklärungs-
versuchen einen hartnäckigen Widerstand entgegengesetzt. Denn wenn
man auch von jeher darüber einig war, dass es einen mit einer
körperlichen oder geistigen Anomalie behafteten Menschen bezeichnen
sollte, so gingen doch die Ansichten über die Art derselben und noch
mehr über die Etymologie des Wortes weit auseinander.^)
Die betreffende Stelle des Sachsenspiegels lautet, nach Homeyer*),
folgendermassen: Uppe altvile tmde uppe dverge ne irstirft weder len
noch erve, noch uppe kropelkint Sve denne de erven sint und ire nesten
mage, de solen se halden in irer plage. Für altvile gibt Homeyer aus
andern Handschriften noch die Lesarten altifile, oltuile, altweile, altveile,
alfwile, aldefil, alevile, antvile, vltfyle, aluyle, alczu vil, aide weyp und
dommen luden. Ausser an dieser Stelle kommt das Wort noch vor
im Kichtsteig Lehnrechts, Kap. 28, § 5*): . . . sint blindeti stummen
lamen meselsuchtigen altvile unde dwerge nicht lenerven en sin . . • ;
ferner in den Goslarischen Statuten*): Uppe de meselsüchtighen
man unde uppe altvile unde uppe dwerghe unde uppe kröpel ne ervet
nen erve; we aver ire erve is, de sul se halden na deine dat de Stade
ires gudes is dat uppe se ghevallen were, endlich im Berliner Stadt-
buche ^): Äv altuile vnd dwerge vnd kropel kint en steruet weder lehn
nochte erue. Wi dartu dan erue sint vnd or negeste mage, di scolen
sy holden in ore plage. Es ist klar und schon anderweitig betont
worden®), dass die drei letzten Stellen von der ersten, der im Sachsen-
spiegel, abhängig sind; sie tragen demnach zur Erklärung des Wortes
nichts bei; ob sie vielleicht für die Feststellung der Wort form von
Wert sind, wird sich später zeigen.
Die Stelle im Sachsenspiegel ist verständlich und stets ver-
ständlich gewesen bis auf das Wort altvile. Dass dessen Sinn aber
*) Das mnd. Wörterbuch von Lübben -Walther (1888) gibt als wahrscheinliche
Bedeutung des Wortes an „Schwach-, Blödsinniger ** und bezeichnet die Etymologie
als unsicher
') Des Sachsenspiegels 1. Teil, 3. Aufl., Berlm 1861, S. 160.
>) Homeyer, Des Sachsenspiegels 2. Teil, 1. Bd., Berl. 1842, S. 620.
*) Hrsg. V. Göschen, Berl. 1840, S. 10, Z. 19—22.
B) Fidicin, Hist.-dipl. Beiträge zur Gesch. d. Stadt Berlin I (Berl. 1887)
S. 114—115. Ich benutze diese Ausgabe anstatt der neuen -von Clauswitz (1888),
weil letztere die Orthographie der Hs. nicht so genau wiedergibt.
*) A. Höfer, Altvile im Sachsenspiegel (Halle 1870), S. 1.
Niederdeutsohes Jahrbuoh XXXI. l
schon am Ausgange des Mittelalters nicht mehr bekannt war, zeigen
einmal die zahlreichen verschiedenen Ijefearten, dann die verschiedene
Wiedergabe des Wortes in den alten Übersetzungen des Sachsen-
spiegels (vgl. u.) und besonders der Umstand, dass es glossiert
worden ist. Homeyer^) führt aus Handschriften des 15. Jahrh. zwei
Glossen an: altuvole videlicet ermotraditus und Altvil sint de dar heider
kunne rnechte hebben, man und vrouwen teyken. Diesen Glossen schliesst
sich auch die von Homeyer mitaufgefiihrte Erklärung des Vokabularius
an: die zuviel haben an menlichen glidern als zers und futt Nach der
zweiten Glosse und dem Vokabularius wären also unter den altvile
Zwitter zu verstehen, und auch das ermotraditus der ersten wird
zweifellos aus hermuphroditus verderbt sein^). Diese Auffassung des
Wortes hat bis jetzt wohl die meiste Zustimmung gefunden: das mhd.
Wörterbuch von Benecke -Müller -Zarncke^) und, ihm folgend, Lexer*)
tragen sie vor, und Rotermund hat sie in seine 1895 erschienene
Sachsenspiegelübersetzung aufgenommen. Etymologisch suchte man
sich diese Bedeutung auf verschiedene Weise klar zu machen. In
den Glossen und im Vokabularius ist einfach angenommen, altvil
stehe für altovele (wofür die erste Glosse die Nebenform altuvole^)
einsetzt), und in ebenderselben Auffassung bringen einige md. Hand-
schriften alczu vil sogar im Text. Gegen diese Erklärung wandte
sich aber schon Riccius^) mit dem Einwand, dass man bei dem
^ allzuviel^ doch mit demselben oder mehr Recht an andere Glieder
denken könnte als gerade an die Geschlechtsteile. Denn ein Zwitter,
meint er, sei wohl im Stande, die Pflichten, die eine Erbschaft auf-
lege, zu erfüllen, ein Dreibeiniger oder Dreiarmiger aber viel weniger.
Darüber Hesse sich ja streiten, sicher ist aber, dass der Ausdruck
^allzuvieP für ;,Zwitter" im höchsten Masse unbestimmt und irre-
führend wäre und den Anforderungen, die man in Bezug auf Klarheit
des Ausdrucks an ein Rechtsbuch zu stellen hat, in keiner Weise
entsprechen würde. Dazu kommt, dass, wie Leverkus') hervorgehoben
hat, zuviel mnd. nie anders als to vele oder to (tu) vole heisst, eine
solche Form einzusetzen giebt uns aber die Überlieferung kein Recht.
J. Grimm®) dachte deshalb an ahd. widello, widillo, hermaphroditus,
woraus, wie er meinte, wil hätte entstehen können, dem al ver-
stärkend vorgetreten sei; dies würde zu der allerdings handschriftlich
auch überlieferten Form alwile^) führen. Indessen scheint er selbst
0 Ssp. P, S. 160.
*) K. J. Th. Haupt (Neues Laus. Mag. 47, 1870, S. 289) will allerdings eine
Beziehung auf Irmin oder auf Hermes darin linden!
3) III, 314a.
*) Mhd. Handwörterbuch I, 45.
») Vgl. Leverkus in Zschr. f. dt. Philol. 3, 318.
•) Spicilegium iuris Germ, ad Engau (Gott. 1750), S. 66.
') a. a. 0.
») Rechtsaltertümer 1*, S. 566.
»; Vgl. Homeyer, Ssp. I (1. Aufl.), S. 33; in der 3. Aufl. S. 160 ist diese
Lesart nicht mehr aufgeführt.
von dieser Lösung nicht befriedigt gewesen zu sein, denn in der
Geschichte der deutschen Sprache^) nimmt er Zusammensetzung des
Wortes aus vil (multus) und alta (membrum) an; das alta nennt er
aber dann selbst ;,ein sonst unerhörtes Wort^. Es leuchtet ein, dass
auch auf diese Weise nur ein höchst unglücklicher Ausdruck zustande
kommt, denn er könnte, wie A. Höfer ^) richtig betont, doch nur
„vielgliedrig, gliederreich" bedeuten. Grimm hätte wenigstens für
das unerhörte alta lieber gleich die Bedeutung membrum pudendum
ansetzen sollen, denn so lässt sich der Einwand von Biccius (s. o.)
auch hier mit Erfolg vorbringen. — Ungezwungener suchte Homeyer^)
die Bedeutung „Zwitter*' dadurch zu gewinnen, dass er das tvil für
eine Ableitung von twe, zwei, ansah, dem das al verstärkend vor-
getreten sei. Ein von twS abgeleitetes tvil gibt es nun allerdings, es
ist aber in der Bedeutung ;, Zwitter" ebensowenig nachzuweisen wie
das Grimmsche alta für Glied, sondern es heisst „Stamm oder Ast,
der gabelförmig gewachsen ist".*) Kosegarten ^) meinte deshalb,
altvil bedeute gewissermassen „Allzweig", d. h. einen, der alle mensch-
lichen Zweige (= Geschlechter) umfasst. Dass auch dies sehr
bedenklich und künstlich ist, leuchtet wohl jedem ein: man spricht
nicht von „alle", wenn überhaupt nur zwei vorhanden sind; auch,
dass menschliche „Zweige" gemeint sind, folgt nicht ohne weiteres,
und schliesslich ist die Bezeichnung der beiden menschlichen Geschlechter
als Zweige auch nicht sofort verständlich.
Die etymologischen Erklärungen für altvil = Zwitter sind
also sämtlich sehr unbefriedigend. Ausserdem aber spricht auch ein
sachlicher Grund dagegen. Zwar die Glosse „Dar umme ne nemen
disse nen erve, dor dat se vort nene misrakede hindere ne maken^j die
Zacher^) gegen „Zwitter" anführt, scheint mir nicht beweisend, denn
sie kann sich, wenigstens so wie sie bei Homeyer') angegeben ist,
auch auf die dverge und kropelkint beziehen, und ausserdem galten
Zwitter durchaus nicht für unfähig, Kinder zu erzeugen*). Auch
Leverkus'^) Nachweis, dass „Zwitter" und widello ursprünglich gar
nicht einen Hermaphroditen, sondern das erstere einen Bastard,
das letztere einen Verschnittenen bezeichnet habe, dass also unser
Altertum für die in der Tat äusserst seltenen zweigeschlechtigen
Missgeburten nicht einmal eine Bezeichnung gehabt zu haben scheine,
bringt uns nicht weiter. Denn wenn auch Bastarde und Verschnittene
an der Sachsenspiegelstelle unmöglich in Frage kommen, so könnte
ja doch altvil gerade das von Leverkus vermisste deutsche Wort für
1) S. 947, Anm.
«) Altvile im Ssp. S. 12.
3) Ssp. II 1, S. 560 u. I» S. 396.
*) Vgl. Schiller -Lübben, Mnd. Wtb. IV, S. 646.
») Wtb. der niederd. Spr. S. 286.
•) Zschr. f. Reclitsgesch. N. F. 9, germ. Abt. S. 5G.
') Ssp. l\ S. 160.
«) Vgl. Höfer, Altvüe im Ssp. S. 17, Anm.
») Ztschr. f. dt. Philol. 3, S. 320.
1*
hermaphroditus sein. Sehr wichtig dagegen ist der schon von Höfer ^)
und etwa gleichzeitig mit ihm von Leverkus ^) betonte Umstand, dass,
eben wegen der Seltenheit des Vorkommens wirklicher Zwitter, an
unserer Stelle eine Vorschrift über solche keineswegs vermisst wird,
sehr wohl dagegen eine Bestimmung über Dumme und Schwach-
sinnige.
Und so suchen denn in der Tat mehrere Erklärer eine derartige
Bedeutung für altvil wahrscheinlich zu machen. Wir müssen jedoch,
ehe wir uns mit diesen Auffassungen beschäftigen, zuerst noch einige
andere Deutungen streifen, die ihnen zeitlich vorangehen.
Während die Glossen, wie wir gesehen haben, das Wort aus
den drei Bestandteilen al-to-vil entstanden sein Hessen, Homeyer da-
gegen al-tvil abteilte, ging Moriz Haupt auf die ebenfalls oben
erwähnte Grimmsche Abteilung alt-vil zurück, hielt aber das alt für
das bekannte Adjektivum. Er hat in seiner Zeitschrift^) zuerst auf
den mhd. Namen Altfil hingewiesen und glaubte dadurch altvile sowohl
gegen das von Grimm früher angezogene altvile wie gegen die Lesart
antvile gesichert. Über die Bedeutung des Wortes sprach er sich
nicht aus, sondern mit Rücksicht auf die lat. Übersetzung von altvil^
homuncio*), und auf den Umstand, dass in den Bilderhandschriften
des Sachsenspiegels der altvil als ein kleiner Mann erscheine, wies er
dann auf das greisenhafte Aussehen der Zwerge hin, ^die wie Eiben
und Wichtel ja auch in den Sagen und Märchen immer alt erscheinen.
Es kommt also darauf an, für vil eine Erklärung zu finden.*' Diese
zu liefern, bemühte sich zunächst Sachsse^), allerdings mit sehr
wenig Erfolg. Er fasste das ganze Wort einfach als Deminutivum
von alt, genauer von der Maskulinform alto (also etwa = 'Alterchen',
von dem alten Aussehen elender Kinder), deren o bei der Deminution
in V übergegangen sei, so wie aus gotisch magtis magvila, aus smero
smervili werde. Er beachtete nicht, dass in den beiden letzten Worten
das u bez. o zum Stamm gehört, während es bei alto nur flexivisches
Element ist, ein Deminutivum also nur von dem Stamm alt gebildet
werden konnte. Eine weitere Widerlegung ist demnach überflüssig.
Etwas mehr Anspruch, ernst genommen zu werden, könnte vielleicht
die von Sachsse nebenbei®) versuchte Deutung der Lesart alwile als
Deminutivum von alf, Elf, erheben, wenn sie auch nicht, wie er meint,
aus alpil, alboil entstanden sein könnte, sondern einfach durch An-
fügung der Verkleinerungssilbe il an den Stamm alb. Sachsse weist
dazu darauf hin, dass nach dem Volksglauben die Elfen gern neu-
geborene Kinder raubten und ihre eigenen dafür hinlegten. Solche
;, Wechselbälge ^ sollten also nach ihm durch die alunle, die ;,Elfchen",
0 Altvile im Ssp. S. 29.
2\ Q,. a 0.
«) 6 (1848), S. 400.
*) Vgl. Homeyer, Ssp. I«, S. 160.
*) Zschr. f. deutsches Recht 14 (1853), S. 6.
•) Ebd. S. 8.
bezeichnet sein. Auch Höfer hat in seiner nachher zu besprechenden
Schrift von dieser Erklärung Notiz genommen und meint ^), dass eine
derartige Auffassung vielleicht bei der lat. Uebersetzung tianus und
nq)timiiis im Spiele gewesen sei, und schliesslich hat K. J. Th. Haupt
dieselbe zur Grundlage einer längeren Auseinandorsetzung^) gemacht,
in der er, da die formale Richtigkeit der Sachsse'schen Ableitung
ihm zweifellos war, sie auch sachlich durch Heranziehung z. T.
höchst weit hergeholter und zweifelhafter Parallelen aus der Mytho-
logie und Sage zu bekräftigen suchte. Die Beziehung zu den Alben
oder Elfen wird uns noch weiter zu beschäftigen haben, die sprach-
liche Berechtigung der in Rede stehenden Ableitung aber muss
durchaus verneint werden. Denn selbst angenommen, dass die Lesart
alwile die bestbeglaubigte wäre — worüber noch zu handeln sein
wird — so konnte doch eine mit dem /-Suffix gebildete Verkleine-
rungsform vor alf zur Zeit des Ssp. nur alvel oder ehel lauten, denn
das i dieses Suffixes war damals im Mnd. schon völlig zu e abgeschwächt.
Eine solche Form findet sich aber wenigstens unter den mir bekannt
gewordenen Lesarten nicht ein einziges MaP).
Mit weit mehr Sprachkenntnis als Sachsse und K. J. Th. Haupt
versuchte A. Höfer das Wort zu deuten. Seine ausführliche Mono-
graphie ^jAltvile im Sachsenspiegel^*) gibt zugleich zum ersten Male
einen Ueberblick über das gesamte bis dahin für das Wort vor-
handene Material. Er nahm, wie M. Haupt, das alt als das bekannte
Adjektivum, das tnle aber setzte er dem hd. ;,Feile^ gleich und über-
setzte altvile demnach mit ^Alte Feile**^). Zur Begründung dieser
seltsamen Deutung wies er hin auf die 1839 ohne weitere Erklärung
belegte Schelte ^Alte Feile* ^); auch im Englischen sei ßle „a term
of contempt for a worthless person, a coward etc. An odd fellow
is still termed a rum old file" '). Die schon erwähnten mhd. Namen
Altvil^ Altfil will H. gleichfalls in diesem Sinne auffassen. Eine
weitere Stütze sucht er in den Uebersetzungen^). Altvile wird in
mehreren lat. Handschriften mit filitis fatuus übersetzt, und die ndl.
Haager Handschrift 292 (nicht 282, wie bei Höfer verdruckt ist) gibt
») Altvile im Ssp. S. 7 f.
*) Der Alvil des Ssp. und seine mythischen Verwandten. (Neues Laus.
;. 47, 1870, S. 254-292.)
*) Ich habe bei einer kurzen Erwähnung von altvü in den Deutschen Ge-
schichtsblättern (1904, April-Heft, S. 173) besonderen Wert auf den fehlenden
Umlaut gelegt, doch ist das vorhandene i des Suffixes, an dem ich dort keinen
Anstoss nehme, sicher ein stärkerer Beweis für die Unmöglichkeit der Sachsse'schen
Ableitung. — Die Form aJbel (alwel) kommt übrigens in Thüringen (Salzungen)
vor (vgl. Hertel, Thür. Sprachschatz S. 58) und bedeutet dort einen Tölpel oder
Dummkopf.
*) Halle, Waisenhaus 1870.
«) S. 26.
•) Deutsches Schimpfwörterbuch (Arnstadt 1839), S. 4.
') Citat von Höfer (S. 27), nach Halliwell's Dict. of arch. and prov. words.
«) S. 29.
6
dommen biden. Der Stumpfheit der alten Feilen soll die Dumm-
heit der Altvile entsprechen.
Wir haben schon oben Höfer (und Leverkus) darin Recht ge-
geben, dass man an der Stelle des Ssp. den Hermaphroditen nicht
vermisst, vielmehr eine Bestimmung über Dumme und Schwach-
sinnige, neben den mit körperlichem Fehl behafteten über geistige
Krüppel, zu erwarten berechtigt ist. Nicht weniger ist zuzugeben,
dass vile „ Feile ** bedeuten kann, denn es steht nichts im Wege, das
i in vile als lang anzusehen. Nichts gestattet uns aber, anzunehmen,
dass die vermissten Blödsinnigen auf diese, man kann nicht anders
sagen als höchst geschmacklose und dabei unverständliche Weise ein-
geführt worden seien. So hat denn auch Höfers Deutung wohl insofern
Anklang gefunden, als er unter den altvile geistig Minderwertige ver-
stehen wil, fast gar keinen dagegen seine sprachliche Erklärung des
Ausdruckes^). Auch die Zustimmung von R. Hildebrand, die Höfer ^j
mit Genugtuung verzeichnet, ist doch recht vorsichtig, denn Hilde-
brand sagt^) nur, A. Höfer habe wahrscheinlich gemacht, dass die
Bedeutung ;, Blödsinniger '^ und die Form altvile war. Von ^Alte
Feile^ sagt Hild. also kein Wort. Noch weniger wiegt die von
J. J. Smits aus Twenthe beigebrachte Parallele*), die Höfer an der-
selben Stelle anführt, denn das von jenem als in Twenthe gebräuchlich
erwähnte olde feile in der von Höfer für altvile angenommenen Be-
deutung hat sprachlich mit letzterem nichts zu tun, da die Feile
ndl. vijl heisst. Ndl. feile^) könnte nur mit mnd. feil „fehlerhaft,
schlecht*, veilen „fehlen", hd. fehlen zusammenhängen^), und insofern
wäre der von Höfer ebenda kurzerhand als „haltlos" bezeichnete
Versuch von de Fries und de Wal, altvile als „ganz fehl" (allet-vile)
zu erklären, formell wohl beachtenswert).
Auf ganz anderem Wege als Höfer suchte dann Leverkus®)
die Bedeutung „blödsinnig" für altvil zu erweisen. Während Höfer
mit M. Haupt auf Grund der mhd. Form altßl geglaubt hatte, alt-
vile abteilen zu sollen, hielt L. an der Homeyerschen Abteilung al-
tvil (-twil) fest und suchte dem Einwurf, dass nd. twil hd. zwil sein
0 Vgl. die Besprechung im Lit. Cbl. 1870, Sp. 498 f. und Mnd. Wb. 1,
8. V. altvil.
«) Germ. N. R. 3 (1870), S. 418.
') Der Sachsenspiegel, hg. v. J. Weiske. 4. Aufl. v. R. Hildebrand (Leipzig
1870), S. 124. (In neuerer Aufl. wiederholt).
*) Nieuwe Bydragen voor regtsgeleerdheid en wetgeving 20 (1870), S. 155.
**) AUg. ndl. ei und twenth. ei stimmen durchaus überein (vgl. J. H. Behrns
im Taalk. Mag. 3, 1840, S. 383).
•) Vgl. Kluge, Wtb. 6, s. v. fehlen; Mnd. Wtb. 5, S. 222.
'") Es war mir leider unmöglich, festzustellen, wo dieser Versuch von de Fries
und de Wal erschienen ist. Auch eine Anfrage bei der Amsterdamer Universitäts-
bibliothek blieb in dieser Beziehung ergebnislos. Höfer, der (Germ. N. R. 3, 419)
später einmal mehr zu geben verspricht, hat sein Versprechen, so viel ich sehe,
nicht eingelöst.
8) Zschr. f. dt. Philol. 3 (1871), S. 317—323. Der Aufsatz ist nach des
Verf. Tode von Lübben veröffentlicht worden, welcher auf S. 323—330 ein Schluss-
wort hinzugefügt hat.
müsste (vgl. auch unten), dadurch zu begegnen, dass er tril mit mnd.
dwelen oder dwalen, ahd. tivelmi, in Verbindung brachte. Für den
Wechsel von tv (tw) mit etymologisch berechtigtem dw brachte dann
Lübben in seinem Schlussworte ^) genügende Beispiele; tivere nacht
hätte er auch aus der von Homeyer^j angeführten Glosse zu Ssp. I,
70, 3 belegen können. Das genannte dwelen, divalen habe ursprüng-
lich bedeutet „sich drehen", dann, aufs Geistige übertragen, ;,irr-
sinnig, verdummt, betäubt sein*'. Von demselben Stamme werden
dann eine Reihe von Nominalbildungen angeführt mit der Bedeutung
„Narr", „dumm", „schwindlig" u. dgl., leider ist twil nicht darunter.
Am nächsten steht ihm noch duilsk, schwindlig, Hvilsch, widerspenstig,
„eigentlich wohl wirrköpfig". Auch TU Eulenspiegel und Teil werden
herangezogen. „So wird denn altwil (aüvil)^ — schliesst Lübben') —
„um das Resultat dieser Untersuchung zusammenzufassen, einen be-
zeichnen, der dauernd und für immer — denn das liegt in der Zu-
fügung von al — irrsinnig und deshalb erbunfähig ist."
Auch von dieser Deutung kann man nicht sagen, dass sie
zwingend ist. Es muss eine ungewöhnliche Schreibung angenommen
werden, um zu einem Worte tml „Narr" oder dgl. zu gelangen, das
sonst nicht belegt ist.
Zu einem ähnlichen Ergebnisse wie Leverkus und Lübben kam
auch Rochholz in seiner Abhandlung über mundartliche Namen des
Cretinismus *). Er hielt altvile für eine altdeutsche Bezeichnung für
Kretinen und brachte ebenfalls Teil und TU (DU) damit in Verbindung.
Dass Letzteres, wie Lübben wollte, mit üvelen, dwelen zusammen-
hänge, leugnete Wo est e^), der es vielmehr auf ein verlorenes starkes
Verbum ' fUan zurückführte und dem hd. ^Ziel" gleichsetzte. Dies
Substantivum tU {= Ziel, d. i. was getroffen wird oder werden soll)
erlaube dann, dem in Rede stehenden tU die Bedeutung „getroffen"
beizulegen. AlftU sei sonach der vom Geschosse der Elbe getroffene,
d. i. Blödsinnige oder Verrückte. Aus dem nicht mehr verstandenen
alftU sei dann altßl geworden und dies habe man als „Zwitter" auf-
gefasst. Also wiederum Bezug auf die Elfen, aber leider eine Er-
klärung auf Grund einer handschriftlich nicht beglaubigten Lesart
und unter Zuhülfenahme mindestens ungewöhnlicher Bedeutungs-
wandlungen.
Woeste schlägt aber gleichzeitig noch eine andere Erklärung
vor : so wie in Worten wie aldrune (alrune), holde fatter (hohle Fässer),
Kärdel (kärel, Karl), merdel (merula) ein d eingeschoben worden sei, so
sei dies auch in altfil geschehen. Das dann vorauszusetzende ursprüng-
liche "^alfil erklärt er im Hinblick auf südwestf. feien, foppen, als ;,Ganz-
narr. Verrückter". Diese Deutung schliesst sich zwar mehr an die Über-
lieferung an, da ja auch alevUe überliefert ist, aber die Einschiebung
») Ebd. S. 323 f.
«) Ssp. I», S. 227.
») Zschr. f. dt. Philol. 3, S, 330.
*) Ebd. S. 331—342.
5) Zschr. f. dt. Philol. 6, 1875, S. 209 f.
V
8
des d ist doch sehr bedenklich (der Fall liegt ja bei d zwischen r
und l ganz anders als zwischen / und /*; höchstens holde fatter durfte
bßigezogen werden) und ein fil^ Narr, m. W. nicht nachweisbar. Über
den von Woeste in einer Anmerkung gegebenen Hinweis auf die
Ähnlichkeit zwischen altvil und dem arabisch-persischen al-fil (Läufer
im Schachspiel) vgl. den Nachtrag auf S. 18, Anm. 5.
Eine Erklärung von Zacher, die dieser schon im Anschluss an
Leverkus-Lübbens Aufsatz in Aussicht gestellt hatte ^), ist leider erst
nach seinem Tode durch R. Schröder^) auszugsweise veröffentlicht
worden. Z. hält a. für hochdeutsch wegen des schon von M. Haupt
(s. 0.) erwähnten bairischen Eigennamens, deshalb seien auch die
beiden ersten Verse der Ssp.- Stelle ursprünglich hochdeutsch, Vs. 3 — 6
seien jüngerer, nichts Neues hinzufügender, nur ergänzend ausführender
niederdeutscher Zusatz. Das ^bloss verstärkende und deshalb ent-
behrliche Präfix aU^ bedarf für ihn der Erklärung nicht, das übrig
bleibende twil erklärt er wie Lübben durch Zusammenstellung mit got.
dvals^ sowie Til^ Teil u. s. w., als ;,geistig gestört^ und betont im
Anschluss an die lat. Übersetzung neptunius den elfenhaften Charakter
der altvile. Leider können wir auch dieser Auslegung nicht bei-
stimmen. Wenn Z. auf Grund von bair. Ältßl das Wort für hochdeutsch
erklärte, so musste er auch bei seiner Deutung nicht von aüwil aus-
gehen, sondern von altfiP)^ dann aber durfte er das al nicht als
Präfix abtrennen, denn ein Wort tfil wäre, wie schon Höfer bemerkt
hat*), durchaus undeutsch. Über ttoil^ Tor, dumm, haben wir schon
oben gehandelt.
Damit sind wir mit den bisherigen Erklärungen zu Ende.
Inhaltlich teilen sie sich, wie wir gesehen haben, in der Hauptsache
in zwei Gruppen : 1) die, welche altvil 2^^ „Zwitter" auffassen, 2) die,
welche „Blödsinnige" darunter verstehen wollen, denn auch Höfers
;,Alte Feile" und K. J. Th. Haupts u. a. ^ Wechselbälge" kommen
schliesslich auf Geistesschwache hinaus. Wichtiger aber ist, dass die
einzelnen Erklärungen von formell verschiedenen Grundlagen ausgehen :
die Glossen zerlegen das Wort in al-to-vilej Grimm fusste in seiner
ersten Erklärung auf der Form almle^ in der zweiten trennt er alt-
vile^ so auch M. Haupt, Höfer und Woeste, letzterer unter Annahme
von Umstellung (alftil). Homeyer dagegen, Kosegarten, Leverkus-
Lübben und Zacher trennten al-tml^ wobei Leverkus- Lübben das tw
als dw auffassten; Sachsse und K. J. Th. Haupt gingen auf die von
Grimm zuerst bevorzugte Form altoile zurück.
Daraus ergibt sich für uns die unabweisbare Notwendigkeit,
vor Allem die Form des Wortes mit möglichster Sicherheit fest-
0 Zschr. f. dt. Philol. 3, S. 331.
2) Zschr. f. Rechtsgesch. 9, Germ. Abt., S. 55—58.
') Andernfalls hätte Z. nachweisen müssen, dass in bair. Altfil, welches
auch ÄUvil geschrieben wird, das / für v verschrieben und letzteres als w zu lesen
sei ; doch kommt v für w m. W. in obd. Denkmälern kaum vor. Vermutlich hätte
sich Z., wenn es ihm vergönnt gewesen wäre, seine Erklärung völlig auszuarbeiten,
auch hierüber geäussert.
*) Altv. im Ssp. S. 24.
zustellen. Hierbri sind wir nun allerdings in einer bedeutend glück-
licheren Lage, als die bisherigen Erklärer, denn mittlerweile ist durch
Latendorf^) die Form altwil als in der 2. Hälfte des 19. Jahrh.
in Mecklenburg noch bekannt erwiesen und damit höchstwahr-
scheinlich gemacht worden, dass sowohl ahvile falsche Lesart als auch
die von den Glossen, sowie M. Haupt, Grimm, Höfer, Woeste vertretene
Aufifassung des v als f fehlerhaft ist.^) Dies überhebt uns indessen
nicht der Pflicht, zu untersuchen, wenigstens soweit dies durch zuver-
lässige Handschriftenabdrücke möglich ist, wie weit die Überlieferung
mit der modernen Form des Wortes in Einklang steht. Zunächst ist altvile
zweifellos besser überliefert als ahvile: Dies geht aus der Varianten-
angabe bei Homeyer hervor und ist von Zacher*) ausdrücklich an-
erkannt worden. Auch der Richtsteig Lehnrechts, die mitteldeutschen
Übersetzungen, die Goslarer Statuten und das Berliner Stadtbuch
haben das t Ob das v aber als f zu lesen ist, oder als w^ lässt sich
aus den Handschriften nicht entscheiden. Die Berliner Hand-
schrift, der Homeyer folgt, schreibt zwar hinter rf, s und t ein v
(bezw. w) auch für w^ also dverge, sve und tvei^)^ sie setzt aber anderer-
seits auch V für /*, z. B. untvangen (P 160). Aus ihr lässt sich also
nichts ersehen, aber wenigstens steht sie der modernen mundartlichen
Form nicht entgegen. Dasselbe gilt von dem durch Sachsse*) ab-
gedruckten Cod. Pal. 167, der uppe oltuile U7ide uppe dtierge schreibt
und ti sowohl für w wie für v und f verwendet.
Anders scheint es beim ersten Anblick mit der von Lübben und
von Alten herausgegebenen Oldenburger Bilderhandschrift des
Ssp.^j zu sein. Sie schreibt unsere Stelle folgendermassen : Uppe alt-
file unde dwerghe ne irsterft noch len noch erue noch tippe cropelskint.
Hier ist ausser Zweifel, dass der Schreiber alt-file meinte. Die Olden-
burger Hs. ist jedoch, wie schon R. Schröder') betont hat, als nieder-
») Ndd. Korrbl. 5 (1880), S. 17 f.
') Latendorf schreibt zwar in der Überschrift seiner Mitteilung und einmal
im Text altvil^ wohl um mit der Überlieferung im £inklang zu bleiben, aber die
heutige Form gibt er zwei Mal als altwil an.
») a. a. 0.
^) Worauf Höfer (S. 23 Anm.) seine Annahme stützt, dass Hom. die Schrei-
bung der Hs. eigenmächtig und entgegen den guten Hdschr. geändert und v für
w eingesetzt habe, ist nicht ersichtlich ; es hätte auch gar kein Grund hierfür vor-
gelegen. Hom. sagt vielmehr Ssp. P, S. 99 ausdrücklich, dass er nur die unter-
schiedslos gebrauchten v und u der Hs., je nachdem ein Konsonant oder Vokal
folgt (also nach modernem Gebrauche) unterschieden habe.
^) Sachsenspiegel od. Sächsisches Landrecht . . . mit Übersetzung . . . v.
C. R. Sachsse. Heidelberg 1848.
') Der Sachsenspiegel, Landrecht und Lehnrecht. Nach dem Oldenburger
Codex picturatus von 1336 hrsg. v. A. Lübben. Mit Abbildungen in Lithogr. u. e.
Vorwort zu denselben von F. v. Alten. Oldenburg 1879. Die Ausgabe soll zwar
(nach V. Amira in den Abh. der Bayer. Ak. d. W., philos -philol. Kl. 22,2, S. 863
Anm. 1) ziemlich fehlerhaft sein, aber mangels einer besseren müssen wir doch
mit ihr operieren.
') Litbl. f. germ. u. rom. Phil. 1 (1880), Sp. 327. Vgl. auch v. Amira in
der Einl. zu seiner Faksimile-Ausg. der Dresdener Bilderhs. des Ssp. S. 9, Sp. 2.
10
deutsche Rückübersetzung einer hoclideutschen Vorlage für den Text
des Sachsenspiegels von untergeordnetem Werte: ausserdem aber lässt
sich wahrscheinlich machen, dass in der Vorlage sowohl altvile (altiiile)
wie altßle gestanden haben kann. Auf S. VII der Vorrede von Lübben
erfahren wir nämlich, dass in der Hs. v und w sich manchmal
gegenseitig vertreten, dass aber vor und nach t regelmässig f stehe
(ein Brauch, der sich auch sonst in ndd. Handschriften findet).
Auf S. 22 steht aber doch utvaren und auf S. 34 lantvolk. Es
scheint demnach, als ob das sonstige f hinter t auf Rechnung des
Schreibers zu setzen ist, der eine gewisse Regelmässigkeit der
Orthographie herstellen wollte, aber in diesen beiden Fällen nicht
aufgepasst und das v der Vorlage unverändert übernommen hat.
Dies wird um so wahrscheinlicher, als aus dem kritischen Apparate
unter dem Texte auf S. 22 hervorgeht, dass in der Hs. vt- utvaren
steht, also eine Doppelschreibung, welche die Unaufmersamkeit des
Schreibers deutlich dartut. Auch noch eine andere Stelle ist geeignet,
seine ünzuverlässigkeit ins Licht zu stellen. Auf S. 80 ist die Rede
von dem Hof wart (Hofhund). Hof wart ^ das Lübben richtig in den
Text gesetzt hat, steht aber nicht in der Handschrift, sondern honuart.
Vermutlich stand in der Vorlage houiiart] der Schreiber las dies
fälschlich als homiart und schrieb das Wort, das er wahrscheinlich
nicht verstand, seiner irrigen Lesung entsprechend ab. Es hindert
uns also nichts, anzunehmen, dass in der Vorlage des Old. Codex
gestanden hat altvile oder altuile^ und dass der Schreiber in dem ihm
unverständlichen Worte, seinem orthographischen Prinzipe getreu, für
das V oder w, weil es hinter t stand, ein f einsetzte. Dass v oder u
in der Vorlage auch für w stehen konnte, vielleicht auch immer stand,
geht sowohl aus dem eben angeführten houuart hervor als auch aus
Schreibungen wie an der veyde statt anderweide (S. 26) und umgekehrt
wiyit statt vint (S. 42). Der Schreiber wollte die ii und v der Vorlage
dem s. Z. herrschenden Gebrauche entsprechend umändern, hat dies
aber hie und da vergessen oder sie falsch umgeändert.
Demnach steht auch die Oldenburger Handschrift der modernen
mundartlichen Form nicht im Wege. — Die Goslarer Statuten
(s. 0.) haben: uppe altvile (Hs. C oltvile) tmde tippe dwerghe. Da
sich aber auch in ihnen einige Stellen finden, wo v für w gesetzt ist
und umgekehrt^), so lässt auch ihre Angabe sich mit der modernen
Form altwil vereinigen.
Das Berliner Stadtbuch (s. o.) schreibt: av altuile vnd dwerge;
auch es verwendet v und u in der Regel für den Laut f oder b, doch
steht S. 107 wolgeuunen gud u. z. bezeichnender Weise gewisser-
*) Z. B. S. 83, Z. 2: vant statt want; Göschen hat want in den Text gesetzt,
die Handschrift A aber, die auch altvile hat, bietet vant. S. 27, Z. 37 steht
silvolde statt des gewöhnl. silwolde (vgl. Mnd. Wtb. 4, S. 467 f.). Umgekehrt hat
Göschen S. 37, Z. 21 ghevunden in den Text gesetzt, während die Hs. A ghewunden
schreibt; anstatt vüre (S. 65, Z. 24) steht in A wure\ auch S. 66, Z. 39 steht
wunde doch wohl für funde.
11
massen in einem Zitat, nämlich bei der Wiedergabe eines Spruches,
der bei Rückforderung gestohlener oder geraubter Sachen gesprochen
wurde. In dem diesem Spruche folgenden Satze steht dann wol-
(jeininnen. Man sieht also, dass der Schreiber sich bei der Anführung
des Spruches an eine ältere Fassung hielt, und so mag es auch bei
altuile gewesen sein. Jedenfalls ist im Berliner Stadtbuche die Lesung
altwile (d. h. des u als ?/') nicht unmöglich.
Der Rieht steig Lchnrechts hat altrile unde dwerge^) und
setzt V nie für w (wenigstens, wenn H.'s Abdruck getreu ist). Aber
er schreibt doch entfenien^)^ also sonst f nach t, behandelt demnach
altvile doch auf besondere Art, d. h. er hat es vielleicht aus einer
Vorlage, in der v auch für w stand, unverändert übernommen.
Die md. Handschriften des Ssp., zu denen wir uns jetzt zu
wenden haben, sind für unser Wort von besonderem Interesse. Hat
man doch gerade durch sie beweisen wollen, dass die Form altwil
falsch sei, sie müsste sonst in der Übersetzung alzwil lauten, denn
dass die Übersetzer das Wort einfach unverändert aus dem Nieder-
deutschen übernommen hätten, sei nicht anzunehmen^). Bereits
Homeyer*) hat dieser Behauptung gegenüber mit vollem Recht auf
das niederdeutsche dingslete^) hingewiesen, das gleichfalls unverändert
in md. Fassungen, z. B. der Leipziger Hschr. (s. u.), der Quedlin-
burger Hschr., sich findet, obgleich es einen viel ausgesprocheneren
ndd. Charakter hatte als altvile und obwohl die Verhochdeutschung
nach Analogie von herisliz gewiss nicht schwer war. Auch das mit
(Umjslete verbundene unlust (Unruhe, Unaufmerksamkeit), das eben-
falls sowohl in dem niederdeutschen wie in dem md. Texte steht,
dürfte in letzteren einfach aus dem Niederdeutschen übernommen sein,
denn es ist sonst hochdeutsch nicht sicher nachweisbar; die Belege,
die Lexer in seinem Mhd. Handwörterbuche aus hd. Quellen dafür
beibringt, sind sämtlich derart, dass in ihnen auch das hd. unhist,
das mit dem in Rede stehenden nichts zu tun hat, enthalten sein
kann. Dies unlust konnte um so eher in die md. Texte übergehen,
als es sich mit dem gleichlautenden hd. Worte äusserlich völlig deckte
und der Unterschied in der Bedeutung den Übersetzern wohl kaum
zum Bewusstsein kam®). Vielleicht wäre hier auch das unten zu
besprechende wiirt zu nennen. Besonders aber ist aufmerksam zu
machen auf die Überschrift des 12. Artikels des 2. Buchs in der
0 Homeyer, Ssp. II, 1, S. 520.
2) Ebd. S. 535.
») Vgl. Leverkus in Zschr. f. dt. Philol. 3, S. 319, und Höfer, Altv. i. Ssp.
S. 25.
*) Nach Höfer in Germ. N. R. 3, S. 418. Vgl. dazu auch Roethe, Die Reim-
vorreden des Ssp. S. 75.
^) Ssp. I, 59, 2. Es bedeutet „Störung des Gerichts durch vorzeitiges
Weggehen**.
•) Vgl. hierzu auch den Nachtrag auf S. 19.
12
ältesten Leipz. Hs., in deren Anfang (wie, uri, wo) die Worte wie und
wo nach Hildebrand unübersetzt aus dem Nd. übernommen sind.
Die Behauptung Höfers ^), dass, falls altvil unverändert in md.
Fassungen übergegangen sei, dies nur in diesem einen Falle ge-
schehen und fast ohne Beispiel sein würde, ist also durchaus hinfällg;
es sind vielmehr Beispiele genug für ähnliche Übergänge vorhanden,
und wir können ruhig die in md. Handschriften erscheinenden Formen
des Wortes zur Feststellung seiner richtigen Gestalt verwerten.
Die älteste Leipziger Handschrift des Ssp., abgedruckt von
Weiske-Hildebrand^), schreibt: Uffe altvile (oder altuile, W. hat^) ii
und V modernisiert) unde uffe twerge und verwendet i'> sonst nicht
für w ausser in drei Fällen, die aber gerade sehr bezeichnend sind.
In dem 34. Art. des 1. Buches, § 1, schreibt sie mrt für das mnd.
tvurt (wort^ Hofstelle) und der Korrektor hat dies in tmrt gebessert*).
Für dasselbe nd. Wort hat sie im 48. Art. des 2. Buches, § 5, wahr-
scheinlich ursprünglich vourt gehabt, was der Korrektor wiederum in
wtirt verbessert hat^). Ferner lautet der Schluss der Überschrift des
29. Art. des 3. Buches in der Hs. : wer daz erbe teilen und verkisen
sal. Für verkisen hat der Herausgeber natürlich richtig eingesetzt
wer ktsen^). Die drei Fälle beweisen aber deutlich, einmal, dass in
der Vorlage der Hs. v bezw. u auch für w gebraucht wurde, und
zweitens, dass der Schreiber manchmal gedankenlos abschrieb, er
wird also auch altvile so übernommen haben.
Die Jenenser Handschrift des Richtsteigs Lehnrechts
schreibt') altuile getwerge. Da sie sonst für v oder ic nie u schreibt,
so ist klar, dass der Schreiber altuile aus der Vorlage übernahm, ohne
es zu verstehen, sonst hätte er es seiner sonstigen Schreibweise ent-
sprechend geschrieben. In der Vorlage aber konnte das ti sehr wohl
auch für w stehen, somit ist also auch hier die Form altwile nicht
ausgeschlossen.
Die Dresdener Handschrift, die jetzt in der Faksimile-
ausgabe von K. V. Amira vorliegt®), schreibt alt vilen^) und Höfer ^^)
führt diese Form natürlich als für seine Deutung günstig an. Es
mag auch wohl sein, dass dies ;,Alte Feilen^ bedeuten soll, d. h.
dass der Schreiber sich das niederdeutsche altvile so zurecht legte.
1) Altv. im Ssp. S. 25.
*) Der Sachsenspiegel (Landrecht) nach der ältesten Leipziger Handschrift
hrsg. V. J. Weiske. 5. Aufl. v. R. Hildebrand. Leipzig 1877. S. 5. (Die 6. Ausg.
war mir nicht zugänglich.)
s) Vgl. S. VIl der Vorrede.
*) S. 20.
ß) S. 64.
•) S. 87.
') Homeyer, Ssp. H, 1, S. 520.
®) Die Dresdener Bilderhandschr. des Ssp. hrsg. v. Karl v. Amira. I. Lpz.
1902. Fol.
») Tafel 10 bei Amira.
*<0 Germ. N. R. 3, S. 418.
13
Was aber seinen Deutungen für Wert beizumessen ist, das zeigt
seine durchaus falsche Wiedergabe des oben erwähnten dingslete durch
^Unrecht^^).
Im Anschluss an die md. Formen des Wortes suchen wir uns
am besten auch gleich mit den oberdeutschen Überlieferungen ab-
zufinden. Da sind zunächst die beiden Stellen bei Fi schart^), wo
einmal von Ältmlischen Flaschen und dann von Alttvilischer Cantzelij-
scher Teiitischer Schrifftartlickeyt die Rede ist. Bereits Grimm ^)
brachte diese Stellen mit unserm alttnl zusammen und meinte, alt-
wilisch bedeute ;,seltsam, zwitterhaft*', ein Zusammenhang mit ;, Weile*'
(Zeit) sei nicht anzunehmen. Sachlich wäre nun ein Zusammenhang
mit Zeit durchaus nicht abzuweisen, denn ein Wort wie „vorzeitlich,
vorsintflutlich** würde hier sehr wohl passen, aber einmal dürfte
„Weile** in der Bedeutung, die es durch diese Zusammensetzung an-
nehmen würde, nie üblich gewesen sein, so dass selbst ein Fischart sich
dieselbe nicht hätte erlauben dürfen, und dann pflegt Fischart eben
nicht Wile zu schreiben sondern Weile, er hätte also wohl altweilisch
gesetzt, wenn er an Weile gedacht hätte. — Höfer hat nicht ernstlich
versucht, die Fischartstellen zu erklären. Er sagt*): „Hat aber
Fischart hier nicht 'weile' gemeint, so kann er an viel Anderes eher
gedacht haben als an die ihm wahrscheinlicher verborgen gebliebene
Korruption einer Sachsenspiegelhandschrift. Zudem ist zuversichtlich
anzunehmen, dass Fischart das Wort in seiner wahren Gestalt und
Bedeutung sehr wohl kannte, selbst gebrauchte und, falls ers im
Sachsenspiegel oder sonst gelesen, auch verstanden haben würde.**
Das sind nichtssagende Phrasen. Offenbar passten Höfer die Fischart-
stellen sehr schlecht, weil durch sie das v als w erwiesen wird. —
Ich glaube vielmehr, dass Fischart gerade, um etwas recht Seltsames
zu bezeichnen, zu dem Ssp.-Wort gegriffen hat, das er vielleicht
keineswegs, wie Höfer meint, ohne Weiteres verstand, sondern das
ihm als das Urbild des Rätselhaften und Unverständlichen erschien.
Darum bezeichnet er auch die Schreibart der Kanzlei, die bekanntlich
auch heute noch oft schwer verständlich ist, als altwilisch. Und eben
wegen der Dunkelheit des Wortes behielt er auch die niederdeutsche
Form bei oder, richtiger gesagt, musste er sie beibehalten.^) Seine
Schreibung stimmt, wie schon angedeutet, mit der Latendorfs überein.
Es bleiben die drei bairischen Urkundenstellen, wo ver-
mutlich einunddieselbe Person einmal Marquart Ältvil^) und zweimal
Marchwart AltfiV) genannt wird. Hier ist nun allerdings der /"-Laut
0 Tafel 34 bei v. Amira.
*) Geschichtsklitt., hrsg. v. Alsleben (Hall. Neudrucke 66—71), S. 40 u. 41.
^) Dt. Wtb. s. V. aUwüisch.
*) Altv. im Ssp. S. 13 f.
^) Dass er übrigens auch sonst sich vor ndd. Formen nicht scheute, beweisst
die Form Liffkindecken, ebd. S. 36.
•) Mon. Boica VII, 450.
') Ebd. II, 344 u. VIIT, 428.
14
des V ausser Zweifel. Erklären können wir ihn aber vielleicht ebenso
wie in der Dresdener Handschrift, nämlich durch Missverständnis:
die besagte Persönlichkeit, von der wir sonst nichts wissen, stammte
vielleicht entweder selbst aus Niederdeutschland oder ihre Vorfahren
waren von dort nach Baiern eingewandert; der niederdeutsche Name
Altwil (nach nd. Art Ältvil geschrieben) wurde dann in bairischem
Munde als alt-vil, alt-fil aufgefasst^) und von dem bairischem Schreiber
entsprechend geschrieben; möglich, dass man dabei an alt und file
(feile) dachte^). Vielleicht ist aber auch K. J. Th. Haupt im Rechte,
der^) annimmt, dass diese bair. Namen überhaupt mit unserm altwil
gar nichts zu tun haben. Für diesen Fall könnte Björkman das
Richtige treffen, der^) meint, dass der Name aus mlat. alphilus ver-
deutscht bezw. volksetymologisch umgedeutet sei. Schliesslich könnten
sie auch „Alte Feile* bedeuten; ein solcher Beiname, einem Manne
aus irgend einem Grunde gegeben, wäre zwar nicht schön, aber doch
denkbar. —
Wir finden also, dass die durch Latendorf gebuchte moderne
Form altioil mit der Überlieferung, soweit wir sie an der Hand des
gedruckten Materials prüfen konnten, allerdings nur einmal (bei
Fischart) zweifellos übereinstimmt, dass aber 8 von den 1 1 unter-
suchten Fällen ihr nicht unbedingt entgegenstehen, d. h. dass sie
ebensowohl für altioil wie für altvil (altfil) zeugen können. Von den
zwei Fällen, die durchaus für f sprechen, ist das alt vilen in der Dres-
dener Handschrift, wie wir gesehen haben, höchst verdächtig (auch
durch das angefügte n, das sonst nirgends steht), und auch die bai-
rischen Belege lassen sich nicht als beweisend anerkennen. Wir
können also auch der geschriebenen Überlieferung gegenüber ohne
Bedenken unserer Erklärung die Form altwil zugrunde legen, umso-
mehr als dieselbe, wie wir sehen werden, auch eine durchaus be-
friedigende Etymologie ermöglicht.
Zunächst gibt uns Latendorfs Mitteilung aber auch unzweideutig
die Bedeutung des Wortes. Es heisst darin: „Auf einer Bauern-
versammlung in der Nähe von Schwerin hörte er [nämlich L.'s Ge-
währsmann, der Advokat Groth aus Schwerin], wie sich die Land-
leute darüber unterhielten, dass die Unterirdischen im Petersberg ein
ungetauftes Kind gestohlen, und dafür eines der Ihrigen, ein alttoil
untergeschoben hätten.* Bei den „Unterirdischen* haben wir zweifel-
los an Alben, Eiben, Elfen zu denken, und so bestätigt sich
die schon von Sachsse geahnte, von K. J. Th. Haupt mit vielen
Sonderbarkeiten weiter verfolgte, auch von Höfer, Lübben, Woeste,
Zacher und Björkman^) nicht geleugnete und von Rochholz ein-
gehender begründete Beziehung der alttvile zu jenen Fabelwesen.
*) über die bair. Ausspr. von fremdem v als / vgl. Weinhold, Bair. Gramm.
S. 135, § 131.
') Ob die einmal vorkommende ndd. Schreibung Marquart AUvil noch auf
diesen ndd. Ursprung hindeutet, wage ich nicht zu entscheiden.
'i a. a. 0. S. 255.
*) Zs. i dt. Alt. 43, 1899, S. U6 ff. Vgl. unten S. 18, Anm. 5.
15
Altunl bezeichnet ein von den Elfen untergeschobenes Kind, einen
Wechselbalg. Dass diese Bedeutung auch für die a. im Ssp. gut
passt, leuchtet sofort ein, wenn man sich klar macht, dass die vom
Volksglauben als Wechselbälge bezeichneten Geschöpfe nichts Anderes
sind, als Kretins, d. h. an Körper und Geist zurückgebliebene,
missgestaltete Personen, . wie sie in allen Gegenden mitunter vor-
kommen. Eben weil die unglücklichen Eltern derselben nicht zugeben
wollten, dass es ihre Kinder seien, bildet sich der Glaube aus, dass
das echte Kind gestohlen und ein Elfenkind untergeschoben worden
sei^). Dass der Verfasser des Ssp. oder genauer derjenige, der aus
alten Rechtsüberlieferungen die Stelle über die a. in den Ssp. ein-
setzte^), noch an Wechselbälge glaubte, ist durchaus nicht unwahr-
scheinlich. Glaubte doch noch Luther daran*), wenn er sie auch
nicht mit den Elfen sondern mit dem Teufel in Verbindung brachte.
Dass mau die Kretins und sonstige Blödsinnige auch anderweitig mit
elbischen Wesen in Beziehung setzte, hat Rochholz in seinem oben
erwähnten Aufsatze durch Beispiele nachgewiesen. „Dar sin die elwen
rmef^ wird in Westfalen von einem Besessenen gesagt, ein elbentrötsch
„ist jener Aprilnarr, der sich gegen eine erdichtete Gefahr als Nacht-
wache auf die Feldmark hinausstellen lässt^*). Zu der Bedeutung von
a. als Elfenkind stimmt dann auch die Übersetzung neptunius (vgl.
Wasserkopf). Weiterhin passen aber auch, da die Wechselbälge eben
auch geistig verkrüppelte Geschöpfe sind, die sonst noch verwendeten
Ausdrücke fatims, vanus, dommen hiden u. dgl. gut darauf.
Ist demnach die Beziehung der a. zu den Elfen ausser Zweifel,
so liegt nichts näher, als diese Beziehung auch in dem Namen selbst
zu suchen. Dazu braucht man aber nicht mit Sachsse ein unmög-
liches Deminutivum zu bilden, mit K. J. Th. Haupt eine weniger
beglaubigte Lesart heranzuziehen oder mit Woeste eine Umstellung
aus alftU anzunehmen. Sondern altwil ist einfach entstanden
aus alftivil. Der erste Bestandteil, alf, Elfe, ist dann ohne Weiteres
klar (über den Ausfall des f vgl. u.), und fiir das übrig bleibende
twil bietet sich ungesucht die schon von Kosegarten hervorgehobene
Bedeutung ^yZweig*', u. z. in dem Sinne von „Spross*. Ein alftunl
ist dann ein Albenspross, ein Elfenkind, genau wie es sich aus der
Latendorfschen Mitteilung ergeben hat. Ein direkter Beleg für die
Verwendung von twil für ;,Spros8^ fehlt mir zwar; ich weiss wohl,
dass tml(l) ursprünglich, als Ableitung von twS, eine Astgabelung
bezeichnet (so heute noch als twäl im Mecklenburgischen), aber da-
neben bestand schon im Mnd. die Bedeutung von Ast oder Zweig
schlechthin; dies geht hervor aus Bildungen wie twillstern „viele
Nebensprossen treiben^, twiilstric/, was viele Nebensprossen hat*),
*) Vgl. Ploss, Das Kind 1*, S. 118 f. Wuttke, Der deutsche Volksaber-
glaube ^ S. 383 f.
2) Vgl. Sachsse in der Zschr. f. dt. Recht 14, S. 2.
8) Vgl. Tischreden (Ausg. v. Kroker) S. 198, Nr. 352.
Zschr. f. dt. Phüol. 3, R. 336 f. u. 340.
Brem. Wtb. 5, S. 141.
?
16
dretwelt ;,dreigeteilt*'^). Man kann also ohne besonderen Zwang für
twil die Bedeutung ;,Spross" annehmen, jedenfalls nicht mit mehr
Zwang als man zur Annahme der früheren Erklärungen nötig hat.
Hat doch das Wort ;, Zweig* dieselbe Bedeutungsentwickelung durch-
gemacht. Auch daran, dass im heutigen Mecklenburgischen das Wort
twäl lautet, braucht man keinen Anstoss zu nehmen, denn als zweiter,
minder betonter Bestandteil eines Kompositums konnte sich die alte
Form mit kurzem i wohl erhalten^) Bemerkenswert ist allerdings,
dass a. in L.'s Mitteilung sächlichen Geschlechtes ist (Akk.: ein altwil)^
während twil und twäl sonst durchaus männlich sind. Aber von Be-
deutung ist auch dies nicht, denn einmal kam es L. und seinem
Gewährsmann sicher weit mehr auf die Form des Wortes und seine
Existenz überhaupt an als auf sein grammatisches Geschlecht, sodass
in Bezug auf letzteres wohl ein Irrtum unterlaufen konnte, dann aber
ist auch ein Übergang des Kompositums in das sächliche Geschlecht
keinesweges ausgeschlossen wegen der Analogiewirkung von ^das
Kind*; ähnlich wird ja in Norddeutschland für das Kind auch das
Balg und das Wurm gesagt. Aus dem Sachsenspiegel und den
anderen Stellen, wo a. überliefert ist, lässt sich das Geschlecht nicht
ersehen.
Ist so die Bedeutung von twil aufgeklärt, so bleibt noch übrig,
den Ausfall von f im ersten Teile des Wortes zu rechtfertigen. Es
gibt mehrere niederdeutsche Appellativa, die mit alf, elf zusammen-
gesetzt sind, Kosegarten ^) führt an: alfhofj elfklatte, alfranken, alfriide^
alftost^). In keinem derselben schwindet das f, aber es bietet auch
nur das eine alftost dieselbe Konsonantenverbindung wie *alftivil,
folglich darf streng genommen nur dies zum Vergleiche herangezogen
werden. Kosegarten hat das Wort aus Schellers handschriftlichem
Sassisch-Niederdeutschem Wörterbuche, das besonders die Mundart
der Braunschweiger Gegend berücksichtigt. Ich habe nun einen
Kenner der ostfälischen Mundart, Herrn Th. Reiche in Braunschweig,
gefragt, ob das Wort vielleicht auch altost gesprochen würde, aber
von ihm erfahren, dass es ihm überhaupt unbekannt ist und dass
Scheller (wie übrigens schon Kosegarten auf S. X/XI seines Wörter-
buches betont hat) sehr unzuverlässig ist. Mit Sicherheit kennen
wir demnach keine mit alf zusammengesetzten Appellative, welche
dieselbe Konsonantenverbindung aufweisen wie *alftwil, und können
deshalb aus dem bei den anderen erhaltenen f nichts gegen unsere
Ableitung folgern. Dagegen lässt sich ein Ausfall von f belegen
durch den niederdeutschen Ortsnamen Älstedde (Regierungsbez. Münster),
der früher Älfstide, Älfstedi lautete^). In mittel- und oberdeutschen
») Mnd. Wtb. 1, 574.
*) In ähnlicher Weise beisst in Thüringen rechts der Saale nicht weit von
Jena die Herbstzeitlose Oksenbiddl, während sonst die ganze Gegend baidl (Beutel)
spricht.
») Nd. Wtb. S. 226 f.
^) Weitere sind mir nicht bekannt geworden.
^) Vgl. Friedländer, Die Heberegister des Kl. Freckenhorst (Münster 1872),
S. 49, und Erhard, Reg. Hist. Westfaliae 1, Cod. dipl. Nr. 103b.
17
Gegenden finden sich weitere Beispiele für den Verlust von f nach /;
z. B. liudolstadt, dann Wolsfeld (10. Jh. Wolfesfelt^) bei Trier, Wol-
kramshausen (aus Wolfgrhneshusen^)\ Wolfskirchen im Unter -Elsass
heisst mundartlich Wolschkirche^), Nun darf man ja die bei Orts-
namen und Eigennamen überhaupt vor sich gehenden Lautwandelungen
nicht ohne weiteres auch für Appellativa annehmen, aber ich meine
doch, dass ein Name wie Alfstedde, bei dem das alfj genau wie bei
^alffwil, an betonter Stelle steht, schwer ins Gewicht fällt. Ferner
schreibt John Brinkman*) sülstig für sülfstig, damit ist also der Ausfall
auch anderweitig, wenn auch nur im modernen Niederdeutschen, belegt.
Zum Schwunde des f gerade bei *alftivil könnte auch das nur durch
das t von dem f getrennte, ihm nahe verwandte w beigetragen haben,
indessen wäre dieser Konkurrenz wohl eher das w zum Opfer ge-
fallen. — Möglicherweise liegt die Sache aber auch etwas anders.
Statt alf erscheint nämlich in nd. Kompositis, entgegen der Regel,
wonach auslautendes b im Niederdeutschen stets zu f wird, auch alb,
sogar alh, z. B. Albdag als Name eines Grafen in Friesland ^), alhrun^
alhker ebenfalls als Personennamen®). Altwil könnte sonach auch
auf ^albtwil oder "^alhtwil zurückgehen. Ausfall des b (oder vielleicht
besser Angleichung desselben an das l) Hesse sich ebenfalls durch das
oben erwähnte Alstedde belegen, für das im 9. und 10. Jahrh. auch
Alhsteti vorkommen solF). Auch die Namensform Aldach^) könnte man
dafür herbeiziehen, falls diese aus Albdach (Albdag) und nicht, wie
Kosegarten meint, aus Adeldach verkürzt ist^). Für den Schwund
oder die Angleichung von b wäre vielleicht anzuführen swahj swdl(e)ke
aus swalewe u. s. w., denn das dort verschwundene w ist ja von b
im Nd. nicht allzu verschieden, auch hellinc aus helbelinc^^)^ ganz
besonders aber der oben erwähnte Name alhnm, falls dieser mit
almna, Alraune, identisch ist. Gewöhnlich wird das al- letzteren
Wortes ja mit all ^omnis*' zusammengebracht und das Ganze dem-
*) Förstemann, Altdt. Namenbuch 2^ 1645.
«) Ebd. 1646.
*) Das Reichsld. Els.-Lothr., herausg. v. Statist. Biireau des Minist, f. E.-L.,
3, Sp. 1227.
*) Sämtl. Werke 1 (Berlin, Werther 1900), S. 152.
») Mon. Germ. 1, 38 b.
*) Crecelius, Collectae ad augendam nom. propr. sax. et fris, scientiam
spectantes III a, S. (>8.
') Förstemann, Namenbuch 2*, S. 55. Doch habe ich den Namen an den
von F. angegebenen Stellen vergeblich gesucht.
») Kosegarten, Nd. Wtb. S. 210.
*) Mittel- und oberdeutsche Zusammensetzungen zeigen selbstverständlich
immer die Form alb oder alp, so albleich, albschoss, albrass, alpthonar; auch hier
erhält sich das b (p), wie im Nd. das /» aber auch hier findet sich in anderen
Verbindungen Schwund desselben: so ist ÄUgäu entstanden aus Albgäu (vgl. Mon.
Boica 23, 214 und Baumann, Gesch. des Allgäus), der Ort Ältertheim bei Würz-
burg wird im 11. Jahrh. Albdrudeheim genannt (Dronke, Cod. dipl. Fuld. Nr. 323
wozu zu vergleichen Mühlbacher, Register der Karolinger 1 ^ S. 260) ; ferner vgl.
thüringisch saldhi für selbthier (Hertel, Thür. Sprachschatz S. 227),
10; Vgl. Roethe, Reimvorreden des Ssp. S. 94, und Lexers Wtb. I, Sp. 1228.
Niederdentsohes Jahrbuch XXXI. 9
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gemäss wiedergegeben „alle Geheimnisse kennend^ ^). Die ahd.
Nebenform alarun und heutige Dialektformen, wie schweizerisch
alerune u. dgl., berechtigen auch dazu. Aber daneben stehen die von
Kosegarten ^) und Woeste^) erwähnten alhrünerij deren Wesen und
Treiben sich mit dem der Alraunen so vollkommen deckt, dass man
kaum umhin kann, sie mit diesen zu identifizieren. So hält denn
auch Schwyzer*) den durch Wackernagels treffende Konjektur in den
Text von Tacitus Germania (Kap. 8) eingesetzten Frauennamen Albruna
für eins mit Alraune und übersetzt ihn: „Mit der göttlichen Zauber-
kraft der Elfe begabt*^. Wahrscheinlich sind sowohl alaruna wie
albruna in dem Worte alruna, Alraune, zusammengeflossen, dies bleibt
aber auch dann eine wertvolle Stütze unserer Ableitung von altwil.
Jedenfalls ergibt sich aus den obigen Beispielen, dass die Ent-
stehung von altml aus *alftml oder "^albtwil (^alhtunl) lautlich sehr
wohl möglich ist. Da diese Ableitung ausserdem mit der durch
Latendorfs Mitteilung gesicherten sachlichen Bedeutung des Wortes
aufs Beste übereinstimmt, so glaube ich, dass sie der Wahrheit näher
kommt als die bisher vorgetragenen Etymologien. Sollte ich doch
das Richtige nicht getroffen haben, so würde es mich freuen, wenn
ein Glücklicherer, durch meine Untersuchungen angeregt, endgültiges
Licht über diese uralte Bezeichnung verbreitete^).
*) Vgl. Schrader, Reallex. der idg. Altertumsk. S. 36.
2) j^d. Wtb. S. 205.
») Westf. Wtb. S. 4.
*) Tacitus Germania herausg. v. Schweizer - Sidler, 6. Aufl. v. Schwyzer
(19a2), S. 19.
^) Nachtrag zu S. 8. Erst während der Korrektur bin ich auf Björkmans
Äusserungen über a, (Zs. f. d. Alt. 43, 1899, S. 146—150) aufmerksam geworden.
Er weist hin auf die Ähnlichkeit desselben mit mlat. alphilus, alphinus „Läufer im
Schachspiel". Dieser sei in Deutschland umgedeutet worden zum „Alten**, in
Frankreich zum „Narren". Andrerseits habe sich auch in Deutschland die Ent-
wickelung zu „Narr" einstellen können, da eine Wurzel *a2b- »Tor, Narr" höchst
wahrscheinlich vorhanden gewesen sei. alphilus bezw. *aUfilus seien zur Zeit der
Überlieferung des Ssp. in Deutschland wegen der Popularität des Schachspiels
möglicherweise geläufige Wörter gewesen. Sollte aber der betr. Vers älter sein
als die Zeit, in der das Schachspiel nach Deutschland kam, so habe wahrscheinlich
an der Stelle ursprünglich ein mit *aZb- zusammengesetztes Wort gestanden, das
als „elbisches Wesen, Wechselbalg" gedeutet worden sei oder von vornherein diese
Bedeutung gehabt habe. Dies sei dann später mit dem in seiner Bedeutung von
der genannten Wurzel *a?t)- beeinflussten mlat. alphilus bezw. *alhfilus identifiziert
worden. B.'s Vermutung berührt sich, wie man sieht, mit der schon erwähnten
Andeutung von Woeste. Auch v. d. Linde (Gesch. u. Lit. des Schachsp. 2, S. 168)
hat schon alphilus mit Ältfil zusammengebracht und bereits J. K. C. Nachtigall
fragt (Deutsche Monatsschr. 1797, Juni, S. 106), ob Alficus (so!) vielleicht von dem
deutschen Alp herkomme, ohne jedoch von altvil zu sprechen. Um B.'s Vor-
schlag annehmbar zu machen, müsste vor allen Dingen die Geläufigkeit von alphilus
usw. für die damalige Zeit in Deutschland erwiesen sein. Das ist sie aber nicht,
nicht einmal als deutsche Bezeichnung für den Läufer im Schachspiel ist alfil
gebräuchlich, es heisst auch nicht einmal „Narr", sondern „der Alte, Schütze,
doppelter Söldner", auch „Hund" soll vorgekommen sein (vgl. K. G. Anton im
Allg. Lit. Anzeiger 1798, Sp. 545—550). Und selbst wenn man „der Alte" für
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aus aJphtlus entstanden hält, so beweist dies noch nichts für die Entwickelung des
Wortes nach „Narr" hin, eine solche ist aber für altvil nötig. Die einzige Stütze
für die Annahme letzterer Bedeutungsentwickelung ist eben das zu erklärende
Wort, wir können deshalb B.'s Hoffnung, dass sein Vorschlag vielleicht zur end-
gültigen Lösung des Problems führen könnte, nicht als begründet ansehen.
Nachtrag zu S. 11. Ähnlich äussert sich auch Roethe in der S. 11,
Anm. 4 augeführten Schrift S. 89. Die ganze Frage der Behandlung dieser Wörter
in den md. Handschriften wird durch seine Annahme, dass dingslete, unlust usw.
alte, schon damals z. T. nicht mehr verstandene Eechtsausdrücke waren, am besten
gelöst. Zu diesen gehört eben auch altvil, das Roethe natürlich nicht erwähnt,
weil er sich nur mit dem Texte Eikes beschäftigte.
STRASSBURG i. E. F. MentZ.
Dat Ei ^vas int^vei.
Die Redensarten: Dat Ei was intwei (titschen de ollen Frün'fi)
„das Ei war entzwei (zwischen den alten Freunden)^ = Das Ein-
vernehmen war gestört, das Band war zerrissen, und: Dat Ei brecht
intwei, „bricht entzwei*' = die Freundschaft ist vorbei sind von
C. Fr. Müller, Der Mecklenburger Volksmund in Fritz Reuters Schriften
Nr. 156 (S. 24) nicht erklärt. Auch Ernst Brandes, Zur Sprache
Fritz Reuters (Zschr, f. d. Unterr. Bd. XVIII, S. 492) weiss sie
nicht zu deuten. Meines Erachtens beziehen sie sich auf eine alte
Fabel, die sich schon in der lateinischen Sammlung des Romulus
als Nr. 42 (s. Hervieux, Les fabulistes 2, 595) findet und von Gerhard
von Minden (Ausgabe von Leitzmann Nr. 104), sowie im Magdeburger
Äsop (Gerhard von Minden von W. Seelmann Nr 41) bearbeitet ist.
Der Inhalt ist folgender:
Ein Mann beherbergt einen Drachen in seinem Hause, und beide
halten treue Freundschaft. Als der Drache eines Tages in ein fremdes
Land ziehen will, vertraut er dem Manne seinen Schatz und dazu ein
Ei. Er bittet ihn, es sorglich zu hüten, denn, wenn es zerbrochen
werde, so verliere er damit sein Leben. Kaum ist der Drache fort-
geflogen, so zerbricht der Mann das Ei, um in den Besitz des
Schatzes zu gelangen. Sogleich erscheint der Drache wieder und
erklärt, dass er durch Übergabe des Eies, das ein gewöhnliches
Kranichei sei, nur seine Treue habe prüfen wollen. Nun sei es mit
der Freundschaft vorbei. Gerhard schliesst die Fabel mit der Moral:
„Pröve, wem du löven tvidt,
so heft din love gine sclmlt,
ive dem jenen, de bedrückt
sinen mint! de schrift nicht enlücht.^
NORTHEIM. Robert Sprenger.
20
Eine Sammlang plattdeutsclier Sprichwörter und Kernsprüclie
nebst Erzälilungsbrnclistilcken von John ßrinckman.
Als Suphan unlängst über den Entwurf Goethes zu einem Werke
über Italien Mitteilungen veröffentlichte, sagte er unter Anderm: ;,Ein
Interesse an der Volkskunde Hess den Dichter die Sprichwörter genau
beachten, aus denen er Charakter, Art und Sitten der Menschen zu
erkennen glaubte.^
Aus dem gleichen Grunde schenkte Brinckman den Sprichwörtern
seiner mecklenburgischen Heimat besondere Aufmerksamkeit. Aber
auch das Interesse des Schriftstellers leitete ihn: Er sammelte volks-
tümliche Redewendungen und Sprichwörter, um sie in seinen platt-
deutschen Erzählungen an geeigneter Stelle zu verwenden. ^)
Das ist ganz deutlich erkennbar, wenn man ein altes Schul-
notizbuch Brinckmans vom Sommer 1854 zur Hand nimmt. Da finden
sich u. a. die ersten Niederschriften von Kasper-Ohm^), sowie von
den Gedichten „De Fastelabendspredigt" ^) und „Dat Leed vun dat
Pack''^). Auf den letzten Seiten des Notizbuches aber stehen eine
Reihe charakteristischer Ausdrücke, Redensarten, Sprichwörter, wie
sie dem Autor gelegentlich einfielen. Er notierte sie mit Bleistift und,
wenn sie benutzt waren, wurden sie von ihm durchstrichen.
Diese erste Sammlung setzte der Dichter weiter fort, bis sie
endlich zu einem abgerundeten Ganzen sich entwickelt hatte. Dann
schrieb er sie in der Absicht einer Veröffentlichung nieder.
In dem Manuskript des Generalrheders, das ich Dank der
Freundlichkeit des Brinckman -Verlegers Herrn Wilhelm Werther-
Rostock benutzen durfte, fand ich am Ende des Heftes jene Zusammen-
stellung unter dem Titel: „Mecklenburgischer Volksspiegel''. Die
Sammlung umfasst 264 Nummern mit einigen Nachträgen. Es lässt
sich leicht nachweisen, dass sie im zweiten Lustrum der fünfziger
Jahre entstanden ist. In meiner Hand befindet sich eine Rede, m*it
der Brinckman in Güstrow die Vorträge eines Vereins zu wissen-
schaftlicher Unterhaltung eröffnet hat. Aus mehreren Hinweisen,
z. B. auf Ernst Bolls Geschichte Mecklenburgs (1. Teil 1855, 2. Teil
1856), ergiebt sich, dass der Verein in der zweiten Hälfte der fünf-
^) Vgl. auch Reuters Werke hrsg. von W. Seelmann. Bd. 1. Einleitung. S. 62*.
2) Erschienen 1855.
8) Vagel Grip, 1859, S. 140 ff.
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ziger Jahre begründet sein muss. Am Schlüsse dieser ungedruckten
Rede heisst es:
„Der ihr (der mecklenburgischen Mundart) erb- und eigentümlich
angehörende Hausschatz an Sprichwörtern und Kernsprüchen ist
unerschöpflich, und sie erinnern in ihrer kaustischen Scblagfertigkeit,
ihrer plastischen Rundung, ihrer gründlichen Welt- und Herzenskunde
nicht selten an die mit Recht gepriesene Spruchweisheit der Hindus.^
Im Anschluss hieran steht im Manuskript der durchstrichene Satz:
;,Um aber Ihre Geduld nicht allzuscharf auf die Probe zu stellen,
gestatte ich mir hier abzubrechen und möchte Ihnen nur noch zum
Schluss einen kurzen Versuch vorlegen, worin einige jener Sprüche,
wie ich glaube, rein plattdeutsch gedacht und in echt volkstümlicher
Weise zur Anwendung kommen."
Die Entstehungszeit der Sammlung ist also erwiesen und in
Verbindung damit lässt sich nun auch feststellen, dass Brinckman
den erst 1886, sechzehn Jahre nach seinem Tode veröffentlichten
Generalrheder schon etwa 30 Jahre vorher geschrieben hat! Hiermit
steht in Einklang, dass das Manuskript des Generalrheders von
Brinckmans eigener Hand stammt, während die nach 1860 ent-
standenen Erzählungen in ihrer druckfertigen Fassung meist von der
Gattin des Dichters niedergeschrieben wurden; so namentlich auch
der Roman ;,Von Anno Toback*', der im Brinckman-Nachlass zur
Veröffentlichung kommt, und der sich als eine Erweiteining des
Generalrheders darstellt.
Die vollständige Mitteilung der Sprichwörter-Sammlung ist aus
sachlichen und persönlichen Gründen geboten. Es finden sich Sprüche
darin, die selbst in dem grossen deutschen Sprichwörter-Lexikon von
Wander fehlen. Für zahlreiche andere wird die dort nicht erwähnte
plattdeutsche Form festgestellt und das Vorkommen in Mecklenburg
erwiesen. Die Veröffentlichung empfiehlt sich aber auch wegen der
Person des Dichters, der jene Sprichwörter gesammelt und sie in
seinen Schriften mannigfach benutzt hat.
An die Sammlung aus dem Heft des Generalrheders füge ich
Ausdrücke und Redensarten an, die Brinckman im Schulnotizbuch
vom Sommer 1854 mit Bleistift notiert hat.
Und in diesem Zusammenhange mögen einige unbekannte Bruch-
stücke des Dichters folgen. Wie die Skizze und das unvollendete
Werk eines Malers grade in die Technik seines Schaffens Einblick
gewähren, wird man auch in den Erzählungsfragmenten noch mit
grösserer Schärfe die Arbeitsweise des Dichters erkennen. Die beiden
ersten Bruchstücke, zwei ländliche Idyllen, fanden sich als schwer
leserliche Bleistiftskizzen in dem mehrfach erwähnten Notizbuch. Die
beiden andern stehen auf Einzelblättern. Ich verdanke die kleinen
Entwürfe den Söhnen des Dichters, Herrn Konsul Max Brinckman-
Harburg und den Herren Franz und August Brinckman in Hamburg.
An der Orthographie ist keine Änderung vorgenommen.
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I. Mecklenburgischer Volksspiegel aus plattdeufscben Sprichwörtern
und Eernsprüclien.
Gesammelt und herausgegeben von John Brinckman.
1. Kloppt man an, so wad juch updahn, sär de Dehw, schlöhg een
Fack in un stöhl sick 'n Hahmel.
2. Wenn de Prache keen Glück hebben schall, velüst he dat Brot
uht de Kiep.
3. Wat ick nich weet, mahkt mi nich heet.
4. 'N bäten schehw is liekers lehw.
5. Äwer Krüz höllt dubbelt, harr de Jung segt, harr sick Zucke
up'n Honnig streugt.
6. Rennlichkeit möht sien, sär de Dagläunesch, un fegt den Disch
mit 'n Bessen.
7. Mank dei Dehw möht man nich von Galgen un Rad spräken.
8. Ümkiehrt is ook führt un umführt is dubbelt führt.
9. Wenn de Kugel ierst uht den Lohp rut is, hührt sei den
Düwel to.
10. Klook Lühr fast ehr Dohk an fief Zippeis.
11. Een Hew ick is bäte as tein Harr' ick.
12. Wat de Pap nich will, nimmt de Koste.
13. Wer anne Lühr achte'n Aben söcht, hett sülst all mal achte
säten.
14. Wenn man de Pogg perrt, denn quarrts.
15. De Koh vegett ümme, dat se Kalw wäst is.
16. In't Berr en warmes Jumfernbeen is bäte as tein heete Steen.
17. Wer an dat Lütt nich nohg hett, hett an Nicks nich nohg.
18. Unglück hett jümme 'ne scharp Tung.
19. Dahgs Oss un Nachts Bull, sär Koste Pickhamel, as de Preiste
werre friegen wull.
20. Suhrkohl un Speck is goht för'n Smidt, man nich för'n Sniere.
21. Teilt Schaap frett ook de Wulf.
22. Nu will wi mahl seihn, sär de Blinn, wua de Lahm danzt.
• 23. Wat keen Küken warrn schall, kümmt in de Pann.
24. Jug Dag is ook man Nacht, sär de Blinn to den Dohwen un
den Stamelbuck.
25. Wer kegeln will, möht ook upsetten.
26. Wat ne Nettel warrn will, brennt bi Tieden.
27. Doa hühren stark Behn tau, goht Glück tau drägen.
28. Ick kann an mien Nahwe sien Bären sehn, wenn mien riep
sünd.
29. Liehr du mi Kuhlboarss kennen, min Vahre is Fische wäst.
30. Vespräken is adlich, hellen buhrsch.
31. 'N Ei is 'n Ei, sär de Pap un langt nah dat Gohsei.
32. Hoflfoahrt möht Pien lieden.
33. Klook Häuhne legt ook mennigmal in't Nettel.
23
34. Wat 'n Haken warrn will, dat böhgt sick von sülst.
35. Wer de Katt in'n Sack köfft, veköflft ook de Koh för'n Kahv.
36. Wer 't nich in'n Kopp hett, möht 't in dei Behn hebben.
37. De Fühl dregt sick doht un de Flietig löpt sick doht.
38. Fett swemmt baben.
39. In'n lerrigen Bädelsack steckt oft miehr Glück in, as söss Pier
von 'n Eddelhoff trecken.
40. Wenn dei Schötteln lerrig sünd, hett de Mund Fierabend.
41. Meunigmal bitt de Tung scharpe as dei Tähn.
42. Wenn't Supp rägent, sünd dei meisten Schöttels umstülpt.
43. Dat is all man uht Lehw, sär de Schult, harr sien Fru mit de
Rung' äwe'n Brägen slahn.
44. Jere Dehw hett sienen Griff, sär Koste Rohd, dünn lähwt he
noch.
45. Alltau grahr, is ook man Schahr.
46. Wer jümme up sien Kopp bisteiht, de kümmt ook woU tauletzt
up'n Kopp tau stahn.
47. W^er kümmt in Dokters Hannen,
de kümmt ook bald tau Ennen.
48. Wua de Tuhn am siedsten^) is, is am liebsten äwestiegen.
49. Wer weet, wuahen he gähn sali un wua he gähn möht, is all
halw doa.
50. Dat Backen geiht gaut, äwest dat Anrühren.
51. Wen de Kau tauhührt, de fast se ook an 'n Swauz.
52. Hüht wad't 'n heeten Dag — sär de Hex — as se vebrennt
warrn schüU.
53. He biert man sau, äwest he farkt^) nich.
54. Wua Holt haut wad, fallen Spöhn.
55. Reden is keen Gold un von 'n Snack lett sick Nicks hahlen.
56. Murjahn was 'n olt Hund un müsst sick doch geben.
57. Wua uns dat gähn möht, sär de Rossappel tum Gravensteine,
dünn legen's beir in de Pütt.
58. Wua geiht dat uns arm Rostocke Kinne hia an Buhrd, sär de
Kajütenwächte to den Pudel un roahrt, ick krieg Slähg un du
möhst Knaken freten.
59. Wat achte 'n Tuhn jung wad, wad up de Landstraat olt un
an'n Galgen kolt.
60. Is keen Pott sau scheef, hett doch sien Stülp.
61. Pack sleit sick. Pack vedregt sick.
62. Den Een sien Uhl is den Annen sien Nachtigal.
63. Weck Lühr ehr Kuhrn is anne Lühr ehr Kaff.
64. Wenn de Kauh doht is, wad de Stall buhgt.
65. Wat kümmt, dat gelt, all dat Anne dühst nich.
66. Von 'n Ossen kann man nich miehr as Rindfleesch velangen.
67. Is keen ring Punt wat de Katt mahkt.
*) niedrigsten. *) Ferkel kriegen.
24
68. Wer sien N . . . s uhtlehnt, möht dörch dei Rippen seh
69. 'N bäten driest is nich uhtveschamt.
70. Je duUe se schriegt, je iehre se friegt.
71. Wat 'n gauren Haken werrn will, böhgt sick von sülst.
72. Dat kümmt von de lang Predigt, sär de Preeste, harr sick
dei Bücksen vuU dahn.
73. Hew di man nich sau — sär de Hahn tau de Marrick — dien
Vahre hett dat ook all sau gähn.
74. Sonn Muhl sonn Snack, sonn N — s sonn K — ck.
75. Gröhn Christnacht, witt Ostern.
76. Wenn man den Düwel an de Wand mahlt, steiht he all in de
Huhsdöhr. — Oder:
77. Wenn man von 'n Wulf spreckt, is he nich wiet aw.
78. Man nich sau ängstlich, sär de Ahreboahr tau de Pogg, dat is
gliek äwe. — Oder:
79. Dat is man 'n Aewegang, harr de Kähksch tau den Aal seggt,
harr em awtreckt.
80. Slachte, Garwe, Schinne
Sund Swestebrohre Kinne.
81. Klauk Oogen sehn vähl, wat ne klauk Tung nich nahseggt.
82. Wat 'n rechten Sniere is, wegt vull sähen Punt, un wenn he
dat nich wägen deiht, denn is he nich gesund.
83. Jidwe Amt hett sien Last, sär de Voss, güng nah'n Häunestall.
84. April kolt un natt mahkt hühpend Föhre ^) un hühpend Vatt.
85. Ben Dühwel is ümme äwe'n annern, sär de awsett Koste tau
den Preeste, as de Suprintndent kehm.
86. Na, denn helpt dat nich! sär de Dühwel tau Toppstäten.
87. Je luhsige, je muhsige.
88. Wenn de Pott äwe den Kätel lacht, wat schall denn de Kell
dohn.
89. Ne will Diern is sau swär tau häuden as 'n Sack vull Fläuh.
90. Vesöhk mahkt klauk Lühr, man keen riek Lühr.
91. Wer doa lang hen geiht, de mahkt dat lang.
92. Holl di Kopp un Pöten warm,
Slah ook nich tau vull dei Darm,
Holl de Achtedöhr di apen,
Wat Leegs schall di denn bedrahpen?
93. Pack sleit sick, Pack vedregt sick. (Vgl. 61.)
94. Wenn de Hunge den Döst friegt, sprekt de Düwel den Segen.
95. Wenn dei Wiewe dull roarn, denn hewt sei nicks Gaurs in'u
Sinn.
96. Mit dat Allemeist is dei Meisten dehnt.
97. Dei ollen Bück hewt dei stiewsten Hührn.
98. Unwennt Arbeit bringt Kwesen.
99. Jerst Ohm, denn Ohm's Kind.
*) gehäuftes Fuder.
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100. Wenn 't ook alle-Joahr man een is, tauletzt helpt sick't doch.
101. Mann's Hand hürt haben.
102. Väjil Swien mahkt den Drank dünn.
103. Ick hew 'n gohren Woahrsegge, sär de Käksch to den Slachter,
dünn halt se den Däsen^).
104. Wat Een hett, dat weet man woll, man nich wat Een krigt.
105. Keen Antwurt ig ook een.
106. Märzsnee deiht de Saat weh.
107. Frugensrat un Röwsaat gerött man alle sähen Jahr.
108. Fühl Lür kamt up 'n gülden Stohl.
109. Frugensarbeit is behenn, äwe ahn Enn.
110. Wenn de Frugens waschen un backen,
Hebbens den Deubel in'n Nacken.
111. All wat nich is, kann man ook Nicks von seggen.
112. Wat nich soet't, mag jo woll sürn.
113. Wat nich is dat is nich, kann äwest noch warrn.
114. Kloksnacken geiht lang got, äwest 't Anhürn.
115. Wen nich kümmt to rechte Tiet,
De geiht ok de Mahltiet quit.
116. Spei in't Für, piss inne Bür. (Bure = Bettbezug.)
117. Kinnemaat un Kalwemaat möt oll Lür weten.
118. De Fru un de Aw*) hürt in de Stuw.
119. Wen dei letzten Druppen ut de Kaun hebben will, föllt de
Deckel up de Näs'.
120. Lütt Lür grot Uhren.
121. Irst 'ne Näs' un denn 'ne Brill, irst 'ne Parr un denn 'ne
Quarr ^).
122. De lütten Teckels zachern^) am dullsten.
123. Hungrig Mag un döstig Tung'n
Hewt beir all snurrig Lere sung'n.
124. Baben dicken Buk, ünnen Fiek^) un Muk®).
125. De Mölle vehunget ümme am letzten.
126. Mölle, Mure — Mehldew, Dagdew.
127. Got makt Mot un Mot makt Aewemot un Aewemot deiht nie
nich got.
128. Wenn de Düwel de Trumpet hett, kann he't Müntstück ok kriegen.
129. Wenn 'k nu man ierst leg, harr de Jung segt, harr in't Berr
seten.
130. Wat got is, römt sick von sülst.
131. Dat Hemd is nege as de Rock.
132. Wenn Schit Geld un de N — s 'n Büdel wier, harr de Dagläune
't Meist.
133. Natt Rogg möt kiehrt warrn — sär Paste Kräwt — harr de
Garw uppen Kopp stellt.
*) Wage (Dezimer). ') Ofen. *) Wiege. *) schimpfen *) Beulenkrankheit
der Tiere. •) Mauke.
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134. Mureswet kost jere Drup 'n Dale. •
135. Wu se singt, doa is got sin, sär de Düwel, spunnt sin Grot-
more in'n Immenrump ^).
136. So mennig Pal, so mennig Aal.
137. Sleist du min Jurn, sla ick din Jurn.
138. Lewe eng un woll as wit un weh.
139. Dat wat nich so heet uteten, as dat upfüllt is.
140. 'N goden Nawe is bete as witlüftig Vetterschaft.
141. Doa is ken Hund negen Joar dull, he löppt enmal an.
142. He is so ful, dat em dat led deit, wat he gan lirt hett.
143. De Woch fängt schön an, sär de Dew Mandag, dünn süll he
hängt warrn.
144. Wu de Wulf liggt, doa bitt he nich.
145. Dat Best is wat en mit de Tän doavon awtreckt.
146. De Bur de nich moet, de roegt nich Hänn noch Foet.
147. 011 Fru un oll Koh sünd noch wirt wurto, oll Mann oll Pird
de sünd nicks mir wirt.
148. Twe hart Sten malen slicht.
149. 011 Schulln moet'n nich betalen un ni Schulln moet'n olt warrn
laten.
150. Wenn en deit wat he kann, denn kann he nich mir don as he
deit 2).
151. Wu Holt hangt wad, falln Spoen.
152. Geduld sürt Holtappeis ut.
153. 'N Spill Koarten is 'n Düwel sin Gesaugbok.
154. Herrnog^) makt 't Ve fett.
155. Nich Jere bedt de to Kirch geit.
156. Ni Dessen fegen got, ore:
Ni Regiment scharp Putzmetz.
157. Eddelmann Bur de is irst stur.
158. Krumm Holt giwt ok grar Für.
159. Scharprichte is 'n scharpen Balbire.
160. Flitig Growes*) sünd ümme blank.
161. Wen sin egen Scholmeiste is, hett 'n Narr tom Schöle^).
162. Wat di nich jäkt, schast du ok nich kratzen.
163. Ken Supp so dür as de 'n umsüs ett.
164. De Fru kann in er Schört mir ut 't Hus rut dragen as de
Mann in ne Austwag rinnfürt.
165. 011 Zogen lickt ok girn Solt.
166. Ful Lür geit 't von Hand as de Klatt ut 'n Klatthamel.
167. Närig Husfru — vuU Spoarbüss.
168. Ni Docte ni Kirchhof.
*) Bienenkorb. *) Vgl. Reuters Motto zu Läuschen II und die Überschrift
zum 16. Läuschen. ^) Ilerrenauge. *) Spaten. ^) Wander, Deutsches Sprich-
wörter-Lexikon Bd. IV S. 383 kennt diesen Gedanken nur in einem russischen
Sprichwort: „Die nur bei sich in die Schule gehen, gehen in die Narrenschule."
27
169. Brukst 'n Dew, nimm em von Galgen.
Hest em brukt, häng em werre an.
170. Harr ick un hew ick hat
Sandacke lerrig Fat.
171. Abens wad de Ful flitig.
172. God Awkat, slicht Nawe.
173. Für un Wate, gor Denstlür^), slicht Herrn.
174. Na un na makt de Vagel sin Nest.
175. Wu dulle en den Mess uprürt, wu duUe he stinkt.
176. Drinkt en Gos, drinken's all.
177. En wist sacht uppe Wiem, man nich uppe Häune.
178. Wen an 'n Galgen schall, vesüppt nich.
179. Wenn de Wiwe hacken, racken, backen un snacken, denn hewt's
'n Düwel an Nacken.
180. De best Fidel stickt in'n Geldfick»).
181. De best Katt is de Geldkatt.
182. Büst girn gesund: Frett as ne Katt, drink as 'n Hund.
183. Wat di nich brennt, dat blas ok nich.
184. Wen Vägel fangen will, moet nich mit 'n Knüppel mank schlau.
185. Gott velett ken Dütschen, hunget em nich, so döst em doch.
186. Wen nich sen will, den helpt ok ken Brill nich.
187. Wo de Messwag nich hengeit, kümt de Austwag nich her.
188. Doa is ken Narr so klok nich, finnt doch sin Meiste.
189. Slicht Handwerk, sär de Prache^j, wat sin Mann nich närt.
190. Wu Poggen sünd, doa sünd ok Areboars.
191. Jungs rut, Hunn rut, Kandaten ok rut, sär Doerslag, duun lewt
he noch.
192. Wad de Nawel noch so got awbunn un wad doch an'n Dot
anbunn.
193. Wen de Ogen nich updeit, moet 'n Büdel updon.
194.' Ken Wittfru nimmt 'n olt Mann an Geld.
195. Ken Hund frett ne Bratwust, de he nich stalen hett.
196. Boar un Oss fangen ken Voss.
197. Legenleges*) brukt vel Muslöck.
198. 'N good Jage lett sick nich upp'u Lop kieken.
199. Ut'n Swinswanz lett sick ken sidn Halsdok maken.
200. Brenn min Kart^), putz min Dacht.
201. Doctes sünd den lewen Gott sin Oltflickes.
202. Geist du mit Hunn to Berr, steist du mit Fleu werre up.
203. Gott makt gesund un de Docte krigt't Geld.
204. Tovel is bitter un wenn't lurre Honnig wir.
205. Arbeit is ne sur Wöttel®), äwest soet Awt.
206. Mit egen Pitsch un fram Pird is got führen.
207. Wen Glück hett, bi den kalwt 'n Oss.
*) Wurzel.
*) gute Dienstleute. ') Geldtasche. *) Bettler. *) Lügner. '^) Kerze.
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208. Hängt 't Swin an de Post un de Giezhals an 'n Strick, den
kümt man an de Flomen.
209. Narrn wassen unbegaten.
210. Bös Hunn moet 'n Knüppel hebben.
211. Sülst, dan ball dan.
212. Hungeliden is 'n seke Inkam.
213. Wii Geld is, doa is de Düwel, wu kens is, doa is te twemal.
214. Wu gröte de Oss wu gröte dat Glück.
215. Ken Narr is so dumm, he finnt en, de em för klok höUt.
216. Swart Käu gewt ok witt Melk.
217. Trekst di 'ne Katt grot, kratzt's di de Ogen ut.
218. Dat's 'n slicht Snurre, de ne apen Doer vörbi geit.
219. Wen 'n Düwel los sin will, bliw uppn Krüzweg stan.
220. Segt hül Gott, seggt de Düwel hott.
221. Wen ken Krüz hett, de köfft sick en.
222. En Fulstrick^) kost mir as 'n Dutz flitig Lür.
223. Irst ne Näs un denn ne Brill,
irst ne Parr un denn ne Quarr. (Vgl. 121.)
224. Alle Anfang is swar, sär de Dew, stöl sick 'n Amboss.
225. Is ken Kinnespill, wenn 'n olt Wif danzt.
226. In de Mal is 't Best, dat de Sack nich nahseggt.
227. Wen lawt^) sin will, moet dot bliben.
228. Wen schimft sin will, de moet frigen.
229. Wu de Sten liggt, doa mosst he^).
230. Man drist un gottsfürchtig, sär de Dew, stoel 'n sülven Altar-
lüchte,
231. Wisst vesteken, wickelt in 'n bescheten Plünn.^)
232. Wen da kümmt in Doctes Hänn,
de kümt ok sacht to Enn.
233. Wen sick tom Schap makt, frett de Wulf.
234. Anne Lür Käu hewt ümme 'n grot Uere^).
235. Kirchgan sümt nich, Wagensmärn hinnet nich.
236. Lew is as Däu, föllt up Rosen un Mess.
237. Trettst du min Hon, wast du min Han.
238. An oll Hüser un oll Wiwer is ümme wat to liickeu.
239. Doarna de Mann is, wad em de Wust brart.
240. Dat Geld lett sick nich anrüken, wu't mit vedent is.
241. Wenn de Ful slöppt, is he am flitigsten.
242. De Ful dreggt, de Flitig löppt sick dot.
243. Wat grot warrn schall, moet lütt anfangen.
244. 'N lütt Kind is bete as 'n Kalw, löppt irst Joar nich in 't Kurn.
245. Bi 'ne lerrig Krüv un Roep®) bit sick de Pir.
246. Lütt Kinne danzen de Mutte uppe Schört, grot Kinne up't Hart.
*) Faulstrick, fauler Mensch. ^) gelobt. *) setzt er Moos an. Wander
a. a. 0. IV S. 817: Wo de Stein lit, da begraset he seck. *) Flicken. ^) Euter.
®) Krippe und Raufe.
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247. Bestellt wen de Hewamm, bestellt he ok glik de Dodengräwe.
248. Wu ne Weg steit, doa steit ok 'n Sarg.
249. Wat de Olln to Hus uppn Rack bringt, bringt de Kinn uppe
Strat.
250. Wenn twe Wiwe tohop kamt, denn warrn's kcn Poar.
251. Wen kann all weten, wuvel Talg 'n sölten Hamel liett.
252. Dat Schlicht dreggt en schlicht
un dat Gor^) mag en nich draegen.
253. Wen voer de Höll want, moet den Diiwel tum Frünn hoUen.
254. Mitte Tit wad 't best Speck ranzig.
255. En Jere is Dew in sin egen Noarung.
256. Mennigen kennt all Lür er holl Taen, man nich sin egen Noars.
257. Prestekinne un Moellerinne de moet ken Minsch nemen.
258. Bichtpennink un Lichtpeu&ink kam nich uppn drürren Arben.
259. De Bur, de sin Mess veköflFt, moet sin Hawer von de Gos borgen.
260. Woahrheit finnt man 'ne slicht Harbarg.
261. En Drupp helpt de annen up.
262. He is so klok, he künn de Marrik unne de Wros' bläken hiir'n^).
263. As dat föllt, so bullert dat.
264. Unglück blösst ümme ne scharp Trumpet.
Nachträge:
a. De Arbeit geiht er ünne von de Hand as Pick.
b. Hand von 'n Sack! Dat hürt Hamer!
c. De Concurs frett de Mass up as de Saeg ehr Parken, harr de
Awkaht seggt un doabi sehg he uht, as ob he sülm en von de
gatlichsten un scharpsten Kuhsen von de oll Saeg wier.
d. Ick will em so tamm mahken, dat he uht de Hand fräten liehrt.
e. Dat's gliek vähl, ob de Kahl to dat Für ore dat Für to de
Kahlen kümt, upgahn deiht dat doch.
II. Ans Brinekman's Notizbuch von 1854.
He frett sick de Quuck an 'n Hals.
Stäkling mit 'n Strohhalm angeln.
Mit Himp un Hamp.^)
Mit Huhn un Pardühn.^)
knasch — brähsig — pil pall prall.
Dat heet den Swanz achte dei Uhren awsniden.
Heel macklig — Topgast — Klühsgatcn.
Dat dühst nich.
*) das Gute. ') den Regenwurm unterm Rasen bellen hören. ^) Die Zeilen
^ und 4 sind auch in der Handschrift durch Punkt von einander getrennt und stehen
in zwei Zeilen. Über die vielfach erörterten Ausdrücke selbst vgl. Ndd. Kor-
respondenzblatt 21, S. 52.
»0
Dat geiht all vor Mancheste weg.
Uhlenspegel. Muscbe Büx.
Rammdühsig — appeld watsch — steenpöttig.
He lett sick nich hissen un nich locken.
Ei is 'n Ei, sär de Pahp un langt nah dat Gohsei. (Vgl. I, 31.)
Wat kümmt dat gelt, all dat Anne is belämmert.
Hinne föllt de Oss aw.
Vespreken is adlich, hoUen buhrsch. (Vgl. I, 30.)
Doa wasst keen Gras äwe.
Bambuhse — Barribal.
Kann sien, kann nich sien, kann doch sien, de Mäglichkeit is doa.
Sienen Jesum nich kennen.
Blockwagen.
Wenn Lazarus dat Molt un Simson Wate drögt, velaht juch
denn doarup, denn wat dat Bia mal acht,
bandig — pukig.
Nüstebleek — Peilen.
Nimm di nicks vor, sleit di nicks fehl, sär de oll Fru, as se 'n
Pankooken wenden wuU un em up dei Kahlen smeet.
Hähg un Plähg.
dwallig — Speigaten.
Wer 'n Hans slan will, findt woll 'n Knüppel.
Aewe jere Windei kakeln,
schräg un knapp.
Grappen in 'n Kopp.
Vefumfeien — vesusengen.
Kloppt man an, sau wat juch updahn, sär de Dehw, slöhg 'n
Fack in un stöhl sick 'n Hamel. (Vgl. I, 1.)
In Nettel leggen.
Upkieken as 'n Hohn nah 'n Wiehmen.
Wenn de Koh doht is, wad de Stall bätert. (Vgl. I, 64.)
Last tum Teigen.
Hand un Pittschaft darup geben.
Rocktalgen un Trossen.
Mit Rust befallen as 'n Weithalm.
Lustig as 'n Sparrling in de Weithock.
Mager as 'n Faselswin.
Quadux.
Blöhr Hunn' warrn nich fett.
Langbeenig as 'n Aareboahr.
tiillen.
Schnackig as 'n oll Waschwief bi de Balg.
Achte dat Nett fischen.
As Poggen in 'n Pohl.
Krank as 'n Hohn, dat den Pipps hett.
kunterbunt.
BoUies un Grotties un Slampies.
31
Holland is in Not.
Gieper — veschwupsen — Slafitten.
undähg — schäwsch.
oller Knast.
Von 'n Ossen kann man blohss Rindfleesch verlangen.
Jung Lühr möht lustig sien, sär de Dagläunesch, as dat Kind
ehr uht de Kiep föll un den Barg dahltründelt.
He hürt Gras wassen un Fläuh hohsten.
He rückt nah vemischte Nachrichten,
swart as ne Oahr de de Brand hett. (Kramelatin).
Een Hahmel mit fief Behn.
Kehn Hohn kratzt ümsünst.
Aewe de Knäwel haugen.
Kräpelkram — undähg.
Stief as 'n vefrorn Maikäwe.
Aewe Krühz holt dubbelt, harr de Jung seggt, harr sick Zucke
up'n Honnig strengt. (I, 5.)
Fett swemmt haben.
Wat ick nich weet, mahkt mi nich heet, sär de Kähksch, drögt^)
de Melkfatt mit smutzig Kinnedohk.
Bäten scheef is liekes lehw — as oll pucklich Juhr (Rosskamm)
tau dat vemüket Fahlen sär, dat sick dat Krütz aw-
schaben harr.
Gab nah Ceylon un warr Pavian, doa mahkst din Glück.
'N Kierl de tau ne Messfork tau schlicht is.
Je, wat ick seggen wuU, wull ick seggen.
He seiht uht, as wenn Smolt sien Vahre un Botte sien Mohre is.
Wenn de Haben instörrt, sünd alle Swählken dobt.
HI. Brnclistttcke von Erzählungen John Brinfkman's.
A. Fidel-Kern.
Hoch an 'n Haben ünne de Wölk, de so witt un kruhs utsehg
as 'n Lappen LamwuU, de goht rein waschen is, sung de Lewark
haben in de Lucht un tirilirt ehr Stückschen so hell un söt, as je
de Lewark sungen hett. De Snepp murkt in dat Bohkholt, denn dat
was um Palraarum, un de Sünn schient grelP) un iewrig in de apen
Schnehs^) von den Dannenkamp rinne nah dat bäten Snee, dat si6k
achte de Grabenbuhrt vekröhp as 'n Schandoar nah'n Landstrieker.
De Hahn an den stuhwen Turn*) von de Groten Hagensch Kirch
wiest nah de Westsied hen, un de annern Hahns in dat Dörp up'n
Eddelhof un den Preistehof un vor de Daglänes ehr Döhren kreigten
so luht von Tuhn un Rick*), un een noch duller as de anner, grar
*) trocknet. ^) hell. ^) Schneise, Durchbau im Walde. *) am stumpfen
Turm. 5) Zaun und Geländer.
32
as Lür, dei dat ürame un ümme ehr Nawes vetellen möhten, wat sei
doch eenmal vähl to dohn hebben, nich Rauh un nich Rast von vor
Dau un Dahg bet in de sinkende Nacht, un wua dat eenmal warrn
schall, wenn dat so bibliwt. Dei Lünkens un Gählgöschens^) hüppt
von Böhm to Böhm un Teigen to Teigen dörch de groht Kastanien
vor den Eddelhof, dei all Knuppen^) harrn sau groht as Wallnäht,
un piept so grell un harrn sick sau vähl tau vetellen as School-
kinnes, de von de Köster uht de School kamen. Up dat Ruhrdack
von de Veehschuhr^) seeten dei Dubeu in dei warm Morgensünn un
reckten dei Flägels un streckten dei lütten röhren Behn so fühl as
Katenfrugens an Sünndagmorrn, äwest dei Büffets*) fegten an sei
rümm un gurrten un kurrten un pickten mit de Snabe^s nah sei,
as wenn ehr dat Füer up dei Nagels brenn in Kähk un Stall. Up
den Pohl^) bi den Schapstall flöten®) dei Ahnten un packten un
packten') un stöken den Kopp deep in dat Wahte un smeten dei
Start äwe Enn, as wenn sei koppheeste scheeten wulln, un achte up
den Pierstall un de Strohmiet kakelt en Hahn un kullerten dree
Kuhnhahns un iewerten sick aw, bet ehr de Kopp sau bruhn würr
as Backbeern äwe'n ollen türksch Gant®), de da druhss®) up een
Beihn stünn, goar nich up sei hühren dehr un mit een Oog nah dei
Kreigen pliert, dei schohwenwies äwe den Eddelhof hentohgen un
karkten^®). Dei Käuh bölkten in 'n Veehstall un rehten an dei Klaben ^^)
un Käden ungeduldig un niepen^^) nah den dreesch frischen Klehveslag
buten as Jungs nah 'n Klingklahs^^). De Schehpe harr de Schaap uht 'n
Stall drähben un schurr ehr frisch Bohnenfohre in dei Röhpen, un dei
ollen Schaap bahben un dei Ölämmes^*) huppten un Sprüngen so
schnahksch*^) för dwass, as ob sei pohlsch danzen wulln. Achte dat
Backhuhs un de Reetbahn leht de Kutsche 'n Rappen an de Lonsch^^)
lohpen. Dat was een heel schmucken Hingst, stark von Knaken un mit
vähl Tem^irament un Bloot un brenscht^') so krähnsch^®) un slöhg
mennig mal achte uht, dat dat Gnittsand up dat Steendack flöhg.
Äwest wenn he trotten dehr, denn was he en woahres Bild von Pierd,
un de oll Rittmeiste, den de Eddelhof tauhührt un de swart Hingst
ook, freut sick äwe den schönen Rappen, strehk sick vegnögt den
griesen Snauzboart un sär to den Kutsche:
^Wann ward er doch dreijährig. Buller?"
^Fastnacht, Herr Rittmeister, grade Fastnacht. Morgen werden's
sieben Wochen."
„Ja ja! Schon recht. Der wird seine sieben Zoll, wenn er
volljährig is, meinst Du nich auch. Buller?"
„0, he wad sacht noch 'n bäten gröhter.
*) Sperliuge und Goldammern. ^) Knospen. ^) Viehschiippen. *) Täuberiche.
^) Pfuhl. <*) schwammen. '') schrieen (die Enten). ^) Gänserich. ®) verschlafen.
^^) schrieen (die Krähen). ") Joch. ^^) begehrten. *^) Ruklas. ") Miitter-
lämmer. ^^) possierlich. ") Longe, lange Leine. ") wiehert. ^®) mutig,
übermütig.
BS
B. De röhr Möhl.
Wua Zehn^) doa achte hoch up 'n Barg ligt, sär MöUe Zickel,
dat weit jie all. Na, nahst führt jie dörch Sehknitz un denn kahmt
jie bi Kleisten vörbie, linksch in en grautes Holt an twei Mil lang
nicks as Dann un werre Dann un tau Sommetiet sonn Sand, dat
dei Rahd mahlt un quiekt as up 'n Snee, wenn dat sau kolt is,
dat dat Pickelsteen früst un de Swamm in de Piep veklahmt. Gaht
jie doa längsch den Goldbarger See dörch dei Wooste Hair, denn
kahmt jie tauletzt an een graut Wahte, wat sei Zerahn nennt un kort
achte de Zerahn ligt een Hof, dei duntaumal een Eddelmann tauhürt
un ook noch tauhürn mag, wenn he nich all dot is ore em veköfft
ore Vedahn hett. Wua he heeten deiht, dat weet ick nich mihr, as
dat upstehrs all bald föftig Joahr her is, dat deiht äwest nicks tau
Sahk. Den Junke sien Hoff lagg ook dicht an een graut Wahte, von
wua ne dehpe Bähk na de Zerahn güng un 'n vittel Wegs von 'n
Hoff ne Möhl drehw, un de heeten sei de röhr Möhl, wiel de Stennes^)
all rot anstrikt wieren. De röhr Möhl hürt ook an den Junke sien
Hof, un de harr Michel Brant as MöUe in Tietpacht. De oll Brant
Michel sien Vahre harr se vor em hatt woll an viertig Joahr, bet
he mal, as he sien Strohdack utflickt, mit een graut Bunt Schöw von
de Lerre dahl schöbt un doabi mit den Kopp sau duU gegen een
Steen schlöhg, de ünne lagg, dat sei em för doht in't Hus drögen.
De Chigorius würr hahlt un leht em väl Bloot. Tauletzt kehm he
werre tau sick; äwest de Sprahk was weg, un de krehg he ook nie
nich werre, sau dat he blohss dahlen^) künn as een lüttes Kind un
Nümms recht wüsst, wat he wull. Aewehaupt was dat von Stund aw
nich miehr recht richtig mit em, sau dat he de Möhl ga nich mihr
vörstahn künn. He grient sick jümme, wenn een mit em spröhk un
künn wiere nicks as sick ne Piep stoppen, Goarn wickeln un Tüffken
schellen, dat was 't all.
Nu müsst doa woll'n Insehn dahn warrn, un dat würr doa ook.
De Junke, as he sick den ollen Brant mal besöhg, wüsst gliek
Bescheed un leht Michel Brant, de grar as Möllegesell in dei Frömd
gähn was, nahschrieben.
Dat Ihrst, wat Michel Brand dehr, as he an't Hubs kehm
C.
De lew Gott hett narsch Kostgänges in disse Welt, sär
oll Burgwedel von Hanstörp, dünn lew he noch. Snurrig Burssen
sünd doa mank, dat moet woahr wesen. Un wen den Kante Hahn ut
Rostock un den Gastgewe Burren in Warnemünn kennen dohn deit, de
wet ok, wat se dat fustdick achte de Uren hebben, un wat en soeken
kann twe lang un twe bret un Land in un Land ut un Barg up un
^) Zehna, eine halbe Meile von Güstrow. ^) Ständer. ^) lallen.
Niederdeatsches Jahrbuch XXXI. 3
34
Barg dal in oll Land Mckolbörg un finnt kcn twe sonn appeldwatfiche
Deubels, as de two beir west sünd, noch hüt nn disson Dag sünd, un
wenn de lew Gott se noch en lütten Stot leben latcn will, bliwen bet
se de Pust utgeit un se er Ventil toknippen. Burren hew ick all
kannt von Anno Toback. Grow as Bohnenstroh, druss as 'n Kutschpir
un swinplitsch^) as ne Pogg in Mandschin was he von lütt up, un
doa wier wat an em un in em un um em un wo he güng un stünn
un wen he lacht un roart un sproek ore sweg, dat let sick all so
kantig an, as wenn he up un up ut lurre Vierkanten tohupsett wir,
un as wenn de Todaten to em lurre fotgrot Wörpels un Gnittsten-)
west wieren. Sin Kopp seg ut, as wier he von 'n Dische lotrecht
huwelt^) voern, achte, haben un an beir Sire. Wat sin Vare em
nalet, dat wier 'n lütt beten mihr as nicks, un wat sien More her-
schoet, 'n lütt beten mihr as recht nicks, un doa na Magister
Simaxen, dei uns Jungs de Mathesim bibröcht, Minus un (I) Minus en
bandiges Plus giwt, so köfft Burr sick doamit voer nu hento dortig
Joar sin Gasthus un grar äwe 'n Goarn un hantiert doa in voer
Däu un Dag bet wit achte nachtslapen Tit un but sin Hus twestöckig
mit 'n Frontspiss un 'n groten Flägel achte an, mit 'n groten Saal
in, un ick wet nich, wovel Stuwen un Kamer fast un vierkantig doa
stünn as he sülm —
D.
Wen wet, wu Nurwegen liggt?
Na, Nurwegen liggt achte de Belt un den Schagen un dat
Kattegat. Doa is Drontheim in un Bargen, Krischanssand un
Tromsoe. Doa wad Roggen henbröcht un Gasten, un doa wad
Stockfisch herhalt un Hiring, Tran un Gammelost ^), un de Kirls sünd
doa all Flassköpp, Blagogen un Rotsnuten, un dat letzt kümmt von
den velen Toddy, un dat Frugensminsch is doa ok Flassköpp, Blagog,
äwest wisssnutig, un dat kümmt —
Na nu holl man up. Dat Nurwegen men ick jo nich. Ick men
dat anne Nurwegen, dat doa unne an de Grow^) in Rostock liggt
dicht bi dat Lazaretdur, as nämlich de Grow noch was un as sonn
Hambörge Flet dörch Rostock stinken der. Den Schippekrog, dat
schön oll Norwegen von vor Anno Toback, lang voer Pralown un
Hartmann ehr Tit, men ik, as Kehmzowensch doa noch wirtschaften
der. Dat was sonn ächten sekern Nothaben foer sonn ächten olln
Kaptein, voerut to Wintetit, wenn de Geljassen un Mufferdeys, Huke-
schone un Briggs all voer'n Pahl an'n dubbelt Tross uppe Warnow
sorrt^) — — —
* *
*) pfiffig, listig, entstanden aus swinde (mnd. 'hstig') und politisch. *) Würfel
und Kiessteine. *) vom Tischler zurechtgehobelt *) alter Käse. ^) Grube. '*) mit
Tauen festgebunden.
B5
Diesem Fragment seien noch ein paar Bemerkungen angefügt:
Die alte Rostocker Schifferkneipe ;,Norwegen^ wird auch in „Kasper-
Ohm*' erwähnt, in dem Kapitel vom ^feinen Taktus^. Keppen Pött
verkehrte dort selber in höchsteigener Person; denn Köster Knaak
berichtet dem Vater von Andrees: „Slag Klock fünf gingen Harr
Kaptein nach „Nurwegen^ bei Kehmzowen zu seinem ordinären Parti
Klevergassen.^ Kasper-Ohm war also Stammgast in Norwegen und
spielte da regelmässig seine Partie Klabrias.
Auch ein anderer Typus John Brinckman's suchte mit Vorliebe
jene Schifferkneipe auf: Peter Lurenz, der Held aller möglichen
phantastischen Grosstaten und „Duzbruder" von Nelson. Denn in
der Einleitung zu „Peter Lurenz bi Abukir" bemerkt der Dichter:
„Von Peter Lurenz werden eine Menge ähnlicher Geschichtchen,
alle von gleich stupender Form und Fassung, erzählt, wie er sie in
der s. Z. vornehmlich von alten Schiffskapitänen frequentierten, an
der Grube, einem vormals Rostock durchschneidenden Kanal, gelegenen
Kneipe „Norwegen'' vorzutragen pflegte, '^
Die Heldentaten von Abukir aber lässt Brinckman seinen Peter
Lurenz anderswo erzählen: in der Bierstube des nicht minder originellen
Brauers Block.
CHARLOTTENBURG. A. Römer.
8*
36
Bruchstücke
von Bruder Philipps Marienleben
aus dem Jahre 1324.
Unter den reichhaltigen Sammlungen des um die nieder-
sächsische Volkskunde sehr verdienten Schriftstellers Hans Müller-
Braue 1 auf Haus Sachsenheim bei Zeven befinden sich auch einige
niederdeutsche Handschriften und Drucke, von denen ich bereits die
Praelocutio eines Osterspiels und eine Erklärung der zehn Gebote
samt dem Apostolicum zum Abdruck gebracht habe.^) — Die nach-
stehend veröffentlichten Bruchstücke einer niederdeutschen Version
von Bruder Philipps Marienleben bieten uns zusammen nur 55 Verse,
die genau den Versen 9495—9538 und 10123—10133 der mittel-
hochdeutschen Ausgabe dieser Dichtung von Rückert entsprechen.^)
Obwohl wir von der im Mittelalter so beliebten Dichtung Bruder
Philipps drei vollständige niederdeutsche Handschriften besitzen, —
von den zahlreichen hochdeutschen ganz abgesehen — so beanspruchen
doch die vorliegenden kurzen Fragmente ein ganz besonderes Interesse
dadurch, dass sie eine genaue Datierung bieten und etwa hundert
Jahre älter sind als die übrigen erhaltenen niederdeutschen Manu-
scripte. ^)
*) Jahrbuch des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung Bd. XXII
(1896) p. 144—149.
2) Bruder Philipps des Carthäusers Marienleben. Zum ersten Male heraus-
gegeben von Dr. Heinr. Rückert. XXXIV. Band der Bibliothek der deutschen
National-Literatur. Quedlinburg und Leipzig 1853.
^) Die Angaben, welche Goedecke in seinem Grundriss zur Geschichte der
deutschen Dichtung (Zweite Auflage. Bd. I p. 229 f ) über die niederdeutschen
Hss von Bruder Philipps Marienleben macht, sind nicht ganz genau. — Wir haben
drei vollständige niederdeutsche Hss. von dieser Dichtung: 1) eine Münchencr
Papierhs. in niederrheinischer Mundart aus dem Jahre 1428. Cod. germ. No. 441.
(Vgl. K. Roth, Dichtungen des deutschen Mittelalters. Stadtamhof 1845 p. VI.
und Die deutschen Handschriften der K. Hof- und- Staatsbibliothek zu München.
Theil I. Münschen 1866 p. 72.) 2) Eine Wolfenbüttel - Helmstedter Papierhs.
aus dem Jahre 1449. cod. 996, die neun niederdeutsche geistliche Dichtungen
enthält; darunter an siebenter Stelle unser Marienleben f. 95— 209 ^ 3) Eine
Wolfenbüttel - Helmstedter Papierhs. des» fünfzehnten Jahrhunderts, cod. 1039.
(Vgl. 0. von Heinemann, Die Handschriften der herzoglichen Bibliothek zu Wolfen-
büttel Abth. I. Die Helmstedter Handschriften Bd. 2. Wolfenbüttel 1886 p. 287 f.
und p. 311.) Aus dieser letzten Hs. hat bereits Kinderling einige Mitteilungen
gemacht. (Deutsches Museum. Leipzig 1788. Bd. 1 p. 126 ff. und Bd. 2 p. 340 if.).
Eine vierte Papierhs. aus dem Jahre 1474 hat sich zu Ende des achtzehnten
Jahrhunderts im Besitze des Diaconus Kinderling zu Calbe an der Saale befunden.
Vgl. J. C. Adelung Magazin für die deutsche Sprache. Leipzig 1783 II, 1
p. 63 ff. und II, 3 p. 121 ff. An dieser letzten Stelle wird von Adelung der
Anfang der Kinderlingschen Hs., etwa 900 Verse, mitgeteilt. — Kinderling hat
37
Die Handschrift, ein schön und deutlich geschriebenes, aus einem
Buchdeckel gelöstes Pergamentdoppelblatt in 8^ (13x 19 cm) ist
bereits von Borchling beschrieben worden, auf dessen Angaben ich
daher hier verweise. ^) — Auf der stark verwischten letzten Seite des
zweiten Blattes findet sich der Anfang einer hochdeutschen Advents-
predigt, deren erste Zeilen Borchling ebenfalls bereits mitgeteilt hat.
Der jetzige Besitzer, Herr Müller, hat unsere Handschrift nebst
zahlreichen anderen, meist lateinischen Pergamentblättern von einem
Lüneburger Antiquitätenhändler erworben.
Im folgenden Abdruck ist die nicht ganz konsequente Schreib-
weise des Originals genau beibehalten.
De in allen vroude gaf [Blatt 1.]
My(t) eynen breyten steyne do
Dat graf se bouene deckeden to
D(a)t stof noch erde mochte dar in
Reysen up dat godes schrin
De vrowen dar nach ghingen heym
hl de stat tu ihrl'm
De iunger wolden *) nicht ghesceyden
Van deme graue, se wolden beydeu
As de engel en gheböt
Do de sele up furde got
By deme graue dre taghe sateu
Unde wolden dat nicht allevne laten
Och de wölke nicht erghinc
De suluen dre tage vrae se vinc
An (d)em drutten tage vrö
Gy(nc) en allen eyn slap tö
Van hymele ih'c quam her neder
Vnd(e) furde marien sele her weder
Eyn schar der enghele myt em quam
De reynen sele ih'c nam
In e(re)n lif se varen heyt
Marian leuendich stan up heyt [Vo]
He nam den lif vnde och de sele
Myt dem engele michaele
Vn vorden se in dat hymelrich
Des vroweden alle de enghele sich
Yh sungen alghemeyne
Gelouet si nv maria de reyne
Gelouet sy got de se erkoru
Hat. vn is van yr geboru
Der iungeren eyne sunte thomas
In der suluen wile was
Van den anderen vt gegangen
Syn gebet hat he an geuaugen
Do he an syme gebede lach
Schinberlich dat alle sach
Dat ih'c mit sunte michele
Vuorde beyde lif vü sele
Marien vp tu hymelrich
Vn dat de engele vrouden sich
Och horde he der enghele sanc
De hadden suter stemme^) clanc
Se loueden alle got ghemeyne
dauQ später noch des öfteren auf seine Hs. hingewiesen und Stellen daraus mit-
geteilt. (Deutsches Museum 1788. Bd. 1 p. 126 ff. und Bd. 2 p. 340 ff. Kinder-
ling, Geschichte der Nieder-Sächsischen Sprache. Magdeburg 1800 p. 342 ff.) —
— Später ist diese Hs. in von der Hagens Besitz gekommen (vgl. F. H. von der
Hagen und J. G. Büsching, Literarischer Grundriss zur Geschichte der Deutschen
Poesie. Berlin 1812 p. 256 ff.) Über den jetzigen Verbleib vermag ich nichts
anzageben. —
Die im Deutschen Museum 1788 Bd. I p. 61 ff', und p. 112 ff', von dem
Braunschweiger Konsistorialrat C. A. Schmid herausgegebenen „Fragmente eines
alten Gedichts von der heil. Maria" stehen in keinem Zusammenhange mit Bruder
Philipps Marienleben
^) C. Borchling, Mittelniederdeutsche Handschriften in Norddeutschland und
den Niederlanden. Erster Reisebericht. Aus den Nachrichten der K. Gesellschaft
der Wissenschaften zu Göttingen. Geschäftliche Mitteilungen. 1898 Heft 2 p. 236 f.
^) Hs. worden.
^) Hs. stenme.
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Got is my leyder wenich erkant [Blatt 2.] De sulue ih'c müt vns gheuen
In dem orden van kartus Trost dorch syner muter leuen
Ghescreuen han ich in dem hus Marien leuent geyt hir uz
Tu seiden dit sulue bükelyn Nun help uns er leue kynt ihesus
Sunte ioseph was de mauer myn Am E N.
De marien huter was Ut sit solamen dicatur ab omnibz AmeN. ^)
De ih'c godes sun genas^)
Dit buch is geschreuen n» godes bort dusent iar. dre hundert iar. In deme verentwinteghesten
iare. In deme dsghe der heylighen driualdicheyt.
HANNOVER. Fritz Goebel.
Ein niederdeutsches Lied
anf die ScMacht an der Gonzer Brücke am 1. Ängnst 1675.
Die Schlacht an der Conzer Brücke unweit Trier gilt mit Recht
als eine der schönsten Taten in der ruhmvollen Geschichte des alt-
hannoverschen Heeres. Wenige Wochen nachdem Kurfürst Friedrich
Wilhelm von Brandenburg bei Fehrbellin die von Ludwig XIV. ins
Land gerufenen Schweden Wrangeis siegreich zurückgewiesen hatte,
wurde hier auf dem westlichen Kriegsschauplatz am 1. August 1675
der französische Marschall Crequi entscheidend geschlagen, als er
den Versuch machte, das von dem kaiserlichen Heere belagerte Trier
zu entsetzen.^)
Auf diesen Sieg deutscher Waffen sind in den Ländern der
Braunschweig-Lüneburger Herzöge mehrfache Gedichte entstanden.*)
Hatten doch hier drei Fürsten aus dem Weifenhause (Georg Wilhelm,
Herzog von Celle, Ernst August, Bischof von Osnabrück, der für
sein Haus später die Kurwürde erwarb, und dessen jugendlicher Sohn
*) Hs. genans.
^) Die Subscriptio sowie die folgende Datierung sind mit roter Tinte
geschrieben.
•) Über die weiteren Einzelheiten dieses Feldzuges verweise ich auf: W.
Havemann, Geschichte der Lande Braunschweig und Hannover. Bd. III. Göt-
tingen 1857. S. 268 if. und von Sichart, Geschichte der Königlich-Hannoverschen
Armee. Bd. L Hannover 1866. S. 381 ff. Eine sehr eingehende Darstellung der
Schlacht gibt von der Decken, Feldzüge des Herzogs Georg Wilhelm von Zelle
am Rhein und an der Mosel, in den Jahren 1674 und 1675. (Vaterländisches Archiv
des historischen Vereins für Niedersachsen. 1838. S. 105 ff.)
*) Die Königliche Bibliothek zu Hannover birgt in ihren reichhaltigen sog.
Memorienbänden etwa ein Dutzend lateinischer, französischer und hochdeutscher
Gedichte auf den Sieg an der Conzer Brücke.
39
Georg Ludwig, der spätere König Georg I. von England) ihre
braven Truppen persönlich mit grosser Tapferkeit gegen den Feind
geführt. — Nach dem Urteile der Zeitgenossen gebührte der Haupt-
ruhm des Tages den cellischen, osnabrückischen und wolfenbüttelschen
Truppen, und Kaiser Leopold selbst hat den weifischen Herzögen in
warmen Worten seinen Dank für die dem deutschen Reiche bewiesene
Treue ausgesprochen.
Das hier mitgeteilte Gedicht ist uns in zwei verschiedenen, nur
wenig von einander abweichenden, gleichzeitigen Drucken von je zwei
Quartblättern erhalten. Der eine wird auf der Königlichen Bibliothek
zu Hannover aufbewahrt in einem alten Sammelbande von verschieden-
artigen Gelegenheitsgedichten auf Georg Wilhelm, den letzten Herzog
von Celle (No. XXIII p. 288 c. d.).i) Der zweite findet sich auf der
königlich bayrischen Staatsbibliothek zu München (P. o. germ. 229. 15.).^)
Unser Lied sollte nach der Melodie des ;,Henneke Knecht"
gesungen werden, dessen grosse Beliebtheit ja durch mehrfache
Zeugnisse bekannt ist.^)
Auch ein in Göttingen entstandenes längeres niederdeutsches
Gedicht auf die vergebliche Bestürmung der Stadt durch den kaiser-
lichen General-Lieutenant Piccolomini und den Erzherzog Leopold
im Jahre 1641 ist dem Henneke Knecht nachgebildet.*) Der Beginn
dieses Liedes, das erst 1730 gedruckt wurde, lautet:
Picclemin, wat wuttu dauhn,
Wuttu verdeinen dat Kayser Lohn,
Ell grater Generahl blieven,
Sau maustu henna Göttingen thein
Un maust sei da verdrieven.
^) Anscheinend nach demselben Text brachte schon im 18. Jahrhundert der
gelehrte hannoversche Bibliothekar Daniel Eberhard Baring das Lied wieder zum
Abdruck (Beytrag zur Hannoverischen Kirchen- und Schul-Historia. Hannover 1748.
S. 49 ff.). — Auch hat er bereits in einem früheren Werke auf deu in seinem
Besitz befindlichen Druck hingewiesen. (D. E. Bariugii Descriptio Salae principatus
Calenbergici locorumque adiacentium. Oder Beschreibung der Saala im Amt
Lauenstein ff. Lemgo 1744. S. 150.)
*) Der Münchener Text ist mit mehreren willkürlichen Änderungen unter
Hinzufugung einer modernen hochdeutschen Übersetzung abgedruckt bei: F. W.
Freiherr von Ditfurth, die historischen Volkslieder vom Ende des dreissig-
jährigen Krieges, 1648 bis zum Beginn des siebenjährigen, 1756. Heilbronn 1877.
S. 43 ff.
*) Baring (Descriptio Salae ff. S. 150) berichtet, dass mau auch „bey anderen
Vorfallen Lieder als Parodieen" nach dem Henneke Knecht gedichtet habe.
*) Daniel B. Shumway, A low German bailad, commemorating the siege of
Güttingen in the thirty years' war. (Americana Germanica. Vol. III. S. 46 ff.)
Vgl. ferner: Protokolle über die Sitzungen des Vereins für die Geschichte Göttingens
im achten Vereinsjahre 1899—1900 geführt von A. Tecklenburg. Göttingen 1900.
S. 8 ff. Hier ist das interessante Gedicht zum zweiten Male abgedruckt nebst
einigen Mitteilungen, die Dr. Seedorf über dasselbe in der Sitzung des genannten
Vereins vom 18. ^Nov. 1899 gemacht hat.
40
Falls die Ansicht Dr. Seedorfs richtig ist, ^) dass das Göttinger Gedicht
in die Zeit der dargestellten Ereignisse fällt, so müssen wir - wohl
annehmen, dass der Dichter unseres Liedes dasselbe gekannt und
benutzt hat. Durch die dem Anfang beider Lieder gemeinsam zu
Grunde liegende erste Strophe des Henneke Knecht lässt sich die
auffallende Übereinstimmung allein nicht erklären.
Das Lied von der Schlacht an der Conzer Brücke weist, von
den Anfängen der ersten und zweiten Strophe abgesehen, keine
Anklänge an den Henneke Knecht auf, von dem dagegen das Göttinger
Lied, in einem weit grösseren Masse abhängig ist, wie bereits Shumway
gezeigt hat.
Wie der Henneke Knecht, so ist auch das Lied auf die Schlacht
an der Conzer Brücke von einer lateinischen Version begleitet.
Während wir es aber im ersten Falle mit einer eigentlichen, ziemlich
genauen poetischen Übersetzung zu tun haben, so ist hier das
lateinische Gedicht, welches mir besonders zum Lobe des Herzogs
Georg Wilhelm von Celle verfasst zu sein scheint, um die Hälfte
kürzer als das niederdeutsche Lied, von dem es auch in seinen letzten
vier Strophen völlig abweicht.
Leider bleibt der Dichter unseres Liedes ungenannt; falls er
mit dem Verfasser der vorangestellten lateinischen Version und des
lateinischen Hexameters, der das Chronostichon auf das Jahr 1675
in sich birgt, identisch sein sollte, so würden wir in dem ;,ohlen
ehrliken Dütschen" wohl einen Untertanen Georg Wilhelms, des
letzten Herzogs von Celle, vor uns haben. — Hierauf würde auch
schliessen lassen, dass der auf der Königlichen Bibliothek zu Hannover
aufbewahrte Text sich in einem alten Sammelbande findet, welcher
nur Gedichte auf diesen Fürsten enthält. — Georg Wilhelm war in
seiner Art ein tüchtiger Regent, der trotz der vielen Ausländer, die
er an seinen Hof nach Celle gezogen hatte, auch die bescheiden in
der treuherzigen Sprache seiner Landeskinder auftretende Dichtung
nicht verachtet hat. Die ersten interessanten Spuren der neueren
niederdeutschen Gelegenheitsdichtung, der wir im Laufe des acht-
zehnten Jahrhunderts an den Höfen des weifischen Fürstenhauses nicht
selten begegnen, weisen uns gerade nach Celle an den Hof Georg
Wilhelms. ^)
Das nachstehende Lied scheint mir ein besonderes litterarisches
Interesse zu beanspruchen, dadurch dass es wohl eines der letzten
historischen Volkslieder sein dürfte, welche die niederdeutsche Dichtung
hervorgebracht hat.
Der Abdruck giebt den Text der Königlichen Bibliothek zu
Hannover in unveränderter Form wieder; die wenigen Varianten des
Münchener Textes (M.) sind in Fussnoten beigefügt.
1) a. a. 0. S. 8.
) Vgl. meine Arbeit: Einige Proben aus der hannoverschen Hofdichtung
am Ende des 17. Jahrhunderts. (Hannoversche Geschichtsblätter. IL Jahrg. 1899.
No. 14, 15 und 16.)
41
Ehn platdütsch Leed^)
van der grüliken Schlacht
Darinue mit Gades Hülpe de strafe Dütschen
de hochmödigen Frantzosen
he£fet överwuimen
bie Trier /
Im Jahr
1675. den 1. Dag des Austmahndes /
Uppesettet
van
Enem ohlen ehrliken Datschen.
To singen na der Wiese:
Ileuneke Knecht wat wultu dohn etc.
Gedrückt to
Dütschborg / ^) im Jahre
DVX GVlLIeLMe hostes Infensos fLIge Georgl.»)
I.
1.
Dux de Greqvi qvid nunc agesV
Si fortis Heros permanes
In hoc feroci hello,
Ad Treviros volo properes,
Hostem ut fuges duello
2.
Ad haec Greqvi inqvit illico:
Qvid fiet hoc de Villico
Qvi Treviros aggressus?
Ad patrios, faciam, Lares
Ut mox recedat fessus.
3.
Duces Leonis stemmate
Orti, suo cum milite
Non has timebant minas,
Exercitu suo advolant
Vires premunt Parisiuas
4.
Exoritiir acre praelium,
Et magna strages hostium
Est facta tunc Gallorum.
Sternunt Duces praenobiles
Qvos Lyneburgicorum
5.
Tormenta Galli bellica
In castra veniunt Cellicß,
Vexilla, Commeatus.*)
Uaec gloria decet Principem
Leone qvi prognatus.
6.
Hunc Principem serva Deus,
Conatui adsis illius,
Ut ceruere Triumphator
Possit suos nos subditos
Et Patriae Servator!
^) Der Titel des Münchener Druckes hat eine andere Zeilenabsetzung; im
übrigen ist er dem des hannoverschen Textes vollkommen gleichlautend.
^) Es ist mir leider nicht gelungen, festzustellen, welcher Druckort sich hinter
diesem Namen verbirgt.
^) Das Cbronostichon ergiebt aufgelöst die Zahl 1675.
*) In der Schlacht an der Conzer Brücke fielen 80 Fahnen und Standarten,
die gesamte Artillerie sowie die Zelte und das Gepäck der französischen Armee
in die Hände der Verbündeten.
42
II.
1.
Düc Krequi, hör, wat wultu dohn?
Wultu verwarffn dat grote LohnV
En goht Frantzose bliefen?
So mostu hen na Trier gähn,
De Dütschen dar weg driefen.
5.
De Frantzmann wul dar nich heruth,
Bet he möst speien um de Bruth,
Umt Brod, dat kam to Water,
De Dütschen wulln öt nehmen weg,
Do brumd' he afs en Kater.')
2.
De Frantzmann sprack ehn trotzig Wort,
De Dütschen wil ick jagen fort,
Canalij'^) ick wil dick faten.
Och! setestu biem Qrütte Pott',
Et möchte dick wol baten.
6.
De Spiet un Schimp wör' all to groth,
Ufsck Lüen, van so hogem Bloth,
Ded' he füll Ivers spreken.
Vor Hochmoth un vor grotem Tom
Wol öhm dat Harte breken.
3.
De Dütschen sahn: Bistu so dull'^)
Un kumst, wi schlaet de Huet die vuU,
Du schast den Hänger kriegen,
Du segst von Enoljen, töff du man,
Dien Muhl schal boUe schwiegen.
7.
Duc Krequi sprack: Mick wunjert mau,
Dat se wilt vor Soldaten stahn,
Un up üsck*) Kehreis luhren,
Man hört an ören Worden wol
Et sind Haagpütjen^) Buren
4.
Kum an, wt gat Rucks up dick lohfs,
Un wen du wöhrst de schwarte Drohfs,
Wi wilt deck so to kielen,
Dat Blöd die duller lopen schal
Afs steken dick de Heu.
8.
Drup gingen se im Grull to hoop.
De ehn sä stah, de anner loop.
De Kerels sick to schlügen
Veel duller, asse wen se sick
Haartaget in den Krögen.
^) Nach dem Bericht eines Augenzeugen der Schlacht, des Feldpredigers
Berkkemeyer, hatten die Franzosen nicht geglaubt, dass die Verbündeten ihnen
ernsthaften Widerstand bieten würden „ es waren neu geworbene Völker
und sei dahero die Lüneb. Cannaillie genannt, . . . . " (Vaterländisches Archiv
des historischen Vereins für Niedersachsen. Jahrg. 1838. S. 294 ff.)
2) M. duU,
') Berkkemeyers Aufzeichnungen berichten hierüber „ welche Schiffe
hernacher die Mosel hinunter in Trier fahren wollten, wurden aber von dehnen
unsrigen mit Regiments Stükken gezwungen bey unsz anzulanden und kam das
Brod unsz woll zu passe."
*) M. üszck.
^) M. Haagputjen.
43
De Dütschen stünnen afs eu Pahl,
Un schlögen wol twe- und dremahl
In ene Stäh, den Hanen,
De sick dat nich yermoen wöhrn,
Begun darbie to schwanen.
11.
Se leegen dar heeP) hupen wiefs',
Öhr Groht de Dütschen mackden priefs,
Un nehmen vehl gefangen,^)
Wiel se so rohfft un brennet heift
Schöln se van rechte hangen
10.
En ider kehrd' um siene Zöhr', *)
üü wul van Harten gern gähn döhr,
Man öhm sat in den Hacken
De Dütsch', un blauer Bohnen vehl
Gaff he öhm in den Nacken.
12.
Dem leven GOtt sie hier vor Loff,
He make de vördan to Stoff
De Ohrsaeck heffet geven
To düssem Krieg', in welckem ifs
Manch Moderkind gebleven.
HANNOVER.
Fritz Goebel.
^) Ditfurth, der diese Stelle in „sinem Zöhr'^ ändert, bemerkt dazu: „Zöhr,
vielleicht das niederdeutsche Ter, Tier, T8r = Eifer, Streben." — Diese Inter-
pretation hat mich nicht befriedigt, obwohl ich nichts Sicheres an ihre Stelle zu
setzen vermag. [Zöre, Zur, bei Lauremberg Sör, heisst Gaul. Das Wort wird
gewöhnlich nur für alte, minderwertige Pferde, sogen. Kracken gebraucht. W. S.]
2) M. hee.
^) Von den Siegern wurden 6000 gefallene Franzosen auf dem Schlachtfelde
begraben; in Gefangenschaft gerieten 1500, worunter sich viele Offiziere befanden.
44
Niederdeutsche Dichtungen
Altlivlands.
Auf einem aus einem Heft oder Band herausgerissenen Folio-
blatt, das sich mit einigen anderen Archivalien unter Napierskyschen
Abschriften in Riga fand und dem Revaler Stadt-Archiv angehört
hat, haben sich Spottverse, die gegen den Rat und die Gilden Rigas
gerichtet sind, erhalten. Das der Tendenz nach von der erzbischöf-
lichen Partei ausgegangene Pasquill behandelt die Vorgänge des
Jahres 1472, da nach dem Tode Johann von Mengede's und der ein-
jährigen Zwischenregierung Johann Wolthuss von Herse's das Intriguen-
spiel um den Alleinbesitz Rigas zwischen Ordenstneister und Erzbischof
aufs neue begann. Wenn sich der Verfasser der Notiz, die sich unter
der Abschrift des Gedichts findet, nach der ich den Abdruck gebe,
mit seiner Behauptung nicht irrt, dass es die Handschrift des
Laurentius Schmidt sei, so ist dieser, der von 1541 — 1569 Stadt-
sekretär von Reval war, doch wohl kaum der Verfasser des nach
1542 niedergeschriebenen Gedichts,^) sondern wir müssen annehmen,
dass es eine poetische Reminiszenz ist, die er aufgezeichnet hat,
denn die historischen Vorgänge Rigas, vor allem die Stimmung der
Parteien sind zu genau zum Ausdruck gebracht. Sollte L. Schmidt
aber dennoch der Verfasser sein, so müsste der Konflikt zwischen
Wilhelm von Brandenburg und Riga ihm die Veranlassung geboten
haben, sich in den fast ein Jahrhundert zurückliegenden Streit zu
vertiefen und ihn poetisch zu bearbeiten, wie es bei dem von K.
Höhlbaum aus dem Revaler Ratsprotokoll vom 13. Febr. 1571 ver-
öffentlichten Gedicht auf ;,die Hansa und Nowgorod" der Fall ist.
Sollte aber der Revaler Stadtsekretär seiner Parteistellung nach
wirklich dem Markgrafen Wilhelm von Brandenburg zugeneigt haben?
Johann von Mengede hatte es verstanden, die unter dem Kirch-
holmer Vertrage schwer tragende Stadt Riga auf seine Seite zu ziehen,
indem er ihr den Gnadenbrief vom 7. November 1454 erteilte, und
bis zur Meisterwahl Bernd's von der Borch herrschte Ruhe und Friede,
da Erzbischof Silvester Stodewäscher sich der Macht des Ordens
hatte beugen müssen und durch seine an der Stadt geübte Treu-
losigkeit sich selbst und seinem Anhang den Boden unter den Füssen
fortgezogen hatte. Bernd von der Borch aber suchte, als er zur
Regierung gekommen war, Stimmung für sich zu machen und zwar
scheint er die kleine Gilde zuerst gewonnen zu haben. Aus einem
^) über demselben steht : Tempore Laurentü Smedes / inchoatus / anno etc.
XL II 14 die mensis Nomvembris.
45
alten Notizbuch derselben ersehen wir, dass schon zu Ostern 1472
der 0. M. ^) diese auffordern Hess, ihm den FAd nach dem Kirch-
holmschen Vertrage zu leisten. Nach einer Beratung ward ihm aber
zur Antwort gegeben: „Wenn unser Herr, der Meister, aufs Rathaus
käme, so wollten wir ihm thun alles, was wir ihm pfiichtig wären
zu thun." — Vergebens suchten die Abgesandten des 0. Ms., der
Landmarschall Cord von Esselrode und der Komtur Wilh. von Boynk-
husen die kleine Gilde zu überreden, mit dem Vorgeben, sie „wären
mächtig, hier oder an einer andern heimlichen Stätte" den Eid ent-
gegenzunehmen; diese blieb bei ihrer Erklärung. — Trotzdem ging
nachher das Gerücht, die Glieder der kleinen Gilde hätten dem
Meister gehuldigt und „gemeiniglich wurde verlangt, dass die Ver-
räter gefangen genommen, ihrer 5 oder 6 in den Turm geworfen
und ihnen die Köpfe abgehauen werden sollten; es sollte dann wohl
anders werden". Bernd v. d. Borch hatte, die Gegensätze in der
Stadt ausnutzend, der kleinen Gilde Aussichten auf Teilnahme an
den Ratsversammlungen gemacht und daher erklärt es sich, dass die
zwei Glieder des Rats, die Sonnabend nach Ostern am Feste des
Vogelschiessens der kleinen Gilde teilnahmen, sehr „quat" waren
und sprachen, diese hätte „sehr übel gethan bei der Stadt". Obgleich
die kleine Gilde sich damit verteidigte, dass sie nicht anders, denn
als fromme Leute getan, und nie anders zu tun gedächten, erschien
doch kein Glied des Rats den Sonntag darnach, da der Schützen-
könig seinen Schinken gab, trotzdem der Rat nach alter Gewohnheit
eingeladen war. Bernd v. d. Borch aber, der die St. Katharinen-
kirche besah, wurde von zwei der Brüder aus der Gildstube mit
Ehrwürdigkeit und Gruss aufgefordert, ob er mit ihnen in die Gild-
stube gehen und des Schützenkönigs und der gemeinen Brüder
Bier schmecken wolle. Der Meister leistete der Einladung Folge und
es wurde nach den Älterleuten und nach dem Rate gesandt, von dem
jetzt auch etliche kamen und „machten sich lustig mit dem Meister
und denen, die mit ihm waren". Der Meister sandte 15 Stof rheinischen
Weins nach und Hess die Älterleute bitten, dass sie „die cleyne
Gifte nicht sollten vei'schmähen und schenken das den Frauen", und
ebenso Hess er „noch von seiner eigenen Kost" holen und blieb, bis
dass die Glocke neun Schall schlug. Da geleitete ihn der Rat und
die Älterleute sämtlich bis in die Vor bürg und das „dankte er uns
und unsern gemeinen Brüdern, dass wir ihm gütlich getan hätten
und sprach, er wollte das verschulden, als ihn Gott leben Hesse".
Am anderen Tage sandte er der kleinen Gilde vier Tonnen Bier mit
der Bitte, es nicht zu verschmähen, sondern um seinetwillen zu trinken.
Auf diese Weise hatte Bernd v. d. Borch sich jedenfalls Boden
bei den Gliedern der kleinen Gilde geschaffen und, als er der Stadt
den Mengedeschen Gnadenbrief bestätigte, da zögerte auch der Rat
nicht, dem 0. M. die Huldigung zu leisten. Johann Soltrump, der
*) [d. h. Ordensmeister.]
46
Bürgermeister Rigas, scheint die treibende Kraft gewesen zu sein,
und gegen ihn richtet sich besonders der Ilass Silvester Stodcwäscher's,
der den Tod Soltrump's (1477) noch überdauerte. Denn als trotz
des vom Erzbischof verhängten Bannes, der jeglichen Gottesdienst
untersagte, der Bürgermeister Soltrump in der St. Petrikirche feierlich
bestattet wurde, forderte Silvester bei 10 000 Mark Strafe von der
Stadt, dass der Leichnam aus der geweihten Erde herausgenommen
werde; und bei Strafe von 1000 Mark sollten alle, die den Ver-
storbenen zu Grabe getragen, beläutet und besungen hatten, sich in
Kokenhusen vor den Erzbischof binnen 6 Tagen verantworten. Dazu
kam es jedoch nicht, da der Rat sich seinem Verlangen wider-
setzte und gegen ihn in Rom Beschwerde erhob. —
Einer weiteren Erklärung bedarf es zum Verständnis des
Pasquills nicht. —
Wil gie boren ein nie gedichte?
Darvon wil ich jw singen,
Wo idt de Rigeschen hebben uthgerichtet.
Ich fruchte, idt wil ehn misgelingen.
5 Erben rechten hern^) hebben se vorkam.
Des mögen se sich wol frowen!
Darmede hebben se orhe lof vorlorn;
Idt wert onhen noch wol rowen.
Weren se vrodemans gewesen,
10 Se hedden sich bet besunnen
Und hedden dat ersten bet bedacht,
Wat darvon muchte kamen.
Do men schref twe und seventich jar up sanct Anno 72
Dionisius dach,
Grot wunder mochte man boren;
15 Up dem rathuse dat geschach,
AI wo de Rigeschen schworen
Den werdigen orden^) uth Liflande.
Nemant konde onhe des weren;
Se mögen des nummer sin bekant
20 Vor fursten und ock vor hern.
Soltrump ^) swor den ersten ehedt;
Sin lof, dat wolde sich melden.
Dat kint, dat in der wegen licht,
Dat mot des noch entgelden.
25 Dar itlige burger stunden und sworen den ehedt;
Onhe was so rechte bange;
Dat was onhe gantz von herten let;
Se deden dat alle von dwange.
1
) Erzbischof Silvester Stodewäscher.
*) Bernd v. d. Borch.
•) Johann S., Bürgermeister von Riga.
47
Se worden beide bleok und rot,
30 Dat deden se von rouwen;
Se dachten ahn de groten not,
De sich dar wurde vornien.
Dar sworen ock etlige tor sulvigen stunde,
Onhe was so rechte leve tho mode,
35 De vorreders ahn orhes herten grünt,
God geve onhe dat nummer tho gude.
De broder uth der kleinen gilde,
Dat weren se, de ick meine;
Dat se dreven, dat was gar stille.
40 Se deden des nicht alleine. —
Ebenfalls unter den Napierskyschen Abschriften fanden sich
zwei von einer Hand des 15. Jhs. beschriebene Blätter in 8^*, von
(leren Schrift der Verfasser der Anmerkung unter der Abschrift sagt,
(lass sie ihm aus den Revaler Kämmereibüchern bekannt sei. Das
eine Blatt enthält einen Brief in schwedischer Sprache, das andere
Notizen, die vielleicht zu den Kämmereirechnungen dienten. Hier
finden sich auch folgende Knüttelverse, deren Kenntnis ich ebenso,
wie die der Spottverse auf Riga dem Herrn Oberlehrer C. Mettig in
Riga verdanke, dem ich hiermit meinen besten Dank sage für das
Interesse, das er meiner Arbeit auf dem Gebiete der livländischen
Literaturgeschichte entgegenbringt und für jede Förderung, die mir
zu teil geworden.
De de schone juncvrauwen plegen will
Unde suverke perde riden will.
De behoffet woU sulver unde golt in der taschen,
Win unde krud in der vlasschen. —
Die Pasquille auf die Witwe Herssefelt und das poetische Bitt-
l^esuch des alten Landsknecht sind dem Revaler Ratsarchiv ent-
nommen, dem die Handschriften —r es sind Papierfoliobogen —
angehört haben und daher von mir übergeben worden sind, nachdem
sie von Hand zu Hand gehend nach längerer Irrfahrt in meine Hände
gelangt waren. —
Die Familie Herssefelt, die wohl aus Hersfeld im Hessen-
Nassauischen stammt, war in Altlivland weit verbreitet. In den von
J. G. L. Napiersky edierten ^Erbebüchem der Stadt Riga 1384 — 1579^
tritt uns bereits 1409 ein Glied der Familie entgegen, die unter den
Namensformen Herzevelde, Hersefeld, Hersfeld noch bis ins 16. Jh.
vertreten ist^) und ebenso sind in Reval die Hersefelt's angesehene
*) Genannt werden Hans, Wernerus und her Tylmann.
48
Bürger der Stadt gewesen, von denen mehrere städtische Ämter
bekleidet haben. So war ein Paul Hersefelt 1471 Schaffer der
Schwarzhäupter ^), und in seiner Revaler Ratslinie führt F. G. von
Bunge drei Hersefelts an, die Ratsherren gewesen sind: Johann H.
1494, 1497 und 1512, Martin H. 1535, 1539^) und 1540 und Tilemann H.
1532. Der Ratsherr Martin Hersefelt, der 1533 Schaffer der grossen
Gilde ^) war, wird ausserdem in der bei Bunge abgedruckten Ver-
ordnung der grossen Ämter de anno 1539 als Untervogt, Schott-Herr
und Fischer-Herr angeführt, und seiner geschieht in den Ratsproto-
kollen mehrfach Erwähnung, sowie eines wohl nicht mit ihm identischen
Martin Hersefelt, der 1503*) Ratsherr war. Ich setze einige Stellen
aus den Protokollen hierher: „Am Tage Catharinae 47. In Thomas
Vegesacks sachen vptosoken Anno xvten vnd ixten eine vorlatinge, so
Gurt Meier oder Merten Hersefelde boscheen sin sal; vptosoken."
„Anno 48 den 21ten September. Quemen vor vnse Radt de vormundere
Zeligen hern Merten Hersefel : etwa vnsers Rats mede Burgermeistern
nhagelaten wedewen vnd kindere vnd Jürgen Herike, hebben zampt
vnd in Sonderheit gemechtiget den Ersamen Jacob Wilkens, mede-
burger tho Lübeck, allen vnd itzliegen nalat zeligen Hans Hericken
ahn geredenn vnd vngeredenn vpt proftateligeste vnd furderliegeste
ergenannten freunden tom besten her innen to schicken." „Den 18ten
Juni Anno xlixt^n. Togedenken vnd vptosoken, wo Idt vormals des
Closters haluen durch hern Merten hersefel : vnd zeligen hern Henrich
Dellinckhusen geworuen. (und weiter unten wird das Kloster näher
bestimmt) extract vth dem priuilegio das Closter ton sustern
bolangende" u. s. w. Das Revaler Ratsarchiv bewahrt ferner aus
den vierziger Jahren des 16. Jhs. eine „Rekenschop vndt Beschedt
von wegen des gemenen Kastens zu sunte Oleff" (B. 1. 4.) auf, an
welchem Bericht ein Hans Hersefelt beteiligt ist. ^) Auch seiner thun
die Ratsprotokolle Erwähnung. Der Hans Hersefeldeschen z. B. wird
mit neun andern Revaler Bürgern anbefohlen „dat se sich vorplichten
einen dudeschen Jungen oder magt dar bie tho holden" (Ratsprotokoll
vom 30. Mai 1554). Überhaupt kommen seit der Mitte der 50er
Jahre in den Protokollen die Namen Hans, Merten und besonders
Tilemann H. vor, die mit den oben angeführten gleichen Namens
nicht identisch zu sein brauchen und auch nicht sein können. Die
äusseren Verhältnisse der Familie scheinen günstig gewesen zu sein.
Bei der Aufzählung von Claus Schomakers Besitz heisst es „in der
Susternstraten alles twischen Herr Thomas Vegesack vnd Hans Herse-
feldes husern". Am 21. Juni 1549 findet eine Verhandlung mit der
^) E. V. Nottbeck: Revals alte Scbaffer Poesie und Reime. Beiträge zur
Kunde Ehst-, Lif- und Kurlands V. p. 390 ff.
*) Vom Stadtarchivar 0. Greiffenhagen aus dem Archiv ergänzt. Briefliche
Mitteilung.
') cf. Anm. 2.
*) cf. Anm. 3.
*) 1540-1544. Briefliche Mitteilung des Stadtarchivars 0. Greiffenhagen.
49
Hersefeldschen ^des garden haluen^ statt. Am 7. Febr. 1555 lässt
Herr Jasper von dem Hersefeldeschen Huse 500 mark afschriuen. ebenso
Henrich Empsinkhof am 8. März. — Dieser überlässt das ^hus in
der Karriestraten^ Tilemann Hersefeld und empfängt e contrario ein
Haus in der Quappenstrasse (den 17. Juni 1556) u. s. w.
Leider sind die Ratsprotokolle der fünfziger Jahre so schlecht
geschrieben und so lückenhaft und unordentlich geführt, dass sie
mehr den Eindruck eines Brouillons machen, das dem Sekretär des
Rats nur zur weiteren Ausführung gedient hat. Daher sind wir denn
auch in der sich an die Hersefeldschen Pasquille knüpfenden Streit-
sache viel auf Vermutungen angewiesen. Sicher ist aus den Spott-
gedichten, dass die Witwe Hersefeld drei Kinder und zwar zwei
Söhne und eine Tochter gehabt hat (cf I. V. 29 und II. C. V. 10).
Diese führte den Namen Catharina, denn auf die im Pasquill
angegriffene Witwe H. bezieht sich jedenfalls das Protokoll^) vom
Jahre 1547, das undatiert vor dem 14. Oktober steht. „De sache
darhene wielen de Hersefeldesche das gelt, dar de geburenen an-
furderinge vmb gescheen. ij deile darvon entrichtet vnd das dridde
deil dem megedeken Catharinen tom besten, so noch unberaden vor-
handen, hir beholden. Mit angehefter bede von wegen orhes ampts
dar Innen to sehende, dat sodane gelt den kindern von zeligen
Tedinckhusen^) herkommende vnd wes dar tor stede. orhen zeligen
vader tobohorende. das se des selben nha orhen rechten ock mede
to gete . . tede also das dat selbe in gude bowaringe vnd vp ge-
wisse rente mochte gelecht werden." Ob der Vater Martin oder
Hans Hersefeld war, lasse ich unentschieden, glaube aber die Ver-
mutung aussprechen zu dürfen, dass die Mutter Anne und einer der
Söhne Martin hiess, denn Sonnabend post purificationis Mariae 1556
wird, nachdem ^Tylemann Hersefeld de old: getuget, hern Märten vnd
der moder Anneken vergunt to teikende". —
Im folgenden will ich, soweit die Revaler Ratsprotokolle das
Material bieten, den sich an die Pasquille knüpfenden Streit dar-
zustellen suchen, der aber durch die lückenhafte Unklarheit der
Protokolle dunkel bleibt. — Des Donnerstags vor Estomihi 1554 oder
wie es damals hiess, des ^Donnerdages Ihn vastelauende^ trug
es sich zu, dass ein „schantbref vor der Dusterschen Dore gebunden"
war und von den Bewohnern gefunden wurde. — Dies scheint die
gewöhnliche Art der Verbreitung anonymer Spottgedichte gewesen zu
sein, denn in einer andern Klage, die Anno 1554 den 28. August
vor dem Rat verhandelt wird, hebt der ;,vor einen uprorer vnd moyt-
maker'^ der Stadt Reval Gescholtene als fünften Punkt hervor, dass
ihm ^ein schandtbref ahn siner dore geslagen in nachtslapender tit".
Ebenso finden wir unter dem 6ten Aug. 1547 im Ratsprotokoll die Notiz
*) Die Zitate aus den Protokollen sind von mir wortgetreu gegeben und
sollen zugleich zeigen, wie lückenhaft und abgerissen die Protokolle geführt sind.
^) J505 war ein Hans Tidinchusen Ratsherr. Die "Witwe H. könnte eine
geborene Tedinckhusen sein.
Niederdeutsches Jahrbuch XXXI. 4-
50
verzeichnet: ^^Nachdem Lucas Greninge, unserm medeburger, eine smehe
schrifte ahn de doeren in nachtslapender tit geslagen (das ursprüng-
liche ;,gekleuet* ist ausgestrichen), wor anhe ein Ersam Radt gar keinen
gefallen, vnd wener ein Ersam Radt konte oder muchte to weten kregen,
wens hant dat suluige were, alsdan solde einer also dar ouer gestrafet
werden, dat sich der ander dar anhe to spegelen solde hebben.^ —
„Fridags post oculi Anno 1556 trat de angewante frundschop sowol
Tylmann hersefeldts, als seines eheligen gemhals Catherineken^ vor
den Rat wegen des ;,libelli famosi* und es wird ;,vp belangen gedachten
Tylmanns to teikende vorgunt^, dass die Dustersche „desulue eren-
rurige schrifte von sich nicht to nicht gebe, noch afhendich mache
bie X mark ledigen suluers". Nachdem Hermann Duster, der Gatte,
zweimal „der orsache der breue^ vergeblich vorgeladen worden — er
entschuldigt sich mit Krankheit — findet endlich den 13. Mai 1556 die
erste Verhandlung wegen des Pasquills statt. Hermann Duster sagt
aus, dass er „tho 11 in der nacht to hus gekommen", als man den
Brief bereits an der Tür gefunden. Seine Frau, bei der er Hans
Boismann getroffen, hätte ihm gesagt, „he solde dar nicht vmb vor
den radt gan", obgleich „he ehr sunsten wol geraten hebben wolde,
wes se sich vorholden solde". Auf die Frage, ob das Spottgedicht
iemand vorgelesen worden sei, musste Hermann Duster gestehen,
dass seine Frau es der Pakebusch vorgelesen, und „dat se den schant-
bref mit Hans Boismann wol gelesen, he mit ehr vnd se mit emhe".
Ausserdem hatte seine Frau ihm gesagt, dass Herr Arnt Pakebusch,
Benedictus Kock oder Thomas Schröder an dem Abend „bie emhe
Im huse gewesen". Auf die Forderung des Klägers „bie einer pyne
touorgesageten bref oder, wo wele derseluen sien, tor negesten kumpst
mit recht to stellende", wird verfügt „bie XX ^ tor negesten kumpst
den bref intobrengen", eine Verfügung, die am 17. Mai erfüllt wird, und
da das Protokoll verzeichnet „de breue ingeb. wegen der Dusterschen",
so muss unterdessen auch das zweite Pasquill auf dem oben angeführten
Wege in die Hände Frau Dusters gelangt sein. — Obgleich sie sich
rühmt, „se wete sich des tor erhe wol to uorandtworden", muss sie
den 14. Mai „bie hogerer poen" vor den Rat zitiert werden und
späterhin proponiert Arnt Tritze, der de Dustersche excusert, ihr
„Vormünder oder biesorger" zu setzen, „wielen de man dar nicht
duchtich to, to schichten", was aber abgewiesen wird: „den man dar
nicht hüten to laten, mach nicht wesen; ehr man das hoeuet." —
Erst am 12. Juni findet wieder ein Verhör und zwar der Zeugen
statt, über das das Protokoll aber nur sehr dürftige Angaben enthält.
Nur die Fragen „wo vnd von wem he den bref bekommen?" und „ofte
he den bref ock Jemandts mher, als den 4 gewesen, mher vorgelesen,
als den 4?" sind protokolliert. — Die erste Frage ist wohl an
Hermann Duster gerichtet, die zweite an den von ihm genannten
Hans Boismann, dessen Zugeständnis „to boke to teikende vergunt"
wird. Auf H. Boismann fällt so der Verdacht, der Abfassung und
Absendung der Schmähgedichte nicht fern gestanden zu haben, und
dieser Verdacht mehrt sich durch weitere Aussagen. „Item wes he
51
ferner vt, he (Hans Boismann) gesecht, dat he den bref so verdigen
lesen vnd duden konde; vnd wener he an der hersefeldeschen doer
gehangen, so were he nicht manck de lüde gekamen. ^ — Es nimmt
aber die Untersuchung einen immer langsameren Gang. — Unter dem
24. Juli 56 lesen wir im Protokoll : ;,Tyleman vnd Hans Hudde (dessen
Anteilnahme am Pasquillenstreit völlig dunkel ist). De Dustersche
vorbaden laten. De Dustersche excuseret. begert vormunder oder
biesorger.^ ^Anno 5G den 12. September heft ein Ersam: Radt der
Dusterschen vor vulmechtige nur alleine vnd nicht wider de tosprache,
so vele de gefundene smehe schrifte anlanget, to boke to teikende
togelaten vnd vorgunt: nemblich Tomas Luter, Johan Kindlein vnd
Amt Trieszen. Alles sunder geferde. Sodans ist vp belangen Arnt
Tritzen to teikende vorgunt.*' Nun sollte man annehmen, dass der
Rechtsstreit einen schnelleren Fortgang genommen hätte. Durchaus
nicht! ;,Den 25. September 56 stellt Tylemann H. die Frage: vor
weme weren se de schantbreue? Se examineren vnd fragen tor
negesten kumpst. Ehr hebbe Idt nicht rechte vorstan.^ Aber zur
Beantwortung kommt es nicht, denn vergeblich folgt eine Zitation
der andern, und nur immer dringlicher wird die Bitte des Klägers,
die Dustersche vorzuladen. ^20. Novembris Anno 56. Tylman Herse-
felt vnd Hans Hudde noch Amt Tritzen vnd de Dustersche vorbaden
laten.*' ;,Frigedages post purificationis virginis Mariae (Febr. 57)
Tylmans peticio de Dustersche persönlich vorbaden to laten. erlouen
wollen.*' „S. Martii 57. Tylman Hersefelt: noch der Dusterschen
belanget; vmb gods willen gebeden, ensmals hirher vorforderen
vnd vulmechtige, de Idt orhenthaluen hir vorantworden möchten.**
„2. April Anno 57. Item der Dusterschen haluen. vorlaten. bie
den Dener anseggen laten bie X Daler tho compareren ; wo nicht,
sin de negesten schuldich, se vortreden, se scheidede oder nicht; ein
radt wolde ein pant halen laten. vorgunt to teikende.*' „6. April 57.
bie XX Daler anthoseggen der Dusterschen, tor negesten kumpft,
dat se kome oder aber erbe frende schicke.*' „11. Juni 57. Tilman
de Dustersche begeret bie broke tho uorbaden.** „12. Juni 57. Der
Dusterschen P. begeren Dilation, ohr procurator si nicht thor stede;
begeren, efte Tylman ock mher tho ohr tho seggen, efte de Zeddel.**
;,17. Juni 57. Tileman vergunt, de Dustersche vorbaden to laten.**
;,29. Juni 57. De Dustersche thor negesten kumpt noch bie X Daler;
sal thor negesten kumpst arresteret werden.** — Endlich, am 6. August
57, findet wieder eine Verhandlung Tylman Hersefeldts und Hans
Huddes wider die Dustersche statt und zwar vor dem Niedergerichte ;
sie soll dazu angehalten werden, mit ja oder nein ihre Aussage zu
befestigen; ,.protest vor god, dem Rade vnd Jedermenniglich ; ent-
schuldiget, so ehr etwas ohrer vngelimplichen worde haluen beiegende
vnd wider fhare.** Hans Boismann begert Aufschub und nachdem
die ;,vpschuft vorgunt** finden wir nur noch unter dem 18. August
57 die Notiz „Tylman vor sich vnd Hans Hudde*^ ; damit ist dann
der Hersefeldtsche Pasquillenstreit aus den Ratsprotokollen ver-
schwunden und wir haben kaum irgendwelche wesentliche Aufklärung
52
über die Tatsachen, die den Spottgedichten zu Grunde liegen, erhalten.
Diese selbst geben aber kaum eine genügendere Aufklärung und leider
kann ich sie nicht so fertig lesen und deuten, wie Hans Boismann.
Der Verfasser, der sich wohl Tyleman Hersefeldt zum Hohne den
falschen Namen Tyllemann beigelegt, muss der Gilde angehört haben,
und der alte Gegensatz zwischen Gilden und Rat gibt den Gedichten
die Färbung, die sich z. B. in folgenden Versen spiegelt:
Det wert he alle dage nicht w^einich beklaget,
Wol et eynem 't* rade gansz W'Ol bohaget,
oder He hadde geren gedruncken eyn wilkomenn van gilde her.
De ludde seggen, et is yor ein nicht gesodenn usw.
oder Vnd roege de gilde nicht, dat is min rath,
Edder dat lest wort uel erger vnnd kuath.
Ausserdem muss aber die Witwe Hersefeldt den Hass der Gilde-
brüder durch irgendwelche verleumderische Angriffe erregt haben,
durch die augenscheinlich eine Revaler Schöne schwer beleidigt
worden ist:
Gedencke ock frowe der smeliken nucke vnd stucke.
De du mit dinen loggen und drogen hesst gesmucket,
Do du wult dinen negesten sin er bostelen und bereuen ....
Do du de erlicke yunfer butten de er wolth forgettenn.
und: Se wetten wol, wo se dat erlicke kint bosedenn
Myt logen, drogen wedder got vnd alle sedde.
Vielleicht stehen die Pasquille mit einem Vorgang in Verbindung,
der sich in dem Ratsprotokoll vom 13. Mai 1556 unmittelbar an die
Verhandlung des Hersefeldtschen Streits anschliesst; es ist nur zu
bedauern, dass der Sekretär sich nicht veranlasst gefühlt hat,
den Namen der Jungfrau, der den Ratsgliedern natürlich bekannt
war, zu nennen. Es handelt sich dabei um folgendes. Euert Becker
war die Gildestube der Kanutigilde zu seiner Koste verweigert worden.
Es scheint der Ruf der Braut kein unangetasteter gewesen zu sein,
denn ;,de Junfer war in den Winachten nicht gebeden^ zu den Weih-
nachtsdrunken .der „sanct Olefs Gilde *'. ;,So de darhenne queme,
solden fruwen vnd Junfer dar vthstaen^' und ebenso hatten sich die
Brüder der Kanutigilde geäussert, „wener de persone darhenne ge-
beden, solden orhe fruwen dar wedder vthgan; derwegen de kanute
gilde ehr de koste dar geweiert. ^ Die Duldung bescholtener Personen
war eben in der Gilde verpönt. — Den 13. Mai 56 traten nun ^Euert
Becker vnd de oldesten vth den beden gilden" vor und der Rat, der
es vor gut ansah, ihm die Gildestube zu vergönnen, ordnete an,
dass ^Junk vnd old in beden gilden gefraget werde, ofte se ock
etwas anders von der personen wüsten, anders als tor erhe^. Das
sollten sie zum nächsten Termin vorbringen. Den 19. Mai erfolgte
die Antwort. Beide Gilden sagen durch ihre Vertreter aus: ;,se
wüsten anders nicht von ehr, als tor erhen.^ Zugleich scheint es
auch zu einer ;,mishelicheit" zwischen den beiden kleinen Gilden
53
gekommen zu sein. Der Oldermann und die Oldesten der Sanct Olafs-
Gilde hatten gemeint ^dat brutber sei in der kannten gilde to
bruwen*, worüber sich diese entrüstet, denn was die St. Olaigilde
abgelehnt, dazu wäre sie gut genug. — Hatte doch ausserdem des
Bräutigams eigner Mund die Gilden „geschendet^, d. h. wohl schlecht
über sie gesprochen, wogegen sich Euert Becker damit verteidigt,
dass er es getan, weil er gemerkt habe, „dat se enhe den gildestauen
nicht gunnen^. Um die Sache zu schlichten, werden drei Ratsglieder
abgesandt: „her herman, her Juen kap:, koninge.*' Ich war nun zuerst
geneigt in Euert Becker den „erlossen liouen^ (I. V. 8) zu sehen,
der gerne „eyn wilkomenn van gilde ber^ getrunken hätte, und in
seiner übel berüchtigten Braut die Catharina Hersefeldt, Erbittert
über die Zurückweisung ihrer Tochter hätte die Witwe Hersefeldt
dann schlecht von den Gilden und anderer Bürger Töchtern geredet
und dadurch das poetische Strafgericht über sich heraufbeschworen;
so würde sich alles aufs beste fügen. Leider ist aber die Deutung
nicht möglich, denn Evert Becker ist Bräutigam und die Verse ^ydt
is gesehen woll Xiij wecken uor der tydth^ und „vormer din gesiechte
vordan mit sodan 27 weckensz kinth^ können nicht auf eine Braut,
sondern allein auf eine verheiratete Frau bezogen werden, da doch
nur die Hochzeit der Zeitpunkt ist, von dem eine zu frühe Geburt
gerechnet werden kann. — So muss schon „Catharineken^, die
Gemahlin Tyleman Hersefeldts, für uns die beschmähte Tochter der
Witwe Hersefeldt bleiben, und ihre Hochzeit können wir in den Juni
1555 verlegen, da sich die Worte: ;,got heft en gegeuen, yck men,
en stolt ni yar*', doch wohl auf die Geburt des „27 weckensz kinth"
beziehen. Über die näheren Beziehungen der Pasquille bleiben wir
aber in Dunkel. Möglich ist es ja auch, dass die Kränkung, die der
Braut Euert Beckers widerfahren, auf Verleumdungen der Witwe
Hersefeldt zurückzuführen ist; dann wäre jene „de erlicke yunfer*^.
Irgend einen Zusammenhang zwischen der Beckerschen und der Herse-
feldtschen Sache glaube ich annehmen zu müssen, da die Verhand-
lungen derselben in einem fortlaufenden zusammenhängenden Protokoll
gebracht worden und nicht, wie sonst, durch einen Strich getrennt sind.
Es ist mir ein Bedürfnis, auch an dieser Stelle dem Herrn
Stadtarchivar 0. Greiifenhagen in Reval für die grosse Liebens-
würdigkeit, mit der er mir die Benutzung des Archivs ermöglicht, und
für vielfache Auskunft meinen besten Dank zu sagen.
I.
leue frundinne, ^) lattet iw nicht vorwunderenn,
dat dusse breff an yw doer is gebundenn;
dut is iw ock gesehen to gefallenn.
ick wet, gi ock sin belogen van en by allenn.
5 do de hör er logen smuckede mit godes lidenn.
*) Das auf leue folgende Wort ist ausgeschnitten und frundinne über die
leere Stelle geschrieben. Ursprünglich stand wohl der Name „Dustersche".
54
dar heft er got wedder for lattenn glydenn
also, dat se ys gewordenn einn stinckende hör,
do er de erlosse boue in dem winckel schor.
dut is vor de besendinge, de iw geschag.
10 wo smecket der fruntschop wedder ymme das?
dot wol vnd lattet dut einem idderen senn,
wo der hören is geschenn,
ick menne de formunders vnde de pleppener,
de einem idderen wolden bringen vmm sin er.
15 dut mach so wat hen swewenn,
se werdenth eren part ock an den eren boleuen.
dut wil ick so latten bliuenn.
lat sen, wat de schele papenkint kan bodriuenn?
de duuel hadde em de ogen vorblendet,
20 do de hör worth geschouenn vnde geschendet.
got heft en gegeuen, yck men, en stolt ni yar.
de frunde mögen sick frowen alle gar!
ia, wer dat van dem glupschen bouen nicht geschenn,
my wer lede, he most dorch de gadderen senn.
25 godt heft en wol to hope gefogeth,
so dat dem fruntschop an hören vnd bouen noget.
se wetten wol, wo se dat erlicke kind bosedenn
myt logen drogen, wedder got vnd alle sedde.
yck men, got heft der herssefeltschen dre kinder gegeuen.
30 got lat kenn erlik man den dach boleuenn.
dut ys vor ogen, se sin alle gewisse.
dar behodde vns foer de her iesu christ. amen.
Aldus bin ick mit der warheit berich[t]
sust hadde ick dat better gedieht. —
IL
A. dem ersamenn
Lesser kome dussen
breff flfe ge.^)
B. ^^4^ 1. Ach leibe nabersch, ych wil eur sagen,
de hör ist achter ynn gegnagenn
2. myt einer stufenn taffenn
szwisschenn szwe rufe lappenn.
3. yo de tappe stiuer steit,
yo der horenn sagter deith.
4. ych wyll enn nich nennen,
yr worth en alle so wall (?) kennenn.
No. 1. dusse sertte ys vor handenn,
Nö. 2. dar vm dat yth mot wanderenn
Nö. 3. van dem enenn tho dem anderenn.^)
^) Adresse auf dem zu einem Briefumschlag gefaltenen Bogen.
^) Die drei letzten Zeilen sind in der Mitte des Briefumschlags übers Kreuz
geschrieben und an den vier Seiten steht je eines der vorhergehenden Reimpaare.
55
C. Bedencke frowe aim dat suchtenn vnd kermen,
welckz dagelickz ge8[ch]ut van den elendygen armenn
um eynenn nygen funt, welckz dyn sellyge man her for bracht,
dat nycht drade wert woryen ouer stach.
5 Des wert he alle dage nicht weinich boklaget,
wol et eynem 't* rade gansz wol bohaget.
Gedencke ock frowe der smeliken nucke und stucke,
de du mit dinen loggen und drogen hesst gesmucket,
do du wult dinen negesten sin er bostelen und bereuen.
10 und best nu uor dut und dat einen def, ock j hör und j bouen
yn dinem husse. Dat is war und anders nycht,
des heft ein yder ein waraftich borich[t].
Noch letz du di hir nicht an genogenn,
de wyl du bist geschennet mit boren und bouenn,
15 de du alle dage bi diner taffeien best sittenn.
Dut wort einem ideren alle dage witlick
beide butten und binnen landes, ock to Dorpt und to Rige.
0, wogeren haddes stu dar welcke by,
de di den rei holpen uormeren und bi di stundenn!
20 Socke nich wit, blif in din strate bi din egen frundenn!
Ick men der boren formunderschen yn bosundereiln,
de de hoer plegen van den auen bet an den morgen to wachtenn
vnde dussen horenyeger so geringe achttenn.
Ick men, em wedder uor nu kortz en smalle er.
25 He hadde geren gedruncken eyn wilkomenn van gilde ber;
de lüde seggen, et is vor ein nicht gesodenn,
dar vmme krycht he nicht vann der bradenn.
Nu du sust, dat et dij nicht wil gelingenn,
denck nu, wo sagt idt deyt, enem van sin er to bringenn?
30 Kunstu nu welck to dy schrapenn und rapenn,
du schult dar nycht vm slapenn;
dar umme geit idt di, alsz einn beschettenn koe,
de einenn iderenn gerenn hadde dar tho.
Ick rade di, lat af vnd lat di genogenn,
35 du best genoch ann de hoer vnd an de bouenn,
vnd roege de gilde nicht, dat is min rath,
edder dat lest wort uel erger vnnd kuath.
Dut schriue ick di to einer voreringe; nu idth ys geschenn,
vp dat du vnd de dinen dut mögen senn,
40 dat wi ydt better wettenn,
do du de erlicke yunfer butten de er wolth forgetten.
Wes ock boricht, dat yck dut hebbe geschreuen, dar ick sath.
Mi ducht, dat horkint ys gemacket in der stath.
Ytd is gesehen woU xiij wecken uor der tydth;
45 dar vm wort se idt bittidenn kuith.
We duth gogelwerck heft gedaenn,
dat wyl ick vp dut pas lattenn stann.
Ick hoer, se plach geren vp der luten to spellenn;
56
vnder der tidth heft men er nam gatte getelleth,
50 bet so lange, dat de klanck is gekomen ouer alle,
welckz nicht wit ys gesehen vann dem stall.
Woltu di nicht latten genogenn, um kunschop to wettenn,
se sin dar, de di nicht werden vorgettenn*
Mi dacht, ick hebbe eynenn hoerenn snuuenn;
55 holt Stil mit der sacke, edder idt werth di geruuenn.
Wo ick denn horenn drucker betenggc to nennen,
so werth em einn ider woU kennen.
Duth nim to herttenn ofte to gemotte,
etth si sur, bitter edder soette,
60 vnd lat et dy wolgefallenn, als ick ock van di se,
vnd lat di nicht sinnen, et do di we.
Besunder holt di krum mit dinem hupenn
vnd lat se sick wedder betidenn bokruppenn
vnd vormer din gesiechte vordan mit sodan 27 weckenszkinth,
65 so werden se alle noch einsz so geswind.
Hir wil ick dut bi latten bliffenn
vnnd wil di dusse hören vnd bouenn to schinenn,
so he dat noch ens also kann doenn,
so sal he sin geeret vnd hebben lof vnd ken hoenn.
70 Hir hestu dy na to richtenn,
dar kanstu einem iderenn mede boswichtenu,
duth horkint is vorhandenn,
duth wert ock kenn erliker wor anderenn.
(Bild eines Priapus.) Aldus gemercketh Tyllemann.
Lat di üich ruwenn, de hör let sick geren schuwen
Das dem Revaler Rat überreichte poetische Bittgesuch eines
alten Landsknechts gehört derselben Zeit, wie die Hersefeldtschen
Pasquille an, denn nicht nur die Handschrift, sondern auch der einzige
einen Anhaltspunkt gebende Vers (13): ^Wo her Juen datt weth^
weist auf die Mitte des 16. Jahrhunderts hin; es ist wahrscheinlich
der in der Zeit oft als Ratsglied genannte Herr Juen Kappenberch
gemeint. In den Ratsprotokollen habe ich, so weit ich sie durch-
gesehen, nichts auf das Bittgesuch Bezügliche gefunden und kann
so nicht angeben, ob die Bitte um eine Reiterzehrung erhört worden
ist. Das Gedicht macht nicht den Eindruck, als ob es von einem
Landsknecht verfasst worden ist; jedenfalls ist er nicht einer von
denen, die mit wildem Humor singen konnten: ,,Und wirt mir dann
geschossen ein flügel von meinem leib u. s. w.^ Ob es nicht für den
Landsknecht von einem Schreiber verfasst ist?
Erbare w^) gunstighe leuenn herenn,
Latet mj gneten oldes denstes myner bede!
Iw loff will ick wider vorbreden
By forsten, heren, grauen, Ritteren vnd stedenn.
*) wohlweise (?).
57
5 In Dudeslant ist myn synn
Mit gades gnade, wo he will.
Wolde nu noch godt schicken vnd foghenn,
Datt ick tho Reuall myn leuent mochte ouen
Und dragen ghedult mit lyden.
10 0 godt, voghe dat nu by tydenn!
Schall ick noch auer de zee,
Datt wyll my don we,
Wo her Juen datt weth.
Ock ist myn budell licht,
15 Ist mj ein hoghe pine, datt is wis.
Ein Ruterteringhe sy ick bogheren.
Godt loflf! Iw Erbar w kan er woll enberen,
Unnd latenn mj nu gneten,
Datt ick mj etlicke Jar nicht leth verdreten.
20 Nu geit mj datt older ahn,
Datt ick nicht alles don kann,
Wo nu ein Junck man,
de In de Joget ist wis.
Im older wert he ock gris,
25 Dar tho dan schaden gheledenn.
Vorbrent em dat hus, szo weth he de stede,
Moth dan soken syn broth auer sze vnd zlant,^)
Szo wert em vngheluck erst bokant.
Hefftt he dan nicht vorworuen,
30 Werlick ist mit mj vordoruen,
We Deus^) mins ghedutes nicht will louen,
Do wo ick late sich nicht lenger touen.
De winter kumpt hir bolde ahn,
Wo sta ick dan, ick olde man?
35 Idermans doer wert tho geslaten,
Szo mot ick gan vpp der Straten.
Thom lösten vinde ick wert off werdinnen.
Watt schall ick dan beginnen?
Ist dann In minem seckelin nicht,
40 Szo kent mj de wert off werdin nicht.
Duth sy Iw gheschencket Erbar w herenn.
Nu wilt myner nicht enberen
Und will erlick denen tho Iwen eerenn.
Des helppe mj Jesus Christ,
45 De twischen Iwer Erbar w vnd mj midtler ist.
De schicke vnnd voghe nha synem gottlicken willen,
Dat alle hadt vnd nidt werde ghestillet.
ERRAS (Estland). Th. von Riekhoff.
*) Lies szant — ^) Lies We de nu (?)
58
Sprieh^vörter und Redensarten
aus Stapelholnn.
(Vgl. Bd. 30, S. 78.)
He het en Fick^) vun'e Düwel. Ist verschwenderisch, (Drage,)
He sitt op't Pierd, as de Esel op'n Plumbom. (Kleinsen.
Schütze I, 303.)
He het sik vernickelt,^) as Jakob Borgers sin Kind, dat wul in
3 Dag ni pissen. (Erfde,) Jakob Bärgers wohnte bei Hohn,
He dreit sik as'n Lus op'n Studentenbüdel. (Drage, In Eider-
stedt: He dreit sik as'n Lus op'n Büdel.)
He het een in't Holt lopen. Ist im Oberstübchen nicht ganz
richtig, (Drage, Dithm,: He het een to Holt jag.)
Heft Mügg'n ok Rüggen? Wenn Kinder über Rückenschmerzen^
die vom Bücken herrühren, klagen, (Kleinsen, Schröder, Nr. 748.)
Hell ut de Tut ! (Süderstapel, Dithmarschen : Hell ut de Kapp !
Hochmot weent, Demot lacht. (Drage,)
Holt stopp! Siewert, ni in'e Wustketel. Soll herstammen vom
Wursfsammeln am Fastnachtsmontag, wo einer namens Siewert bald in
den Wurstkessel gefallen wäre,
„Ik will mal rein Kram maken,*' sä de ol Peter Messer (har
de ol Peter Messer seggt), un stek sik en Finger in'n Ars. (Drage,)
„Ik riskir de Bass!" sagg Repen. (Erfde,) Repen war Uhr-
macher in Tielen bei Erfde,
Jede hunnert Mark het sin Verstand. (Drage, Vgl, Ark hunnert
Mark het sin Verstand. Nissen, Friesische Findlinge I, 132.)
Jed'r Minsch het sin Last un Plag, un het he d' ni an'e Föt,
so het he d' an'e Klöt. (Drage.)
;,Lat't rieten!" seggt Repen. (Erfde. Vgl. Schütze III, 294:
rieten laten.)
„Lat di langsam," [seggt Peter Jebens. (Erfde.) Peter Jebens
wohnte in Erfde.
Lat't weihn, lat't rieten,
de dr' keen Land het, brukt ok ni to dicken. (Drage.)
;,Mein un Klein is man blots en beten Bücken un Rücken," sä
de gude Diern (Fru); ;,awer Eten kaken un Bett opmaken, dat kost
Knaken." (Drage, Auch in Dithmarschen bekannt,)
Menschenkinner hebt Menschendinger, un dar mut mit speit
warn. (Meggerdorf)
„Mit den möt wi ok bald öwern Snapp!" hdsst es in Seth von
einem, der bald sterben miiss, Snapp = Spitze, Ecke, Winkel. Die
^) Tasche, Geldtasche. *) Vernickt, ist aufsetzig geworden.
59
Sether Heide bildet zmschen der Landstrasse nach Norderstapel und
dem Kirchweg nach Süd er Stapel bei Seth einen „Snapp^. S. Nd, Jahrb.
XXVII, 60.
Nu ward't Dag rund um Schosteen. Wenn einem ein Licht auf-
geht. (Süderstapel.) In Dithmarschen heisst es: ;,Nu ward't Dag
op'n Don.*'
^Nu kamt s' ut de School!^ Vmi einer Schar Vögel. (Süder-
stapel. Vgl. Engl, to shol, Schwann, Menge.
0, du Arwer Dammer! Dei* Erfder Damm ist ein sehr langer
Damm von Norderstapel "nach Erfde. Wer diesen Weg gehen muss,
wird bedauert. Oder stammt die Bedensari aus der Zeit, wo die Häuser
am Erfder Langendamm Gefahr hatten, überschwemmt zu werden?
(Süderstapel.)
„Rein Fatt!^ sä Kroger, do fret he dat Schüttel mit op.
Rieke Mann in't Brot! Schimmel im Brot. (Drage.)
Se het dat so hild as Peter Biel, de lep un sehet. (Süderstapel.)
Se het sik mit 'n Tambour slan un het em de Trummel afnahm.
Sie ist schwanger. (Drage. Vgl. Schröder Nr. 127.)
Set sik op as Tesack sin Kater, de wul ni pissen. (Erfde.)
So wellerli as N. N. sin Kater, de wul op 'n Wiehnachten
keen Rom slappen. Oder: — de schul! söten Rom slappen un wul ni.
So wellerli as Kopper sin Bock. Kopper wohnt in Süderstapel.
So eni as en Pütt vull Müs. (Süderstapel.)
In Dithmarschen: So egen as Jan Held, de schuU an Galgen
un wull ni.
So vull as Hopp (= Hopfen). Ganz voll. (Süderstapel.)
„So old, as de Weg na de Wohld", heisst es von eitlem Alten.
(Bergenhusen und Süderstapel.)
In Dithm. heisst es vmi einem Alten: „De is al mit Steenbock
vor Tonn (Tönning) wen. So old as de Bremer Wohld. (Schütze
IV, 373.)
Teen recken un Sliepsteen trecken, dar is de Düwel öwer vun 't
Smäd'n gähn. (Erfde.) „Teen recken" und Schleifstein drehen sind
die schwersten Arbeiten für einen Schmied. Beim, „Teen recken" wurde
frfi/ier in eine alte abgesetzte, stiellose Schaufel oder in einen ebensolchen
Spaten allerlei altes Eisen hineingepackt, dann im Feuer weissglühend
gemacht und zn langen dünnen Stangen ausgearbeitet. Von diesen Stangen,
„Teen, Nagelteen," von „teen" = ausrecken, ausziehen, wurden Nägel
gemacht.
Twee harte Steen malt selten kleen. (Drage. Vgl. Schütze
IV, 191. Schröder Nr. 911.)
Vun 'e Disch na de Wisch. Vom Essen aufstehen und nach dem
Abort gehen. (Süderstapel. Vgl. Schütze I, 223; IV, 366.)
„Ward en gut Botterjahr", heisst es, wenn der Hintere (de
Arskarf) juckt. (Bergenhusen. Vgl. Schröder Nr. 286.)
Wat man bespart mit de Mund, dat is för Katt un Hund.
(Drage. Vgl. Sparmund fritt Katt un Hund. Schütze IV, 161. t' geen
60
men spaert vor den Mond, eet de Katt of Hond. Schütze^ ehd, Wat
man bespart mit de Mund, dat frett Katt un Hund. Pommersche
Blätter für Volkskunde X, 3J
Wat mehr weert is as 'n Lus, dat mut mit to Hus. (Drage.)
Wenn de Kinner to Mart kamt, kriecht de Kramers dat Geld.
(Vgl. Schröder Nr. 1047.)
Wenn de Swien to Kark goht, möt se ers Drank hinbring'n,
heisst es von einem, der zum ersten Male zur Kirche geht. (Süderstapel.)
Wer sin egen Näs afsnitt, schänd't sin egen Gesicht. Verwandte
darf man nicht beschimpfen, man trifft sich selber mit. (Drage. Vgl,
Schütze III, 141.)
Wer op 'n helen Mars ni sitten kann, de mut op 'n twein
towegs. (Drage.)
Wer zum ersten Male nach Süderstapel oder Friedrichstadt zu
Markt will, von dem sagt man, er müsse erst einem alten Weibe, das
beim Eingange in^s Dorf (der Stadt) bereit stände, den Hinteren lecken.
(Bergenhusen in Stapelholm.)
DAHRENWURTH bei Lunden. Heinrich Carstens.
Zu Fritz Reuters Stromtid.
1.) Die bekannte, auch von Conrad Beckmann illustrierte Scene
des Kapitel 13 (Ausgabe Seelmann Bd. 2, S. 232 f.), wo Jung Jochen
ruhig zusieht, wie Bauschan die Wurst frisst, und sich, ohne selbst
zuzugreifen, damit begnügt, seine Frau zu Hilfe zu rufen, ist höchst
wahrscheinlich angeregt durch eine ähnliche Scenö in Karl Immer-
manns „Oberhof" II. Buch, 2. Kapitel:
;, Jetzt war er (der Hofschulze) schon von seinem beaufsichtigendem
Gange in die Nähe des Herdes zurückgelangt. Ein Topf, welchen
die Mägde zu tief in die Gluten geschoben, war im Überkochen
begriffen und drohte seinen Inhalt zu verschütten. Schon war ein
Teil des letzteren in das Feuer gewallt, welches sich zischend gegen
diesen Feind wehrte. — Der Hofschulze hätte nun allerdings dem
Fortschritte des Unheils durch Abrücken mit eigener Hand Einhalt
tun können, aber er war weit entfernt, so die Haltung des Braut-
vaters, welche ihm verbot, irgend etwas an diesem Tage selbst
anzufassen, zu verlieren. Vielmehr stand er ruhig neben dem über-
kochenden Topfe, ruhig wie jen^r spanische König, welcher die
glühende Kohle lieber seinen Fuss versengen Hess, als dass er sie
etikettewidrig selbst weggenommen hätte. Er begnügte sich damit:
„Gitta!^ zu rufen, auch nicht hastig und leidenschaftlich, sondern
langsam und ruhig. Es dauerte daher einige Zeit, bevor die Magd
61
Gitta herbeikam, und als sie endlich gekommen war, erschien die
Hilfe zu spät, denn der Topf hatte nichts mehr zu verschütten.^
2.) Kapitel 35 (Ausgabe Seelmann Bd. 3, S. 77, Z. 9). „Und
da is en junger Mensch aufgetreten und hat spöttschen gefragt, woans
es aber mit die Sneidermamsells werden sollt? was die in die Zunft
aufgenommen werden könnten, oder nicht? — Und das haben die
ollen Sneidermeisters nich gewollt."
Es ist nicht unwahrscheinlich, dass Reuter Chamissos Gedicht
„Kleidermachermut'' gekannt und einen Zug daraus mit eigenem
Humor verwendet hat. Das Gedicht lautet:
Und als die Schneider revoltiert, —
Courage, Courage!
So haben gar grausam sie massakriert
Und stolz am Ende parlamentiert:
Herr König, das sollst du uns schwören.
Und drei Bedingungen wollen wir stell'n: —
Courage! Courage!
Schaff ab, zum Ersten, die Schneider-Mamsell'n;
Die das Brod verkürzt uns Schneidergesell'n,
Herr König, das sollst du uns schwören.
NORTHEIM. R. Sprenger,
Zu Reuters Kein Hüsung.
1.) Kapitel 3, ;,De Schimp*', V. 160 f.:
Un günnten uns man blot de Städ,
Un as en Minsch taum Hinsehen stün'n
und Kapitel 9, ^De Fluch*', V. 291 f.:
Ji hewwt kein Hart uns tau verstahn;
As Minschen staht Ji nich taum Hinsehen.
erinnert an Schillers Teil IL Aufzug, 2. Scene, V. 324 ff.:
Der alte Urständ der Natur kehrt wieder,
Wo Hensch dem Henschen gegenübersteht.
2.) Kapitel 6, ;,De Lust^, V. 172 ff. Die Schilderung der Jagd
erinnert an Bürgers ^Wilden Jäger^; vgl. besonders die Verse:
„Hailoh! Hailoh!'' — Los geiht de Hatz!
Dörch gräune Saat un grise Stoppel,
Dörch Busch un Feld un Wisch un Koppel.
und Bürgers erste Strophe:
Laut klifft' und klafft es, frei vom Koppel
Durch Korn und Dorn, durch Heid' und Stoppel.
62
3.) Kapitel 9, „De Fluch^, V. 73 hat Müller in seiner Ausgabe
Bd. 7, S. 81 die Interpunktion so geändert, dass der Vers
Un will de Lud' doch nich bedreigen
noch Daniel gegeben wird. In allen früheren Ausgaben (6. Aufl. von
1872 S. 141 unten) gehört er noch zu den Worten der Frau Rosen-
hagen. Mit Recht! Diese kommt dem aus Verlegenheit stammelnden
Daniel zu Hilfe, indem sie für ihn die Rede beschliesst, ihm ins Wort
fällt. Dies scheint mir viel natürlicher als Müllers Änderung.
NORTHEIM. R. Sprenger.
Zu Meister Stephans Sehaehbueh.
524. He makede in synen daghen
Enen man van ere ghoten
Grot unde ivyt unde lanck gevloten
Statt gevloten ist gevoten zu lesen; vgl. Reinke Vos 6195: Beinke was
runty vet unde wol gevot. gevot ist contrahiert aus gerodet, genährt.
Scipio, der es verschmäht, die gefangene Braut eines anderen
zu missbrauchen, spricht:
655. Wortimme scholde ik de rosen dorren
Efte maken to ener gorren,
De ik myt wyszheit noch myt loelde
Noch myt nener hande ghelde
Noch myt kunste noch myt inachte
Bringhen mochte in de ersten achte.
Das Glossar fragt dorren, verwelken lassen? Schiller-Lübben erklärt
dorren ^dürr werden^, dorren steht aber hier für darren, derren
;,dürr machen**, das im Mnd. Wb. fehlt, gurre ^schlechtes Weibsbild"
ist belegt in Pfeiffers Germania 3, 422, 8.
695. myt molden noch jetzt: met molle^i Schambach S. 137;
Danneil S. 139.
716. ghesproken = gespraken ^eine Zusammenkunft zu gemein-
samer Besprechung, gesprake halten** (vgl. Morgensprache) fehlt im
Mnd. Wb.
1095 verlangt der Zusammenhang:
Ene vrouwe de ere horch nicht wert,
*Eine Frau, die ihre Burg nicht verteidigt.'
63
1307. Wente wy sen den armen slan
Beyde hesr hatten unde van
linde in mongher futnde werken
Dat recht myt den armen sterben,
Dar de ryke dyket vore^
Wente he des richters herte more
Maket myt gude unde myt ghelde.
Im Glossar S. 19 wird erklärt: diken (swv.) büssen: dar de rike diket
vore, wofür der Reiche büsst (Geld zahlt). Statt des in dieser
Bedeutung nicht weiter belegten diken ist zu lesen: iken, vgl. Mnd.
Wb. n, 696.
1549. Dyn prys unde ok dyn houe danck
De mote tvesen der helle stanck.
Statt des nicht weiter belegten hovedank, das im Gloss. S. 42 durch
„Hofdank" erklärt wird, ist heuedanck (hehhedank) „Habedank'' zu
lesen. Das Wort fehlt im Mnd. Wb., doch vergleiche über die Formel
habe dank! als substantiviertes Masculinum verwendet: Lexer I, 1130;
M. Heynes Deutsches Wb. II, 6.
1965 f. ist der Beim meyster : besten Stephan unmöglich zuzutrauen.
Es wird zu lesen sein:
Dar was ok tippe eyn meyster van kunsten
Der men do vant wol en der besten.
2385 f. Wie der Lübecker Druck V. 2381 richtig louede,
'gelobte' statt lonede liest, so ist auch hier zu schreiben:
Dat he mer louede den heren
Den he gheuen mochte myt eren.
2475. De erde gift suluer unde golt
Blmnen gras derte wolt
(hrte „Tiere" fügt sich nicht in den Zusammenhang. Zu lesen ist
(krto, dazu (vgl. Gloss. S. 17).
2505. Wy hebben ghelesen van den ioden
Do se sik to gode boden
Do se van hungere weren vale
Unde leden grote quäle
An dem wolde dar se lepen,
wolt in der Bedeutung „Wüste" ist nicht weiter belegt. Ich vermute
an der wilde. Vgl. mhd. wilde f. 'Wildniss'. Nach ten Doornkaat
Koolmans Ostfries. Wörterbuch III, 551 heisst in Ostfriesland ein
Stück wüst und unangebaut liegendes Land eine wilde.
2528. sin lif wert vil dicke gestucket. Im Glossar S. 89 wird
die Vermutung ausgesprochen, dass gestuket, zusammengestaucht zu
lesen sei, doch findet sich für stuke nach Vilmars Hess. Idiot. S. 405
auch stucke.
64
2570. He Hpracli de arsfe de den witi
Vant also dat seholde sin
De was her noe ghenant.
Statt arste ist erste zu lesen; vgl. 3816 erste statt arste.
3057. Ik Jxope rindere efte per de,
Äcker, rissche na eren tcerde
rissche wird im Glossar S. 103 als „Fische* erklärt, doch ergibt
der Zusammenhang, dass tvische „Wiesen*^ zu lesen ist; vgl. Mnd.
Wb. V, 739.
3314. In der Überschrift zu diesem Verse wie in V. 3316 passt
seriuersy scriuer nicht in den Zusammenhang, der vielmehr scroders,
scroder „Schneider* verlangt.
3325. Er er worde hebben se hale
Komen se myt en in de sale
linde taten alle böse tvenken
Dat gude vroutven moghe krenken.
Wat den oghen kumpt ter dore
Dat bringhed et allent dem Herten vore,
sale V. 3326 wird im Gloss. S. 78 als Plural von sal, Wohnung,
erklärt; nach dem Zusammenhange ist aber tale, Rede, Unterhaltung,
zu vermuten, wenken wird im Gloss. S. 114 als sw. v. ^= „winken*
erklärt; zur näheren Erläuterung dient die im Mnd. Wb. V, 670
angeführte Stelle aus dem Eccles. (Sir. 27, 25): De dar wenket mit
den oghen, de smedet nicht gudes (annuens oculis fabricat iniqua).
Die Verse 3329 f. bedürfen noch der Erklärung oder Verbesserung.
4526. In groter wollust ghegt dyn voet
Unde untellick is din moet
Unde hevest der vroude tvesen quyd.
Statt des nicht in den Zusammenhang passenden untellick lese ich
untemelick, unziemlich.
4618 ist ursprünglich Randnote; vgl. 4625.
4668. Ok wesen se truwe also den heren
Dat se sik suluen nicht sweren besmeren.
Unde ere consciencie mede.
Zu lesen ist: Dat se sik suluen nicht besweren,
4731. canate scheint aus karnute (kornute, kornote) entstellt.
Die V. 4730 ff. erzählte Geschichte behandelt den von Rüdiger
von Hunkhofen im „Schlegel* bearbeiteten Stoff; vgl. v. d. Hagen,
Gesammtabenteuer II, S. LVIII ff.
NORTHEIM. R. Sprenger.
65
Die Mundart der Prignitz.
Einleitung.
§ 1. Die im Folgenden dargestellte Mundart wird in den beiden
brandenburgischen Kreisen der West- und Ostprignitz (WPri und OPri)
gesprochen. Zu Grunde gelegt ist die Mundart des Pfarrdorfes
Boberow, in der nordwestlichen Ecke der Westprignitz. *)
*) Die gebrauchten Lautzeichen werden § 47 erklärt. Von den angewandten
Abkürzungen bedürfen nur die folgenden der Erläuterung:
Behaghel, Pauls Gr. = Geschichte der deutschen Sprache in Pauls
Grundriss B. I. 2. Aufl.
Bratring, s. § 10.
Gott. = Gottonianus, Londoner Uandschr. des Heliand.
Gedike, s. § 10.
Graupe = Graupe, de dialecto marchica quaestiunculae duae. Berliner
Dissertation 1879.
Heilig = Heilig, Grammatik der ostfränkischen Mundart des Tauber-
grundes. Lautlehre.
Hindenberg, s. § 10.
Holt hausen, As. El. = F. Holthausen, Altsächsisches Elementarbuch.
Maurmann = Maurmann, Grammatik der Mundart von Mülheim a. d. Ruhr.
Mon. = Monacensis, Münchener Handschr. des Heliand.
Rom. = Romania.
Schlüter bei Dieter = Laut und Formenlehre der altgermanischen
Dialekte, herausgegeben von Dieter. Altsächsisch. Band I, Leipzig
1898. Band II, Leipzig 1900.
Tümpel, Ndd. Stud. = H. Tümpel, Niederdeutsche Studien. Bielefeld
und Leipzig 1898.
mbr., mmeckl. = mittelbrandenburgisch, mittelmecklenburgisch, d. h. die
mittelniederdeutsche Sprachperiode des Märkischen und Mecklen-
burgischen.
Meckl., meckl. = Mecklenburg, mecklenburgisch.
mlat. = mittellateinisch. Pom == Pommern.
mnl. = mittelniederländisch. SPri = Südprignitz.
NPri = Nordprignitz. ug. = urgermanisch.
OPri = Ostprignitz. vlat. = vulgärlateinisch.
Pri = Prignitz. WPri = Westprignitz.
Es ist mir eine angenehme Pflicht, auch an dieser Stelle all den Herren zu
danken, die mir in liebenswürdigster Weise durch Angaben und Winke mancherlei
Art beigestanden haben. Unter ihnen gebührt ein ganz besonderer Dank Herrn
Prof. Fr. Jacobs in Metz, dem treuen Freunde und gründlichen Kenner seiner
heimatlichen Mundart der Prignitz.
Es war mir auch vergönnt, auf der Eönigl. Bibliothek zu Berlin die Karten
von Wenkers „Sprachatlas des Deutschen Reichs" einzusehen. Wenn auf einige
üngenauigkeiten und Irrtümer in diesen Karten aufmerksam gemacht worden ist,
so ist es stets mit der Ehrerbietung geschehen, die dem gewaltigen Werke gebührt.
Niederdeutsches Jahrbuch XXXI. 5
66
Lage und Grenzen des Gebietes lassen sich sehr leicht be-
stimmen. Die Prignitz bildet den nordwestlichen Vorsprang der
Provinz Brandenburg ; sie schiebt sich wie ein Keil zwischen Mecklen-
burg, Hannover und die Altmark. Im Norden und Nordwesten stösst
die Prignitz ohne deutliche natürliche Grenze an Mecklenburg, im
Südwesten ist die Elbe die Grenze, im Süden die Havel mit der
Dosse und im Osten wiederum ungefähr die Dosse, die, aus Mecklen-
burg kommend, in einem weiten Bogen an Wittstock vorbei nach
Süden fliesst und erst in ihrem Unterlaufe eine westliche Richtung
einschlägt. Doch ist auch das zur Ostprignitz gehörige Gebiet östlich
der Dosse mitberücksichtigt worden.
§ 2. Die Mundart der Prignitz steht ganz auf niederdeutscher
Lautstufe. Nur Lehnwörter aus dem Hochdeutschen zeigen die hoch-
deutsche Lautverschiebung.
Genauer genommen gehört die Mundart dem Ostniederdeutschen,
d. h. den niedersächsisch-niederfränkischen Mischmundarten in dem
ehemals slavischen Gebiete östlich der Elbe an. Es lassen sich
wiederum unterscheiden das Nordwestprignitzische und das Südost-
prignitzische ; der Hauptunterschied ist, dass im ersteren das nieder-
sächsische Element mehr als im letzteren vorherrscht. Vom Alt-
märkischen im Westen, wenigstens dem in dem Striche an der Elbe
gesprochenen, unterscheidet sich das Westprignitzische nicht merklich.
Fast ebenso unmerklich geht nach Osten zu das Ostprignitzische in
das Uckermärkische des Kreises Neu-Ruppin über. Der w^ichtigste
Unterschied vom Havelländischen nach Süden hin ist der allgemeine
Schwund des End-e im Prignitzischen. Auch sind die Mundarten der
Kreise Neu-Ruppin und Westhavelland noch mehr vom Hochdeutschen
durchsetzt: sogen, s impurum ist in den beiden Kreisen zu s ge-
worden, Verkehrswörter wie die Zahlen sind schon vielfach ver-
hochdeutscht. Nach Norden und Nordwesten zu aber, d. h. zwischen
dem Prignitzischen auf der einen und dem Mecklenburgischea und
Hannoverschen auf der anderen Seite, liegt eine deutliche Mundarten-
grenze vor (s. § 6). Der Prignitzer erkennt sofort den Mecklenburger
an seiner Mundart, und umgekehrt. Die Bauern von Cremmin (Meckl.)
und Warnow (Pri), Semmerin (Meckl.) und Milow (Pri), Pols (Meckl.)
und Seedorf (Pri) ackern und heuen nebeneinander, aber sie sind
sich bewusst, dass sie eine verschiedene Mundart sprechen.
§ 3. Die eigenartigen Umstände, unter denen die Mundart der
Pri entstanden ist, machen es nötig, kurz auf die Geschichte der
Landschaft einzugehen.
Zu Tacitus' Zeit wohnten in der heutigen Prignitz swebische
Semnonen (Bremer, Pauls Gr. HI 927 ff.). Um 700 ist ihr Land
schon von Slawen (Wenden) besetzt gewesen. In der Prignitz sassen
die Ljutizen, von den Deutschen Wilzen genannt (vgl. Wils-nack),
Nördlich von ihnen jenseits der Eide sassen die Obodriten. Nach
slawischer Sitte wird ein breiter Gürtel von Wäldern und Sümpfen
die beiden Stämme von einander geschieden haben, und es ist vielleicht
67
nicht zufällig, dass noch heute weite Waldungen das alte Grenzgebiet
anfüllen. Sie beginnen östlich von Dömitz und ziehen sich von Grabow
in Meckl. mit einer nördlichen Ausbuchtung über Ludwigslust, Neu-
stadt, Parchim nach der mecklenburgischen Seenplatte mit der Müritz,
der nach Süden zu wieder die Wittstocker Heide vorgelagert ist.
Diesseits und jenseits des unbewohnten Gürtels scheinen eine Kette
von Burgwällen den Bewohnern zum Schutz und zur Verteidigung
gedient zu haben. Spuren solcher Burgwälle sind in der heutigen
Prignitz bei den Dörfern Pinnow (WPri) und Jabel (OPri) und am
Karwebach gefunden worden (cf Zache, Brandenburgia X 177 f),
alle drei nicht weit von der Landesgrenze.
Um die Mitte des 12. Jahrhunderts war das Land nordöstlich
der Elbe von den Deutschen endgültig zurückerobert worden, und
zwar die heutige Pri von Albrecht dem Bären, der westliche Teil des
heutigen Mecklenburg von Heinrich dem Löwen. Die Pri gehörte
nach der Eroberung zur Diözese Havelberg, Erzdiözese Magdeburg.
Das Bistum Havelberg erstreckte sich wiederum bis zur Eide und
umfasste auch den Murizzi-Gau mit Plan und Röbel. Das Land
nördHch von der Eide gehörte zu den Diözesen Ratzeburg und
Schwerin, Erzdiözese Bremen-Hamburg. Die Markengrenze war also
auch die Diözesangrenze. An der Eide entlang lagen die mecklen-
burgischen Grenzburgen, wie Dömitz, Grabow, Neustadt, Parchim,
Flau, Malchow; ihnen parallel zogen sich die neuen Grenzfestungen
der terra Havelberg oder der Vormark, also etwa Lenzen, Dallmin,
Putlitz, Meyenburg, Freyenstein. Denn terra Havelberg oder Vormark
Hess dieser mit der heutigen Altmark eng verbundene Teil der neu-
gegründeten Markgrafschaft Brandenburg. Der heutige Name Prignitz
taucht erst im 14. Jahrhundert auf.
Anm. Zar Zeit der Wendenherrschaft hiess die Prignitz terra Bri- oder
Pfizanorum (s. u. a. Helmold, Chron. Slav. I, 37. 88). Die meisten stellen Brizani
und Prignitz sprachlich zusammen (s. vor allem Müschner, Zs. f. Ethnologie 18, 376).
Wohl mit Recht. An die Brizani scheinen noch zu erinnern: Gross-, Mittel-,
Klein-Breese bei Wittenberge, Breetz bei Lenzen, Bresch bei Putlitz. Alle diese
Namen werden zum aslav. breza Birke gestellt. Prignitz also „Das Birkenland*.
Das Land zwischen diesen Grenzburgen, ja diese Grenzburgen
selbst waren Jahrhunderte lang strittig zwischen den Markgrafen von
Brandenburg oder brandenburgischen Grossen und den mecklen-
burgischen Herren, von denen für die Westprignitz die Grafen von
Dannenberg und von Schwerin in Betracht kommen. Die Oberhoheit
über das Land bis zur Eide, der alten Markengrenze, nahmen die
Brandenburger Markgrafen jedenfalls in Anspruch, und jeweiliger
Besitz der Grafen von Dannenberg und von Schwerin südlich der
Eide muss auf Belehnung zurückgeführt werden ; auch ist ihr Einfluss
dort sicherlich nie gross gewesen. Die heutige Grenze datiert erst
aus dem 14. Jahrhundert. 1354 wurde Burg und Stadt Grabow für
Mecklenburg erobert, 1358 kam das Land Neustadt-Mamitz mit der
übrigen Grafschaft Schwerin durch Kauf an Mecklenburg.
5*
68
§ 4. Mitte des 12. Jh. also, genauer 1157, wurde die Prignitz
von Deutschen besiedelt. Die Eindeutschung ging schnell und gründ-
lich vor sich; die Hohenzollern fanden, ausser den vielen slavischen
Orts- und Personennamen, wohl kaum noch ein wendisches Wort vor;
selbst die Flur- und Feldnamen sind durchaus deutsch.
Anm. Ich glaube, dass namentlich Namen von Fischen wendischen Ur-
sprungs sind, wie plöts Plötz, kr^ts Karausche, pits in kurplts Peitzger, denn
die Fischerei verblieb hauptsächlich den Wenden (Kietze).
Für die Erkenntnis der heutigen Mundart ist die Frage nach der
Herkunft dieser Ansiedler von grösster Wichtigkeit. Während Mecklen-
burg fast ausschliesslich von Sachsen kolonisiert wurde, ist die
Mark von Sachsen und Niederfranken germanisiert worden. Der
beiderseitige Anteil an der Ansiedlung bildet eine Streitfrage. Ich
bin durchaus der Meinung Rudolphs (die niederländischen Kolonieen
der Altmark im 12. Jh., Berlin 1889, bes. S. 92,) und Bremers
(Pauls Gr. III, S. 873), dass Helmold, Chron. Slav. I, 88 in Bezug
auf die Einwanderung von Holländern übertrieben hat, und dass
auch in der Pri das sächsische Element überwog. Es lag in der
Natur der Sache, dass die Ansiedler hauptsächlich aus der Altmark,
dem daran grenzenden Ostfalen und aus Nordthüringen kamen. Die
zur Schutzwehr gegen die Slawen neuangelegten Burgen wurden von
Albrecht dem Bären sicherlich treuergebenen sächsichen Adligen und
Dienstleuten anvertraut; die auf dem Lande angesiedelten ritter-
mässigen Vasallen, die unter dem Befehl der Inhaber der Haupt-
burgen standen, werden auch Sachsen gewesen sein, s. Riedel, Cod.
diplom. Brandenb. I,i S. 17. Eine beredte Sprache redet auch die
Übereinstimmung vieler Ortsnamen in der Pri mit solchen der Alt-
mark oder anderen altsächsischen Gegenden, s. Riedel a. a. 0. S. 18
und Die Mark Brandenburg im Jahre 1250, I, 443, II, 46 ff. Die
beiden westprignitzischen Ortschaften Strigleben und Sargleben (mnd.
Sarkeleve, Strigleve), weisen mit ihrem -leben vielleicht auf nord-
thüringische Ansiedlung, wenn auch 4eve wohl nur eine ümdeutschung
von slaw. -low^ 4af ist, vgl. Seelmann, Ndd. Jb. XII, S. 7 ff., bes.
S. 15 und 24. Um Perleberg und Pritzwalk herum finden sich viele
Dörfer auf -hagen; vgl. ö. von Perleberg: Spiegelhagen, Rosenhagen,
Burghagen, Simonshagen — zwischen Perleberg und Pritzwalk:
Wolfshagen — nördl. von Pritzwalk: Schönhagen, Steffenshagen, Giesen-
hagen, Falkenhagen, Rapshagen, Ellershagen — zwischen Pritzwalk
und Kyritz: Brüsenhagen. Sie werden von vielen als sächsisch-
westfälische Siedelungen angesehen. Ich weise noch hin auf die
Endung -losen (slaw.?) die sich in der Altmark (Aulosen), in der
Pri (Cumlosen), in Meckl. (Gorlosen) findet.
Es scheint mir aber doch, als ob immerhin der südliche Teil
der Pri unter grösserer Beteiligung von niederfränkischen Ansiedlern
kolonisiert worden sei als der nördliche. Dafür sprechen zunächst
einige sprachliche Eigentümlichkeiten dieses Gebietes. 0. Bremer
69
hat in seiner ^Ethnographie der germanischen Stämme^ (Pauls Gr. III)
auch die heutigen mundartlichen Verhältnisse für die Beurteilung der
Kolonisationsfrage herangezogen und S. 896 f. und 898 f. eine Reihe
von sprachlichen Merkmalen angeführt, die für das sächsische oder
aher für das niederfränkische Element sprechen sollen. (Vgl. dazu
auch Braune, P. Br. Beitr. I, 1 und neuerdings M. Siewert, Ndd. Jb.
29, S. 66 f.) Im Gegensatz zur nördl. Pri und zu Meckl. sind nun
der südlichen Hälfte zwei der wichtigeren Bremerschen Kriterien für
das Niederfränkische eigentümlich: intervokalisches d ist hier zuj,
g vor Vokalen ebenfalls zu j geworden. Dazu kommen noch eine
Reihe anderer Besonderheiten in Lautstand und Wortgebrauch, wor-
über § 7 zu vergleichen ist. Es darf auch nicht unerwähnt bleiben,
dass der Südprignitzer den Nordprignitzer wegen seiner sonoreren,
langsameren Sprache und wegen der grösseren Modulation im Satze
leicht für einen Mecklenburger hält, vgl. auch § 8 a. Zu den sprach-
lichen Merkmalen aber kommen noch einige ethnographische. Frou
Gour (= Frö Göde)y die in ganz Mecklenburg bekannt ist, treibt in
den 12 Nächten ihr Wesen nur in der nördlichen Pri, bes. der West-
I^rignitz; südlich etwa der Landstrasse Wittenberge -Perleberg -Pritz-
walk - W^ittstock ist sie durchaus unbekannt. Nicht so weit nach
Süden, jedenfalls aber etwas weiter nach Süden, als ß. Mielck, die
Bauernhäuser der Mark, Berlin 1899 S. 1 annimmt, reicht das Ver-
breitungsgebiet der altsächsischen Bauernhäuser. L. Fromm gibt
im „Archiv für Landeskunde in Mecklenburg« Jg. 16 (1866) S. 291 f
als Grenze des Verbreitungsgebietes nach Süden zu eine Linie an, die
sich von Meyenburg über Putlitz, Karstadt, Mankmus nach Lenzen
an der Elbe ziehen würde. Das stimmt mit meinen eigenen Wahr-
nehmungen überein. Von Boberow ist im besonderen zu sagen, dass
bis 1800 hier alle Bauernhäuser altsächsisch waren. Das älteste
stammte aus dem Jahre 1600. Heute sind nur noch zwei altsächsische
Häuser im Dorfe, und auch sie dienen nicht mehr zum Wohnen. —
Es ist gewiss nicht zufällig, dass diese Grenzlinie ganz genau sowohl
mit der Sprachlinie zusammenfällt, die das monophthongische vom
diphthongischen Gebiet trennt, einer Linie, die auch für den Wort-
gebrauch von Bedeutung ist, als auch mit der Sprachlinie, nördlich
von der intervokales d > r gewandelt ist, s. § 7, 1 u. 2.
Dem gegenüber muss festgestellt werden, dass der Beweiskraft
der beiden Bremerschen Kriterien für stärkere niederfränkische An-
siedlungskontingente in der SPri Abtrag getan wird durch die
Wahrnehmung, dass ein anderes ^niederfränkisches« Kriterium, die
Diphthongierung der auslautenden und antevokalischen t und ü zu
äi und ou (z. B. fräi < as. frl frei, botwn < as. büan bauen), für die
ganze Pri, also auch für den an Meckl. unmittelbar anstossenden
Teil gilt, so dass für diese Erscheinung die politische Grenze zwischen
Meckl. und Pri auch die Mundartengrenze ist, vgl. § 6, 1); noch
mehr aber durch die Wahrnehmung, dass zwei der allerwichtigsten
Kriterien, die Endung -(e)n im Plur. Praes. (sächs. -(e)t) und die
70
Erhaltung des n in uns (sächs. us) nicht nur in der ganzen Pri
gelten, sondern ihr auch noch mit ganz Mecklenburg gemeinsam
sind. Dass aber Meckl. überwiegend von Sachsen besiedelt worden
ist, nimmt auch Bremer an. Vgl. zu der ganzen Frage meinen
Aufsatz: Über die Entstehung der Mundarten, Programmabhandlung
des Königl. Prinz Heinrich-Gymnasiums, Berlin 1906.
§ 5. Von vorneherein wäre man geneigt anzunehmen, dass sich
Niederländer hauptsächlich in der Eibniederung angesiedelt hätten.
Hier kommt zunächst die sogen. Lenzer Wische in Betracht. Die
Lenzer Wische ist das Gebiet zwischen der Löcknitz, Elbe und Eide;
sie erstreckt sich von Lenzen bis in die Nähe von Dömitz und um-
fasst die Ortschaften Mödlich, Gr.- und Klein -Wootz, Rosensdorf,
Kietz, Unbesandten, Besandten, Baarz, Gaarz, alle an der Elbe;
dann Bäkern, Seedorf, Breetz an der Löcknitz, Eidenburg und Moor
nördlich von der Löcknitz. Es ist ein merklicher Unterschied zwischen
diesen Dörfern und den anliegenden Dörfern auf der „Höhe^. Sie
treiben Viehwirtschaft, während die Höhendörfer Körnerbau treiben.
Die meisten Bauernhäuser sind noch jetzt niedersächsisch. Die
Wischer Bauern dünken sich mehr als die der Höhendörfer; Heiraten
zwischen Wische und Höhe sind nicht beliebt. Die Dörfer der Wische
sind z. T. Fadendörfer, und die Flureinteilung ist flämisch, d. h. das
Feld schliesst sich in langen Streifen an die Höfe an. Die Bewohner
halten sich selbst für Nachkommen von Niederländern ; der in Lenzen
vom grossen Kurfürsten als Amtmann eingesetzte holländische Admiral
Gysel van Lyr erkannte in den Einwohnern von Mödlich seine Lands-
leute und liess sich in der Kirche dieses Dorfes beisetzen. Aber es
steht auch fest, dass die Lenzer Wische erst vom grossen Kurfürsten
neu besiedelt worden ist, nachdem sie durch Überschwemmungen und
den 30jährigen Krieg so gut wie entvölkert war. Ein Teil der neuen
Ansiedler wird tatsächlich aus den Niederlanden gekommen sein; ein
nicht geringer Bruchteil stammt aber aus dem Lüneburgischen. Aus
der Form der Häuser lässt sich nicht direkt auf niederländische
Herkunft schliessen. Virchow hält sie für westfälisch (Zs. f. Ethnologie
1886, S. 422); von Binzer in der Literar. Beilage der Hamb. Nach-
richten vom 18. Juli 1897 schliesst aus der Stellung des Pferdekopfes
auf den Giebeln auf die südliche oder mittlere Lüneburger Heide und
führt für die Herkunft des Hauptteiles der Ansiedler aus dieser Gegend
noch eine Reihe anderer Merkmale an. Die Mundart hat sich in der
Tat nach der sächsischen Seite hin ausgeglichen ; doch hat die Lenzer
Wische einige sprachliche Eigentümlichkeiten, die sie von der Nachbar-
schaft abheben. Der Bauer der „Höhe*' erkennt den Bauern der
Wische an den weit eingesetzten Diphthongen au, äy, äi (< germ. ö;
Umlaut dazu; e, io): es heisst in der Wische also kau, käy, präistd,
während die Nachbardörfer kou, köy, preistä (= Kuh, Kühe, Prediger)
sagen; es heisst in der Wische häy Heu, väftäy Webstuhl, fräy9n
freuen, auf der Höhe entlabialisiert häi, tat, fräün; die Praeterita
der modalen Hülfszeitwörter lauten in der Wische kim, muxt, zol,
71
auf der Höhe umgelautet kiln, miM, zül = konnte, mochte, sollte
(vgl- § ^)5 ich bin gewesen, gekommen: in der Wische ik hef vest,
Mm, auf der Höhe ik bün vest, kam; die Wische sagt für Kartoffeln
aufnehmen tävl luzln, die angrenzende Höhe tilvl raky, u. a.
In Bezug auf die Diphthonge au, äy, äi sei hier noch folgende
bemerkenswerte Tatsache hervorgehoben : An der Mecklenburger
Landesgrenze entlang lauten sie in der Pri im äussersten Westen,
d. h. in der Lenzer Wische au, äy, äi, dann aber oii, öy, ei, ja in
der OPri ö, o, e: Meckl. fangt umgekehrt im Westen mit ou, öy, ei
an und endigt im Osten, um Röbel herum, mit den weiten Diph-
thongen au, äy, äi.
Auch die Bewohner der beiden südlich von Lenzen an der Elbe
gelegenen Dörfer Jagel und Lütkenwisch halten sich für Nachkommen
von Niederländern. Es gebe in Holland zwei Nachbardörfer mit ähn-
lichen Namen. Ich habe solche Dörfer trotz eifrigen Bemühens nicht
auffinden können. Die Feldmark in diesen Dörfern war ehedem in
Gewanne geteilt, auf Grund der Dreifelderwirtschaft, die bis zur
sogen. Separation, d. h. etwa bis 1840, in der ganzen Pri ge-
herrscht hat.
§ 6. Es ist schon gesagt worden, dass die Mecklenburger
Landesgrenze zugleich eine Mundartengrenze ist. Die wichtigsten
sprachlichen Abweichungen an der Landesgrenze sind nun folgende:
1) As. l und ü vor Vokal sind in Meckl. erhalten geblieben, in
Pri zu äi und ou diphthongiert; meckl. bü9n bauen, frtan heiraten
(od. bügy^ f^'^V) entspricht prign. homn^ fräidn (s. § 4 und § 243).
2) As. 'äja- in den Wörtern nhd. mähen, drehen, säen, Krähe
u. s. w. ist in Meckl. durch ai, in Pri durch ä vertreten. Meckl.
sagt also mäieUj dräidn^ zäwn^ väian^ kläian, kräi — Pri : mä9nj drädn^
zmi^ vä9n, kläan^ krä. Vgl. § 7 und § 76.
3) e, i -|- r -h Gaumen, Lippenlaut und r, s, t sind in Meckl. ä
(etwas mehr als halblang), in Pri zu ä (etwas mehr als halblang)
geworden. Meckl. sagt also: haix Berg, bäik Birke, maiky merken,
ärgän ärgern, stäfm sterben, häftst Herbst, bast7i bersten, gastn Gerste
u. s. f. (vgl. Nerger § 159,2) für bäfx^ bäik^ mäiky^ äigän stäfm^
hdtvst, bästn^ gästn. Dieses a vor r findet sich in Meckl. schon seit
dem 16. Jh., s. Nerger § 13 und vgl. Lübben § 19. Meckl. sagt
auch dat das, dass, dan den, 7nan nur, a7iä ander, gant7i Gänserich
für dät^ däuy män^ änä^ gäntä in Pri (s. § 48, Anm. 2).
4) Wo sonst in Pri ä steht (s. §§ 51, 54) spricht Meckl. e,
z. B. krem Kränze; hem Hemd; het hat; zext^ lext sagt, legt; em ihm,
ihn; fem Leder, lerix leer, verä wieder — für kräm^ häffi^ hät^ zäxt^
läxt, aw, lärä, lärix, värä,
b) e < e und germ. ai, ö < o und germ. au vor r -h Zahnlauten
sind in Meckl. > ^ und ü geworden, in Pri e und ö geblieben. Meckl. :
pUtVierd^ län ehren; j>?7^^ Pforte, iiä Ohr — Pri: ped^ eän; pö9t^ öä.
Auffallend ist, dass auch einige Dörfer der WPri dieses i und ü haben :
Glövzin im Norden, Vehlgast und Jederitz südlich von Havelberg.
72
Der Übergang von e > l lässt sich schon in mnd., und zwar auch in
mbr. Urkunden nachweisen; vgl. Tümpel, Ndd. Stud. S. 35 f.
6) e {< germ. ai) und ö (< germ. au) sind in Meckl. zu ei^ ou
diphthongiert, in Pri nicht. Meckl. eiyi ein, dout tot — Pri: en^ döt.
Es lauten also mnd: ö {= ug. ö, ahd. uo) und mnd. ö (= ug. au)
einerseits, mnd. e (= germ. io^ e^) und mnd. e {= germ. ai) im
Mecklenb. gleich, vgl. gout gut und grout gross ; deip tief und ein ein.
7) Einzelheiten: Abweichenden Umlaut hat Meckl. in zun Sonne,.
drägy tragen, beyk Bank, pröym proben, rVÜcy riechen (Pri: zun^
drägy^ bayk^ proum^ rüky)\ abweichende Tondehnung in mKl Mühle,
äl Elle, änt Ente, ämk Ameise (Pri: möl^ el, änt^ dmk); abweichende
Rundung föftäin 15, fölt fällt u. a. (Pri: fäftäin^ fält)^ umgekehrt
aber fäl viel, späln spielen für prign. /"ä/, spkln] abweichende Meta-
thesis in dötäin^ dötix 13, 30 (Pri: drütäin, drälij-); abweichende Ver-
kürzung in plimi Pflaume (Pri : plüm) ; abweichende Länge in veist^
veit weisst, weiss, zln sein (Pri: vetst^ vet^ zin) u. a. m.
8) Abweichender Wortgebrauch : ,Storch' heisst in Meckl. (westl,)
ädaböä, (östl.) äibödrä^ in Pri (westl.) heinodä^ (östl.) knäpnä\ Klösse
heissen in Meckl. klümp^ in Pri klMn\ Kartoffel aufnehmen in Meckl.
kdtüvl kläian^ in Pri tiivl raky\ lex heisst in Meckl. 1. mager, 2. schlecht,
in Pri mager, strichweise niedrig; meckl. knäp Dummheiten,
Streiche ist in Pri unbekannt, ebenso ütnäidn ,ausnähen', weglaufen
(Pri: ütrttn).
9) Für OPri kommen noch einige Unterschiede hinzu, die für
WPri nicht gelten. OPri ist mit Ausnahme der kleinen Westecke um
Porep herum monophthongisch; in dem angrenzenden Teile von Meckl.,
also um Röbel, Malchow, Waren, Penzlin herum, werden germ. ö, e, io
gerade als weite Diphthonge gesprochen (vgl. § 5). In OPri ist
intervokales d nicht zu r geworden wie in Meckl. und dem nördlichen
Teile von WPri.
§ 7. Es folgen die Laut- und Wortlinien innerhalb der
Prignitz. Ich fange von der mecklenburgischen Landesgrenze an und
behandle zuerst die horizontalen Sprachlinien (von der Elbe ab
in östlicher Richtung gehend).
1 a. Die monophthongische Linie.
Von der Mecklenburger Landesgrenze bis zu dieser Linie werden
(wie in Meckl.) germ. as. ö (ahd. uo)^ der Umlaut dazu, germ. as. e,
io diphthongisch, und zwar ou^ öij, ei (in der Lenzer Wische nach
§ 5 aiiy äy, äi) gesprochen, südlich dieser Linie öj ö, e. Es stehen
sich also gegenüber: houn Huhn, höynä Hühner, preistä Prediger,
zein sehen, hei er und hörij honä, prestä, zeuy he. Die Grenze ist
haarscharf. Sie beginnt an der Elbe südlich von Gandow bei Lenzen,
geht zunächst ungefähr die Löcknitz entlang, und zieht sich von
Wustrow leicht nordöstlich in einem etwa 2 Meilen weiten Abstand
parallel der Landesgrenze bis Premslin (an der Berlin-Hamburger
Chaussee, zwischen Perleberg und Karstadt); von da schärfer nord-
östlich über Blüthen ungefähr die Landstrasse Karstädt-Putlitz entlang
73
und in der Richtung dieser Strasse bei immer geringer werdendem
Abstand von der Landesgrenze bis zur Landesgrenze, so dass von
OPri nur ein kleiner Zipfel, mit Porep im Mittelpunkte, zum diphthon-
gischen Gebiet gehört. Die diphthongischen Grenzdörfer sind:
Gandow, Wustrow, Verbitz, Birkholz, Mesekow, Glövzin-Premslin,
Blüthen-Strehlen, Bresch, Pirow, Lütkendorf, Porep (OPri); die
monophthongischen: Lütkenwisch (a. d. Elbe), Jagel, Lanz,
Laaslich, Nebelin, Quitzow, Schönfeld, Guhlow, Beetz, Gühlitz,
Mansfeld, Telschow, Stepenitz. Von Städten ist diphthongisch nur
Lenzen. Alle übrigen Städte der Pri, auch Putlitz, Meyenburg, sind
monophthongisch.
Anm. 1. Seelmann hat nicht recht, wenn er Ndd. Jb. 18, 145 das süd-
westliche Mecklenburg zum monophthongischen Gebiet rechnet.
Anm. 2. Die einschlägigen Wenkerschen Karten geben die Grenze nnr
QQgenaa an. Am genauesten ist noch die müde-Earte. Sie fängt richtig an,
wendet sich aber bald mit einem Keil nach Norden, sodass Verbitz und Bambow
bei Lenzen mod sprechen sollen und Boberow hart an der monophthongischen
Linie zu liegen kommt. Aber Bambow spricht wie Boberow fnöi/r, und die
Verbitzer lachen über das 5 der Lanzer. In anderen Karten (Bruder, drei, fliegen,
Gänse (d. h. gös, gäus) ist die Grenze noch ungenauer, in der westlichen Hälfte,
wo sie sich hart an der mecklenburgischen Grenze entlang zieht, 1 — IV« Meilen
zn weit nördlich : Lenzen, Boberow, Karstadt werden dort dem monophthongischen
Gebiet zugewiesen. Ich bemerke hier ausdrücklich, dass ou, öy, ei sich in jedem
einzelnen Worte Tollkommen decken.
Dass die eigentümlich weite Aussprache dieser Diphthonge in der Lenzer
Wische (§ 5) auf den Karten nicht zu Tage tritt, ist nicht verwunderlich. Die
Übersetzer (z. B. der in Mödlich) fanden ja nichts Auffälliges an ihrer Aussprache,
anch hätten sie kaum ein Mittel gehabt, sie auszudrücken.
1 b. Das diphthongische Gebiet hat noch eine Reihe weiterer
sprachlicher Besonderheiten, besonders im Wortgebrauch: Webstuhl,
freuen, streuen, Heu heissen hier entlabialisiert (abgesehen von der
Lenzer Wische, § 5): väftdi, fräion, strämi, hat, sonst väftöyj fröydn,
ströij9n, höy (vgl. § 98 u. Anm.) ; ,euch, euer' heisst joii^ im monoph-
thongischen Gebiet y«e (Meckl.: ^w^r); , Schwalbe': swMk (s. § 131), im
monophth. Gebiet sivalv; Ziehbrunnen zöt, im monophth. Gebiet, aber
auch schon in Karstadt, Glövzin, Premslin, Porep: pütn (§ 68); der
,Wiesenbaum' : bäsböm (auch in Reetz, Gühlitz, Mansfeld, Putlitz),
im monophth. Gebiet väsböm (s. § 126 Anm., § 188); ,Egge': ex
(Lenzer Wische: Ar), im monophth. Gebiet äxt; ,Kossät': kosä, im
monophth. Gebiet kotsd; ,Enterich' väffkä (§ 121 d), im monophth.
Gebiet ärjil; vrädn dichter Wasserdampf, im monophth. Gebiet väzn
(mnd. wasem).
2 a. Die r : d :j -Linie.
a) Intervokales d (< as. [), d, d = hd. d, t) in Wörtern wie
,müde', ,Leute', , Braten' ist wie in Meckl. zu r geworden auf einem
Gebiete, dessen südliche Grenzlinie sich bis Nebelin mit der diphthon-
gischen Linie genau deckt, dann aber an Glövzin-Premslin nördlich
74
vorbeigeht, so dass Karstadt an der Berlin-Hamburger Chaussee und
Eisenbahn das Grenzdorf ist, und von hier nicht nordöstlich, sondern
östlich bis an die *Grenze von OPri geht, so dass die monophthon-
gischen Dörfer Reetz, Gühlitz, Guhlow, Back, Tacken, Lockstedt,
Mansfeld noch r haben, während Schönfeld, Gr.-Buchholz, Gramzow,
Strigleben bereits d haben. Vom Schnittpunkt der r-Linie mit der
Kreisgrenze bildet diese die Grenzlinie, d. h. die r-Linie geht von
da an direkt nach Norden bis zum Schnittpunkt mit der meckl.
Landesgrenze, Putlitz (WPri) hat schon (/, Porep (OPri) noch r mit
Ausnahme der Endung -den, die dn gesprochen wird {brädn Braten).
So ist Lenzen wiederum die einzige Stadt, die r spricht. Die oben
angeführten Wörter heissen also nördlich und westlich der angeführten
Linie: möyvj lyr, brärn.
Anm. Die monophthongischen Dörfer, wie Reetz, sagen natürlich mor u. s. f.
ß) Südlich des r-Gebietes in WPri, und südlich der meckl. Landes-
grenze in OPri (die ja kein r-Gebiet hat) liegt eine Zone, in dessen
kleinerem westlichen Teile, d. i. den Dörfern der Eibniederung von
Lütkenwisch bis Wittenberge, d ganz verstummt ist, in dessen
grösserem östlichen Teile d als d erhalten ist. Die südliche Grenze
dieses Gebietes ist ungefähr die Landstrasse Wittenberge-Perleberg-
Pritzwalk-Wittstock. In der WPri ist dieses Gebiet nur ein etwa
1^/2 Meilen breiter Gürtel, in der OPri umfasst es die ganze nördliche
Hälfte des Kreises. In diesem Gebiete sprechen also die Dörfer der
Eibniederung: l& Leute, mo müde, Jr&w Braten (so auch in dem
angrenzenden Teile der Altmark), die übrigen Dörfer l^t, mot, brädn.
Y) Im ganzen Gebiet südlich der Linie Wittenberge-Perleberg-
Pritzwalk- Wittstock ist intervokales d nach langem oder gelängtem
Vokale zu einem i-Laute geworden; es heisst dort also IVii, moi,
brä-in oder bräjdn, letzteres dort, wo mnd. -ven vdn statt m gesprochen
wird (s. 3 a).
Die y-Linie ist nicht scharf; sie ging früher nördlich der be-
zeichneten Landstrasse: in Bendwisch, Schilde, Premslin hört man,
besonders von alten Leuten, noch J-Formen. Sadenbeck nordöstlich
von Pritzwalk wird von den alten Einwohnern des Dorfes noch Zäjanbek
genannt. Von den Dörfern an der Chaussee haben J-Formen, ver-
mischt mit ö?-Formen : Spiegelhagen, Pankow, Kuhbier. Jetzt weichen
die J-Formen auch südlich der bezeichneten Landstrasse, namentlich
in der Umgebung der Städte, zurück. Von Dörfern an der Chaussee
kennen sie Weisen bei Wittenberge, Techow bei Wittstock nicht mehr,
und auch in den Dörfern südlich der Chaussee sind sie namentlich
in der Umgebung von Pritzwalk (Kemnitz, Giesensdorf, Buchholz,
Sarnow, Bölzke) und von Wittstock fast ganz verschwunden. Blumen-
thal hat als ein Hauptverkehrsdorf schon die c?-Formen angenommen,
während die Nachbardörfer Grabow, Christdorf noch J-Formen kennen,
namentlich aber in weniger häufigen Wörtern: in Grabow, Christdorf
habe ich Leute getroffen, die väin waten, aber brädn braten sagten.
75
Anm. 1. Der Wandel von d "> j ist belegt aus Drucken und Nieder-
schriften Hamburgs und Mecklenburgs (?) Tom Ende des 16. Jh. ab; s. Nieder-
deutsche Schauspiele älterer Zeit ed. Bolte und Seelmann, S. 161 — 163. Aus
mnd. Zeit ist der Lautwandel nach Bolte nicht belegt, s. aber die Form muger
bei Graupe, S. 30. Aus dem Ende des 18. Jh. gibt für die angrenzende Alt-
mark zahlreiche Belege für j Bratring in seinem Altmärkischen Idiotikon, s. Mss.
bist Boruss. Nr. 77 (§ 10) und vgl. Höfer, Märkische Forschungen I (1841),
S. 150 ff.
Seelmann meint, dass dieses j früher nach Norden zu eine viel weitere
Verbreitung gehabt habe, und dass es sich vom nördlichen Teil der Mark
Brandenburg bis über Hamburg hinaus erstreckt habe. Ich halte diese Annahme
nicht für richtig. Das r in der nördlichen Westprignitz, Altmark und in
Mecklenburg -Vorpommern kann nur aus d entstanden sein; es erklärt sich
einfach aus einer Erschlaffung der Zungenartikulation (§ 13). Das ^-Gebiet der
Prignitz, an das sich nach Westen zu das ^'-Gebiet in der Altmark und nach
Osten zu das ^-Gebiet im Kuppiner Kreise unmittelbar anschliesst, hat seinen
Schwerpunkt und sein weiteres Ausdehnungsgebiet nach Süden zu. Wir haben
vielmehr zwei selbständige ^-Gebiete anzunehmen: das eben bezeichnete im
Süden, und dann ein anderes, das sich von Hamburg aus nach Holstein herein
erstrekte und nach Wenker (s. z. B. die müde-Earte) jetzt die Eibmündung und
das Gebiet Hitzebüttel-Lauenburg-Kiel umfasst.
Anm. 2. Auch die r-, d-, ^-Linien sind bei Wenker immerhin recht un-
genau. Mitten im r- Gebiet sind in den ,müde* — ,rote* — ,Leute* — Karten
Rambow b. Lenzen mit wod, röd^ lüdj Boberow mit rö, lue eingetragen. Beide
Dörfer sprechen möyrj röi\ Vir. Die Fehler rühren ersichtlich daher, dass der
Übersetzer in Rambow aus der Altmark, der in Boberow aber aus Sieversdorf,
Kreis Westhavelland, stammte : Die Übersetzer haben einfach die ihnen geläufigen
Formen eingesetzt. Cumlosen a. d. Elbe soll nieur^ aber ?-ö sagen; es sagt
gleichmässig mZ und rö. Südlich von Pritz walk -Wittstock ist vom eigentlichen
möi-Gebiete mit besonderer Farbe ein mö^- Gebiet abgegrenzt, in das dann viele
??iö-ii-Formen eingetragen sind. Sicher haben die Übersetzer mog mit g geschrieben.
Aber eben in diesem Gebiete wird g vor Vokalen wie j- gesprochen, und die
Übersetzer haben mit diesem g meistens einfach j gemeint, wie sie es ja gewöhnt
sind zu sprechen. So hatte schon Bratring (s. o.) für j < d konsequent g
geschrieben : bägen beten, bläger Blätter. So Hess schon Heinr. Jul. von Braun-
schweig in seiner Susanne, Wolfenbüttel 1593, eine märkische Frau weger
Wetter, brogen gebraten sagen (s. Hollands Ausgabe S. 146). In Bratrings Heimat
wird eben auch g vor Vokalen j gesprochen. Nun ist im südlichsten Teile der
Prignitz auslautendes j < d allerdings zu x geworden. Aber irreführend
bleibt diese Abgrenzung eines wo^^-Gebietes unter allen Umständen. Man ver-
gleiche die Bruder -Karte. Dort ist das dem mog- entsprechende Gebiet (das
hier kleiner ist, da es sich um die Endung -der handelt) als brö-i-Gehiet ver-
zeichnet, und in dieses sind nun wieder zahlreiche &rö^- Formen eingetragen.
Anm. 3. In einem bestimmten Teile des y- Gebietes sind in mnd. -üde(n),
-ide{n)y ti-^, i-i > öt/, ki diphthongiert. ,Leute*, »schneiden' heissen hier also
löy-ij sudLi-dn] s. §§ 103 und 246»
2 b. Die y- Linie ist zugleich die Grenzlinie zwischen dem niks
und Mis^- Gebiet. Auch diese Grenze ist nicht scharf, und nist weicht
im Westen gegen niks^ im Osten gegen nist zurück. Westliche Dörfer
an der Grenze (z. B. Breese, Tuchen) sprechen nist und %iiks^ östliche
76
nist und nist nebeneinander. Namentlich dringt in der Nähe der
Städte niks und nist vor; Wittenberge, Perleberg, Pritzwalk verbreiten
niks^ Kyritz niät. In Gr.-Breese bei Wittenberge heisst es niks und
nist^ in Rosenhagen, Spiegelhagen, Düpow bei Perleberg nur niks, in
Tuchen nist und niks, in Kemnitz bei Pritzwalk niks, in Bölzke noch
nist, in Holthausen, Rehfeld, Berlitt bei Kyritz und so auch zwischen
Kyritz und Wittstock niät. Die Wenkersche ,nichts*- Karte gibt die
Sachlage richtig an, nur ist den aus dem Ruppiner Kreise vordringenden
nist 'Formen östlich von Wittstock und um Kyritz herum nicht genug
Rechnung getragen.
2 c. Mnd. dd < dj, Jy oder < d nach kurzem Vokal ist nicht
zu j geworden. Doch zeigt sich auch hier ein bemerkenswerter Unter-
schied zwischen der nördlichen und südlichen WPri. Dort ist d < mnd.
dd > r geworden, hier ist d geblieben. OPri kennt nur die c?- Formen.
,Boden', ,treten', ,bitten', ,klettern' heissen also in der nördlichen
WPri: hörn, pern, birn, klärän, in der südlichen WPri und in ganz
OPri: hodn, pedn. hidn, klädän (OPri: kledän),
Anm. r < d (mnd. dd) nach kurzem Vokal ist also weiter verbreitet
als r < rf nach langem Vokal, vgl. 2a, 2.
Auf demselben Gebiet, wo mnd. dd > r geworden, ist mnd. hb
(< bj) im Auslaut zu f geworden, das sich vor m < en zu m assimiliert
hat. Es heissen dort ,Rippe', ,Krippe' rif, krif, Mz. rim, krim. Im
südlichen Teile der WPri und in ganz OPri sagt man rip, krip, Mz.
ripm, kripm.
Anm. ,Ich habe' heisst ik hef bmcYl in der nördlichen OPri; die Grenz-
linie für ik hep ist weiter südlich (s. 3 c).
Die Entwicklung von mnd. gg < gj ist der von mnd. dd und bb
in Bezug auf das Verbreitungsgebiet nur in einigen Wörtern analog:
,Brücke', ,eggen' heissen in der nördlichen WPri brilx — hrüyy, eyr),
in der südlichen WPri und in ganz OPri brük — brüky, eky. Dazu
kommt für WPri noch pox — poyy Frosch, das im südlichen Teile
pok — poky heisst (OPri sagt höpä). Bei den anderen Wörtern ist
die Sprechweise der nördlichen WPri (d. h. die Spirans im Auslaut
und Assimilation des g vor y < en) auch verbreitet über andere Teile
der Pri: in der ganzen Pri heisst es zeyy sagen, leyy legen, liyy liegen;
der ganze nördliche Teil von Pri (also auch von OPri) sagt müx
Mücke; die Mz. heisst im südlichen Teil allerdings müky, Roggen
heisstroÄjy (statt royy), ,lege' lek nur im südlichsten Teil der Pri, da, wo
,ich habe' hep lautet (s. 3 c). Vgl. zu dem ganzen Abschnitt § 289.
2 d. Wörter und Wortformen, die dem ganzen J-Gebiet gegen-
über dem nördlichen Gebiet eigentümlich sind: divel Tischtuch (fängt
an zu veralten) — nördlich disdouk', klei-vä Klee — nördlich klevd,
stöt Stute — nördlich stüt (hd.); häz7i Hosen — nördlich höz7i (hd.),
hinä hinter — nördlich axtä^ wobei zu bemerken ist, dass kleivä,
stöt und hind in der ganzen OPri gebräuchlich sind. Das Wort
trämsn Kornblumen ist südlich der y- Linie (und fast in ganz OPri)
unbekannt.
77
3 a. mnd. -ren und -gen (alts. Aian und -gan) nach langem
Vokal werden in einem nördlichen Teil zu silbenbildenden -m und -y
(den lautphysiologischen Vorgang beschreibt Bremer, Deutsche Phonetik
§ 14); in einem südlichen Teil wird -vdn und -j^n bezw. -jdn (im
südlichsten Teil) gesprochen. ,Ofen', ,schreiben' und ,Wagen' heissen
also nördlich der Grenzlinie am, sri-m, rä-y, südlich ä'V9n,,ärZ'imi,
rä-yn oder vä'jdn. Die Grenzlinie läuft etwa 2 Meilen südlich von
der Landstrasse Wittenberge - Perleberg - Pritz walk -Wittstock - Zechlin.
Sie ist also südlicher als die sonst fast gleichlaufende d ; J-Linie, so
dass eine Reihe Dörfer, die j für intervok. d sprechen, noch -m und
-Yf aufweisen (z. B. Breese, Kuhblank, Unze, Kleinow, Gottschow,
Tuchen, Grube, Kletzke- Gr. -Welle, Grabow, Christdorf, Herzsprung).
Diese Grenzlinie ist wieder ganz scharf, so dass Nachbardörfer Spott-
verse aufeinander haben (z. B. Kuhblank auf Lüben). Die Grenzorte
nördlich der Grenzlinie, von der Elbe anfangend, sind: Breese, Kuh-
blank, Grube, Kletzke; Gr. -Welle (OPri), Kehrberg, Schönebeck,
Breitenfeld, Königsberg, Herzsprung, Fretzdorf; südlich der Grenzlinie:
Bälow, Lüben, Wilsnack, Gr.-Leppin, Alt-Schrepkow (OPri), Dannen-
walde, Brüsenhagen, Wuticke, Bork, Teetz.
Anm. 1. Die einschlägigen Wenker^schen Karten (s. ,Ofen^-, ,geblieben^-
Karte) geben auch hier kein ganz klares Bild von dem Tatbestande. Statt -m
und -wen scheidet Wenker oh- und ow-, bläh- und hläw; er stellt also oben
und Owen, blähen und bläwen gegenüber; durchaus unrichtig, denn der 5- Laut
ist durch Vorwegnahme der nasalen Artikulation ganz verloren gegangen; das n
aber ist^ da der ursprüngliche Lippen verschluss des b beibehalten ist, zu m
geworden : statt -ben wird silbenbildendes m gesprochen. Es sind im ben-QeViQte
auch viele m eingetragen; das erweckt den Anschein, als ob die beiden Zeichen
-hen und m verschiedene Aussprache bedeuten, -befi ist aber einfach hoch-
deutsche Schreibung; die t^-Linie ist ferner zu weit nach Norden geraten,
bes. in WPri, so dass z. B. Weisen, Breese, Kuhblank, Wilsnack, Lüben,
Gr.- Welle, Tuchen im bläw-GehiQt zu liegen kommen. Ausserdem sind im bläb-
Gebiete eine Beihe Dörfer verkehrt mit bläw- besonders eingetragen, z. B.
Warnow, Boberow (der Übersetzer stammt ja aus dem Westhavellande, wo
allerdings bUwen gesprochen wird) ; umgekehrt sind im &/äi£;-Gebiete Orte fälsch-
lich mit bläb' eingetragen, z. B. Berlitt. Die Grenze ist wie gesagt haarscharf.
Anm. 2. -jen statt -gen kann naturgemäss erst da anfangen, wo g vor
Vokalen überhaupt zu j geworden ist, s. Linie 4. Tatsächlich wird in den
nördlicheren Dörfern des Gebietes, wo anlautendes g > j geworden ist, noch
-gm gesprochen.
3 b. Nördlich der -m : vdn Linie heissen ,ich sollte, gesollt, ich
konnte, gekonnt, ich mochte, gemocht, ich musste, gemusst' mit
Umlaut: zillj zült; kün, künt; milxty müxt; milstj müst — südlich von
ihr ohne Umlaut: zol, zolt; kun, kunt; miixt, nwxL Die letzteren
Formen hatten wir schon in der Lenzer Wische (§ 5) kennen gelernt.
In einigen anderen Verbalformen hat aber die Lenzer Wische ebenso
wie das Gebiet nördlich der 3 a -Linie Umlaut, das Gebiet südlich
wiederum keinen Umlaut: ,8uchte, gesucht; kaufte, gekauft; wusste,
gewusst; stand' heissen nördlich: zöxt^ köft, väst, st im, südlich: zoxt,
^oftj vustj stiin. Im io/]^- Gebiete heisst ünä ,unter': und.
78
3c. Einzel- Wörter und -Wortformen.
Nördlich der -m : von Linie heisst in WPri der ,Staar' i^pre (wie
in Meckl.)j der Frosch jmx bezw. j)ok' (s. § 8, 11).) — südlich: .^^töa
und höjHi. In der "ganzen Pri heissen nördlich der 3 a-Linie : ,ich
habe' ikhef, ,nieder, herunter' dal (s. § Hl), ,wer' (Fragewort) rekd
(s. § 352 Anm.) — südlich: ik hep, mlj rd.
4 a. Etwa eine Meile südlicher, so dass Wilsnack jetzt nördlich
bleibt, fängt die Linie an, die die Gebiete scheidet, in denen g vor
Vokalen geblieben oder aber zu J geworden ist. Wilsnack liegt noch
im jr-Gebiet, spricht selbst als Stadt aber j (S 9). Sie fängt an bei
Abbendorf a. d. Elbe, geht über Legde (beide sprechen /) vereinigt
sich bei Gr.-Leppin (das vor dunklen Vokalen noch g spricht) mit
der vorigen, und geht mit ihr, jetzt nordöstlich, bis Blumenthal.
Von hier nimmt sie einen ganz anderen Verlauf. Während Linie 3
von nun an sich parallel zu der Landstrasse Wittstock-Zechlin hinzog,
geht Linie 4 in nordöstlicher Richtung weiter, schneidet die Land-
strasse Pri tz walk -Wittstock zwischen Alt-Krüssow und Techow und
weiterhin die meckl. Landesgrenze östlich von Wulfersdorf. Es bleiben
also in OPri Gr. -Welle, Lindenberg, Kehrberg^ KL- und Gr.-Wolters-
dorf, Bölzke, Pritzwalk, Kemnitz, Krüssow, Wilmersdorf, Bläsendorf,
Wulfersdorf westlich der Linie (^-Gebiet); Dannenwalde, Schönebeck,
Blumenthal, Techow -Wittstock, Maulbeerwalde, Zaatzke, Wernikow
östlich der Linie (J-Gebiet); doch sprechen die drei letzten Dörfer
vor dunklen Vokalen noch g.
Anm. 1 Die Fortsetzung dieser Linie teilt auch die Altmark in ein
^r-Gebiet und ein ^-Gebiet. Es gebort ferner nicht nur die WPri und OPri,
sondern ganz Brandenburg südlich und östlich dieser Linie dem ^-Gebiet an.
Das berühmte j der Berliner in ^ü^ und jans ist also kein verdorbenes Hoch-
deutsch, sondern ebenso wie z. B. das k und t in ik und dkt und das e in bön
Bein eine überkommene Erbschaft aus der ursprünglichen niederdeutschen Mandart.
Vgl. Mackel, Herrigs Archiv CIX, 386.
Anm. 2. Es ist also nicht tiberall, wo intervokales d > j geworden ist,
auch g vor Vokalen > j geworden. Gr.-Ltiben, Kletzke (WPri), Gr. -Welle,
Tuchen (OPri) z. B. sagen gös^ gts Gans, Gänse, aber Im, brZin Leute, brüten.
Inlautendes^ vor Vokal ist überhaupt nur im südlichsten Gebiet der Pri zu j
geworden, dort, wo brüten br^m heisst: in Glöwen, Herzsprung z B. heisst
Wagen noch vi^m^ pflügen noch plbgm.
4 b. Im Anschluss hieran behandle ich die schwierige Gruppe
der Wörter ,mähen, drehen, säen und blühen' u. s. w.
a) Einige Orte hart an der meckl. Grenze in OPri (Suckow,
Porep, Meyenburg) und das südlichste Dorf der WPri Jederitz (zwischen
Havel und Elbe) sprechen wie Meckl. inäidn, Partiz. 7ndit. In letzterem
Dorfe ist dieses mimn aus mäjdn entstanden wie h^äian gekriegt aus
kräJ97i (s. § 8 b).
ß) Abgesehen davon sprechen alle Orte nördlich der Landstrasse
Wittenberge- Perleberg -Pritzwalk und westlich der Linie 4 a ma9n
(wie im Hd.), blöydn bezw. blo9n (letzteres im monophthongischen
Gebiet); Partiz.: wa^; blöyt, bißt.
79
In dem Gürtel zwischen der Landstrasse Wittenberge-Pritzwalk
und der Linie 4 a bis Bluraenthal, von Blumenthal ah östlich der
Linie 4 a und nördlich der Linie 3 a heisst es mäT^on, mhct, hloyn,
hioxt im -i'^w-Gebiete, mä-y, m^jct, f^lo-y, hloxt im -w-Gebiete, letzteres
also um Techow, Wittstock, Zechlin herum. Das Gebiet südlich
der Linie 4 a in WPri, 3 a in OPri sagt mä-in, mä-it, hlo-iv, b/ö-it,
der südlichste Teil der Pri sogar mäj9n — mä4t; hlojdti — hlo-it
Vgl. § 123.
5. Die Gans -Linie.
Diese Linie bildet den Übergang zu den vertikalen Linien, und
man könnte sie wohl auch schon zu letzteren rechnen. Sie beginnt
weiter südlich als die Linie 4, — bei Havelberg, — geht zunächst
nördlich über Glöwen und vereinigt sich bei Kunow mit der Linie 4,
sodass sie wie diese nun in nordöstlicher Richtung weitergeht, die
Landstrasse Pritzwalk -Wittstock zwischen Krüssow und Techow und
die mecklenburgische Landesgrenze östlich von Wulfersdorf schneidet.
Das Gebiet westlich und nordwestlich spricht (ßous — göy^ (im
diphthongischen Gebiet), gös — </8s resp. jös — /os im monophthon-
gischen Gebiet, und zwar jös — yos dort, wo g vor Vokalen überhaupt
zu ,/ geworden ist (s. Linie 4 a), d. h. im südlichen Teil von WPri,
soweit das n geschwunden ist. Östlich und südöstlich der Linie heisst
es gmis — gäm oder auf einem viel grösseren Gebiet jans — jäm.
Die Grenze ist nicht scharf; in einem Gürtel von 1 Meite Breite sind
Doppelformen gebräuchlich. Die Form mit n dringt unter dem Einfluss
des Hochdeutschen und der Städte sichtlich vor. In Gr.-Leppin,
Maulbeerwalde heisst die Einzahl gös^ die Mehrzahl jctn% in Gr.-Welle
wird gös — //ßs neben gans — gaü^ gesprochen, letzteres haupt-
sächlich von den Jungen; in Bölzke, Bläsendorf, Wulfersdorf heisst
die Einzahl gös^ die Mehrzahl gb^ und gäm.
Anm. Die Wenkersche Gänse -Karte gibt das Verhältnis im ganzen
richtig an.
§ 8. Die vertikalen Sprachlinien.
1 a. Diese Linie folgt fast genau der Grenze zwischen WPri
und OPri. In WPri lautet die 2. und 3. P. Sing. Praes. und das
Part. Praet. von den Wörtern hem haben, zeyy sagen, leyy legen
Imt^ hat — läxst^ läxt — zäxst, zäxt, in OPri hest^ het\ lexst^ lext;
zexst, zext. (Es geht hier also OPri mit Meckl. zusammen, s. § 6, 4.)
Die Grenze ist haarscharf; die Grenzdörfer haben Spottverse auf-
einander, z. B. Tuchen und Vieseke. In WPri heisst ,12* tivöhn, in
OPri twälm.
1 b. Die Kreisgrenze ist auch die Scheide zwischen einzelnen
Wörtern. ,Frosch' — ,Kröte' heissen im nördlichen Teil der WPri
poji\ pok — htiks^ im südlichen Teil der WPri pat — huks ; in ganz
OPri höpä — huks\ höpä ist also spezifisch ostprignitzisch ; es scheint
aber vorzudringen und wird bei Havelberg auch schon in einigen
westprignitzischen Grenzdörfern gebraucht. In Westfalen ist pogge
80 '
da unbekannt, wo es holländischen Charakter annimmt; vergl. über
pogge und höpper in Westfalen Seelmann, Gerhard v. Minden, Einl.
XX und S. 187. Der ,Storch' heisst in WPri hei-nodä, in OPri knäjpnd.
In Havelberg und den südlich davon gelegenen Dörfern wird hei-nödä
nicht mehr gebraucht; doch ist es noch bekannt, und bei Havelberg
gibt es einen Hei-nodä -Berg, Man sagt hier jetzt stork oder das
hd. storx oder knäpnä.
Für andere Lauterscheinungen und Wortformen ist die Kreis-
grenze nur partiell die Scheide. Ganz OPri sagt stöt^ kleivä^ kledän
Stute, Klee, klettern, die grössere nördliche Hälfte der WPri stüt^
klevä^ klärän. Ganz OPri sagt stöä Staar, die grössere nördliche
Hälfte von WPri spre. Linie 2 zeigte, dass der nördlichste Teil der
WPri intervokales d in r verwandelt hat. .Diesen Wandel kennt OPri
überhaupt nicht. Ferner sagt die nördliche WPri born Boden, rif
— rim Rippe — Rippen, briix — brüyy Brücke, Brücken, während
die südliche WPri und ganz OPri bodn, rip — ripm^ brük — brühj
sagt (s. § 7, 2 c).
2. s in den anlautenden Verbindungen sl^ sm^ sn^ sw^ st^ sp
wird in der ganzen WPri und in der westlichen Hälfte von OPri wie
s gesprochen; in der östlichen Hälfte von OPri s. Die ungefähre
Grenze geht von Vehlgast a. d. Havel nach Norden übei* Breddin,
Barentin, Dannenwalde, wendet sich dort nach Nordosten und ver-
einigt sich nun mit den Linien 4 und 5 (§ 7), schneidet also die
Landstrasse Pritzwalk -Wittstock zwischen Krüssow und Techow und
geht in derselben Richtung weiter, aber eher etwas östlicher, bis zur
meckl. Landesgrenze. Diese Linie ist aber, wie gesagt, nur ungefähr.
Von Osten und Süden her dringt s unaufhaltsam vor; alle Städte,
auch die der WPri, sprechen s und verbreiten es ihrerseits. Ganz
für s gewonnen ist das Land östlich der Dosse. Aber auch die Dörfer
in weitem Umkreise um Wittstock und Kyritz sprechen s] Düpow bei
Perleberg spricht durchweg .<?, sonst ist in den Dörfern der WPri und
in den Dörfern um Pritzwalk (OPri) s noch fest; zurückkehrende
Soldaten und Dienstmädchen geben s meist wieder auf.
Anm. Die Wenker'sche ,8chIafen'-Karte lässt hier ganz im Stich. Das
ganze Gehiet der Pri ist als schloap-Q ehiet bezeichnet; sl und szl sind mit
besonderen Zeichen eingetragen; viele Dörfer, die sl sprechen, sind mit sl
angegeben. Die Lehrer sprechen eben, selbst wenn sie plattdeutsch können,
alle sl. Mir selbst wird es schwer, noch sl zu sprechen.
§ 8 a. Man könnte nach obigen Ausführungen folgende Dialekt-
grenze innerhalb der Pri ansetzen: sie beginnt an der meckl. Landes-
grenze in OPri östlich der Wittstocker Heide, schneidet die Land-
strasse Pritzwalk-Wittstock zwischen Krüssow und Techow und zieht
sich in südwestlicher Richtung auf Gr.-Welle-Kunow zu, wo sie die
WPri erreicht. Von hier zieht sie sich in westlicher Richtung bis
an die Elbe. Man könnte aber auch eine Mundartenscheide südlich
der Landstrasse von Wittenberge nach Wittstock ansetzen. Die
Kriterien südlich dieser Scheide würden sein: j für intervokalcs d
81
(2 a), 'imif -T^en für -m^ -y (3 a), fehlender Umlaut in Formen wie
kioit gekonnt, koft gekauft, Formen wie hej) habe, nä nieder (3 b, 3 c).
Diese Grenze ist vielleicht deshalb vorzuziehen, weil sie die Grenze
zwischen überwiegender sächsischer und überwiegender fränkischer
Ansiedlung angeben könnte.
§ 8b. Eine besondere Stellung nimmt das Dorf Jederitz ein,
das einzige Dorf der WPri, das zwischen Havel und Elbe liegt. Es
steht mit seiner Mundart vollständig abseits und gehört mundartlich
zum sächsischen Kreise Jerichow. Eine Darstellung der Mundart von
Jederitz würde Seiten umfassen. Ich begnüge mich hier folgendes
festzustellen, v < b wird stets > u aufgelöst. Während die Nachbar-
dörfer der Pri sagen ^rivdtiy jävdUy stärvdti, väftöy, ämn, swalt schreiben,
geben, sterben, Webstuhl, Ofen, Schwalbe, sagt Jederitz ärlun^ jäun,
stärun, äun, väutöy, swalo, (Vgl. Krause, Mundart des Kreises
Jerichow I, Nd. Jb. XXV, 45.) Aber auch mnd. g in der Umgebung
dunkler Vokale wird zu M; z. B. in fänl Vogel, wobei wir zunächst
einen Übergang von g > v annehmen müssen. Ist aber vormals vor
hellen Vokalen g > j geworden, so hat sich dieses j mit dem vorauf-
gehenden Vokal zu einem Diphthongen verbunden: lügen heisst lögon,
gegen jcUn^ kriegen kräin, Egge äit < ärt. (Vgl. Krause, Nd. Jb.
XXI, 65; XXII, 6, 13.) Die Jederitzer haben in der Umgebung
denn auch den Spitznamen Kräi-ä,
§ 9. Die Mundart wird ausnahmslos von jedem Dorfbewohner
gesprochen. Die Kinder lernen das Hochdeutsche erst in der Schule;
die Erwachsenen, namentlich die Frauen, sprechen hochdeutsch nur
im Notfalle, manche nicht einmal vor Gericht. Die vielen ein-
gedrungenen hd. Lehnwörter werden als solche nicht gefühlt und
haben die innere Struktur der Sprache nicht verändert. Es ist nicht
anzunehmen, dass auf dem Lande die Schriftsprache das Nieder-
deutsche schon in diesem Jahrhundert verdrängt.
Anders ist es in den Städten. In den kleineren Ackerbürger-
städten, namentlich in der nördlichen Pri, wie Lenzen, Putlitz, Meyen-
burg, Freyenstein, ebenso in Wilsnack sprechen allerdings auch die
Ackerbürger unter sich noch vielfach platt. In den grösseren Städten
aber mit ausgedehnterem Handel, grösserer Beamtenschaft, Garnison,
höherer Schule, wie Wittenberge, Perleberg, Pritzwalk, Wittstock,
Havelberg, Kyritz ist das Hd. siegreich vorgedrungen, und nur im
kleineren Handwerkerstande und von den Arbeitern wird dort noch
platt gesprochen. Doch kann man sagen, dass auch in diesen Städten
fast noch jeder Eingeborene platt sprechen kann oder es doch ver-
steht. Auch ist dem Hochdeutschen der Stempel der heimischen
Mundart aufgedrückt: die Modulation, das langsame Tempo, der
dumpfe Klang des ä und ä; die vokalische Aussprache des End-r
(= kurz ä) kennzeichnen es. Die unteren Stände lassen auch das
End-e noch vielfach weg {dt lamp die Lampe); die Dorfbewohner
sprechen, wenn sie hochdeutsch sprechen, es e statt als kurzes, offenes iL
Die hochdeutschen Diphthonge «/; au, du, namentlich aber äif, werden
Niederdeutsches Jahrbuch XXXI. 6
82
von vielen nicht richtig getroffen; Dorfbewohner, die hd. sprechen,
ersetzen sie vielfach durch die heimischen engeren ei^ ou, öy, Städter
setzen sie vielfach überweit ein. Allgemein wird in den Städten
s impurum als s gesprochen, g vor Vokalen meistens wie jy auch
dort, wo g im Niederdeutschen erhalten ist, wie in Lenzen, Putlitz,
Meyenburg (s. § 7, 4). Auch dringt für an- und inlautendes r das
Zäpfchen-r vor. Wo Zungen-r gesprochen wird, wird es wie auf dem
Lande mit starker Vibration gesprochen.
Anm. Im angrenzenden Mecklenburg sprechen auch in den Städten die
besten einheimischen Bürger im tranlichen Verkehr und im Wirtshaus noch gerne
platt, auch die Schüler der höheren Lehranstalten untereinander.
§ 10. Von älteren Sprachdenkmälern der Prignitz kann ich
nur Urkunden nennen; sie sind zum grössten Teil von Riedel im
Codex diplomaticus Brandenburgensis abgedruckt (A I, II, III, XXV
und Supplementband). Die älteste nd. Urkunde der Prignitz ist
wohl die AI S. 132 abgedruckte Perleberger Urkunde aus dem
J. 1317. Im Perleberger Stadtarchiv befindet sich dann noch das
sogen. Rote Buch, das grösstenteils Ratsprotokolle und eine Art
Hypothekenregister der Stadt Perleberg enthält. Es beginnt mit dem
Jahre 1480 (Riedel, a. a. 0. A I, 121 f.). Femer hat 0. Vogel
in seiner wertvollen Programmabhandlung ;,Zur Geschichte des Perle-
berger Schuhmacher- und Lohgerbergewerbes*^ (Perleberg 1898) eine
Perleb. Zunftrolle vom J. 1353 und einen Schuhknechtsbrief in zwei
Redaktionen (vom J. 1540 und 1546) veröffentlicht. Aus meiner
engeren Heimat kann ich aus spätmittelniederdeutscher Zeit einige
Bibelsprüche und persönliche Angaben anführen, die in Kirchenstühle
eingeritzt waren und aus dem 16. Jh. stammen. Die Boberower
Stühle sind jetzt nicht mehr erhalten ; die Inschriften auf ihnen finden
sich aber z. T. abgedruckt bei Ulrici, Die Prignitz und die Stadt
Lenzen, Perleberg 1848, S. 220; in dem Nachbardorfe Warnow
existieren Stühle mit ähnlichen Inschriften noch.
Die nd. Urkunden Brandenburgs, auch die Prignitzer, hat
sprachlich untersucht B. Graupe in seiner trefflichen Dissertation:
De dialecto Marchica quaestiunculae duae, Berlin 1879. Die Fest-
stellungen Graupes hat dann verwertet und durch eigene Einsicht
brandenburgischer Urkunden erweitert Tümpel in seinen Ndd. Studien.
Aus den Urkunden Berlins von 1300 — 1500 hat die mittelniederdeutsche
Mundart des alten Berlins darzustellen versucht M. Siewert in
seiner Würzburger Promotionsschrift: Die niederdeutsche Sprache
Berlins von 1300 bis 1500, abgedruckt im Nd. Jb. 29, 65 ff. Die
fleissige Arbeit ist hier aufzuführen, da der Sprachstand der Urkunden
Berlins aus mnd. Zeit nur sehr wenig von dem der Urkunden der
Pri abweicht, vgl. Seelmann, der Berliner Totentanz, Nd. Jb. 21,
S. 91. Die die Pri betreffenden Urkunden habe auch ich eingehend
durchgesehen und bin zu der Überzeugung gekommen, dass diese
Urkunden wesentlich nur über den mittelprignitzischen Wortbestand
S3
Auskunft geben können, dass sie aber für die Feststellung des Laut-
standes jener Zeit mit der äussersten Vorsicht zu benutzen sind.
Wir wissen oft nichts ob wir es mit dem Originale oder mit späteren
Abschriften zu tun haben; wir wissen nicht, ob der Schreiber aus
der Prignitz stammt. Und wenn wir das auch wüssten: es gab eine
Art mnd. Schrift- und Gemeinsprache, deren Gleichförmigkeit vielfach
dialektische Unterschiede der Volkssprache aufhob; und in den Schulen
wurde eine traditionelle Rechtschreibung gelehrt, die für weite Gebiete
massgebend war. Es gilt, was Seelmann in den von ihm und
Bolte herausgegebenen niederdeutschen Schauspielen älterer Zeit
S. 3 sagt: ^Die sprachlichen Unterschiede im Mittelalter auf nd.
Gebiet kommen^ in den Schriftdenkmälern unter dem Einflüsse der
ausgleichenden mnd. Schrift und Schriftsprache nur in sehr beschränktem
Masse zum Ausdruck.^ Vgl. auch Seelmann in der Festschrift der
Gesellschaft für deutsche Philologie, Berlin 1902, S. 69 und s. noch
Tümpel, Niederdeutsche Studien S. 7 ff. und S. 126 ff. Im besonderen
ist noch zu sagen: es gibt so leicht keine Prignitzer Urkunde, in der
sich nicht dasselbe Wort in verschiedener Schreibung finde; die
Sprache der Urkunden aus dem 14. Jh. weicht von denen aus dem
16. Jh. nicht ab.
Streng methodisch wäre ich verpflichtet gewesen, alle angeführten
Wörter und Formen der Mundart der Prignitz mit mittelprignitzischen
oder doch mittelbrandenburgischen zu belegen. Das wäre nun einer-
seits durchaus nicht möglich gewesen, anderseits aber hätte ich zum
besseren Verständnis der Erscheinungen in einem fort auf das Alt-
sächsische zurückgehen müssen. Ich habe daher einen anderen Weg
eingeschlagen. Ich gehe vom Altsächsischen (as.) aus, wenn dieses die
heutige Form erklärt. Wo dieses im Stiche lässt, führe ich als
Belege die allgemein mittelniederdeutschen (mnd.) Formen an, wenn sie
mit den mittelbrandenburgischen, so weit diese belegt sind, über-
einstimmen; nur wo es von besonderem Interesse war, führe ich die
mittelbrandenburgischen (mbr.) Formen an. Für die neuere Zeit
liegt einiges wertvolle Material vor. Auf der Königl. Bibliothek zu
Berlin ist ein handschriftliches Prignitzer Idiotikon aufbewahrt,
das mit dem § 7 S. 75 erwähnten Bratring'schen altmärkischen
Idiotikon zusammengebunden ist. Von diesem Idiotikon hatte Höfer,
Märkische Forschungen I einen Auszug veröffentlicht. Eigene Unter-
suchung ergab, dass dies von einem Prediger Hindenberg Ende des
18. Jh. niedergeschriebene Idiotikon etwa 100 prignitzische Ausdrücke
enthält, die dem aus der Mittelmark stammenden Verfasser in der
Prignitz besonders aufgefallen sind. Bei genauerer Nachforschung nach
dem Verfasser stellte es sich leider heraus, dass es um dieselbe Zeit
zwei Prediger Hindenberg gegeben hat, zwei Brüder, aus Haselberg
bei Wrietzen a. d. 0. stammend. Der eine war Prediger in Cumlosen
a. d. Elbe (WPri 1763—1782), dann Oberprediger in Kyritz (OPri
1782 — 1821), der andere war Prediger in Techow-Heiligengrabe (1772
bis 1803). So war es, da im Manuscript der Vorname des Verfassers
6*
84
nicht angegeben ist, leider unmöglich, mit Sicherheit festzustellen,
welcher von beiden das Idiotikon abgefasst hat, ob dieses also aus
WPri oder OPri stammt. Für ,Staar' gibt er spree und für ,Gans'
gose an. Das passt genau für Cumlosen. Techow sagt: stoä und
wenigstens jetzt janSj ebenso Kyritz (§ 7 S. 78 u. S. 79). Bei adebaar
Storch merkt er an: so sagt man hier und in der Altmark: Cumlosen
ist von der Altmark nur durch die Elbe getrennt. Bei Hädetvekken
(eine gewisse Art Semmel) erwähnt er das Bassewitzfest in Kyritz.
Für ,Frosch' gibt er höpper an: das ist eine der OPri eigentümliche
Bezeichnung (§ 7 S. 79). Es scheint*, dass der Cumloser Hindenberg
der Verfasser ist, dass er aber das Idiotikon erst in Kyritz nieder-
geschrieben hat.
Ungefähr aus derselben Zeit wie dieses Idiotikon stammt eine
uns angehende Abhandlung, die dadurch von besonderem Werte für
uns ist, dass der Verfasser aus meinem Heimatsdorfe Boberow stammt:
es ist der bekannte Pädagoge Friedrich Gedike (geb. 1754), der
Begründer des Abiturientenexamens. Er hat in den ^Beiträgen zur
deutschen Sprachkunde" Berlin 1794 einen noch jetzt lesenswerten
Aufsatz über deutsche Dialekte veröffentlicht. In diesem führt er
von S. 311 an eine Reihe von Wörtern, Wendungen und Sprich-
wörtern aus dem Niederdeutschen an. Doch stammen sicherlich nicht
alle Beispiele aus Boberow. Gedike hat seine Schulbildung in See-
hausen i. d. Altmark und in ZüUichau genossen. Auf Züllichau
weisen z. B. mire und emse für Ameise. Boberow und die gesamte
Pri sagt ämk und ämk.
Aus der Stadt Pritzwalk (OPri) stammen zwei Männer, die
beide Gedichte in der niederdeutschen Mundart ihres Geburtsortes
verfasst haben: K. H. G. Witte, geb. 1767, der Vater des Wunder-
kindes Karl Witte, und Gustav Jung, geb. 1797. Über letzteren
vgl. Nd. Jb. 22, S. 85. Die drei Gedichte Wittes sind abgedruckt
bei Firmenich, Völkerstimmen B. I; das älteste stammt aus dem
Jahre 1833. Jung hat 1849 einen Band Gedichte unter dem Titel:
Gedichte in plattdeutscher Mundart, Berlin 1849 veröffentlicht; das
älteste stammt aus dem Jahre 1848. Nach Ausweis des Neuen
Nekrologs der Deutschen B. 23 (1845) hat Witte auch ein Nieder-
sächsisches ABC- und Lehrbuch verfasst (Hamburg und Mainz 1803);
ich habe dieses Buch trotz eifrigster Bemühungen nicht ausfindig
machen können.
Einige kurze ndd. Sprüche aus Havelberg sind bei Firmenich,
B. III, S. 120 abgedruckt. Das S. 121 unter Kleinow bei Perleberg
angegebene Lied „Hermann slög Lärm an^, das auch in der Lenzener
Gegend gesungen werden soll, ist in der Prignitz nur literarisch
bekannt.
Eine längere Spukerzählung in angeblich ostprignitzischer Mundart
findet sich in dem von Engelien und Lahn Berlin 1868 heraus-
gegebenen Buche: Der Volksmund in der Mark Brandenburg S. 64 ff.
Die Geschichte spielt in Schweinerich, einem Dorfe zwischen Witt-
85
stock und Zechlin, und nach den Eingangsworten ist der Erzähler
Lehrer Suchsdorf zu Walchow bei Fehrbellin. Der Erzähler ist zu
Schweinerich geboren, die angewandte Mundart entspricht aber mehr
der in Fehrbellin als der in Schweinerich gesprochenen.
Neuerdings hat die Prignitz einen treiHichen Dialektdichter in
H. Graebke aus Lenzen, jetzt in Berlin, gefunden. Er hat eine
Reihe Dichtungen nach Art der Läuschen un Rimels von Reuter
verfasst, von denen einige seinem grossen Vorbilde nicht viel nach-
geben. Er hat bisher veröffentlicht 1) Prignitzer Kamellen un
Hunnenblömer, Zürich 1896, 2) Prignitzer Vogelstimmen, Berlin 1902.
Der Verfasser bedient sich der gemeinniederdeutschen Rechtschreibung,
die Groth und Reuter schaffen halfen.
Phonetische Darstellung der Laute.
A. Allgemeines.
§ 11. Der Prignitzer ist wortkarg und erscheint als sprechfaul.
Der schweren Lebensauffassung, der Nüchternheit der Gefühls-
äusserungen, der Schwerfälligkeit und dem Phlegma der Bewegungen
entspricht ein langsames Tempo der Rede, das besonders dann auf-
fällt, wenn er hochdeutsch spricht.
§ 12. Artikulationsbasis. Der Kehlkopf liegt, wenn ich
recht sehe, ein wenig tiefer als normal. Die Hinterzunge berührt in
der Ruhelage den harten Gaumen nicht (s. dagegen Heilig § 8).
Die Vorderzunge berührt mit einem breiten Saume die mittleren
Alveolen, während die Zungenspitze auf der Schneide der Unterzähne
ruht. Schon daraus geht hervor, dass die vorderen Unterzähne hinter
den vorderen Oberzähnen liegen. Legt man die Schneidezähne auf-
einander und bringt dann den Mund in die normale Ruhelage, so
weicht der Unterkiefer ungefähr 3 Millimeter zurück und steigt zu
gleicher Zeit um etwa 1^/2 Millimeter, so dass die oberen Schneide-
zähne fast 3 mm (die oberen Eckzähne noch 1 mm) in wagerechter
und 1 mm in senkrechter Richtung über die Unterzähne hinausragen.
Die untere Zahnreihe liegt somit ziemlich weit zurück, was für die
Tonbildung um so entscheidender ist, als der Unterkiefer beim
Sprechen nicht vorgeschoben wird.
§ 13. Die Muskulatur des Kehlkopfes ist im allgemeinen rege
und der Stimmton häufig. Im Ansatzrohr selbst aber ist bei der
Lautbildung die Muskelspannung nicht stark. Die Zungenartikulation
ist schlaff und träge ; die Zunge neigt eher dazu, sich zu senken und
zu verbreitern (abzuflachen), als sich zu verengern und vorzustrecken;
das Zurückziehen ist häufig, geht aber nicht energisch vor sich. Der
Unterkiefer wird weder vor- noch zurückgeschoben, sondern einfach
gesenkt. Er wird aber auch bei den weiten (offenen) Vokalen nicht
allzusehr gesenkt; am meisten beim ä: hier beträgt der senkrechte
86
Abstand der Vorderzähne 7 — 8 ram; beim ä 6 mm; beim ä und ä
nur noch 5 — 4 mm. Auch die Beteiligung der Lippen ist nicht
kräftig und Lippenrundung nicht häufig; namentlich verhält sich die
Unterlippe passiv; sie beteiligt sich so gut wie gar nicht an der
Rundung. Der Mund ist infolgedessen beim Sprechen nur massig
geöffnet. Vorstülpung der Lippen bei gleichzeitiger starker Ein-
ziehung des Mundwinkels findet besonders im Affekt, zum Ausdruck
des Bedauerns, des Unwillens und des flehentlichen Bittens statt.
Es klingt dann die Stimme etwas tiefer. In affektloser Rede ist die
Vorstülpung nicht energisch, stärker bei o, ü, ü als bei ö, u, ü; am
stärksten bei ä (also einem jüngeren Laute). Die spaltförmige Öffnung
mit Zurückziehung der Mundwinkel und Straffziehen der Lippen ist
in unserer Ma. nicht bekannt. Im allgemeinen lässt sich sagen, dass
die Artikulationsweise des Prignitzers in starkem Gegensatze zu der
straffen des Franzosen steht.
Mit der schlaffen Zungenartikulation hängt besonders zusammen
der Schwund des intervokalen d oder sein Wandel zu r, j (§ 7, 2);
der Wandel von g vor Vokal > j in der südlichen und östlichen
Prignitz (§ 7, 4); ferner die Reduktion des r im Auslaut oder vor
alveolaren Lauten zu kurzem ä (§ 137; s. auch Bremer, Deutsche
Phonetik § 82, 2 und § 134).
§ 14. Der Luftdruck ist beim Einsatz verhältnismässig stark,
nimmt aber sowohl innerhalb des Wortes als auch innerhalb des
Satzes ab. Mit der Abnahme des Luftdruckes innerhalb des Wortes
hängen die Assimilationen von mnd. 7nd, nd, yg, Id, rd > m(m), nfn),
y(y)} Iß)} *Y^>^ (§ 283, 284) zusammen, mit der innerhalb des Satzes
die Erscheinung, dass im einfachen Aussagesatz die Stimme stark
sinkt. Lange Vokale am Ende der Silbe und namentlich des Wortes
werden nicht geschnitten, sondern verklingen allmählich, ein Um-
stand, der dem Norddeutschen die Aussprache der scharf abge-
schnittenen Endvokale im Französischen (z. B. in parU, parlait, perdii)
sehr schwer macht.
Mit der allmählichen Abnahme des Luftdruckes im Worte hängt
auch die wichtige Erscheinung zusammen, dass ursprünglich inter-
vokale stimmhafte Reibelaute nach Verstummen des End-e den
Stimmton verloren haben, d. h. zu stimmlosen Lenes geworden sind;
also müs Mäuse; deiv Diebe; veig Wage (§ 17, § 44).
§ 15. Mit der Häufigkeit der weiten (offenen) Vokale, mit der
geringen Muskeltätigkeit der Vorder- und Mittelzunge, dann mit dem
Umstände, dass die meisten Vokale etwas weiter nach hinten arti-
kuliert werden als in Mittel- und gar Süddeutschland, ja, als im
Havellande und um Berlin, steht die charakteristische Erscheinung
im Zusammenhange, dass die meisten Vokale dumpf, aus der Kehle
herausklingen: der Resonanzraum ist eben länger, der Eigenton des
ganzen Ansatzrohres kommt häufiger zur Geltung. Lifolge der
weiter nach hinten gelegenen Artikulation klingen ^; t%, ü in ge-
schlossener Silbe fast wie enge e, o, ö; und das enge e, öj Ü des
87
Berliners in jSee', ,tot', ,8Ü8s', fällt dem Prignitzer auf. (Bremer,
a. a. O. § 151.)
§ 16. Die Exspiration ist ungleichmässig, d. h. betonte und
unbetonte Silben wechseln miteinander ab. Die Tendenz des Deutschen,
die Stammsilbe zu betonen, so dass zwischen 2 betonten Silben Lücken
entstehen, entgegengesetzt zum Französischen, das eine Silbe in die
andere hineinträgt, ist in unserer Mundart stark ausgeprägt. Auf
ihm beruht die Dehnung der kurzen Vokale in offener Stammsilbe
(§ 183 ff.), die Überlänge von Vokalen unter gewissen Bedingungen
(§ 17), die Schwächung der Vokale in Nebensilben (§ 118 ff.) und
in zusammengesetzten Wörtern (§ 120), Synkope (§ 115) und Apokope
(§ 117) von unbetontem e. Zirkumflektierte Betonung kennt unsere
Mundart nicht.
Anm. Der exspiratorische Akzent wird im Folgenden nicht bezeichnet.
§ 17. Es können 6 verschiedene Grade der Zeitdauer bei den
Vokalen unterschieden werden.
1) Überlänge. Überlang sind lange Vokale und Diphthonge
geworden, wenn nach folgenden ursprünglich stimmhaften Reibelauten
ein e durch Synkope oder Apokope verstummt ist. Der Reibelaut
verliert gleichzeitig den Stimmton (§ 14). Überlänge wird bei langen
Vokalen durch ^, bei Diphthongen nicht bezeichnet. Also: mü§
Mäuse, dkg Tage, deiv Diebe; litt lebt, gelebt, Ikvt lobt, gelobt.
Näheres s. § 227.
Anm. Die More des verstummenden e wurde von dem langen Vokale
mit übernommen. Es wäre vielleicht genauer zu sagen, dass hinter dem sehr
lang gesprochenen Vokale bei starker Abnahme des Luftdruckes sich ein über-
kurzer Gleitvokal (*") entwickele, z. B. m^^s. Dieses ^ ist besonders vor / und r
wahrnehmbar.
2) Lange Vokale bezw. Diphthonge, z. B. küm kaum, vi7i
Wein, deif Dieb.
3) Vor stimmlosen Explosiven und Reibelauten im Auslaut
werden ursprünglich lange l, ü, Ü in unserer Mundart vielfach nur
halblang gesprochen, z. B. t\t Zeit, blif bleibe, brüt Braut. Das ^
in hd. atibieten ist etwas länger als das in Pri anhitn anbeissen. Es
heisst aber döt, bröt, zep Seife.
Anm. Zwischen laugen und halblangen Vokalen wird im Folgenden kein
Unterschied gemacht werden.
4) Einfache Kürze: dah Dach, bret Brett, ik ich, pot Topf,
np auf, dät das, dass, i)öt Töpfe, hüt Hütte.
Kurze Vokale sind immer offen.
5) Halbkurz sind im allgemeinen die Vokale in unbetonten
Silben, z. B. in der zweiten Silbe von honU Honig, bräm Bretter.
Anm. Wir weisen ausdrücklich noch einmal darauf hin, dass a in
unbetonter Silbe nur halbknrz ist. Halbkürze bleibt unbezeichnet.
88
6) Üb er kurz ist u. a. der aus r vor Alveolaren entstandene
a-Laut. Wir werden ihn im allgemeinen durch d wiedergeben, also
dedn Mädchen; pödt Pforte.
§ 18. Die Konsonanten sind im allgemeinen kurz. Lang sind
sie in folgenden Fällen:
1) ly m, riy T sind lang, wenn nach ihnen ein e verstummt ist,
besonders wenn ein e nach darauf folgendem Reibelaut stumm ge-
worden ist, z. B. i^eVt schält, swernt schwimmt; dann häP^ Hälse,
kräm Kränze, zor^"^ Sorge. (Vergleiche § 17, 1 und § 294.)
2) n und m < nd, md, wenn hinter ndj md e verstummt ist,
z. B. häm Hemde, hun Hunde. In den meisten Fällen sind solche
m oder n aber kurz geworden, z. B. wän Wände; hän (neben seltnerem
hän) Hände (§ 293).
§ 19. Ein- und Absatz. Vokale werden fest eingesetzt,
und zwar mit Kehlkopfverschlusslaut oder Stimmritzenexplosion. Im
Zusammenhange der Rede bleiben diese nur nach einer Pause bestehen.
Der gehauchte Einsatz wird mit h bezeichnet. Die stimmlosen
scharfen Explosivlaute p — t — k werden mit stark gehauchtem,
stimmlosem Einsatz (aspiriert) gesprochen, wenn ein betonter Vokal
oder r, l, n folgen, z. B. thün Zaun, phäl Pfahl, khöl Kohl; khrans
Kranz; khlöä klar; khnei Knie. (Vgl. Bremer, Deutsche Phonetik
§ 129.) Ich lasse diesen Hauchlaut unbezeichnet. Im Inlaut vor
unbetonten Vokalen unterbleibt nicht nur die Aspiration, sondern die
Fortis wird zur Lenis, z. B. doxdä Tochter.
In den Verbindungen sp, st werden p und t nicht nur nicht
gehaucht eingesetzt, sie explodieren sanfter und sind stimmlose Lenes
geworden.
Die Vokale im weiteren Sinne, also auch n, l, m werden leise
abgesetzt und verklingen allmählich in einen leisen, stimmlosen Hauch.
Auslautende p, t, k, auch die aus h, d, g entstandenen (§ 46), werden
nach betonter Silbe stark gehaucht abgesetzt: es wird beim Ver-
schlussabsatz der Luftdruck im Moment der Explosion verstärkt.
Wir sprechen also phunth Pfund, khinth Kind. Dieser gehauchte
Verschlussabsatz ist dann besonders stark, wenn durch Synkope eines
e zwei t zusammengetreten sind. Dann explodiert das zweite t mit
neuem Luftdruck sehr stark gehaucht. Vgl. z. B. zet setze und zefth
gesetzt. Ich lasse auch den gehauchten Absatz unbezeichnet. Vgl.
Bremer, a. a. 0. § 129 und §§ 176 und 177.
§ 20. Silbengrenze (d. h. Druckgrenze) liegt bei langem
Vokal vor dem Konsonanten, z. B. slä-pm schlafen; srz-m schreiben.
Nach kurzem betonten Vokal ist die Silbengrenze durchaus verwischt;
sie fällt in den Konsonanten, z. B. faln fallen. Von zwei ver-
schiedenen Konsonanten zwischen Vokalen gehört der erste zur ersten,
der zweite zur folgenden Silbe.
§ 21. Der musikalische Akzent. Die Stammsilbe trägt den
musikalischen Hauptton, ausser in der Frage, wo sie den musikalischen
Tiefton trägt. Zwischen den einzelnen Silben sind starke Intervalle
89
(Septimen sind häufig); doch ist in der südlichen Prignitz die
Modulation nicht mehr ganz so stark wie in der nördlichen. Die
Berliner Aussprache erscheint als monoton. Im Aussagesatz sinkt
der Ton gleichmässig, am meisten bei der Einwendung und Zurück-
weisung, überhaupt überall, wo sich ein leiser Unwille einmischt.
Dagegen findet bei der Frage im letzten Worte eine starke Er-
höhung statt.
B. Die Aussprache der einzelnen Laute.
I. Tabellarische Übersicht der Artikulation der Laute.
§ 22.
Bachen
Weicher Gaumen
hinterer vorderer
Harter Gaumen
hinterer mittlerer
Zahn-
fleisch
Ober-
Zähne
Ober-
lippe
Nasenlaute
mit vorderem
Verschluss.
y (b)
V (b)
n
m
Mund-Explosiv-
laute.
(Verschlusslaute)
A- </
Ä- g
t, d
Vy ^
Reibelaute.
^> §> 5
(ach - Laut)
^> §> 5 (= X> J)
ich - Laut
S; S; Zj
V V
Sf z
f,V, V
T laterale Reibe-
laute mit vorde-
rem Verschluss.
l
Zitterlaute.
Vj f
Überenge Vokale
(Halbvokale).
•
J
w
mit voUstän-
® diger Lippen-
S Öffnung.
o
>
mit mittlerer
S) (geringer)
a Lippen-
öffnung.
Of 11
u
•
ST
0; //
l
Ü
© mit voUstän-
« diger Lippen-
o öffiiung.
.^ mit mittlerer
^ Lippen-
^ Öffnung.
Oj ä
e, ä
0; a
.t! © mit voll-
|]g ständiger
© o Lippen-
ü öffiiung.
a, h
ä
Zungen-
wurzel.
Hinter
■zunge.
Vorder-
zunge.
üntei
•lippe.
90
II. Die Aussprache der Vokale.
§ 23. Enges l (lang oder halblang) ist der einzige stets
mouilliert gebildete Vokal unserer Mundart (Bremer, D. Phon. § 63 f.
und § 145). Artikulationsstelle ist der mittlere harte Gaumen.
Jedoch ist die durch die Hinterzunge gebildete Reibefläche nicht ganz
so lang, die Annäherung der Zunge nicht ganz so gross, die senk-
rechte Entfernung der Mittellinie der Zunge vom Gaumen nicht so
klein wie beim süddeutschen l. Es klingt also nicht ganz so hell
wie das letztere. Die Lippen werden nicht spaltförmig auseinander-
gezogen, sondern die Oberlippe wird nur etwas höher hinaufgezogen
als beim a.
§ 24. Weites i (stets kurz) ist nicht mehr mouilliert. Die
Artikulationsstelle liegt beim i, und dasselbe gilt vom u und ü, ver-
hältnismässig weit zurück (s. Tabelle), so dass die Laute, namentlich
vor Reibelauten {nix nicht), akustisch dem e, ö, o näher liegen als
Ij Üy Ü.
Anm. In den Verbindungen mnd. ini, ind-, unt, und- scheint n früher
monilliert, kurz i und u aber eng gesprochen worden zu sein. Ich habe diese
Aussprache nur noch in einigen abgelegenen Dörfern gefunden: in der nördlichen
Wpri in Bresch, Pirow, Lütkendorf (alle 3 bei Putlitz) hier nur noch bei alten
Leuten, in der südlichen WPri in Kühstädt und vor allem in Vehlgast Zwischen
u und n entwickelt sich dabei ein schwacher i-Laut. Pfund und finden heissen also
dort puht und fi^n (n mouilliertes, i-haltiges n). In den Dörfern des angrenzenden
mecklenburgischen Gebietes ist dieses uh und in noch häufiger. In der Wenker-
scben ,Pfund'-Karte findet sich bei mecklenburgischen Orten h&xküg pt7id angegeben.
Offenbar ist damit dieses puHt gemeint. Da enge Aussprache des i und u bei
uns stets mit Länge verbunden ist, so wird dieses kurze enge i und u leicht
als lang empfunden. Mouilliertes Id und nd (z. B. hün Hund) führt Bremer aus
dem amring.-föhringischen an, Nd. Jb. XIII, 7.
§ 25. Beim e (nur lang) liegt die Artikulationsstelle ein klein
wenig weiter zurück, die Zungenspitze etwas tiefer als beim i. Beim
Sj und ebensowenig beim ö und o, ist die Annäherung der Hinterzunge
an den Gaumen nicht so gross wie in der Sprache des Süddeutschen
oder des Berliners. Daher klingt der dumpfere Eigenton des ganzen
Ansatzrohres mehr mit.
§ 26. ä ist eine Nuance weiter als e: bei a werden der Unter-
kiefer und die Zunge ein wenig weiter gesenkt und so der Lippen-
spalt senkrecht etwas mehr erweitert als beim e,
§ 27. ä (gewöhnlich Umlaut zu a, z. B. dans — dam Tanz,
Tänze, dann häufig vor r) wird noch weiter gebildet als e. Die
Hinterzunge hebt sich ein wenig gegen den hinteren harten Uaumen.
Es klingt ein wenig weiter als das englische a in hat.
§ 28. a ist fast immer kurz (mnd. ä ist zu ä geworden). Die
Zungenwurzel wird gegen die hintere Rachenwand gehoben. Die
Stellung der Hinterzunge ist nicht niedrig; die Mundwinkel werden
nicht auseinandergezogen, ja, die Lippenöffnung ist nicht ganz voll-
91
ständig. Die Zähne stehen ^/g cm auseinander. Der Klang ist immer
ein wenig o-haltig.
§ 29. Weites o. Die Hinterzunge wird an den weichen Gaumen
zurückgezogen, die Vorderzunge liegt an der unteren Wand der
Mundhöhle, der Kiefernwinkel ist ein wenig kleiner, der Lippenspalt
kleiner und schmaler als bei a. Die Zähne stehen 3^/2 — 4 mm aus-
einander, ä ist noch etwas offener als 0.
§ 30. Enges ö (nur lang). Die Lippenöffnung ist noch kleiner
als beim 0. Die Artikulationsstelle liegt nicht so weit nach hinten,
die Vorderzunge ist etwas gehoben ; der Resonanzraum ist beim 0
also grösser als bei ö.
§ 31. Bei II und ü hebt sich die Zungenspitze immer mehr
und ist bei ü auf die Alveolen gerichtet. Im allgemeinen ist zu
bemerken, dass bei den Weichgaumenvokalen die Lippen nur wenig
vorgeschoben werden (nur um Bedauern, Flehen, Abweisung aus-
zudrücken, werden sie vorgestülpt). Auch findet eigentlich keine
Lippenrundung statt; der Spalt wird nur immer kleiner.
§ 32. Die Umlaute zu 0, ä, ö, u, ü sind ö, ä, 0, ü, fl. Sie
sind Hartgaumenvokale, und zwar werden ö, k, o am hintern harten
Gaumen, ü, ü am vorderen gebildet. Die Zungenspitze liegt bei all
diesen Lauten an den Unterzähnen, die Lippenöffnung ist ein wenig
grösser als bei den entsprechenden nicht umgelauteten Vokalen. Bei
ö, üj Ü sind die Lippen etwas mehr vorgeschoben als bei o, u, ü.
§ 33. Der unbestimmte, mit reduziertem Stimmton gesprochene,
unbetonte e-Laut, der der Ruhelage der Zunge entspricht, klingt in
unserer Mundart wie kurzes, offenes iL d verwende ich nur für den
vokalischen Zwischenlaut, dessen Artikulation durch die Nachbarlaute
mit Notwendigkeit gegeben wird.
Anm. Genäselte Vokale gibt es iu unserer Mundart nicht.
IIL Die Diphthonge.
§ 34. Unsere Mundart besitzt folgende Diphthonge: m, ei, oii,
öy (vgl. § 7, 1 a). Der erste Komponent in ei, ou, öy ist nicht ganz
so weit wie die entsprechenden einfachen Vokale e, 0, ö, der zweite
Komponent i, u, y aber noch etwas weiter, noch etwas mehr nach
geschlossenem e, 0, ö herüber, als die entsprechenden einfachen Vokale.
Daher liegen die beiden Komponenten dieser Diphtonge näher
aneinander als in den entsprechenden hochdeutschen Diphthongen,
der erste Komponent trägt den Exspirationsgipfel, beide Komponenten
sind kurz, der zweite noch etwas kürzer als der erste. Unter einer
bestimmten Bedingung aber wird der zweite länger als der erste:
vor Reibelauten, hinter denen ein e verstummt ist, also in Wörtern
wie hreiv Briefe, löy^ Geleise, hei öyvt er übt, vgl. § 17. Ich lasse
solche Überlänge von Diphthongen unbezeichnet.
§ 35. Hierzu kommen noch eine Reihe unorganischer Diph-
thonge, bei denen der erste Komponent lang, der zweite überkurzes
92
ä ist. Sie entstehen dadurch, dass r im Auslaut oder vor Alveolaren
infolge unterbliebener Hebung der Zunge zu ä geworden ist, z. B.
beä Bier, klöä klar, pöät Pforte.
IV. Die Aussprache der Halbvokale und Konsonanten.
§ 36. j wird mouilliert gebildet und wird mit leisem, aber
wahrnehmbarem Reibegeräusch gesprochen.
§ 37. w kommt nur vor nach Konsonanten, vor allem nach k,
s, t und d, z. B. kwäl Qual, swKlk Schwalbe, twe 2, dwed quer. Der
bilabiale Charakter dieses reduzierten Reibelautes tritt am meisten
hervor nach k^ am wenigsten nach d. Die Lippen sind weiter geöflfnet,
die Unterlippe noch weniger vorgeschoben als beim ü. Sonst wird
as. w (wie as. b) labiodental, d. h. v gesprochen.
§ 38. Die Nasale m, n, y. Der Verschluss wird beim m mit
den Lippen, beim n mit dem vordersten Zungensaum und dem mitt-
leren Zahnfleisch, bei y (ng) mit der Hinterzunge am weichen oder
harten Gaumen gebildet.
§ 39. l ist vokalisch, ohne Reibegeräusch. Die Exspiration ist
bilateral. Die Zungenspitze berührt das mittlere resp. hintere Zahn-
fleisch. Das i*-haltige, velare l in den Ostseegegenden (Meckl.,
Pommern) fehlt bei uns. Silbenbildendes / {ßötl Schüssel) wird durch
den /^-Laut bestimmt.
§ 40. Das r des Prignitzers ist ein Zahnfleisch -r, doch ist
altes r nur noch im Anlaut erhalten. Es wird gebildet, indem man
die Zungenspitze am Zahnfleisch der Oberzähne zum Schwingen oder
Zittern bringt. Dieses sehr stark gerollte Zungen -r ist ein
Charakteristikum des Prignitzers. Nur in den Städten beginnt das
Zäpfchen -r allmählich sich einzunisten.
Zu dem stark ausgeprägten r im Anlaut steht die schwache
Artikulation von ursprünglichem r im In- und Auslaut in auf-
fälligem Gegensatz. In der Endung mnd. -ren -eren (= hd. ern), vor
stimmhaften alveolaren Lauten und im Auslaut ist es zu einem halb-
kurzen oder überkurzen a-Laut reduziert (§ 13), z. B. büd Bauer,
büän Bauern, stämän (mnd. stameren) stammeln, köän Korn, pöät
Pforte. Vor den anderen Konsonanten wird wohl die Zunge noch
gehoben, aber sie erreicht das Zahnfleisch nicht mehr, und statt des
Zittergeräusches entsteht ein unbestimmter vokalischer Laut (den
wir mit f bezeichnen wollen), wobei der voraufgehende Vokal meistens
gelängt wird, z. B. bäfk Birke. Vgl. § 136.
Das neue r, das aus mnd. d {< sls. d^ d, {)) zwischen Vokalen
in der nördlichen WPri entstanden ist (§ 7, 2 a), wird im Auslaut
ebenfalls mit kräftigem Zittergeräusch gesprochen, lür Leute; ab-
geschwächt ist dieses Zittergeräusch in der Endung -fn < mnd. -den,
z. B. lühi läuten.
§ 41. Bei f (stimmlos) und v (stimmhaft) liegen die oberen
Schneidezähne leicht auf der inneren Unterlippe. Der Kiefer wird
nicht zurückgezogen.
93
§ 42. s (= ß) und z (= f) werden wie t, rf, w, l und .^ (scä)
am Zahnfleisch gebildet.
§ 43. Bei dem cÄ-Laut verschiebt sich ebenso wie bei k, g^ y,
s {seh) die Artikulationsstelle am Gaumen von selbst und in allen
Mundarten in gleicher Weise je nach der vokalischen Umgebung
(ach- und ich -Laut). Wir müssten drei Artikulationsstellen unter-
scheiden, am weichen Gaumen, am hinteren und am mittleren harten
Gaumen. Wie bei ä:, g, y, ä begnügen wir uns im allgemeinen mit
einem Lautzeichen auch für den cA-Laut: x. Nur wo es von
besonderem Interesse ist, den vorderen (mouillierten) Hartgaumenlaut
zu bezeichnen, gebrauchen wir das Zeichen y. Das Lautzeichen für
den X entsprechenden stimmhaften Reibelaut ist 3.
§ 44. Alle ursprünglich stimmhaften, sanften Reibegeräusche
zwischen Vokalen und e sind nach Verstummen des e infolge Nach-
lassens des Luftdruckes (§ 14) stimmlose Lenes geworden. Wir
bezeichnen sie mit s, ^, f, z. B.: müs Mäuse; dhg Tage; hhv Höfe;
Ikvt lobt und gelobt. As. w ist labiodentaler Reibelaut geworden
(ausser nach A-, 5, rf, ^ § 37) und wird durch v bezeichnet.
§ 45. 6, rf, g vor betontem Vokal sind stimmhafte Laute, bei
deren Artikulation man die vokalische Resonanz des Ansatzrohres,
den sogenannten Blählaut, hört (Bremer, Deutsche Phon. § 53 Anm.).
Der Blählaut fehlt vor l und r (z. B. brotirä Bruder), weil wir die
Luft schon ausatmen, bevor wir die Stimmritze schliessen, und nach
Konsonant, z. B. foutbayk. Zwischen k und g vor n schiebt sich ein
kurzer, leiser, geräuschloser Schall, z. B. konei Knie, gdnär Gnade
(s. Bremer a. a, 0. § 61, Anm. 2) Ich lasse dieses 9 im Folgenden
unbezeichnet. Aus mnd. -pen^ -ten^ -ken wird auf dem ganzen Gebiete
pm^ tn, ky^ d. h. die Explosion von p^ t^ k erfolgt erst, nachdem der
Nasenverschluss schon gelöst ist; z. B. släpm schlafen; seitn schiessen,
liky lecken ; mnd. -ven, -den^ -gen werden in der Südprignitz anders als
in der Nordprignitz behandelt (§ 7, 3 a).
Anm. g ist im nördlichen Teil der Pri wie in Meckl. im Anlaut durchaus
Yerschlusslaut, mit allerdings ziemlich weit nach vorn liegender Artikulations-
stelle. Im südlichen Teile der Pri ist durch Lockerung des Verschlusses g
(oder 5 ?) > j geworden (§ 7, 4).
Inlautendes g scheint schon zu as. Zeit 5 gewesen zu sein. Das
silbenbildende y der NPri, z. B. in vä-y Wagen scheint sich allerdings
besser aus -gmi als aus -jen zu erklären; aber ärtm schreiben muss
ja auch aus schnven statt schrlben erklärt werden. Jedenfalls muss
intervokales g frühzeitig zum Reibelaut 3 geworden sein: dk^ Tage
versteht sich nur aus älterem dä-^e. Im Auslaut ist es nach Holt-
hausen, As. El. § 234 schon zu as. Zeit stimmlos geworden. So
heute: d^ccx Tag, vex Weg. S. d. flg. §.
Anm. Üher die Aussprache von p^ t, k im An- und Auslaut s. § 19.
§ 46. Infolge Nachlassens des Luftdruckes sind am Ende des
Wortes alle stimmhaften Geräusche stimmlose Portes geworden:
94
d^ (/; V (= as. h), 7^y z zu t^ k; f, x, s; z. B. hont Hand, het Bett,
hiyl' lang, r///'gieb, .vr2/' schreibe, (Jnx Tag, r/Ias Glas. (Vgl. auch § 41).
§ 47. Die angewandten Lautzeichen haben folgenden
Lautwert:
ä = langes, offenes o (vgl. franz. encore)
a = „ „ ö (vgl „ imir).
ä = Zwischenlaut zwischen a und ä (vgl. engl, hat),
y (in Petit-Satz b) = /^ im hochdeutschen lang.
Xy -^ = hd. ch; 3 (in Petit-Satz cj) der stimmhafte Laut dazu.
s =^ hd. seh.
z = hd. r (stimmhaft).
Ij m, Uj r = silbenbildende ly niy n, r.
Geschichtliche Darstellung der Laute.
L Geschichte der einzelnen Lante.
A. Die Vokale der Stammsilben .
1. Kurze Vokale.
As. mnd a.
§ 48. a in geschlossener Silbe > ay z. B. gras n. Gras; rat
(as. hwat) was; draf (mnd. draf) Trab; af ab; an an; bat n. (as.
6a^A) Bad; gelax n., in der Redensart: int gelach rin ohne Ende und
Sinn, mit nhd. Gelage zu dem Zeitw. legen (S. Kluge, Wb.); hukhak
in der Redensart: iipt hukbak näm (vgl. as. te haka 7ieman) ein Kind
auf dem Rücken tragen; hax in der Redensart zo vkl as hach
unberechenbar viel; zant m. Sand; bayk f. Bank; drayk m. (as. drank)
Schweinetrank; nap n. (as. hnap) Napf; sap n. (as. skap Gefäss)
Schrank; spat (mnd. sp>at) Spat (Fusskrankheit der Pferde); flax n.
(mnd. vlach f. und m.) Strich Landes, Strecke Weges; fast (as. fast)
fest; ma^ f. (mnd. matte neben m^^^e) Metze; stay f. (as. stanga)
Stange; kap f. Kappe; foj;Ä: (as. lang) lang, Adv. entlang; foi? C^^-
langö) lange; tay f. Zange; hay bange; half halb; zalv f. (as. saZba)
Salbe; halx m. (as. 6a^^) Balg, ungeratenes Kind; ia/5 (mnd. ia/^rg)
Waschwanne; pan f. Pfanne; rfz^^aZ^ (vgl. as. dwahn Betörung, got.
dvals töricht, mnd. dwaly dwelsch) verdreht; kwast (vgl. as. quest m.,
mnd. quasty quest Laubbüschel) buschiges Ende; vaxt f. (mnd. wacht
Gewicht, Wage) Deichselwage (in SPri töy)\ draxt f. (mnd. dracht)
1. Tracht als Last, 2. Uterus der Tiere; kramp f. (as. krampo) Krampe;
mayk (as. gimang) zwischen Adv. Praep.; kat f. Katze; zat f, (zu as.
sittan sitzen) m. Satte; mas (as. maskä) Masche; dan f. Tanne, bes.
Kiefer; plax (mnd. plagge) Heidescholle; taky m. (mnd. tacke) Zacken,
Aststumpf; tapm m. (mnd. tappe) Zapfen, zapfen; lapm m. (as lapjyo
Zipfel eines Kleides) Lappen; snapm schnappen; zaky (mnd. sacken)
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sinken; jarfhj (mnd. janken) gierig sein (nach); blafn (mnd. blaff m)
bellen; balcy 1. backen, 2. kleben; raky (mnd. racken den Unrat
fortnehmen) kratzen, raffen, (Kartoffeln) aufnehmen; haky m (vgl.
nl. hak f.) Ferse, Absatz; slaxtn schlachten; slaxtn (zu as. slaht n.
Geschlecht) arten nach, kwalstä dicker Schleim; japm den Mund
aufsperren, um nach Luft zu schnappen; klaky mit Geräusch zu
Boden fallen; stiaky reden; spalky oder spalkän (vgl. mnd. spalk
Geschrei, Wirrwarr) zwecklos und mit Geräusch herum-hantieren,
-laufen; layy hinreichen, ausreichen, herunterlangen, sich jemand
kaufen; balky m. 1. Balken, 2. der Scheunenraum unter dem Dache;
tus m. (mnd. tas) Fach in der Scheune (neben der Tenne); gnaän
(vgl. ne. to gfiash) fest zerbeissen; gnapm schnappen nach; matä
m. weicher Schmutz; t'altn (zur Wz. walt- wälzen?) grosser Haufen
trockenen Heues, zum Aufladen zusammengestossen; raphoun n. (vgl.
dän. rap schnell, an. hrapa eilig stürzen und mnd. rapsnavel einer
mit einem losen Maul) Rebhuhn; dayky danken; akä m. Acker; apl
Apfel; fakl (as. fakla < vlat. facla < fdcnld) Fackel; fiarn f. (as.
flamma < lat. flammd)\ kalk m. (as. calc < lat. calc-em); flas (< vlat.
flasca?) Flasche; tos (< vlat. Hasca?) Tasche; tastn (mnd. tasten
< afranz. taster) ein Huhn nach einem zu legenden Ei befühlen u. s. f.
Anm. 1. »von* heisst fan und fon; der Wechsel zwischen a und o
findet sich schon in den Heliandhandschriften (s. Holthausen, As. £1. § 127) und
in den mbr. Urkunden (s. Graupe S. 11 und Tümpel, Ndd. Stud. S. 11 f.). In
rot f. (as. raita, mnd. rotte, nl. rot und rat) Ratte ist a > o^ in dun da, dann
damals (as. than)^ dn-nk (mit dem Ton auf der zweiten Silbe) vorhin, nachher
> u verdumpft.
Anm. 2. In einigen Wörtern ist a, wohl infolge von Unbetontheit, > a
geworden : c^t (as. thai, schon im Cot. zweimal thet, mbr. dat und det) das, dass ;
mm (as. newan ausser § 292, mbr. manj men) nur. Meckl. sagt dat und man.
Anm. 3. Aus dem Hochdeutschen scheinen mir entlehnt: slay f.
Schlange (gewöhnlich arä § 141; das as. slango ist männlich, vgl. § 334 Anm.)
und das Fremdwort jo/a^^ Platz, das mnd. plas heisst (< franz. place < lat. plaiea.
§ 49. a in oifener Silbe > ä, z. B. snävl Schnabel (§ 184),
sporadisch auch vor st, z. B. plästä Pflaster (§ 194 b); a vor mnd.
Idj It > 0, z. B. olt alt (§ 273); a H- r im Auslaut und vor Zahn-
lauten > ö, z. B. göä gar; böät Bart (§ 249); a 4- r -|- Konsonant
(ausser Zahnlauten) > a oder ä (§ 265).
As. mnd. e, der Umlaut von a.
§ 50. Altes Umlauts-e in geschlossener Silbe ist e, z. B. kern
(as. hebbian) haben; zeyy (as. seggian) sagen; zetn setzen; leyy (as.
leggian) legen, dazu lex n. (mnd. legge) f. Lage Getreide oder Heu
auf dem Erntewagen über den Leitern; teln (as. tellian) zählen; .^eln
(mnd. schellen) schälen, sei f. Schale (von Kartoffeln, Obst); klem
klemmen; af-, an-ven (as. wennian) ab-, an-gewöhnen; ven (as. wendian)
wenden; met n. (as. meti Nahrung) in metvost Metwurst und mets n.
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(as. mezas d. i. meUas < metsahs) Messer; (hky decken, dazu dek f.,
dekl m. Decke, Deckel; hek f. Hecke; het n. (as. bedfd) für *bed}
Holthausen, As. El. § 275, Anm. 3); vet7i (mnd. wetten, ags. hwettan)
wetzen, schärfen; net n. (as. net, netti) Netz; stein stellen; stem (mnd.
stemme, vgl. ags. stemn) untere Teil des Stammes; dempm dämpfen;
deyky denken; §eyky (as. skenkian) schenken; bfeyy (as. brengian)
bringen; hesp f. (mnd. hespe, haspe) Haspe, Türangel; kel f. (mnd. kelle)
Kelle; streyk m. (mnd. strenk, vgl. ags. streng) Strang, Strick; an-
streyy 1. anstrengen, 2. ansträngen, anspannen (Pferde); ßesii (mnd.
■dessen) von Flachs; stref (mnd. stref) straff; kemp m. (wohl = as.
k&tnpjo Kämpfer, s. Grimms Dt. Wb. unter Kämpe 2) Zuchteber;
tem-zn bändigen (zu tam zahm) ; speit m. f. (mnd. spelte abgespaltenes
Stück) Apfelschnitt; leyä länger; behen (mnd. behende zu hand) zart,
feingebaut; helft f. Hälfte; peniyk m. Pfennig; ey-kl Fussknöchel;
es f. Esche; eV% f. (as. *alisa, mnd. eise) Eller; ekä (mnd. ecker, eckeren
neben acker, ackeren) Eichel; steyl m. Stengel; heyk m. (mnd. henk
und henge) Henkel eines Topfes; veky wecken; streky strecken; pr^/H
(vgl. mnd. prellinge) zurückprallen; eystn (mnd. engesten) ängstigen;
beyy (zu as. engl enge) den Leib zusammendrücken; eyl (as. engil <
lat. angilus) Engel; trextä (mnd. trechter < lat. trajectm'iiim, vgl. ags.
tracter) Trichter.
Anm. 1. In rekia ausstrecken; hinreichen; langen; sich erstrecken scheinen
2 Verba zusammengeflossen zu sein: mnd. rekken < rakjan und mnd. reken
< germ. raikjan > ags. r^can, hochd. reichen.
Anm. 2. Das einfache ven fängt ap, darch das hd. gewöhnen verdrängt
zu werden. Verdrängt ist mnd. scheppen durch das hd. schaffen und mnd. helle,
as. hellia durch das hd. hol f. Hölle; doch ist helis, helsn höllisch im Sinne
von »sehr* erhalten.
§ 51. Eine jüngere Form des Umlaut -e ist d (Meckl. hat
auch hier e, s. § 6, 4). Dieses ä findet sich
1) überall da, wo ^die umlautlose Form daneben besteht und
als zugehörig empfunden wird oder worden ist" (vgl. Heilig 52, 4).
a) bei der Pluralbildung, z. B. gast (Sg. gast^ as. gast^ PL gesti)
Gäste; hdn f. (Sg. hant, as. hand — hendi) Hände, vgl. behen § 50;
dam (Sg. dam m.) Damm; gepflasterte Strasse, vgl. dem dämmen;
zäk (Sg. zak m.) Säcke; kam (Sg. kam m.) Kämme, aber kern kämmen;
väl (Sg. val) Wälle; stäl (Sg. stal) Ställe; gäy (Sg. gayk m) Gänge,
vgl. bigey auf dem Posten; kraft (Sg. kraft f., as. kraft — krefti)
Kräfte; fäl (Sg. fal m.) Fälle; bäl (Sg. bal m.) Bälle; std^i (Sg. stant m.)
Stände; bdn (Sg. iaw^ m., mnd. baut — bende) Bänder; pläky für
pläk (auch Sg. jetzt pldky {ürplakm.^ mnd. plack — plecke) Flecken;
kndst (Sg. knast m.) Knorren, Astknoten; ddm (Sg. dans m.) Tänze;
st^aws (Sg. swans m.) Schwänze; Ä^mws (Sg. krans m.) Kränze; Aa/s
(Sg. hals m.) Hälse ; Mfo4 (Sg. kalf n.) Kälber ; ddkä (Sg. daA; m.)
Dächer; fdkd (Sg. /aÄ; n., mnd. vak^ vgl. ags. /«c Zeitabschnitt) Fächer;
fdtd (Sg. /*a^ n., as. fat Gefäss) Fässer; Idnd (Sg. lant n.) Länder;
/4md (Sg. lam n., as. /a;w&) Lämmer, b) bei der Comparation,
z. B. swdkä (zu swak) schwächer; krdykä (zu krank) kränker, c) in
der Konjugation, z. B. fdlst, fdlt (zu faln) fällst, fällt; vdät (zu
vasn) wäscht, d) in Ableitungen, z. B. krdftix (as. kräftig) kräftig;
swdnzln schwänzeln; swdky schwächen; vds f. (zu i?aiw, vgl. ahd.
icesca) Wäsche ; ßeiysndpd m. (zu snapm schnappen) Fliegenschnepper ;
pldkix fleckig; grdfnits Begräbnis; jdmdlix jämmerlich, u. s. f,
Anm. Im östl. Teil der OPri heisst „Äpfel' ^)l, in der übrigen Pri apln
(mbr. appele und eppel). In gnU f. kleine Mücke (vgl. ags. gncet und mnd.
gnitte) stammt das ä, wie es scheint, ans der Mehrzahl.
2) Vor gewissen Konsonantenverbindungen.
a) Häufig vor Nasenlaut + Konsonant, z. B. hdm n. Hemd;
änt f. (mnd. e^it, etide^ vgl. ahd. enit\ das meckl. 5w^ § 6, 7 beruht
auf einem as. *antid, mnd. anet) Ente; (^rfn^, gdntd m. (mnd. gante,
nl. ^^n^) Gänserich; tfwi, strichweise a^?^; in sprök-dmk, pis-dmk (mnd.
emete, mneke) Ameise; hdmp (mbr. hennep, hempe) Hanf, dazu hdmpm
von Hanf, hdmpliyk Hänfling; hdnzln (vgl. mnd. hensen in eine Hansa
aufnehmen; Geld für die Aufnahme zahlen) vom Zusammentreten und
-zahlen der Kuhjungen am Pfingstabend zu gemeinsamem Trinken;
mdnix (mbr. mennich neben mannich) manch; kldnd < Kalender.
Aber z. B. kemp Zuchteber, ren wenden.
Anm. Ein Teil der OPri sagt l§ipk länger, die WPri, wohl nnter hd.
Einfluss, lepL Hochdeutsch sind anch kremf Krämpfe, kemfn kämpfen,
gefeynis Gefängnis, gestenix geständig, bestenix beständig, anstenix anständig,
ferner wohl grins Grenze, das sich im Mnd. noch nicht findet. — Auffallend ist
a in änä, andere, knks anders, wo es aus a entstanden sein muss (so auch in
glint?). Hat änän ändern eingewirkt oder die Nachsilbe k (< er), die an-
scheinend e In ä verwandelt hat in Ikkk Lecker (Schimpfwort für einen grünen
Jungen), /ä/ä Teller (mnd. teller, ieUör < afranz. taiUoir)?
b) vor cht (chst) und ft (fst) (vgl. Heilig, § 52, 2), z. B. zik
fä'dxtdn (mnd. vorechteren, vorachteren) Luft schöpfen, eigentlich sich
zum Schutze hinter etwas stellen, zu axtd hinter; drdxtix (mnd.
drachtig) trächtig; krdftix kräftig; sldxtd Schlächter; geldxtd n.
Gelächter; gesdft n. Geschäft; grdfst, grdft neben .jüngeren gröfst,
gröft gräbst, gräbt, zu gräm graben. Charakteristisch für WPri
(§ 8, 1 a) sind die Formen zäxst, zäxt sagst, sagt, gesagt (mbr. secht)^
läxst, Idxt, legst, legt, gelegt (mbr. lecht)\ hdst, hdt hast, hat (doch
schon mbr. hest, het neben hefst, heft); ,gehai3t' heisst hat; neben
zdxt, Idxt, pldxt (s. u.) stehen keine a-Formen.
Anm. 2. Einige dieser Wörter könnten auch unter 1 gestellt, einzelne unter
1 aufgeführte Wörter auch hier aufgezählt werden.
Anm. 2. Dass cht, ft wirklich die Ursache des Wandels von e zu I, ist,
beweisen Formen, in denen auch andere Vokale als Umlauts-e vor diesen Konsonanten-
gmppen zu a geworden sind : fkft, fiftkin, fkftix (mbr. vefte < viftCj as. ftfto,
veftein, veftich) öte, 15, 50; pikest, plkxt in WPri (mbr. plechst, plecht, zu
pleggen, as. plegan) pflegst pflegt. Vgl. aber slext schlecht, knext Knecht, •
rext recht.
Niederdeutsches Jahrbuch XXXI. 7
98
Anm. 3. andextix audächtig, hedextix bedächtig, prextix prächtig,
nidUrextix niederträchtig, anch wohl mextüt mächtig sind aus dem Hochdeutschen
entlehnt. Neben gestuft hört man das hd. geseß, namentlich in der Bedeutung
Eaufmannsgeschäft.
c) Vor r + t (= hd. z). Vor Gaumen- und Lippenlauten ist
ä unter zunehmender Reduzierung des r-Lautes fast zu d gedehnt
worden (vgl. §§ 54, 1, 57, 1, 136, 266). Nach § 6, 3 sagt Meckl.
hier a,
Anm. Ob Mnn brennen sein ä der Zugehörigkeit zu brant Brand ver-
dankt, oder aber ob mbr. bemen erst zu hhmenj dann unter hd. Einfluss zu
hrknyien geworden ist, ist schwer zu entscheiden. Für die erstere Auffassung
spricht das meckl. brenn; mm. bemen hätte in dieser Mundart barnen, brannen
ergeben (§ 272).
d) Sporadisch vor anderen Konsonantenverbindungen, z. B. in
kätln kitzeln, § 114, b. Anm. 2; twälv 12 (WPri tivölv, s. § 8, 1 b).
§ 52. As. e gedehnt > ä m offener Silbe, z. B. §äpl Scheffel
(§ 185); as. e gedehnt > ^ vor r im Auslaut oder vor r 4- stimm-
haften Zahnlauten, z. B. neän nähren, peät Pferd (§ 250); as e H- rd
+ Vok. sporadisch > ä, z. B. färich fertig (§ 272).
Germ. as. mnd. e.
§ 53. e in geschlossener Silbe > e, z. B. blek n. Blech; vex
m. Weg; gebet n. (as. gebed) in der Redensart int gebet näm verhören;
knext m. Knecht; rext recht; drek m. Dreck; velk welk; feit n. Feld;
gelt n. (as. geld Zahlung) Geld; nest n. Nest; fei n. Fell; heim m.
Helm; spek m. Speck; lekr) (mnd. lecken zu leck) leck sein, tröpfeln;
lekä (mnd. lecker) schmackhaft; feig (as. velga) Radfelge; telx st. m.
(mnd. telge) Zweig; gest m. Hefe; trekr) (mnd. trecken) ziehen; mein
melden; helix (mnd. heilich ermattet) lechzend; af-bleky (mnd. blecken
entblössen, blek Fleck, in grammat. Wechsel zu hd. flecken) die Rinde
verlieren, von der Rinde entblössen; zex n. (mnd. segge) Sumpfgras;
kelä m. (as. kellere < mlat. cellarium) Keller; pel f. Schale von ge-
kochten Kartoffeln, pel-tüvl Pellkartoffeln (mnd. "^pelle nicht belegt;
aus dem nl. pel? dieses aus afrz. pel, Zw. peler, lat. pellis Fell).
Anm. 1. Im Praeter, der ursprünglich reduplizierenden Ztw. mit dem
Praesensvokal a + Doppelkonsonanz (§ 383) ist durch Ausgleichung as. e > i^
geworden, also füy fing (as. feng), hül hielt (as. held). Näheres s. § 380 Anm.
und § 366.
Ankn. 2. Aus dem Hd. entlehnt ist zeltn (as. seldan, mnd. seiden hätte
xeln ergehen) und wahrscheinlich auch stim f. Stimme (as. stemna, mnd. stemne,
stemme nehen stimme).
§ 54. Germ, e hat sich wie Umlauts-e zu d gewandelt
1) vor mnd. r + stimmlosen Zahnlauten: hdt Herz, gdst Gerste
(§ 263). Vor Gaumen- und Lippenlauten ist dieses d > d gelängt
worden. (Vgl. §§ 51c, 57, 1 und § 267).
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2) Zuweilen vor mnd. ddj dr > r(r), besonders wenn -er (> ä)
folgte (§ 51, 2 Anm.): färä (mnd. vedder) Feder; lärä (mnd. ledder)
Leder; Im-ix (mnd. leddich) leer; häräk (mnd. hederik) Hederich.
Doch pern (mnd. pedden) traten; ver^i (mnd. iveddeti) wetten u. s. f.
3) Sporadisch vor anderen Konsonantenverbindungen, besonders
vor Nasenlaut -|- Konsonant (§ 51, 2): läks f. (as. lekzia Vorlesung
eines Abschnittes aus der Bibel) auswendig zu lernende Buchstelle;
ziiml m. (< hd. semmel, ahd. s&tnala f.); zämp m. (mbr. sennep, sempe
< vlat. smapt).
4) Infolge von Unbetontheit in däii (as. thena) dem, den.
§ 55. Germ. ^*in offener Silbe > ä, z. B. bräky brechen (§ 187);
e -f- auslaut. r oder vor r + ursprüngl. stimmhaften Zahnlauten
> e, z. B. smeä Schmiere, geän gerne (§ 251); e vor mnd. rd 4- Vok.
sporadisch > ä, z. B. vdfn werden (§ 272); e > ö labialisiert, z. B.
smöltn schmelzen (§ 277 a); > ü in zälm selbst (§ 277 d Anm.);
as. stve- > zu, z. B. zäl Schwelle. (§ 128 Anm. 1.)
As. mnd. t.
§ 56. As. i in geschlossener Silbe > i, z. B. ik ich; zik
sich; pik n. (as. pik < lat. ptcem) Pech; ßä Fisch; dik (as. ^ÄiArii
dicht, dick) dick; Mint blind; kint Kind; vint Wind; riyk m. (as. kring)
Ring; spriyk m. (as. spring) Quelle; ftnj^i m. grüner Anger; kliyk f.
{mui, klinke) 1. Türriegel, 2. Aufnäher am Frauenkleide; giß i, (mnd.
^i/if«) Festlichkeit; rfn/^ Trift; diyk Ding; diysdax (mnd. dingsedach,
s. Kluge, Wh. unter Dienstag) Dienstag; gou^-flik f. (vgl. mnd.
r/icig, ags. ^iccö Speckseite) Gänsebrust; hit f. (as. hittia) Hitze;
(j&zixt n. (as. r^isiA^ Anblick) Gesicht; ge.^rixt n. (mnd. geschrichte)
Geschrei; lin f. (as. lindia) Linde; rixt f. (as. rihti Richtschnur) ge-
rade Richtung; tit f. Zitze, dazu wohl titl-mes Meise; bit n. (mnd.
hit) Gebiss der Pferde; kin Kinn; spin n. (mnd. spinde) Kleider-,
Wäscheschrank; stil still; hilt (mnd. hilde, hille, das zum germ. Stamme
hildi Kampf gehören wird, vgl. hd. bald < germ. balp kühn) eilig;
bitä bitter; vintä Winter; bin (mnd. binnen) binnen; bin (as. bindan)
binden; vin (as. winnan kämpfen, erlangen; erleiden) gewinnen, fä-vin
verschmerzen; vin (as. windan) winden; stiky m. (mnd. sticke) Pflock,
dazu stikydXistä stockfinster; äimpm schimpfen, ßyä Finger; timän
(as. timbron < Himron) zimmern; tipm (vgl. ne. to tip) anrühren;
süpm tunken; kipm kippen, auf die Seite fallen; mpm (mnd. tvippen)
auf- und niederbewegen, daher vip f. in upt vip stän auf der Wage
stehen; glipm entgleiten; kniky abbrechen, einbrechen, dazu knik m.
lebende Hecke, die durch Abbrechen kurz gehalten wird; slik Schlamm;
^h f. Spitzhacke; biky die Schale des Eies von innen mit dem Schnabel
durchstossen, von Küchlein (vgl. kelt.-rom. beccus Schnabel und Kluge,
unter Bicke); äinä (mbr. schinner zu as. biskindian abrinden, schälen)
Schinder, Abdecker; pisn mingere; pliykdn (mnd. plinken) blinzeln;
'plimn weinen; bikbeä f. (mnd. bickbere) Heidelbeere; der östliche Teil
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der OPri sagt dafür köUky (= Kuhzecke?); tin (mnd. tindej vgl. an.
tindr) nur noch erhalten in häkl-tin Zinken der Flachshechel; vinl f.
(as. ivindila) Windel; vik f. (as. wikka < lat. viciä) Wicke; kist f.
(< lat. cistä) Kiste; diä (as. disk < griech.-lat. discus) Tisch; pin f.
(as. pin m.?) Pinne, Pflock; piy-stn (as. pinkoston < griech.-lat.
pentecoste) Pfingsten; pip m. (< vlat. ptppUa) Pfips (Hühnerkrankheit).
Anm. 1. German. Wechsel zwischen i and e ist in unserer Ma. zu
Gunsten von i entschieden in: likia (as. likkon) lecken; snik f. (mnd. snigge
m. f.) Schnecke; flikTn m. (vgl. mhd. vlecke) Flicken, Lappen Zeug; rik n. (mnd.
rick und reck) lange, dünne Stange; gistin (mnd. gisteren, gisterne neben
gesteren, gesterne, s. Tümpel, Ndd. Stud. S. 17 unten); blis m. (mnd. bles, blesse)
weisser Stirnfleck.
Anm. 2. Ob fits f. (vgl. as. vittea, ahd. fizxa) eine durch das „Fitzel-
band'' abgebundene, 60 Fäden starke Menge Garn, und slits f. Schlitze aus dem
Hochdeutschen entlehnt oder selbständige s-Ableitungen sind, etwa wie flits Pfeil
in flitS'hhi Flitsbogen und flitsn wie ein Pfeil fliegen, vermag ich nicht zu ent-
scheiden, auch nicht, ob lits Litze direkt aus dem französ. lice < lat. licimn
oder aus dem hd. luxe stammt.
§ 57. Mnd. e < as. i ist zu ä geworden
1) vor mnd. r + s in dem veraltenden käsbän < mnd. kerseberen
Kirschbeeren d. i. Kirschen. Vor Gaumenlauten ist dieses ä zu ä
gedehnt worden (vgl. §§ 51, c, 54,1 und § 268).
2) vor mnd. dd > r, z. B. värä (mnd. wedder) wieder; päräk n.
(mnd. peddik) HoUundermark; in dem veralteten ndrn (mnd. nedden)
nieder (vgl. § 54, 2 und § 242 Anm. 3). Doch mir (mnd. midde)
Mitte u. a. m.
3) infolge von Unbe tont hei t in dm (jxmA. enie) ihm, ihn (vgl.
§§ 48 Anm. 2, 54, 4 und 188 Anm. 4).
§ 58. As. i in offener Silbe > ä, z. B. tiä-y (as. nigun) 9
(§ 188), > e m smet und ähnl. (§ 197); as. i vor gedecktem Nasen-
laut sporadisch > e^ z. B. swera schwimmen (§ 276); as. i labialisiert
> ü oder öj z. B. bün bin, rön Dachrinne (§ 277 d); as. i -H r im
Auslaut oder vor stimmhaften Zahnlauten > e, z. B. ^ä ihr (§ 252);
as. i -f- r -}- Gaumen- und Lippenlaut > ä, z. B. bärk Birke (§ 268);
as. i 4- A + Vokal > ei, z. B. zei sieh (§ 245, 3).
As. mnd. o.
§ 59. As. 0 in geschlossener Silbe > o, z. B. nox noch;
mos n. (mnd. mos, vgl. nl. mos) Moos; rotn (as. roton, ags. rotian
faulen) faulen; §ot m. (veraltet; vgl. mnd. schot n.) Steuer; dazu
äot-geyd alte Bezeichnung für Paschgänger, Schmuggler; äok n. Schock;
stok m. Stock; hok f. (mnd. hokke, vgl. afries. skokka) Getreidehocke;
oft oft; /ros^ m. Frost; pot m. Topf; ^oft n. Gold; holt n. Holz,.
Gehölz; rok Rock; Awoi f. (mnd. knocke) Bündel Flachs von einer
bestimmten Anzahl Kisten; top f. eine bestimmte Masse von Heede;
flot in dntn-ßot Wasserlinse, lemna palustris, zu mnd. vlot == was
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oben schwimmt, as. vloton schwimmen, vgl. auch nl. flot Rahm, engl.
to fleet abrahmen; foly folgen; hopm m. (mnd. hoppe) Hopfen; kloprii
klopfen; doxdä f. Tochter; voky m. {mnd. toocke) Spinnrocken; dop m.
Schale, Hülse; h^op m. (mnd. kröpf p) 1. Rumpf, 2. Kropf) 1. Kropf
(der Vögel), 2. runde Schwellung am Halse der Pferde; torn (vgl.
mnd. toddeln einzeln herausfallen, im Ablaut zum hd. ver-zetteln)
streuen, besonders von Körnern gesagt, die aus zu trockenen Ähren
oder aus einem kleinen Loche im Sacke herausfallen; kostn (as. koston)
schmeckend prüfen; kostn (mlat. cöstare) kosten, wert sein; post m.
< lat. postem) Pfosten; klock f. (mnd. klocke < kelt.-lat. ^locca) Uhr;
kopln (mnd. koppelen < lat. cöpulare) zusammenbinden, dazu kopl f.
gemeinschaftlicher Weideplatz; kopä n. (as. kopar, mbr. kopper , ags.
copor < galloroman. c6preum für vlat. cupreum; vgl. Festschrift für
Adolf Tobler, Braunschweig 1905, S. 263.
Anm. 1. got (as. god) ist hd., s. § 303 a.
Anm. 2. As. o im Auslaut ist zu ö gelängt in jö (as. eo, io je), in
max jö warum nicht gar; ^ö nix ja nicht. Vgl. § 108.
§ 60. Ursprüngliches lautgesetzliches Schwanken zwischen u
und 0 ist in unserer Mundart, z. T. schon in alter Zeit, durch Aus-
gleichung oder durch lautliche Einwirkung der Nachbarkonsonanten
(vgl. Schlüter bei Dieter I, 103) entschieden
1) zu Gunsten von w.
a) nach w, f, h oder vor ly II, l + Konsonant.
vtilf m. (as. wiilf) Wolf; vulk f. (as. wolkan n. wulka f.?, mnd.
wölken n. neben wölke, wulke f.) Wolke; vul f. (mnd. wulle) Wolle;
dul (as. dol, mnd. dul töricht, dol toll) toll; ful (as. ful, einmal fol)
voll; stul f. Stolle (Butterbrot); grul (vgl. ags. gryllan knirschen)
Groll; huläfi (mnd. hulderen, zu hol hohl) dumpf rollen; vgl. auch
hulpm geholfen (as. holpan)^ und zül (mnd. sculde) sollte neben zol
(mnd. scolde)^ s. § 7, 3 b.
Anm. 1. Aber folk n. (as. folk) Volk; für das Altniederfränkische wird
durch afrz. prov. folc mit geschlossenem o ein */*WA; vorausgesetzt ; vgl. auch
die zahlreichen mit Falk- gebildeten Namen. Über as. fugal s. § 191.
Anm. 2. Auch folgendes w und b begünstigt u: duvlt (mnd. duhbelt
< afrz. döble, dovble) doppelt; kuvU m. (frz. coffre) Koffer; vgl. sruvk (zu mnd.
schritbben kratzen, rein scheuern ; me. scrobben, scrubben) kurzer stilloser Scheuer-
besen für eine Hand.
b) vor Nasalen.
truml f. (zu as. trumha) Trommel; zun f. (as. sunna f. neben
mnno m.) Sonne, aber unter hochdeutschem Einfluss, zugleich mit
unorganischem Umlaut, wie in gröän Groschen, zöldät Soldat: zöndmt,
zöndax Sonnabend, Sonntag (schon mbr., wie überhaupt mnd. sunn-
avend, sundach neben seltnerem sonnavend, sondach; Meckl. hat zun,
zunämt, zündach); tun (mnd. tunne) Tonne; dunä m. (mnd. dunner)
Donner; dunädax^ unter hochdeutschem Einfluss jetzt meistens dunäsdax
(mbr. dunredax) Donnerstag. Vgl. swum geschwommen (as. swumman).
102
Über kün, kun konnte s. § 7,3 b, üher z&mä m. Sommer = as. smnar
s. § 242, über kä-m < as. kuman kommen s. § 191.
c) in anderer Umgebung:
ktis m. (as. kus, kos, vgl. ags. coss) Kuss; supm m. (mnd.
schoppe, vgl. ags. sceoppa und scypen) Schuppen; huk m. (as. huk)
Bock; ttiky (mnd. tttcken) ruckweise zerren; kluk f. (mnd. klucke, vgl.
das ags. Ztw. clocdan, nl. klokken) Glucke. Über miixt, miixt mochte,
gemocht vgl. § 7, 3 b.
2) zu Gunsten von o in: fos m. (as. /oAs; auch fuhs?); tox
(mnd. toch, vgl. ags. tyge)\ mol f. (mbr. molde, vgl. mhd. muld^)
Mulde; rol f., Ztw. roln (mnd. rolle, rulle; rollen, riillen) rollen; Meckl.
ruly ruln; olm, olmix (mnd. olm, olmich, ulmich) verwestes Holz.
Anm. 1. Das o in stopm (as. stoppon)] kop m. (as. kop) Kopf, tasn-kop
Obertasse; stopl f. (mnd. stoppet, vgl. ahd. stupfala) bin ich geneigt, auf gallo-
romanisches ö (geschlossen) < lat. u zurückzuführen, also auf roman. stöppare,
cöppa, siöpla < mlat. stuppare, cuppa, st^pula für stipula. Vgl. § 235 b und
Festschrift für A. Tobler S. 265. Über hodk Butter vgl. § 242.
Anm. 2. bedruck m. (mnd. droch n.) Betrug ist halb hochdeutsch.
§ 61. As. 0 in offener Silbe > ä, z. B. äprn (as. opan) ofiFen
(§ 189); mnd. o -4- ^ im Auslaut oder vor stimmhaften Zahnfleisch-
lauten > ö, z. B. döä Tor, vöätWort (§ 253); mnd. o vor den übrigen
r -Verbindungen s. § 136 c, § 268.
Mnd. ö, d. i. i-Umlaut zu ö.
§ 62. Der Umlaut zu o ist ö, z. B. stök Stöcke; fös Füchse;
lökä (Sg. lok) Löcher; dik-köps (zu kop) eigensinnig; köpky n. (mnd.
köppeke < kop(pe)) Obertasse, Schale; pötä Töpfer (zu pot)\ kost f.
Schmaus in Wörtern wie bräklköst, rixtköst (zu kostn); üt-hölkän (mnd.
kolken^ zu hol hohl) aushöhlen; döpm (mnd. döppen) aus der Schale
lösen; aus der Schale fallen; kröpm (mnd. kröppen krumm biegen;
vgl. ags. cropp Baumwipfel) stutzen (Bäume), dazu wohl kvdkröpk
übermütig; kösdd (as. kostaräri < mlat. custorarius) Küster.
Anm. Vielfach ist Ö unorganisch, d. h. durch den Plural in den Singular,
durch Verbalformen in Substantivformen, gedrungen, z. B. in xökß m. (mnd.
socke Filzschuh) Socken; sprök n. (mnd. sprock) trockenes Leseholz, sprök-hnk
grosse Waldameise; hrölcß brocken; feröÄB m (vgl. mnd. bröckel und as. hrokko)
Brocken; pölm. (mnd. polle Wipfel) Haarknoten; Federbüschel auf dem Kopf von
Vögeln; gröän (mnd. grosse < mlat. grossus) Groschen. Vgl. auch o -|- r (§ 269).
§ 63. Nach dem Grundsatz, dass enge Zusammengehörigkeit
von Formen auch Annäherung der Laute nach sich zieht (vgl. ä < e
als Umlaut von a § 51), zeigt jüngeres o < a -{- Id, It (§ 273) den
Umlaut ö, z. B. ölä älter zu olt alt; holst, holt halst, hält zu holn
halten; dagegen faluj fälst, fält (Meckl. fölst, fölt),
§ 64. Altes Schwanken zwischen ö und ü ist in unserem Dialekt
zu Gunsten von ö entschieden in: höltn hölzern; als Subst. Holz-
pantoffel (zu holt Holz; vgl. westfäl. hilltn)\ sötn zu mnd. schot Kiegel
103
Verschluss, noch erhalten in äotkel f., hinterer Wagenverschluss, vgl.
ags. scyttan, ne. to shut) riegeln; möl f. (mhr. mölle; 7nölne, as.
*mulina in mulinsten < mlat. molinä) Mühle; dazu möld (as. mulinari,
mbr. möllener, möller < mlat. molinarius) Müller.
§ 65. mnd. o > i in offener Silbe, z. B. kkv Höfe {§ 190);
mnd. ö -+- r vor stimmhaften Zahnlauten > o, z. B. vod Worte (§ 254);
ö ■+• r vor den übrigen Konsonanten s. § 269.
As. mnd. u.
§ 66. as. ü in geschlossener Silbe > ti z. B. up auf; un (mnd.
unde) und; htipup das bekannte Blasinstrument aus Weidenrinde;
s^wmp stumpf; sult f. Schuld; ^mo;^ f. Zucht (was aufgezogen wird);
juyk jung; kunst f. das Können, Kunst; luft f. (as, luft m. f.) Luft;
strump m. (mnd. strump Halbhose) Strumpf; zump Sumpf; rmt f.
(mnd. rüste) Rast, Ruhe, nur noch erhalten in dem fast verschollenen
riistkastn^ das alte nd. Wort für das hd. zarx Sarg; sluyk m. Schlund;
rump m. Rumpf; im-rump (mnd. immen rump) Bienenkorb; äruft f.
(zu mnd. schrüven schrauben) Schublade; äuft f. (zu mnd^ schüven)
Schulter; stuft f. Treppenstufe; slump m. (mnd. slump) grosses Glück,
Zw. slumpm sehr glücken; snvk f. weibliches Schaf; klump, klumpm
Klumpen, Haufen; huts f. Fussbanke; huks f. Frosch (Kröte) (zur
germ. Wz. hukk hocken, kauern); kum n. (mnd. kum(p) Trinkschale
ohne Henkel; tuy f. Zunge; duy f. bestimmte Menge spinnfertiger
Heede; vun f. (as. wunda) Wunde; huyä m. Hunger; vunä n. Wunder;
sulä f. Schulter; knupm (mnd. knuppe) Knoten; luntn (mnd. /t^w^ej
Zündfaden; mnl. lotnpe Lunte, Fetzen zum Anzünden) alte Lumpen;
mulsn (mnd. mulschen verfaulen) anfangen zu faulen, mulsix halbfaul;
srumpl f. (mnd. schrumpe) Runzel; humpln lahm gehen; fuään (vgl.
mnd. vMsken hantieren und hd. Pfuscher) mogeln; supsn (mnd.
schuppen stossen) Iterat. zu süm schieben; mußx (vgl. nl. muf)
schimmlig; vuspdlix (in anderen Mundarten wisplix, vgl. mnl. unspelen
unruhig hin- und hergehen) unruhig (von Kindern); sumän, §umätit
(mnd. Schummer, im Ablaut zu hd. schimmern) dämmern, Dämmerung;
up-hlukf) (zu hlik = heller Strahl) aufblitzen; fluykän (vgl. mnd.
flunken freundlich tun und früh nhd. flinken glänzen, s. Kluge, Wb.
unter flunkern) harmlos lügen; luyän (vgl. mnd. lungerie müssiges
Umhertreiben und engl, to linger) herumlungern; vuxtn (im Ablaut zu
Ge-wicht und mnd. wacht Wage) mit der Hebelstange heben; vuxthöm
Hebelstange; bumln 1. baumeln, 2. umherbummeln.
Anm. Hinsichtlich des Ausgleiches zwischen ursprünglich schwankendem
n und 0 vgl, § 60, hinsichtlich ü für u vgl. § 68, Anm. 1.
§ 67. As. u in offener Silbe gedehnt > ä, z. B. fägl < as.
fugal (§ 191); w -f- r im Auslaut und vor stimmhaften Zahnlauten
> ö, z. B. föä Furche (§ 255); w -+- r vor stimmlosen Zahnlauten,
vor Lippen- und Gaumenlauten > o, z. B. storm Sturm (§ 270);
« -H rr s. § 135.
104
Mnd. ü, d. i. i- Umlaut von u.
§ 68. Mnd. ü in geschlossener Silbe > ü, z. B. pün Pfunde
(Sg. punt, as. pund < mlat. pondo); välv (Sg. vulf) Wölfe; düld
(Kompar. zu dul) toller; füld, fillix, füln völler; völlig; füllen; sülix
schuldig; gedülix geduldig; knüpni knüpfen; — dün (as. thunni) dünn;
hülp f. (as. hulpa für *hulpia) Hilfe; äürn (as. skuddian) schütten,
schütteln; an-äiin (as. skundian) anreizen; süp Schuppe; sprüt (mnd.
sprütte) Spritze; grüt f. Grütze; stüt f. Stütze; süt f. (mnd. schütte)
Vorrichtung zum Stauen des Wassers, Durchlass (gehört zu mnd. schot
Verschluss; ags. scyttan schliessen § 64); §üt (Eigenname = Schütze,
vgl. ags. scytta); hüt Hütte; um (as. umbi) um; kül f. (mnd. külde)
Kälte; dazu zik fäküln sich erkälten; nüt, unüt (as. nutti) brauchbar,
unnütz; düxdix tüchtig; stülpä (mnd. stülper) Blechdeckel auf einem
Topfe; stük Stück, Ackerstück; drüky drücken; drucken; krük f.
(as. krukka für *krukkia, vgl. ags. crycc) Krücke; hüls-huä (as. hulis)
Stechpalme; zun Sünde; lüm f. (vgl. as. lunis st. m. und lun st. f.)
Lünse eines Wagens; tütl m. (as. tuttili Brustwarze) Pünktchen; drüml
(mnd. drümmel) hartes, dickes Exkrement (zu thrimman schwellen?);
knütn (mnd. knütten, vgl. ags. cnyttan) stricken; pütn m. (as. puttiy
mbr. pütten < lat. püteus) Ziehbrunnen (§ 7, 1 b); küsn n. (mnd. küssen,
mnl. cussijn < afrz. cotcssin < mlat. coxmus, P. Meyer, Romania 21, 83.
Anm. 1. Alter Wechsel zwischen u und ü ist in unserer Mundart aus-
geglichen zu Gunsten von u in vuln (mnd. wullen, westf. wüllen)\ rutsn (vgl.
mnd. rutschen) rutschen; zu Gunsten von ü in bültn m. (mnd. bülie, afries. bult,
vgl. md. bulten, nl. bult) bewachsener Erdhaufen; tümln (mnd. tuynelen^
taumeln; nüki^ Mz. (mnd. nv^k m. nücke f.) Tücken, Launen; rük in upm rük
im Nu (vgl. mnd. rücken rasch fortbewegen, fortreissen und ahd. ruc Bück);
büt f. (mnd. bütte, vgl. ags. byit Schlauch, und as. buterik Schlauch, nach
Kluge von mlat. btitina, nach Gröber, Archiv für lat. Lexicographie I, 254
von mlat. *buUis)y Bütte, Butte; plükij (mnd. plücken, nl. plukken < vlat.
piluccare)) büksn (in anderen nd. Mundarten auch 2)oA;5n und buksn = engl.
btickskins) Hosen.
Anm. 2. Über das t^ in zun sang, /i^d fing, Mn konnte, günn gönnen
u. 8, f. 8. §§ 366, 383, 398. Über züs sonst (as. sus so, sonst), ümzüs um-
sonst, vgl. § 142 Anm.
§ 69. Alter Wechsel zwischen ü und o, ö (entsprechend dem
Wechsel zwischen u und o § 60) ist zu Gunsten von ü entschieden
in mül m. (mnd. mul, vgl. ags. molde) lockerer, trockener Staub,
Kehricht; drüpm (mbr. drüppe, vgl. as. dropo, westf. dräpm) Tropfen;
drüpln (mnd. drüppen, droppen) tröpfeln. Ich erwähne hier auch
tüvl(n) 1. Kartoffel (it. tartufolo), 2. Pantoffel (mnd. pantuffele).
§ 70. As. ü in offener Silbe > ä, z. B. kvl (as. ubil) übel
(§ 192); sporad. > ö, z. B. 5ÖY/ Schüssel (§ 242 und Anm.); as.
w H- r im Auslaut oder vor stimmhaften Zahnlauten > O; z. B. foä
für, fd-todn erzürnen (§ 256); mnd. «^ + r vor anderen Konsonanten
> ö, z. B. -yöVj; würgen (§271).
105
2. Lange Vokale.
As. mnd. ä.
§ 71. As. mnd. ä > ä, z, B. §äp n. (as. scäp) Schaf; vän m.
(as. wän f. Zuversicht) Wahn; stän (as. stän) stehen; gän (as. gän)
gehen; an ohne; mäln malen; bräk (mnd. hrake neu gepflügtes Land,
zu and. gihräkon abgeerntetes Land umbrechen) Brache, brach; mal n.
Mal; nät f. Nat; drät m. (as. ^Arörf Faden) Draht; rät m. Rat; zät f.
(as. säd n.) Saat; mät n. (vgl. mnd! mute f.) Mass; s/^p m. (mnd.
släp) Schläfe; träx (as. trag) träge; grär f. (mnd. gräde) Gräte;
däk m. (mnd. däk) Nebel; dät Tat; 5/ Aal; as n. Aas, dazu äzn be-
schmutzen (^^ii /w/<fop sich beschmutzen), verschwenden; trän m. Tran;
kräm Kram; hlh& f. (as. hldsa^ Blase, Blasinstrument; plKg f., plä-y
(mnd. plage, plagen) plagen; lk§ Lage; rä^ Wage; vä-y wagen; ääl f.
Schale; Aw^a? Qual; sprJA; f. Sprache; ^w5r Gnade; gnärn {a,s. gi-näthon)
verzeihen (von Gott); drär (mnd. dräde) schnell, bald, besonders in
der Wendung so drär as sobald als; präin (mnd. prälen, vgl. mnl.
präl m. n. Prunk, Prahlerei) prahlen; sträl m. (as. sträla Pfeil) Strahl;
nädl {. (as. wädto) Nadel; tädl {ygl. B.\id. zadal Memgel) Tadel; ädlm,
(mnd. ädel, vgl. ags. ädl Krankheit) Nagelgeschwür; ärä f. (mnd.
äder Ader; Mehrzahl auch Inneres, Eingeweide) Ader; dazu wohl
äräkouon (mnd. äderkouwen) wiederkäuen, vgl. as. in-äSiri Eingeweide
(holst, edderkauen, mnl. edercaiiwen wird zu got. it-j ags. ed-, ahd.
it- = wiederum gestellt), eine andere Erklärung s. § 142 Anm.;
swäi^ä m. (mnd. swäger) Schwager; rädl (as. rada oder rädo Unkraut;
Leitzmann, Herrigs Archiv CV, 386, Gallee, Vorstudien zu einem
Altniederdeutschen Wörterbuch, Leiden 1903, setzen rMo m. an)
Kornrade; päl (as. päl < lat. pähis) Pfahl; strät f. as. sträta < lat.
strätä) Strasse; päs in pää-äiä Ostereier (sls, pdska < kirchenlat. päsca).
Auch hoch- oder schriftdeutsches a Yfird ä (der Lautwandel
ist noch lebendig), z. B. straf f. Strafe, kanäl Kanal, zöldät Soldat.
Dem Hochdeutschen entlehnt sind auch ätn Atem, das nicht auf as.
öAmi, mnd. adem beruhen kann, und gräf Graf. Wohl findet sich
schon in den mbr. Urkunden gräve neben greve, aber gräve hätte
grlx) ergeben. Mänt m. (as. mänuth) Monat wird immer mehr durch
das hd. mönat verdrängt und eigentlich nur noch in Zusammen-
setzungen wie jünimänt gebraucht. Unter Einfluss dieses mänt, mehr
noch aber unter Einfluss des hd. ^Mond^ hört man häufig statt
man m. (as. mäno) Mond mänt — Das einzige Wort, in dem ä sich
erhalten zu haben scheint, ist da dort, das neben dem lautgesetzlich
aus as. thär, thar entwickelten döä gebraucht wird. Ich glaube, dass
da aus dem Hd. entlehnt ist. (Vgl. § 137.) In OPri ist döä selten.
In der Wenkerschen schlafen-Karte (schlafen = släpm, as.
däpan) bildet die mecklenburgische Landesgrenze die Scheide zwischen
einem schlap- und einem schloap-Gehiet Ähnlich wird in der Ofen-
Karte zwischen dem ab- und oJ-Gebiet geschieden. Ich kann be-
106
zeugen, dass in Mecklenburg ebenso släpm, am gesagt wird, wie in
der Pri, vor allem WPri, släpm und am, dm. Der Unterschied ist
rein graphisch.
Die Übersetzer in Mecklenburg haben die Schreibweise Groths
und Reuters angenommen, die in Brandenburg haben den zwischen
ö und a stehenden Laut durch oa dargestellt. Vgl noch § 189 Anin. 3.
§ 72. d -H A -H Vokal ebenfalls > ä, z. ß. man m. (as. nidho,
schw. m., mnd. 7nan) Mohn; nä Adj. Adv. Praep. (as. näh, vgl. den
Akk. näan in den Werdener Prudentiusglossen) 1. nahe, 2. nach,
s. auch § 295 b; tax (mnd. td) zähe, mit grammatischem Wechsel,
s. § 295 c Anm. Dieselbe Entwickelung nahm das aus -aha- schon
in mnd. Zeit entstandene ä in trän f. (nmd, träne, trän m, as. Mz.
trahni, Einz. '*trahan) Träne, vgl. trän Tränen; mal n., dafür durch
Volksumdeutung in manchen Dörfern, z. B. Boberow, mänt (as. mähal
st. n. Gerichtsstätte) Freistätte beim Spielen; stäl m. (hd.?, vgl. ahd.
stahal, stäl, as. stehli n. Werdener Prudentiusglossen) Stahl; s. auch
öä f. Ähre < as. ''^ahar § 257.
§ 73. Westgerm, an > ou in klou f. (mnd. kläwe, klatie, klouive,
klä) Klau; lou (nl. lauw, vgl. ahd. läo) lau. In öy-hrän Augenbrauen
scheint das ä auf as. hräha (nach § 72) neben hräwa zu beruhen
(germ. brehwö?): Heliand 1706 schreibt Mon. brähon (dat. plur.), Cott.
hräwon, die mnd. Form ist hrän. Über hläx blau vgl. § 130.
Anm. Germ, auu ergiebt gleichfalls ou (§ 95).
§ 74. As. ä verkürzt > a, z. B. daxt (as. thähta) dachte (§ 229),
zu ö in bröxt (as. brähta) brachte (§ 229, Anm. 2); zu u in hriimlbeä
(vgl. as. brärmlbusk) Brombeere (§ 229, Anm. 2); ä -{- r > ö, z. B.
höä (as. här) Haar (§ 257).
i- Umlaut von as. ä.
§ 75. Der i-Umlaut von ä nach Hartgaumenlauten und vor
echten Hartgaumenlauten (die vielleicht schon im Altsächsischen den
Umlaut begünstigt haben, s. as. kesi Käse, geß gäbe, gödspreki wohl-
redend Cot.; vgl. giwegi (?) Ess. Gl.) ist > e geworden: k^ m. (as.
kiesi, mnd. kese < lat. caseiis)\ sepä (mnd. scheper neben schäper zu
as. skäp) Schäfer; lex, flekt. ISg (mnd. l^ge) mager, im Süden von
OPri auch niedrig, in Meckl. nichtswürdig; ärex (hd.?) schräge; dann
auch bekwem (mnd. bequeme, vgl. ags. gecweme) bequem. Auch vor r
findet sich stets e (nach § 248), z. B. s^ä f. (as. scäri, mnd. schere)
Scheere; beän (as. gibärian, mnd. beren) sich gehaben wie, so aus-
sehen wie; weitere Beispiele § 258.
§ 76. Sonst wird ä durch ^-Umlaut zu ä, z. B. dar (as. dädi)
tat; spar (mnd. späde und spede) spät; ünädänix (mnd. underdänich,
tmderdenich) Untertan; zälix (as. sälig, mnd. sälig, selig) selig; so auch
vor h oder vor x, g, das mit h in grammatischem Wechsel steht,
z. B. smälix Adv. sehr (mnd. smeUk, vgl. ahd. sinählih schmählich);
nägä (mnd. neger neben när) näher; näxst (as. nähist, mnd. biegest,
107
iiest) nächste; nSigt f. Nähe. Hierher stelle ich auch krä f. (as.
kräia) Krähe; mä9n (mnd. ineien, m^gen) mähen; zäan (as. säian)
säen; dräsn (as. thräian) drehen; kräan (mnd. kreien, kregen) krähen;
n&n (mnd. neien, negen) nähen; väan (mnd. weien, wegen) wehen;
klä9n (mnd. kleien, vgl. ahd. chldwjan und Ndd Jb. I, 52) krauen,
bes. Vieh, um es zu besänftigen; mit den Fingern betasten, in etwas
herumstöbern, in Meckl. stellenweise auch Kartoffel aufnehmen.
Anm. 1. In Meckl. beissen Krähe, mähen n. s. w. krkij miim, klli9n
u. s. w. (s. § 6, 2). Schon in mittelmecklenb. Zeit lauten die entsprechenden
Formen: kreie, meyen, neyen, xeyen, kleyen, s. Nerger § 44. Entweder ist
das i (j) Ton -ä^a- noch mit ä vor dem Wirken des t-ümlaates zn ai zusammen-
getreten — sai-an < sä.-j-an — (das könnte natürlich erst geschehen sein,
nachdem sich ug. ai zu e (§ 81) monophthongisiert hatte); oder aber i (j) ist
erst an schon umgelautetes e angetreten: m&i-en für me-j-en. Denn i (j) hat
sich in diesen Wörtern sicher lange gehalten. Durch Verhärtung des ^ > <j
erkläre ich die mlq9n, wäa-, Partie, m^t des § 7, 4 b beschriebenen Gebietes
der OPri. Ob das i, j der ebenda besprochenen Formen m^-in, rn^-it oder
m^J9n, m^-it eine direkte Fortsetzung des i (j) in as. *mkjan, mnd. meiert ist,
oder aber sich sekundär aus <) entwickelt hat (in diesem Gebiet ist ja g, q
allgemein zu j geworden) vermag ich nicht zu entscheiden.
Anm. 2. Auch ßln fehlen < mhd. vl,len (< frz. faillir; im Mnd. ist
nur felinge Versäumnis belegt) hat ä. Wie gnMix gnädig (§ 158, Anm. 3)
könnte auch zMix (s. o.) der hochdeutschen Kirchensprache entlehnt sein. Neben
sp^r findet sich in der Eibgegend auch das hochdeutsche sp^t
Anm. 3. Übär das ei im Präteritum der st. Ztw. Kl. IV statt des zu
erwartenden ä (oder e?) als Umlaut von ä (z. B. neim nahm) s. § 375 Anm. 1.
§ 77. Für zu erwartendes ä (e) tritt ein jüngeres ä ein, wenn
eine umlautslose Form mit ä < mnd. ä daneben besteht (vgl. § 51
und vor allem den Umlaut von mnd. tonlangem ä § 186); z. B. nkr :
not Nähte, pKl : päl Pfähle, sfklän : stäl stählern, slkprich : släp
schläfrig u. a. m. Hierher würde kkdl festes Stück Exkrement zu
stellen sein, wenn es zu mnd. qtiät Kot gehört, und auch dhnlix,
wenn as. thäm die Wurzel ist, vgl. Kluge, Wb. unter damisch.
§ 78. Mnd. e -\- r > e (§ 258); mnd. e verkürzt > e, z. B.
let lässt (§ 230, 1); verkürzt zu ö, z. B. slöpt schläft (§ 230, 2).
As. e (= ug. e^, ahd. e, ea, ia),
Vorbem. Wie viele andere, so nimmt auch Holthausen, As. El.
§ 92 an, dass as. e = ug e^ geschlossenes e gewesen sei. Für
mich ist es dagegen nicht zweifelhaft, dass es offenen Lautwert
gehabt hat; s. Franck ZfdA XXXX, 51 f., Mackel, eb. 254 ff. Für
dieses e schreiben nun einige as. Handschriften, so auch die Heliandhs.
Cot., (s. Holthausen a. a. 0.) ie. Dieses ie (ei) findet sich dann gerade
in mbr. Urkunden nicht selten, bes. in hrief Brief und den Fürwörtern
die, sie, s. Graupe S. 19 und Tümpel, Ndd. Stud. S. 24 ff. Im nörd-
lichen diphthongischen Gebiet der Pri und im angrenzenden Meckl.
(s. § 7, 1 a) wird für as. e ei gesprochen, im südlichen monoph-
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thongischen Gebiet e. Ich möchte annehmen, dass das ei des
diphthongischen Gebietes direkt auf as. ie für e zurückgeht, d. h. dass
Formen wie z. B. meir Miete, hei er aus solchen as. Dialekten
stammen, in denen mieda, hie gesprochen wurde. Ich werde bei den
Diphthongierungserscheinungen (§ 245) den Nachweis versuchen, dass,
abgesehen von dem ei in § 82, jedes ei der Prignitz auf ie zurück-
geht, sei dieses nun entstanden aus as. ie, io, ia oder eha, z. B. in
drei 3 < as. thrie, deif Dieb < as. thiof, knei Knie < as. knio, zein
sehen < as sehan u. s. f. Auf keinen Fall kann as. e = ug. e^,
soweit es ei geworden ist, je mit as. e = ug. ai lautlich zusammen-
gefallen sein; sonst könnte es jetzt nicht einerseits meir Miete, dei
die, anderseits sten Stein heissen.
Das ^ des monophthongischen Gebietes, z. B. in met Miete,
he er kann direkt auf as. e beruhen, dass dann, wohl zuerst im
Auslaut, geschlossen worden sein müsste. Es kann aber auch auf ie
zurückgehen: auch ie < io, ia ist e geworden; z. B. dre, de, kne, zen.
§ 79. As ß (ie) > ei bezw. e: kein m. (mnd. ken^ vgl. ags. cen)
Kien, meir f., meirn (as. meda Lohn, mMian bezahlen, kaufen) Miete,
mieten; von ursprünglich reduplizierenden Präteriten ist hier nur
noch leit (as. let, liet) liess zu nennen, die übrigen sind in andere
Konjugationsreihen ausgewichen, z. B. slöyp schlief, fül fiel (§ 383 ff.);
dann Pronominalformen wie hei (as. he, hie) er, dei (as. the, thie)
der, die; endlich Lehnwörter: hreif m. (as. href < vlat. hreve < lat.
brevis) Brief; speigl m. (as. spiagal < vlat. speglo < lat. speculum)
Spiegel; teigl-sten m. (as. tieglan, mnd. tegel, teigel < lat. tegula)
Ziegelstein; feivä n. (as. fefra < vlat. febre < lat. febris); preistä m.
(as. prestar < pr^sbyter) Prediger; auch wohl beist n. (mnd. best
< vlat. besta für bestid) Biest, und kreik f. (mnd. kreke) Pflaumen-
schlehe.
Anm. 1. Man wäre geneigt, auch m<j (mnd. wege) Wiege hierher zu
stellen, besonders mit Eücksicht auf mhd. wiege (neben urige) und nl. loieg.
Vgl. jedoch Franck a. a. 0. S. 54.
Anm. 2. krix m. (mnd. knch) und krin 1. haschen, 2. bekommen sind
früh aus dem Hd. (bezw. Mitteldeutschen) entlehnt.
§ 80. As. e (?) verkürzt > ü, z. B. hül hielt (§ 383 und Anm.).
As. e < ug. ai.
Vorbem. Ug. ai ist as. stets e geworden, nicht nur, wie im
Ahd., vo^ w, h, r und im Auslaut. In mbr. und mmeckl. Hss. wird
as. e = i^hd. e meistens durch e, sonstiges as. e aber durch e und
ei wiedergegeben, und zwar wird dasselbe Wort mitunter in derselben
Hs. bald mit e, bald mit ei geschrieben. Vgl. Graupe S. 18, Nerger
§ 38, Lübben § 28. Im heutigen Meckl. ist jedes ö zu ei diphthon-
giert, s. § 6, 6. In der Pri aber ist gemeindeutsches e < ai als
e erhalten, spezifisch as. e < ai lautet in einer festen Gruppe von
Wörtern e, in diner anderen ei, bezw. äi. Es scheint nun, dass ei,
lOd
di in Wörtern steht, in welchen in der folgenden Silbe ursprünglich
i stand, dass ei, di also i-Umlaut von e < ai ist (wenn ai vor / sich
überhaupt je zu e gewandelt hat). Es gibt allerdings Wörter, in
denen ei steht, ohne dass sich «-Umlaut nachweisen lässt. Doch das
ist vielleicht nur zur Zeit unmöglich; vielfach wird auch Ausgleich
mit umgelauteten Formen stattgefunden haben .und umgekehrt. Klee
heisst in der nördlichen WPri klevd, sonst kleivd: im Ags. findet sich
nun cläfre neben umgelautetem cläfre. »TeiP heisst del, teilen
dmln: del kann beruhen auf germ. daila- (vgl. ags. dal) oder auf
den flexionslosen Formen von germ. daili- (ags. däl)^ ddiln geht auf
as. delian zurück. Es wäre nun gar nicht merkwürdig, wenn eine
andere Gegend z. B. ddil unter Einfluss von ddiln oder dein unter
Einfluss von del aufwiese. As. bredian breiten liesse breirn erwarten.
Die wirkliche Form brern kann auf bret breit beruhen; umgekehrt
kann teiky für *teky Zeichen (as. tekan) unter Einfluss des Zeitwortes
teiky < as. teknian entstanden sein. Für i-Umlaut (vgl. auch
Behaghel, Pauls Gr. I, 695) sprechen m. E. vor allem Wortpaare
wie vek weich — in-veiky (vgl. ags. väcan < germ. waikjan) ein-
weichen, del — ddiln (as. delian)^ hei heil — häiln (as. helian) heilen.
Von Wichtigkeit ist auch, dass gerade dieses ei (di) auch im
monophthongischen Gebiet als ei (di) erhalten ist, während für
alle anderen ei dort e gesprochen wird. Wir dürfen aber nicht ver-
gessen, dass Ausgleich zwischen Formen von sächsischen und
nicht sächsischen Kolonisten zu dem heutigen Ergebnis bei-
getragen haben kann. — Erwähnt soll noch werden, dass Wörter,
die in mnd. Urkunden fast ausschliesslich mit ei geschrieben werden,
wie rein, heide, heidene, weide, reise, auch jetzt in unserer Ma. ei oder di
haben, dass aber einige Wörter, die in mbr. Urkunden mit Vorliebe
mit ei geschrieben werden, wie vleisch, stein, nein, jetzt ße§, sten, ne
lauten.
§ 81. k%, e > e (= ags. ä),
a) vor M7, A, r und im Auslaut, z. B. zel Seele; te-y m. (mnd.
tewe^ te^ ten) Zehe (§ 295, c); ze m See; sne m. Schnee; e f. (as. eo
m. Gesetz) Ehe ; evix ewig ; re n. (as. reho schw. m) Reh ; reg f. (mnd.
rege^ vgl. ags. räw) Reihe; we wehe; twe (as. tti% Neutr. zu twene)
2; ne (vgl. ags. nä) nein; ed f. (as. era) Ehre; med mehr; led f.
(as. Uro) Lehre; ledn lehren, lernen; ed (as. er) eher; edst erste,
zuerst. Vielleicht gehört hierher auch k^dn (as. keran) kehren, Vieh
auskehren; zik kedn an sich kümmern um.
Anm. Mr Herr ist hd. ; as. hQn'o hätte Mk ergeben, wie man auch in
Meckl. noch vielfach sagt. Hd. ist auch l^^rx Lerche; noch Hindenberg ver-
zeichnet das echt nd. Uwei'k.
b) vor anderen Konsonanten, z. B. en ein, eins; bm Bein; sten
Stein; swet Schweiss, davon swetn schwitzen; klet Kleid; het heiss;
bret breit, Zw. brern breiten; del n. (as. del m.) Teil; vek weich;
rep n. (mnd. rip m. und n.) Seil, repä Seiler; zep Seife; deck m.
110
Teig; zem, zemix Seim, seimig; r^n weinen; fle§ Fleisch; Ut (as. US)
leid; dazu fä-lern verleiden, trotz as. lethian; ik vet (as. wet) ich
weiss; lern Lehm; klevä m. (mnd. klever^ as. kle) Klee; sUt-fnl
(doch wohl zu mnd. slete Beilegung eines Streites, Verschleiss, Ver-
kauf) gestrichen voll (von Massen), eigentlich verkaufgerecht.
Anm. Wahrscheinlich gehören anch hierher: hwhs f. (mnd. quese) Drnck-
schwiele, zu quetschen ; glezn seh. v. (za as. gUdan st. v.) auf dem Eise gleiten,
schlittern; srern seh. v. (zu as. skridan st. v.) schreiten; kwQzn (wohl zu as.
queäan sprechen) quesen.
§ 82. As. e (+- i) > ei^ äi (= ags. ä),
a) > eiy z. B. getnein f. (as. gimenda) Gemeinde; geinein (as.
gimeni gemein, allgemein) leutselig ; 7nein (as. menian) meinen ; heir f.
(mnd. heide, hede, vgl. ags. häp) unhebautes Waldland; heir m. (as.
Mthino) Heide m. ; bleiky (mnd. bleken, vgl. ags. hläcan) bleichen;
hleik f. Bleiche; teiky (as. teknian^ vgl. ags. täcean) zeichnen; leistn
(as. lestian) leisten; lein (as. lehnon, mnd. lehenen, lenen, leinen, vgl.
ags. länan) entleihen; in-veiky einweichen; veiky m. grosses, rundes
Stück Butter; meist (as. mest^ vgl. ags. mäst) meist.
b) > äi^ z. B. räin (as. hreni) rein; vditn m. (as. hweti st. m.)
Weizen; .9d*V f. (as. skedia) Scheide; däiln, däidln § 162 (as. delian)
teilen ; häiln (as. helian) heilen ; bäir^ bäi (as. bedia) beide ; 5^m7 (vgl.
as. stehil, as. stegili abschüssige Stelle, ags. stägl) steil ; häit (as. Aerf)
z. B. in ßilhdit Menge, vgl. aber § 121. Hierher gehören auch Idi-dn
(as. ledian leiten) am Stricke führen ; spräi-on (mnd. spreden, spreiden,
vgl. ags. sprädan) Mist; Flachs auseinander breiten (wegen des
geschwundenen d vgl. § 158, Anm. 2) und näi-dn (as. hnehian) wiehern,
das aber nur noch im südlichen Teil der Pri hier und da bekannt ist.
Anm. Warum in der einen Gruppe von Wörtern ei^ in der anderen äi
gesprochen wird, ist mir nicht zweifelhaft. Es wird Eiuflass der hd. Schrift-
sprache anzunehmen sein. Wenigstens wird in Lehnwörtern ans dem Hd. fast
immer äi gesprochen, z. B. äkitl Scheitel; hMlix heilig; gkist Geist; gkistlix
blass; mkinkit Meineid; arbiit, arbhitn Arbeit, arbeiten; ksiizä Kaiser; tskixTi
Zeichen; beäkit Bescheid; beglMtn begleiten; berkits (mnd. reeds) bereits; [doch
haben ei: zeixn (mnd. seken) harnen und kreis (mnd. kret) Kreis, wozn
vielleicht noch rä^s (doch schon mnd. reise) tritt]. Dazu stimmt, dass Per-
sonen, welche viel hochdeutsch sprechen, auch sonst gern das weite hd. ki
für ei einfuhren in Wörtern wie mkin meinen, Ikistn leisten, gemiin Gemeinde.
§ 83. In einer dritten Gruppe von Wörtern steht ei für zu
erwartendes e, ohne dass sich i-Umlaut nachweisen Hesse: eiy (as.
egan, mbr. Bgen und eigen) eigen; eik f. (as. ek, vgl. ags. äc) Eiche;
speik f. (as. spekä) Speiche; teiky n. (as. tekan) Zeichen; peik f. (mnd.
pek(e)) Eispike; seif (mnd. schef, vgl. ags. scaf) schief; heiä (mnd.
heschj heisch) heiser; drei§ m. (mnd. dresch) Grasnarbe von ruhendem
Ackerland; heitn (as. hetan, mbr. heten, heiten, vgl. ags. hätan) heissen;
veir f. (mnd. weide) Vieh- weide; zeivä, zeivän (mnd. sever, severen)
Geifer, geifern; leistn m. (mnd. teste) Schusterleisten; meista (as. mestar
< lat. magister) Meister.
111
Anm. 1. Der grösste Teil dieser Wörter hat eiaen Hartgaumenlaut vor
oder nach ei\ einem solchen haben wir schon beim i-Umlaut von ä (§ 75) eine
lautumbildende Kraft zugeschrieben, vgl. § 119. k vor e hatte auch äiit n.
(as. sketh) Flurscheide, das einzige zu dieser Gruppe gehörenden Wörter, das li
statt ei aufweist. Wenn eik wirklich wie bürg dekliniert wurde (Holthausen,
Äs. El. § 325) so könnte ei auf den Kasus mit i beruhen ; das ei in teikß könnte
aus dem Ztw. ieiku (§ 82 a) stammen ; heitn könnte sein ei aus dem alten
Präteritum heit < het, hiet (§ 79) gezogen haben. Über sikist, stkit stehst,
steht; g§t.isty gkit gehst, geht < as. stes, sted fsteid); *ges, ged s. § 390 Anm. 2.
Anm. 2. Der Indik. und Optat. des st. Ztw. I weisen in Einzahl und
Mehrzahl ei auf. Nach dem as. Paradigma, d. 1. Ind. Einz. skref, Mz. skribkun,
Opt. skribhi, mtissten die mnd. Formen lauten: schref, schr^ven; schrkve (vgl.
§ 188), und so lauteten sie zunächst auch wirklich. Wie erklärt sich nun das
heutige ei in allen drei Formen? Wir müssen annehmen, dass das e der Einz.
auch in die Mz. und den Optativ gedrungen sei. Dürfen wir nun weiter an-
nehmen, dass im Optat. e > ei umgelautet und dass dieses ei dann das e des
Indik. verdrängt habe? Vgl. auch § 366.
Germ. an.
§ 84. Germ, aii wird zu äi : äi n. Ei; kläi (-hörn) toniger
Marschboden; mäi Mai, ütmäidu die Häuser zu Pfingsten mit Birken-
reisern schmücken; intwäi entzwei (aber twe 2), das auf Hvajje (vgl.
got. twaddje) beruhen wird.
Anm. Hierher stellen sich am besten mkik Oberaufseher über Vieh,
ifäia (Eigenn.), beide < and. meier < lat. major,
§ 86. In einer Reihe von Lehnwörtern wird lat. ö wie im
Ahd. durch l wiedergegeben (s. Z. f. d. A. 40; 263 ff.). Es sind dies:
mlat. spesa (für spensä) > spt^ Speise ; lat. creta > krlt f. (mnd. hrite)
Kreide ; lat. meta Heuschober > mit f. ; mlat. seda (lat. setä) > ztr f.
(mnd. side) Seide ; mlat. pena (lat. poend) > ptn Pein ; mlat. feria
(zu lat. feriae) > ßä, flän (as. ftrion) Feier, feiern. Es würde noch
hinzutreten pm-mär^ piä f. Regenwurm (mnd. plr-äs Regenwurm als
Aas, Köder an der Angel), wenn Kluge, Pauls Gr. I, 342 mit Recht
lat. "^pera als Grundwort ansetzt. Zu der Frage, warum in diesen
Wörtern lat. e im As. nicht durch ß wiedergegeben ist, vgl. Mackel,
Z. f. d. A. 40, S. 265.
§ 87. As. e verkürzt > ^, z. B. emä (as. embar) Eimer (§ 231);
> t, z. B. tmntix (as. twentix) 20 (§ 231 Anm. 2).
As. l,
§ 88. As. e > « (vgl. 17, 3), z. B. swln Schwein; Um Leim;
llf m. (as. lif n. Leben) Leib ; Itk f. (as. Uk n. Fleisch, Leib, Leiche)
Leiche, vgl. llkdöän Hühnerauge; lln n. (as. lin Leintuch) Leinsaat;
lin f. (mnd. line) Leine; s^^/' steif; kip f. Kiepe, Rückenkorb; vU (as.
icid) weit; mr f. (mnd. mde) Weide; tU f. Zeit; flu m. {siS.flU Kampf,
flltan sich bemühen) Fleiss; ^s Eis; dtk Deich; stix Fusssteig; wll f.
112 •
(as. hwlla) Weile, Zeit; iln eilen; vlzn zeigen; twlfln zweifeln; rts n.
(as. rls < hrts) Pfropfreis, Ztw. färfzn pfropfen; vif Weib (in
schlechtem Sinne); stig f. (mnd. sttge) 20 Garben; rlp reif; rlk (as.
nii mächtig) reich; drtst dreist; drtst gelt viel Geld; grts (sls. grts
greis, grau) grau; riv verschwenderisch und schnell aufgezehrt; stv f.
Scheibe ; t?fe f. Weise ; vlnachtn (vgl. as. wlh-dag Feiertag) Weihnachten ;
gnldln (vgl. mnd. gmden reiben) massieren ; gzmix (Danneil gim) eng-
brüstig, asthmatisch; he-smm (mnd. swlmen, vgl. ags. svima Schwindel)
schwindlich sein, ohnmächtig werden; fäbistän irre gehen; smlridc
geschmeidig; izän n. (as. tsarn) Eisen; klvit m. Kiebitz; kwtn hin-
schwinden, siechen; rip m. (as. hrlpo schw. m.) Reif; zU (as. si6)
seit; zlt (mnd. sU^ vgl. an. slär) niedrig; vlt un sU (mnd. wU
unde Sit) weit und breit; fzstn (vgl. mnd. vtst crepitus ventris).
stl-y steigen, und so alle st. V. b. I (§ 367); spikä n. (as. spikari
< mlat. spicarium) Speicher; pllä m. (< mlat. *pilarimn) Pfeiler; pll
adv. senkrecht nach oben (vgl. as. ptl Pfeil < lat. pllum)\ fll m.
( < mhd. pfil < lat. pllum) Pfeil ; plp f. (as. pipa < mlat. plpa) Pfeife ;
vin m. (as. win < lat. vinum) Wein; vtm m. (mnd. Wimen Latten-
und Stangengerüst, wohl < lat. vimen Flechtwerk) 1. Stangenwerk
im Rauchfang über dem Herde im altsächsischen Hause zum Räuchern
von Speck etc.; 2. Stangengerüst als Nachtruhestelle der Hühner;
7nil f. (< lat. milia) Meile.
i -\- r ebenfalls > ^, z. B. mä-drät^ viän (mnd. wire Metalldraht ;
ags. wir) Metalldraht, mit Draht umflechten (zerbrochene Töpfe) ; siä
(as. skir^ skiri rein, glänzend) unvermengt, rein, astfrei, glatt, als Adv.
beinahe; spiä (mnd. spir kleine Spitze) Grashalm; kein sploky kein
bischen; pliän mit halbgeschlossenen, schieligen Augen sehen; llän,
lläkastn (zu griech.-lat. lyra) leiern, Leierkasten.
Anm. Auf hd. ei < mhd. i beruht ki in ^äig Geige; fyixdn Veilchen;
fMn, dass vielfach schon für flu gebraucht wird.
§ 89. i vor Vokal > äi z. B. fräi-dn (vgl. as. fri Weib) hei-
raten; däidn (as. ththan) gedeihen (§ 243 a); mnd. -ide über -tje
> äi diphthongiert in einem Teile der Pri (mnd. sniden > snami
schneiden s. § 246); i verkürzt > ij z. B. lixt (as. liht) leicht (§ 232).
As. ö (uo) < ug. ö.
Vorbem. Dieselben Heliandhdsch. und Hsch. kleinerer Denk-
mäler, die ie für germ. e^ (= ahd. ia) schreiben, lassen fast durch-
gehends auch uo für ö eintreten. Wie ich § 79 Vorbem. das heutige
ei der Pri auf ie zurückgeführt habe, so bin ich geneigt anzunehmen,
dass das heutige ou auf solchen as. Mundarten beruhe, die einen
Laut sprachen, den die Schreiber durch uo statt ö dargestellt haben.
Vgl. § 233 Anm. 3.
§ 90. As. ö (ou) > ou, im monophthongischen Gebiet > ö
(§ 7, 1 a), z. B. hlout Blut; rout m. (as. hröt) Russ; fout m. Fuss;
gout n. und Adj. Gut, gut; hout Hut; glout Glut; floiit f. (as. flöd m. f.)
113
Flut; mont m. (as. möd 1. Gesinnung, 2. Mut) Mut; zik fd-mourn zin
auf etwas gefasst sein; bouk n. (as. bök n. u. f. Buchstabe, PI. Buch)
Buch; doiik Tuch; klouk klug; koii Kuh; §ou Schuh; äoiisdd m. (mnd.
schöster 16. Jh.) Schuster; ton zu; kroiix m. Krug, ländliches Wirts-
haus; plotix m. (mnd. plöx f. u. m.) Pflug; noux genug; stoul Stuhl;
poul m. Pfuhl; swoul schwül; mous n. (as. mos Speise) Mus; houn
Huhn; doun tun; houf m. (as. höf) Huf; houv f. (as. höhha) Hufe;
floum PI. (mnd. vlöme) Nierenfett der Schweine; blotim f. (as. iZömo m.)
Blume; kroum Krume; sponl Spule; hour f. (vgl. mhd. huote Wache)
(zu hütende) Schar (Kühe, Gänse); houstn Husten; drousl f. (mnd.
drösle) Drossel; rour f. (as. röda Kreuz, Galgen) Rute; zik spourn
(vgl. as. spödian fördern, spöd f. guter Fortgang) sich sputen; voukdn
(as. wökrian gewinnen, erwerben) wuchern; voukd-bloum Wucherblume;
oukp Winkel, welchen das Dach mit dem Boden bildet; roupm rufen;
hrourä Bruder; spoun m. (mnd. spön) Span; kouky Kuchen; fou§ Fuge;
botir Bude; proum, prouv f. (< mlat. pröbo für probo) proben, Probe;
soul (< mlat. schöla für sch6la). o -\- w hat ou ergeben in rou (mnd.
rouwe) Ruhe, vgl. Anm. 2.
Anm. 1. goit;S Gans; aber im Lockruf für Gänse vilk^ vilk gxis. In einem
Bastreime heisst es gvide für gout Über ü für ö, besonders in g^de für göde,
in mbr. Urkunden vgl. Graupe S. 14, Tümpel, Nd. Stud. S. 44 und vor allem
Seelmann, Nd. Jb. 18, 146 und 154.
Anm. 2. Für ou haben ü eine Reihe von Wörtern, die aus dem Hoch-
deutschen entlehnt sind: rü Ruhe, das immer mehr rot« verdrängt („ausruhen''
stets ütt-nn) ; vxkt Wut ; gi-üs Gruss ; bü-m Buben (im Skatspiel) ; l^dk Luder
(Schimpfwort); giUv Grube; fiv^xn fluchen; stxä Stute, doch sagt SPri und ganz
OPri regelrecht siöt (mnd. stöt Pferch für Pferde). Für vö wie (Fragewort)
sollte man nach as. hwö vou erwarten, vgl. houstn < as. *hwösta, tou zu und
das nfränk. m, Maurmann § 68. Hat hier das Fragewort vö wo eingewirkt?
Anm. 3. Gegenüber ^ou-?^ proben, soul Schule heisst es rös {< aus
mlat. rosa für lat. r6sa). Das Wort wi ^ ans dem Mhd. entlehnt sein. Auf-
^lig ist ou in mour Mode, das erst im x . Jh. aufgekommen ist. Ich halte
es für Lautübersetzung aus dem nd. möde des monophthongischen Gebietes,
s. § 302 Anm. 1.
§ 91. As. ö -f- r > ö^ z. B. snöä mnd. snör Schnur (§ 259);
ö verkürzt > ti, z. B. btczn < as. bösom Busen (§ 233).
Mnd. o, i-Umlaut von^as. ö < ug. ö.
§ 92. Mnd. 8 (< ug. ö) > öy, im monophth. Gebiet > o
(§ 7, 1 a), z. B. föyt Füsse; göyrä Güter; köy Kühe; klöykd klüger;
kröygd Krüger, Gastwirt; kröyml Krümel; göyr f. (as. gOdi) Güte;
höyrn (as. hödian) hüten; twe-höymnd m. Zweihüfner (Besitzer von
2 Hufen); möyzd m. Mörser; möyzdn zu Mus stampfen (vgl. aber
Nd. Jb. V, 88); gröyn grün; vöyln wühlen; spöyln spülen; köyl kühl;
öypd n. Ufer; zöyky suchen; föyln fühlen; bröyrn brüten; öyrn üben;
hoytn (as. bötian anzünden, vgl. ags. fyr betan) (Feuer) anzünden;
hoytn (as. bötian) Krankheiten besprechen (bes. die Rose); swöy-y
Niederdentsohes Jahrbnch XXXI. 8
114
(zu and. swögan rauschen? oder zu ags. siveg(e)an tönen?) von einer
Kleinigkeit ein grosses Geschrei machen; hedröym betrüben; nöym
(mnd. nomen) benennen; möyr müde; röyi? Rübe; zöyt (as. swöti) süss;
höyk f. (as. hökia, vgl. ags. hece) Buche; höylky kinä (mnd. boleken
< hole Verwandter, hd. Buhle) Geschwisterkinder (beginnt zu ver-
alten) ; löyrmrix (mnd. wlöm trübe, widmen trüben) trübe (von Flüssig-
keiten); töyni (mnd. tdven, vgl. auf anderer Ablautsstufe an. tefja)
warten; spöyk f., spöyky (mnd. spok und spuk) Spuk, spuken; löyx7i
PI. (mnd. logene, lochene, as. lögna f.) lohende Flammen; fröy (as. frö)
früh; hlöydn (as. hlöian) blühen; glöydn glühen; möy i.^ möydn mühen;
hröy^ hröydn (mnd. hröie, hroien) Brühe, brühen; Köyn Eign. (zu mnd.
kone) Kühn.
Anm. 1. Unter Spuk setzt Kluge eine germ. Grundform spauka an.
Die mnd. Formen (vgl. Seelmann, Ndd. Jb. 18, 142, 153) und die heutigen
Formen in Meckl, Pom., Brandenb., der Altmark, dem Kreise Jerichow I (vgl.
Krause, Ndd. Jb. 21,63, 22,5, 25,37 f.) weisen durchaus auf germ. spökßja
zurück. — Holthausen, As. El. § 231, setzt logna an. Ich halte Heynes lögna
im Glossar zum Heiland für richtiger.
Anm. 2. In Jfäm, Grenzbach im Westen zwischen Meckl. und der Pri,
ist wohl ä^ aus öy entlabialisiert, vgl. westf. Mä^ne Möhnefluss, Holthausen,
Soester Ma. § 75. Auch in morn frki findet sich ki für öy. Auffallend sind
das offene ö in vr^gln hadern, vr^glix tadelsüchtig, das doch wohl zu as. im'ö-
gian anklagen gehört, und das ü in m^mk alte Frau, Mütterchen (mnd. rn^nier).
Vgl. § 90, Anm. 1.
Anm. 3. Über öy statt ou in slöyt^ (as. slög), dröyq (as. drög) schlug,
trug u. a. s. § 380; über diistj dkit für doust^ dout (vgl. as. döSj döty westf.
daest, dam) vgl. § 390,3, Anm. 1.
Anm. 4. Für öy haben ü eine Reihe von Wörtern, die aus dem Hd.
entlehnt sind: c?7*üs, f. Drüse; /Ü-^?, ßfVi-p fügen, verfügen; grVisn grüssen;
gemUÜix gemütlich; fk-gnUgen(t) n. Tanzlustbarkeit, aber fk-gnöygt vergnügt.
Für fröy (gewöhnlich ürix) hört man häufig /}Ü frühe.
§ 93. ö (i) -|- r >• o, z. B. foän (as. förian) fahren (§ 260);
öy verkürzt > ü, z. B. nüxtän nüchtern (§ 234 a), > ö in synkopierten
Verbalformen, z. B. höt gehütet (§ 234 b).
As. ö < ug. au.
§ 94. As. ö > ö, auch vor Gaumen- und Lippenlauten, z. B.
hröt Brot; döt (as. dö^; död) Tod, tot; attributiv heisst das Adj.
dörix (§ 413); röt rot; not Not; gröt gross; hlöt bloss; söt Schoss;
zöt m. (mnd. söt) Ziehbrunnen (§ 1, 1 b) ; lön m. n. (as. lön n.) Lohn ;
hön f. Bohne; höx hoch (§ 295, Anm.); lös los; lö^ lose; tröst Trost;
pöt Pfote; unör (as. un-ödo^ Adv. zu unödi unleicht) ungern; sö^i
schonen; ös^ m., östn Osten; östän Ostern; srörn schroten (Korn);
^röt n. Schrot, zermahlenes Getreide; tötn Zaum; löf Laub; glöv
Glaube ; böm Baum ; dröm Traum ; röf Raub ; rök Rauch ; knöp m.
(mnd. knöp^ vgl. mhd. knouf) Knopf; köp Kauf; löpm laufen; zöm
Saum; röm (mnd. röm, vgl. ags. rea^n) Rahm, Sahne; 6g Auge; döf
115
taub; §öf m. (as. sköf) beim Dachdecken verwendetes Strohbündel
von bestimmter Form und Grösse; höp m. (as. höp) Haufe, altouhöp
alle zusammen; köl m. (mnd. köl^ vgl. as. lcöl(i) < lat. caulis) Kohl.
As. ao^ ö < germ. aw gleichfalls > ö, z. B. strö n. (as. strö
< germ. *strmva) Stroh ; rö (as. hrä, hrö < hrao) roh ; frö (as. />*ao,
frö) froh. Hierher wäre auch zu stellen bößst, eine Art Schwamm,
wenn die erste Silbe, für die sich in anderen Maa. auch pö findet,
wirklich zu lat. pävo gehören sollte. Vgl. auch zö (as. so, ags. stcä) so.
As. ö > ö auch vor r, z. B. öd (as. öra) Ohr; röa Rohr;
lödhenS'hlärä (mnd. lör-bere < lat. launis) getrocknete Lorbeerblätter ;
Möä (wohl < hd. ilfoAr < lat. Maurus) Neger, im Mnd. Moridn.
Anm. 1. ,Floh^ heisst /Z5 in. statt flö (mnd. vlö, vlöge f.); der Umlaut
stammt aus der Mehrz. Über den nnorgauischen Umlaut in st^tn stossen vgl.
§ 387 Anm. Die nicht umgelaatete Form findet sich noch in stöt-hkvk Habicht.
Anm. 2. Ans dem Hd. stammen houptman Hauptmann; loud f. Lanbe;
snoutshb^t Schnurrbart. Für das Adverb. ,bloss' == nur wird jetzt fast durch-
gängig die hd. Form hlAs gebraucht (in Meckl. hlöt). Auch der Hnndename
Ström Strom wird wie der Hnndename Vas^ (Wasser) aas dem Hd. gekommen sein.
Anm. 3. Wie aus lat. e in einigen Wörtern i geworden ist (§ 86), so
entspricht vereinzelt ü lateinischem ö : üä f. (mnd. Vir(e) Stande; Uhr) < lat.
libra. Nach Baist bernht si^üv (mnd. schrvive) auf lat. scropha Sau. Lat.
crdcem, das erst entlehnt sein kann, nachdem lat. c vor e, i assibiliert war,
ergab roman. cfrhce. Hierauf wird as. Ärüci > kr^ts n. Kreuz bernhen, vgl.
Festschrift für A. Tobler S. 264 f.
§ 95. Germ, auu < aww (== got. ggtv) > oti; vgl. germ. mi
§ 73. houan (as. hamcan, hawan, mbr. houwen, howen, hauwen, hatven,
houen, hauen) hauen; dou m. (mnd. douwe, dawe) Tau; mou-y (mnd.
mouwe) Hemdsärmel, jetzt fast veraltet; genoii (mnd. notiwe enge,
genau, vgl. ags. hneaw) genau, sparsam (§ 110, 2 Anm. 3); dazu
he-nout (mnd. benouwen in Not bringen) benommen; ßou (vgl. nl.
flaaw) flau. Unklar ist, ob gnoiwn, gnoii-y nagen auf as. *gnauwmi
oder *gnaivan zurückgeht; belegt ist nur as. knägan; vgl. mnd.
gnaiiiven knurren, beissen, ostfries. gnmien beissen, nagen, schnappen,
s. ten Doornkaat Koolman u. gnaiien.
§ 96. ö verkürzt > o z. B. horky horchen (§ 235), vor einfacher
Konsonanz > o in dox doch, > u in lüc auch (§ 241).
Mnd. o> i- Umlaut zu ö < germ. ati,
§ 97. Mnd. 0 > o, z, B. bom Bäume; lopd Läufer, auch Egn.;
roAan räuchern; Äo^rd höher; rfrom träumen; lozn lösen; hopm häufen;
trostn trösten; norix nötig; norn (as. nödian zwingen) zu Gast laden;
dop f., dopm (as. döpi, döpian) Taufe, taufen; kopm (as. köpian <
lat. caiipo?) kaufen, aber köpman Kaufmann; rop Raufe; smoky rauchen
(Pfeife, Cigarre), dazu smok-fM qualmiges Feuer zum Räuchern von
Fleisch; slopm (as. slöpian schlupfen machen) schleifen, dazu slop f.
Schneepflug; slopmdnvd Nichtsnutz (Schimpfwort); stropm streifen,
8*
116
umherstreichen; dazu stropä Landstreicher; bo-y beugen, biegen; zo-y
säugen; ro-y (mnd. ragen) rühren, regen; stom (mnd. stoven) Staub
machen; klöm spalten; okl-näm (mnd. ökelname^ zu as. ökian hinzu-
fügen) Beiname, Spitzname; fä-lof m. (as. löf) Erlaubnis (selten);
hlor (as. hlö^i furchtsam) blöde; drox, dro-y trocken, trocknen, Drög
auch Egn.; äon schön; bos böse; ßot (mnd. vlot, aber as. ßat) seicht;
klotn Mz. (mnd klöt m.) Hoden; 8s f. Oese; hbvt n. (as. höbhid)
Haupt, nur noch erhalten in förJibvt Kopfende der Harke, des Acker-
stückes, da wo der Pflug wendet (Wendacker) und in Wendungen wie
täin h&v(t) köy 10 Haupt Kühe; toi f. (as. *töhilä) ursprünglich weib-
licher Hund, jetzt Hund in verächtlichem Sinne; §rorä Egn. (zu as.
^skrödon schneiden § 94) Schröder, eigentlich Schneider. Ebenso vor r,
z. B. Öän, (mnd. ore) Nadelöhr; roä Röhre; hoän hören. Zweifelhaft
ist, ob stoän stören auf as. störian (s. te-störian zerstören bei Wad-
stein Gloss.) oder sturian (s. Wadstein farsturian und vgl. ags.
styrian) beruht (§ 256 Anm. 1).
Anm. 1. Statt des zu erwartenden 8 (für ö aus dem Optat,) haben öy
die Praet. der st. Ztw. II, z. B. göyt goss, flöyc^ flog (Näheres § 369).
Anm. 2. Aus dem Hd. stammt röybk Eäaber, in Meckl. vielfach noch
röi?ä (mnd. rZvere),
§ 98. i-ümlaut von germ. auu regelrecht = öy, z. B. dröydii
(mnd. dröuwen, droien) dräuen, oft bloss = in Aussicht stellen;
fröydn {mnA.. m'öuwen) freuen; fröyr f. (mnd. vröude, vroide) Freude;
döy9n (mnd. dauwan und doidn) tauen, das von dem wohl vom Hd.
beeinflussten domn verdrängt zu werden beginnt; ströyen (as. ströian
und strewian) streuen; dazu ströydls Streu für die Viehställe; höy n.
(as. "^höij Gen. högias, mbr. how, hew) Heu; töy n. (mnd. touwe jeg-
liches Gerät; zu got. taujan) Zugschwengel am zweispännigen Wagen,
wofür im diphthongischen Gebiet auch vaxt gesagt wird; dazu väftöy
(mnd. touwe = textilia, getewe = fabrilia, Hamb. Glossen Nd. Jb. I,
18, 27) Webstuhl. Hierher stelle ich auch flöyt f., flöytn (< afrz.
flaute) Pfeife, pfeifen.
Anm. 1. Die ohigen Formen sind die im grössten Teil der Pri gebräuch-
lichen. In der nordwestlichen Ecke, zu der auch Boberow gehört, sind, abgesehen
von dröydrij döydn entlabialisierte Formen im Gebrauch: zik frkidriy strkidn,
strMdls, hkiy tki, v^ftM, flMt, fliitn s. § 7, 1 a u. b. Diese entlabilisierten
Formen finden sich wieder im Kreise Jerichow, Krause, Nd. Jb. 21, 63; 22, 6;
27, 28; 25, 38. Für frUr Freude wird von der jüngeren Generation unter hd.
Einfluss meistens fröyr gesagt.
Anm. 2. Schon zu mhd. Zeit ist aus dem Hd. entlehnt slöyf (mnd.
sloife und sleife) Schleife; in der Gegend von Vorsfelde heisst das eine Auge
der Schleife noch jetzt slßpe. Auch slei-a. Schleier erscheint aus dem Hd. ent-
lehnt; die nd. Form würde vermutlich slöy-i lauten, vgl. mnl. slöie Schleier. —
l^v m. Löwe stammt sicher aus dem Hd. Die echte nd. Form (vgl. mnd. löuwe,
mnl. leuwe) scheint mir vorzuliegen im Eigennamen Löy und in Löydn-gö^rn
Leuengarten, Name eines Gehöftes am Eudowersee bei Lenzen.
§ 99. o verkürzt > ö, z. B. höxt f. (as. *höhida) Höhe, s. § 236.
117
As. mnd. u.
§ 100. As. ü > ü (vgl. § 17, 3), z. B. füst Faust; knüst m.
(mnd. knüst) Brotecke; da t Ableitungssuffix ist (vgl. hd. Knaus und
Kluge, Wb. unter ;,Knorre*'), so könnte hierher gehören fd-knüzn
ertragen, eigentlich mit dem harten Brote fertig werden, es verbeissen;
püst m., püstn Atem; blasen, hauchen, schnauben, in der Glückstadter
Ma. püsn; püst-baky Pausbacken; nü nun, jetzt; krüt n. Kraut, Un-
kraut; hüt i. Haut; lüt (sls, klüt) laut; brüt L (as. brüd Gsittin) Braut;
snüt f. Schnauze; rüt f. (mnd. t-üte) Viereck, in Meckl. auch Fenster-
scheibe {Fri stv); üt Adv. Prp. aus; bütn (as. bütan ausser) draussen;
buk m. Bauch; strük m. Staude, z. B. köl-strük; krük Krug, Kruke;
Ulk f. (mnd. lüke, zu as. lükan verschliessen) türähnlicher Verschluss
(der horizontalen Kelleröffnung oder im Giebel); hük f., hüky (mnd.
hüken) Hocke, hocken; nip Raupe; ftiüs Maus, Muskelballen des
Daumens; lüs Laus; hüs Haus; krüs Kraus; fül faul; mül n. (mnd.
mül m. und müle f.) Maul; bül f. (as. büla) Beule, Dalle (im Hut);
kül f. Grube; ül f. (mnd. üle < as. üwila) Eule; rüm Raum; äüm
Schaum; kam Adv. kaum; tun Zaun; dün f. (mnd. düne < an. dünn)
Daune; dün (mnd. dün geschwollen, dick, voll, betrunken) betrunken,
dün-ful bis oben voll; strüf (as. strüf) uneben, struppig; stuf (tnnd.
düfj vgl. an. stüfr Stumpf) stumpf ab, glatt ab; dmf m. (mnd. drüf f.
Traube) Traub, z. B. ämf-apln Traubäpfel; drüv f. (vgl. as. thrüho
schw. m.) Traube; düv Taube; hüv Haube; krüpm kriechen, und so
die st. Ztw. 11,2 (§ 3G9); klütn m. Erdscholle; dum Daumen; stütn
m. (mnd. stüte) Weissbrot aus dem feinsten Roggenmehl; hüpm Haufen;
Suhl (mnd. schulen verborgen sein, vgl. afries. skül Versteck) ver-
stohlen an der Seite stehen, lauernd umherschleichen; hüln heulen;
[min mit den Zähnen und Nägeln klauben; tüln zerren (in der älteren
Sprache nicht belegt; gehört es zu tül links, als Anruf für Pferde,
also eigentlich ;,nach links zerren^, oder zu der Wz. von zausen, die
dann als tu-, nicht mit Kluge, Wb. als tus- anzusetzen wäre?); jüxn
juchzen, jauchzen; drüzn leise schlafen (vgl. ags. dmsan langsam sein,
trauern); glüpm (mnd. glüpen, vgl. afries. glüpa) lauernd, drohend
ansehen, glüpä (mnd. glüpesch) heimtückisch, rücksichtslos; tütn auf
dem Hörn blasen; mzix (vgl. mnd. rüsen toben) rauh (vom Wetter);
h%s f. (vgl. ags. brysan quetschen und mhd. brüsche Beule) An-
schwellung, Beule infolge von Schlag, Druck u. s. f.; prüsn (vgl. mnd.
prusten, westpreuss. prusn) niesen; bmsyi begehren (von der Sau);
(läl-stüky niederstauchen (vgl. mnd. stüke Baumstumpf und as. stükan
stossen); plüstrix (mnd. plüsterich) zerzaust (vom Haar, von Federn),
zik upplüstdn die Federn spreizen (von Hühnern); sütä7i (umgestellt
aus tüsn?) Gegenstände austauschen, bes. bei Kindern; rüx (mnd. rü,
rüch) rauh. Ebenso vor r, z. B. büd m. (as. bür) Bauer; äüd f. (as.
^kür m. Wetter) 1. Regenschauer, 2. Wetterdach, Wagenschauer;
znä sauer; stüd (mnd. stür steif, strenge) aufrecht und adrett; lüdn
lauern; küdn kränklich, bettlägerig sein (vgl. anord. küra untätig
118
sein, me. couren, ne. cower); hüdky n. (mnd. hür n. Gehäuse) Vogel-
bauer; düän, bedüän (as. dürlik kostbar) dauern (Mitleid empfinden
und erregen), bedauern; düän (< lat. dürare) dauern, währen, gedüä f.
Ausdauer, Geduld; müä f. (as. mürj müra < lat. mürus) Mauer. —
jjlmn f. (< mlat. *plüma < *prüma < prüna < lat. prümim, vgl.
Meyer-Lübke, Rom. Gram. I, 77); lün f. (< lat. lüna) Laune; värälüns
launisch wie das Wetter; kaldün f. (< mlat. caldüna) Eingeweide;
düs m. (mnd. düs < afrz. dous 2) Ass.
Anm. Ans dem Hochdeutschen stammen zoubSi sauber; xou San
(Schimpfwort, sonst x^(f, § 192); douxent 1000 verdankt wenigstens sein ou
dem Hd., vgl. Maurmann § 70 (Meckl. sagt noch düzent). In einer früheren
Zeit sind entlehnt trükn (mnd. trüren < mhd. irnren) trauern, und g^-üs ( < mhd.
grvLS Korn) Grus.
§ 101. ü vor unbetontem Vokal > oii, z. B. frou (as. fnia)
Frau, § 243 b; ü verkürzt zu u, z. B. fuxt feucht, § 237.
Mnd. Ü, i-Umlaut von ü.
§ 102. Mnd. ü > ü, z. B. ßst Fäuste; müs Mäuse; hüzd
Häuser; t^n zäunen; Mkä dreibeiniger Melkstuhl (zu hük § 100);
kl^tn (mnd. kitten mit Erdschollen werfen) werfen; kl\lt7i Klösse;
l^rn (as. hlüdian ertönen lassen) läuten; rflm räumen; hr^rn (mnd.
brMen) foppen, vgl. Braune, Niederd. Scherzgedichte von Lauremberg,
Halle 1879, S. 89; d^ßä Täuberich; hüpm hüpfen; slGitä Schliesser,
auch Eigenn.; z^vdn säubern; zik strUm sich sträuben; zlXm säumen;
kyl f. (mnd. k^le) Keule, die nicht umgelautete Form findet sich in
huvl-kül Blütenkolben mit Stengel von Typha latifolia; syn f. Scheune;
ktt n. (vgl. mnd. kM Eingeweide) Eiter, dazu ünäkMix faul, misslich;
h^dl Beutel; h^ky in heisser Lauge einweichen; d^ikän (mnd. d^ken)
tauchen trans.; hpi in hyn-graf (mnd. Mfie Riese) Hühnengrab;
k^zl m. (mnd. kdsel Kreis) Wirbel, Wirbel auf dem Kopfe; zik khzln
sich wirbelnd im Kreise drehen; düslix (mnd. d^sich betäubt, vgl. nl.
duizigj duizelix) schwindlich, betäubt; dazu wohl d^zn hinreichen, z. B.
dät rfüs^ das reicht aus, ursprünglich etwa von einem Schlage, der
ausreichte betäubt zu machen; ghst (mnd. g^st) unfruchtbar, bes. von
der Kuh; trfxdl m., in manchen Dörfern frVizl^ vom Stamme abgesägte
Holzscheibe, zu einem beliebten Kampfspiel auf der Dorfstrasse be-
nutzt; kMs-kalf n. (Danneil: kütz junge Kuh) weibliches Kalb; tM f.
Düte; krVits n. (as. krüci < roman. cröce < lat. crücem § 94 Anm. 3).
Ebenso vor r, z. B. §Mn (mnd. schüren) scheuern; zilalix säuerlich;
z^dliyk m. Sauerampfer; Aflrfn (mnd. hüren) mieten, pachten (jetzt
ausgestorben).
Anm. 1. Auch Vlt^ n. Euter gehört wohl hierher, nach der as. Form
üder, mnd. ^der zu schliessen. Immerhin wäre denkbar, dass Ü auf iu (§ 104)
beruhte : neben as. üder setzt Wadstein im Gloss. iodar (für das handschr. gede7')
an, vgl. mnd. jeder. Auch bei prü7i f. Weissdornstachel, zum Zumachen von
Wurstdärmen, pr^n Därme zustecken, schlecht nähen oder stopfen, dummes Zeug
119
reden (mnd. jyriSinen schlecht zusammennähen) ist zweifelhaft, ob Umlaut von ü
oder iti zu Grunde liegt. Auf alle Fälle gehört das Wort zu ags. preon Pfriem,
Nadel, ne. jrt'een Kardenausstecher.
Anm. 2. Aus dem Hd. stammt geböyr f. Gebäude.
§ 103. Zur Diphthongierung von mnd. -iide' > -üje- > -öyd-,
z. B. mnd. IMen > lüien > löyen läuten in einem Teile der Pri vgl.
§ 246; Verkürzung von ü > ü, bes. in synkopierten Verbalformen,
z. B. h'üpstj kmpt kriechst, kriecht, § 238.
As. iu (= germ. eu)^ mnd. ü.
§ 104. As. iu ist (wie der i-Umlaut von ü § 102) > Ü geworden,
z. B. dVits deutsch; d^rn deuten; d^tlix deutlich; düsdä (as. thiustri)
düster ; IVlv Leute ; dlXp f. (as. diupi) tiefste Stelle im Boberower See ;
znk Seuche ; t^x n. (mnd. t^ch Gerät) Zeug ; tüg m. (mnd. t^ye) Zeuge ;
tVi-y zeugen, Zeugnis ablegen ; zik t^-y sich leisten ; nMix (mnd. nütlik
angenehm, vgl. as. niud m. Verlangen, niiidllko sorgfältig) niedlich;
d\Xvl m. (as. diiibil) Teufel; kXiky m. Küchlein; fätMän verwirren, in
Verwirrung geraten (von Garn, Leinen, beim Sprechen) gehört zu
t^ider (mnd. tfider und täddet\ vgl. an. tjöä7% das in der Pri ausgestorben
ist, in Meckl.; Holst, u. s. w. noch lebt und Strick oder Kette mit
Pflock zum Festmachen des Viehs auf Weideplätzen bedeutet). —
Hierher ist auch wohl zu stellen k^m wählerisch im Essen (as. *kiu-mi
zu kiosan wählen? — kteme in Kreis Jericho w I (Krause, Ndd. Jb.
25, 39) weist auf eine Form mit as. io) ; sonst könnte man noch an
ags. cyme zierlich und an as. kümian beklagen denken (s. Kluge,
unt. kaum).
Ebenso vor r, z. B. dM (as. diiiri) teuer ; stM Steuer, Abgabe ;
stMn steuern ; abstellen ; /üd (as. ßiir) Feuer.
Anm. 1. Ursprünglicher Wechsel zwischen as. io > ei (§ 107) nnd
iu > Vl ist zn Gunsten von ei entschieden in leiv Liehe (as. liuhhi), nach leif
(as. liof) lieh, lei-m lieben; dei Nora. Sg. f. (as. ihiu) die; in der 1. Pers. Sg.
Präs. der st. Ztw. II, z. B. heir, fleit (as. hiudUy fliutu) biete, fliesse. In der
2. nnd 3. Pers ist das alte Ü in der Verkürzung ü erhalten, z. B. hülst, hüt
bietest, bietet; die Verkürzung muss schon eingetreten sein, bevor ei aus der
Mz. in die 1. Pers. Sg. drang.
Anm. 2. Das öy in döuvl (neben cZürZ) muss durch Einfluss des hd.
Teufel erklärt werden, vgl. douxent § 100, Anm. Aus dem hd. liederlich
stammt lldrix (vgl. ags. lythre schlecht).
§ 105. euu < eww > öy, z. B. tröy f. (as. treuwa) Treue; tröy
(as. tritiwi) treu; zöygl m. (as. siida^ mnd. süwele, vgl. as. siiiwian,
mnd. süwen nähen) Schusterahle; klöydyi, klöy-y n. (as. kleuivin) Garn-
knäuel; röydn unpers. (as. hrimvon bekümmert sein) reuen. Auch
ö'^^yöl Gespensterfurcht, zik gröygln sich gruseln gehört hierher^
wenn man eine Wz. griu- statt gm ansetzen darf.
§ 106. Ü < iu verkürzt > ü^ z. B. lüxtn (as. liuhtian) leuchten,
blitzen (§ 239).
120
As. io (== westgerm. eo), mnd. e,
§ 107. As. io > ei; im monophth. Gebiet > e (§ 7, 1 a), z. B.
deif Dieb; leif lieb; deip tief; mw m. Riemen; leit n. (mnd. /e^) Lied;
dein dienen; deinst Dienst, Mz. deinstn Gesinde; greim (mnd. greve)
Grieben (ausgelassene Schweinefettwürfel) ; fieirä Flieder ; streim
Strieme, Streifen in der Haut; veirn (as. wiodon) Unkraut jäten;
hei% f. (mnd. hese) Binse; heist-melk erste Milch der Kuh nach dem
Kalben; heirn (as. biodan) bieten, und so alle st. Ztw. II, 1 (vgl. § 104,
Anm. 1 und § 369); leisch Schilfblätter der Typha, Iris u. s. f. Ebenso
io < ew in knei (as. knio) und io < ehu, ihu, z. B. fei (as. fehti^ fio)
Vieh, zei (as. sihu) sehe (vgl. § 245).
Anm. 1. Meckl. tein (as. tiohany Hon, tian) ziehen ist in der Pri durch
treky verdrängt; auch meckl. reitstok Eohrstock, dessen erster Bestandteil wohl
hriod Schilfrohr ist, ist in der Pri unhekannt.
Anm. 2. As. seo < *sew See, sneo < *snew Schnee (Holthausen, As. El.
§ 108) hätten xeiy snei ergehen müssen. Die wirklichen Formen xe und sne
verdanken ihr e den ohliquen Casus, in denen e vor w erhalten hlieh. Nicht zu
erklären vermag ich kezn (mnd. kesenj keisen) heim Spiel den aaslosen, der an-
fängt, ausküren. As. kiosan hätte keixn ergehen müssen. Vgl. § 370.
Anm. 3. Über öy für ei im Präteritum von früher reduplizierenden Zeit-
wörtern, wie roupm rufen, stotn stossen, löpm laufen vgl. § 383, 385.
Anm. 4. Über e für ei in ge-sen (as. *giskehan, mnd. gesehen, geschein)
vgl. § 37-7 Anm. 1. Hochdeutsch sind auch wi (statt *neiy s. as. neo, nio) nie
und gris (vgl. as. griot, mnd. gret Sand) Gries.
Anm. 5. As. io und as. e (ie) aus germ. e^ haben also dieselbe Ent-
wicklung gehabt, s. § 79.
§ 108. In eo, io (< eo, s. Holthausen, As. El. § 108) je, immer
ist durch Akzentverrückung i > j geworden, nach der häufigen
Schreibung gio zu urteilen wohl schon im Altsächsischen. Auf as.
gio, mnd. jö führe ich zurück jö ja Adv., (s. Grimms Wb. unter j a 11,
bes. 2, 6, 7) in Sätzen wie kum dox jö komm doch ja, max jö, jö
nix zein ^"v^arum nicht gar^ u. s. f. Die Bejahungspartikel (Grimms
Wb. unter ja I) heisst Ja < as. ja (nach § 71). Sonst ist io durch
Akzentverschiebung über ie > je oder j geworden, z. B. in jetfd,
jetfä-en , jeder', das ich mit mhd. ietweder vergleichen möchte; jixtns
(as. eomht, mnd. jicht) irgend (zeitlich), z. B. ven ik jixtns kan, wenn
ich irgend kann, sobald ich nur kann. Im as. iemer ist die Akzent-
versetzung unterblieben; es ist über imer > iimä geworden (§ 277, d).
Anm. yerä jeder könnte wohl auf as. iehwethar, mnd. ie-weder organisch
zurückgehen. Es scheint mir aber hd. zu sein, wie schon Lübben, Mnd. Gramm.
S. 117 die seltenen mnd. Formen ider, ieder für hd. hält.
§ 109. io + r > e, z. B. dedn (as. thiornd) Mädchen (§ 261);
io vor Doppelkonsonanz verkürzt > i, z. B. lixt (as. Höht) Licht
(§ 240).
Über i-a, i-e > ei, äi s. Diphthongierungen § 245.
121
B. Die Vokale in nebentonigen und unbetonten Silben.
I. In Vorsilben.
§ 110. 1) As. for-, far-, fer- = mnd. ver-, vor- > fä-, individuell
nacb /o- herüberklingend, z. B. fädäim verderben; fägäm vergeben;
fälätn verlassen.
Anm. 1. Der hd. Vorsilbe er- entspricht nicht selten fl,-, z. B. in fUeln
erzählen; fkküln erkälten; fix^jm, ersäufen; fSiZüpm ertrinken und vertrinken;
/ä^öän erzürnen; die Vorsilbe er- ist in unserer Mundart überhaupt nicht heimisch.
Anm. 2. Alte Synkope liegt vor in fr^tii fressen, schon as. fr'etan,
2) As. gi' (ge-) > ge, ist besonders häufig bei Hauptwörtern,
z. B. gezel Gesell; geföä Gefahr; gedüä f. Ausdauer, Geduld; geläxtä
Gelächter; geärixt n. Geschrei, und noch jetzt lebendig zur Bildung
von sächlichen Verbalsubstantiven mit iterativer Bedeutung, meist in
tadelndem Sinne, z. B. dät gebak die Backerei, dät gebou die Bauerei,
dät gestän die Stöhnerei, dät gehoust das Gehuste u. s. f. In Eigen-
schaftswörtern, z. B. gevis gewiss, gevöä gewahr, gemein leutselig,
und in Zeitwörtern, z B. gerärn geraten, ist es etwas seltener.
«
Anm. 1. Synkope des e ist eingetreten in günn (as. gi-unnan, mnd.
gunnen) gönnen; gnär f. (as. ginktha) Gnade; gMn (neben ^in) gegessen,
besonders in upgl.tn aufgegessen. In grär (mnd. gerade, grade rasch, sofort)
gerade, glöv m. (as. gilöbho, aber mnd. löve Glaube), glö-m glauben (s. Anm. 2),
gleit Glied (s. Anm. 2), ghk gleich (s. Anm. 2), glük n. (mnd. lücke Schicksal,
Glück, im Fries, noch jetzt lük, s. ten Doornkaat Eoolman) scheint mir g unter
hd. Einflnss angetreten zu sein.
Anm. 2. Vielfach weist unsere Ma. gegenüber dem Hd. unpräfigierte
Formen auf, z. B. noux (as. gi-nög) genug; löys f. (mnd. leese vgl. § 277, e)
Geleise; bit n. Gebiss (der Pferde); /5-w neben glo-m (as. gilobhian, mnd.
Uwen) glauben; let n. in fink-let (as. lidh, s. § 197) Glied; vis, z. B. in vis
un vol, neben gevis, s. Anm. 3 (as. wis(s), Adv giwisso) gewiss, fest; an-venn,
af-venn angewöhnen, abgewöhnen; vinn gewinnen; hb§Ln gehören, geziemen;
smn (vgl. as. swidh stark) geschwind; vö^ neben gevök gewahr. „Gleich*
heisst jetzt immer ghk, aber noch Gedike kennt lyk (mnd. hk)y und dieses lik
hat sich erhalten in ükks Adv. gleichwohl und likiou, von einem, der drauf
los schlägt, gleichviel wohin.
Anm. 3. Noch öfter als g- wird ge- unter hochdeutschem Einflnss
an ursprünglich unpräfigierte Formen oder an Formen, die im Mnd. ge- verloren
hatten (vgl. Behaghel, Pauls Gr. I, 713) getreten sein. Doch lässt sich der
Sachverhalt nicht immer klar feststellen. Sicher hd. sind gevo-n gewöhnen, das
das Simplex venn (Anm. 2) ganz verdrängt hat, und gevalt Gewalt (§ 273).
Der Entlehnung aus dem Hd oder doch der Beeinflussung durch das Hd. sind
verdächtig Formen wie: gedult (mnd. dult und gedult\ gesunt (mnd. sunt und
gesunt)y gestaiak (mnd. stank), gestel n. (mnd. stelle m), gexixt (mnd. sichte
und gesichte, letzteres = Sehvermögen, Anblick), geslext (mnd. siechte) Geschlecht,
gerixt (mnd. richte und gerichte) Gericht; genou (mnd. nouwe eng) genau,
gevinn (neben vinn Anm. 2), gevök gewahr, neben seltnerem vöa, (Anm. 2),
geneitn (noch Gedike schreibt neten) gemessen.
122
Das Partiz. Praet. aller Verben wird auf dem ganzen Gebiet
ohne die Vorsilbe ge- gebildet, also vusn gewachsen, §ätn geschossen,
zäxt gesagt, hröxt gebracht. Im As. fehlt gi- nur bei einigen Zeit-
wörtern, z. B. fundan gefunden, wordan geworden, s. Holthausen, As.
El. § 421. Im Mnd. erscheint ge- nirgends als notwendig, s. Lübben
§ 64, Nerger § 86, 6; in den mbr. Urkunden überwiegen jedoch die
Partizipien mit ge-. In einigen Fällen hat sich ge- bis auf den
heutigen Tag erhalten: 1) bei bestimmten Partizipien in adjekti-
vischer Verwendung, z. B. dät is nix gezäxt das ist nicht gesagt,
d. h. ausgemacht; hd is ungeheitn Mm er ist ungeheissen, d. h. un-
aufgefordert gekommen; /lei krixt ümä zln genant ihm wird immer
eine bestimmte Summe Geldes, eine bestimmte Menge Essen zugewiesen;
vgl. getaxt gestaltet, gepakt stämmig; 2) nach kärn kommen, meist
in Verbindung mit an, z. B. in Wendungen wie da kiimtä angelöpm
da kommt er gelaufen; 3) in Verbindung mit toxi (zu) in imperati-
vischem Sinne, z. B. man ümä tougelöpm, tougemät nur immer zu
gelaufen! zu gemäht! vgl. upgepast aufgepasst! Als g- ist ge- er-
halten in gätn (neben ätn) gegessen (s. o. Anm. 2).
3) As. bi- > be-, z. B. bezöyky besuchen, begnpm begreifen,
bedreiy betrügen.
Anm. 1. In mmeckl. nnd mbr. Urkunden, überhaupt östlich der Elbe,
findet sich statt he häufig ho geschrieben, das als hö oder hü zu lesen ist,
s. Graupe S. 25, Nerger S. 19, Lübben S. 23, Tümpel, Nd. Stud. S. 66 f.
Anm. 2. Synkopiert ist e vor Vokal in hütn (schon as httan neben
hi-ütan ausser, draussen = ütanfa)) draussen; feä-7/i (as. hi-ohhan oben darauf,
Hei. 4076) oben; bifin innerhalb (räuml. und zeitl.); haid bange, heuB den Leib
zusammendrücken, hixt Beichte (§ 232); vor Kons, in hli-ni (as. hi-Uhhan) bleiben.
Anm. 3. hedrux m. (mnd. droch) ist halb hd.
4) Für das as. Präfix te- ist wie für die Präpos. te das Adv.
tou (as. tö) getreten (schon im As. konnte tö auch Präpos. sein, auch
zur näheren Bestimmung hinter Verben treten), z. B. toiizam (as.
tesamna) zusammen, toujäy zugegen, entgegen (as. tegegnes).
In einigen Ausdrücken hat sich jedoch te durch Synkopierung
als t- erhalten: ten (dät hüs) am Ende, d. h. am Giebelende des
Hauses (mnd. tefides); trüx (mnd. to rägge) zurück, trüx-nöäs rück-
wärts; trext {< te rechte) zurecht, däl < as. te dale s. § 111.
Anm. Ein dem as. te- = hd. zer- entsprechendes Präfix hat unsere
Mundart nicht; sie gebraucht dafür inkot, intwdd entzwei, z. B. intwki-ritn
zerreissen.
5) Die Vorsilbe im- ist abgefallen in hanix sehr, z. B. banix
rik sehr reich, < tmbandich (so noch ostfriesisch, s. ten Doornkaat
Koolman und vgl. Hoefer, Germania 14, 204; 23, 6. im ist angetreten
in imKvl übel.
o
§ 111. Das Adv. her hat betont regelrecht hed ergeben. Un-
betont in Zusammensetzung mit Präpositionaladverbien ist aber von
her nur r übrig geblieben in rup herauf, raf herab, herunter, ran
123
heran, rin herein, rüt heraus, rüm herum, rSivä herüber. Für SPri
tritt noch hinzu: rund herunter.
Durch rhvä veranlasst, hört man vielfach auch ravä, rupä, rinä,
i-ütä, durch umgekehrte Angleichung aber run für rund.
Anm. Hoefer vermutet Germania 14, 208 sicherlich mit Unrecht, die
Formen rat;a, rupk n. s. f. erklärten sich, indem an raf, rup u. s. f. das vorne
z. T. abgefallene her hinten wieder herangetreten sei. — Mit hen < hin werden
keine Präpositionaladverbien gebildet.
Vielfach gehen tonlos gewordene Präpositionen auch ganz ver-
loren: vex Adv. weg, fort (vgl. hd. weg < mhd. enwec, ne. awai/ <
ags. onweg)\ däl nieder, herunter, herab (schon ags. te dale „zu Tal ^
heisst hinab; vgl. ne. down < me. a-down < ae. of düne und für die
Bedeutungsentwicklung afranz. nfranz. ai^al nach unten, stromabwärts
< lat. ad valletn). Das Hauptwort ist nur noch enthalten in Orts-
namen wie Gousdäl Gosedahl.
Für intwdi, inkot entzwei hört man auch twdi, koL
§ 112. In Fremdwörtern, besonders in ausländischen Vornamen,
ist die Anfangssilbe wegen Tonlosigkeit oft unterdrückt worden: hd.
kartoffel > tüfl^ tüvl (Meckl. : kdtilvl) ; frz. pantouße > tüfl, tüvl (so
schon Daniel von Soest und Lauremberg), frz. appartement > potämayk
Abtritt; Katharina > Trtn\ Soflke{n) > Flk^ Flky, Friederike,
Ulrike > Bikl, Wilhehnine > Mind, vgl. Teis Personenname <
Matthias (§ 245).
Anm. 1. Alle diese Vornamen beginnen zu veralten oder werden durch
die entsprechenden hd Namen verdrängt, z. B. Fik durch Tsafl Sophie.
Hindenberg verzeichnet noch die jetzt ganz verschollenen Vornamen Fei <
Sophie (§ 243, a), Neschen < Agnese, Leis < EHas, Gust < August (jetzt
Otigusty mit dem Ton auf der ersten Silbe. In Meckl. dagegen sind Namen wie
Gust, Orch (< Georg) j Vischen < Lowlseken < Louise noch allgemein gebräuchlich.
Anm. 2. Es sind also, anders als im Oberdeutschen, diese Namen nicht
nach germanischer Weise auf der ersten Silbe betont worden. Vgl. über diesen
Unterschied in der ndd. and oberd. Betonung Mackel, Lyons Zs. 1894, 186 ff.
§ 113. In einer anderen Reihe von Fremdwörtern, vor allen
solchen, bei denen die betonte Silbe mit r oder l anfing, ist der
Vokal der (unbetonten) ersten Silbe synkopiert worden (vgl. § 115, 4),
z. B. a in krüts < karütsch Karausche, prät < parät < lat. parätus
bereit, kldnd, kldndn < Kalender, im Kalender nachsehen, lesen ; vgl.
drüm neben dem betonten döariim < darum darum; — e in prQ^•
(< frz. perruque), vgl. Jürn < Georg und f&nä < frz. venin < lat.
venemim) giftig, tückisch; — o in krintn < frz. (raisin) corinthe
Korinthen, vgl. krön < coröna, plitä, politä pfiffig, klug < politisch;
— w in kra.i Kraft (nicht Mut) < frz. courage; klod (neben kalod)
< frz. couleur, krant neben kurant < courant, z. B. in twe gröän krallt
(Kourantgelt), jetzt veraltet. Der Vorname Liä geht wohl auf Liseke
für Liäseke zurück; Meckl. sagt Vl§n < Loiviseken.
In noch anderen Fremdwörtern erscheinen die Vokale der un-
betonten ersten Silbe zu ö, w, u oder a geschwächt, z. B. zöldät
124
Soldat, zülät Salat, Mürth (älter Miiräi § 243, jünger Marl) Marie,
kuntöä < frz. comptoir^ buri < frz. por^e, dessen erste Silbe zunächst
unbetont gewesen sein wird, sase Chaussee, patäön Portion^ kamedi
Theater < frz. comedie^ kamör Kommode; bequem < frz. com?node;
akäön < Auktion.
II. Die Vokale der Mittelsilben.
Vorbemerkung: Es werden hier nur ursprünglich dreisilbige
Wörter und Formen behandelt. Nomina, die erst in den obliquen
Casus dreisilbig werden, sollen zur Vermeidung von Wiederholungen
erst im Kapitel von der Dehnung kurzer Vokale in offener Silbe, der
sog. „Tondehnung*' (s. §§ 183 ff.) zur Sprache kommen.
a. Mittelvokal -f- /, m, n, r,
§ 114. 1. Bei den Nominibus auf mnd. -ele, -ene, -ere ist der
Mittelvokal erhalten, -ele ist > el > L -ene > en > n, m, -ere > er
> ä geworden. Demnach müsste nach § 183 der kurze Vokal in
offener Silbe gedehnt worden sein. Das ist auch in einer Reihe von
Wörtern geschehen (Gruppe a). In einer anderen Gruppe (gr. ß) ist
der Stammvokal aber kurz geblieben. Wahrscheinlich ist im Nomin.
Sing, das End-6 hinter / und r verstummt, bevor der Mittelvokal
ausfiel, in den Casus auf -en^ -es aber der Mittel vokal geschwunden,
und zwar vor der Tondehnung. Die Wörter mit gelängtem Vokal
würden sich dann aus der apokopierten Form des Nom. Sing., die
Wörter mit kurz gebliebenem Vokal aus den synkopierten Formen
der casus obliqui erklären, häkl also aus hekel{e)^ netl aus neuen.
Gruppe a) häkl f. (mnd. hekele) Hechel; k-zl f. (mnd. osele)
glimmende Lichtschnuppe; ädl (mnd. addele^ adel{e)^ vgl. ags. adela)
Jauche; hävä m. (as. habharo) Hafer; lävä f. (vgl. ahd. lebard) Leber;
kämä f. (as. kamara < lat. camera^ mbr. kamere^ kamer) Kammer ;
bätä (as. betera) besser.
Gruppe fi) netl m. (mnd. netele^ nettle, vgl. ags. netele; in Zss.
net{e)lenblat) Nessel; äöpm (as. skepino) Schöffe; gaß f. (mnd. gaffele^
vgl. as. gajlia im Oxf. Gloss.) grosse hölzerne, zweizinkige Gabel zum
Umwenden des Strohs beim Dreschen ; färä f. (as. fethera, mnd. veder(e),
PI. vedderen) Feder; hdrdk m. (mnd. hederik < lat. hederacea) Hederich;
ma^ln (mnd. masseien, fnaslen) Masern (wird verdrängt durch das hd.
mäzän Masern); edl (as. ethili, edel) in edhnan Edelmann; toiizam
(as. tesatnna zu samen) zusammen (Meckl. hat touzäm),
Anm. 1. Zu a) gehören noch Wörter wie rät? Rabe; kar Kette;
zu ß) Wörter wie el Elle ; m,öl Mühle. In diesen Wörtern ist aus dem w-Nominativ,
der als Plnr. missverstanden wnrde, nach dem Schema eikr) — eik ein neuer
Nom. Sing, ohne n gebildet worden, vgl. § 337.
Anm. 2. Schwer zu erklären ist der Vokal in den beiden Lehnwörtern
bodk f. Butter und södl f. Schüssel. Zu Grunde liegen lat. butyrum oder
buiyra > as. butura (mbr. botter, vgl. afries. butera, ags. butere) und lat.
125
scutella > as. *scutila (Lampr. Glos, scutala). Ohne Tondehnung wäre budli
südl zu erwarten gewesen, mit Toudehnung fta/ä, sKdl (vgl. westf. bu9t^j
sxydtl, Holthausen, Soester Ma. §§ 65, 66). Es wäre möglich, dass mnd. Formen
schotel, böter nachträglich verkürzt worden wären, s. § 241; es wäre auch
möglich, dass die Vokale o, ö aus den Casus mit regelrecht gedehntem Vokal,
die Kürze aus den Casus mit regelrecht ungedehntem Vokal stammten, so dass
Kompromissformen vorlägen wie hei s^net Schmied, s. § 197, 2; drittens aber
könnte man bei diesen beiden Wörtem, die in der „Holländerei" eine so grosse
Eolle spielen, an frühzeitige, direkte Beeinflussung durch die holländischen
Formen boter, schotel denken.
2) Die Bildungssilbe as. -ari, -eri der Nom. agentis ist über
ere, er > ä, die Deminutivsilbe as. -ilo, 4la über ele, el > l geworden,
der Mittelvokal ist also erhalten geblieben. Dementsprechend ist,
wo es anging, Tondehnung eingetreten. Beispiele: jägd Jäger, l§rord
Schröder, äepä Schäfer, bekä Tas. hakkeri, mnd. beckere) Bäcker; börgä
Bürger; — rädl f. Kornrade; ruykl f. Runkel u. s. f.
3) In den as. Ztwtn. auf -aron, -iron, -inon, -Hon ist ebenfalls
der Mittelvokal erhalten geblieben. Dafür spricht die Tondehnung
kurzer und die Nichtkürzung langer Vokale; dafür spricht auch, dass
im Mnd. das Prät. und das Partip. Prät. stets lauten wunderde,
gewundert wunderte, gewundert; rekende, gerekent rechnete, gerechnet;
uandelde, gewandelt wandelte, gewandelt a) as. -aron, -iron > mnd.
er(e)n > an z. B. vundn wundern; hinan hindern; äigän ärgern;
änän (mnd. ander(e)n) ändern; bulän (mnd. bulderen) poltern; rokän
räuchern; zVivän säubern; foiirän, fiirdn (§ 233) füttern; thgdn zögern;
stämdn (as. stamaron) stottern; vätdn wässern d. h. grossziehen
(Kälber); värdn wettern d. h. donnern; bätän (as. betiron) bessern
u. a. ; — ß) as. -inon > mnd. -enen und -en > y (da immer ein
Gaumenlaut vorangeht) z. B. rä-hj (mnd. rekenen und reken) rechnen;
teiky (mnd. teketien und teken) zeichnen; rä-y (mnd. regenen und regen)
regnen; zä-y (mnd. seg&nen und segen) segnen; bejä-y (mnd. begegenen,
begegen) begegnen; — y) as. Hon > mnd. el(e)n > In, z. B. in-päkln
(mnd. pekelen) einpökeln, kd-kln (mnd. kakelen) gackern. Hierher
gehört die zahlreiche Gruppe der Iterativa mit kurzem Stammvokal,
kurz, weil er sich vor Doppelkonsonanz befand; z. B. tümln taumeln;
duzln (zu dhzix < as. ^dusig^ vgl. ags. dysig) schlafmützig sein; druzln
(vgl. ags. drüsian, drüsan) schläfrig sein; kwazln Unsinn reden
(wohl zu quedan sagen); zik kavln (Iter. zu mnd. kiven zanken, vgl.
mhd. kibeln zanken; oder zu mnd. kävel Stück Holz zum Losen?);
snüvln (zu snüven) schnüffeln; snavln unsauber essen, dummes Zeug
reden (zu sndvl Schnabel); gravln (Iter. zu as. gri2)an greifen) grapsen;
nuzln (in Ablaut zu Nase) langsam sein, eigentlich langsam durch
die Nase sprechen; puzln kleine Arbeit verrichten; krivln jucken,
stechen in den Finger- und Zehenspitzen, besonders vor Frost (im
Ablaut zu krabbeln, da das Gefühl dem Ameisenlaufen gleicht).
Anm. In Ableitungen von Wörtern auf mnd. -ely -er geht der Mittelvokal
verloren, z. B. ri^vlix neblig; ädlix adlig; krivlix hitzig, bidrix aufbrausend u. s. f.
126
b. Mittelvokal +■ Kons, ausser l, m, n, r.
§ 115. Der Mittelvokal wird synkopiert, und zwar meistens
vor der Dehnung kurzer Vokale in offener Silbe (vgl. § 225).
1) zülvä n. (as. siluhar) Silber; ^fs f. (as. *alisa, mnd. eise)
Erle; brärm f. (mnd. hremese) Bremse; eVm (as. elleban) 11; twölv
(as. üvelihiV\\xv,) 12; ämk und ämt f. (mnd. emeke \mA emete) Ameise;
harn n. (as. hemi\>i) Hemd; frömtj Mz. frörh (as. fremipi) fremd, fremde;
marks'bloum (< Marikefibloum Marienblümchen) gefüllte Gänse-
blümchen; piystn m. (as. pinkoston) Pfingsten; das veraltete kärk f.
(as. kirika) Kirche. Die Feminina auf i\>a, ida, die schon im As.
oft Synkope zeigen (Holthausen, As. El. § 138, 5)" zeigen oft Ver-
kürzung langer Vokale, z. B. höxt (as. *höhipa, mnd. hogede, höchte)
Höhe; gröt (mnd. grötede, grötte) Grösse; vgl. auch kyl (mnd. külde)
Kälte, fräir (mnd. vroide) Freude u. s. f.
Anm. Tondehnung zeigen nur tr^tm f. (mnd. tremese) Kornblume,
8. § 72 d. (Boberow sagt übrigens prämsj das ich mir nur aus *tr2ims < *tre7ns
erklären kann); für kmk sagen Fom. und Meckl. ^mkj ebenso einzelne Dörfer
der Pri an der meckl. Landesgrenze, z. B. Porep; der SPri ist eigen Ixt f. Egge
(as. egitha, mnd. egede)^ wofür NPri ex sagt (s. § 7, 1 b).
2) Im Superlativ, mag er as. mit -ist- oder -ost- gebildet sein,
ist der Mittelvokal immer ausgefallen, z. B. dei zöytst der süsseste,
dei fetst der fetteste, dei hoxst der höchste, dei flUixst der fleissigste,
dei gröfst der gröbste. Für den Vokal ist der Positiv massgebend
gewesen; nur bei grötst grösste ist Verkürzung eingetreten (s. § 236),
und bei vit weiss ist dieser verkürzte Vokal vielleicht in den Positiv
gedrungen (s. § 232, Anm.).
3) In der Deminutivendung -iko, -ika > mnd. -eke ist der
Mittelvokal verstummt, aber wohl erst in jüngerer Zeit; denn es ist
Tondehnung eingetreten, und langer Vokal ist nicht gekürzt worden:
swklk < swaleke Schwalbe ; ylk f. (nind. illeke) Iltis ; TUk (mnd. Tideke)
Tietke; GMk Gädicke; Geäk Ger(i)cke; Vilk Wilke. In dem Orts-
namen Ftä < Vieseke ist sk noch zu s geworden. — Auch in der
Deminutivendung -iktn (vgl. as. skipikm Schiffchen) ist der Mittelvokal
wohl verhältnismässig spät geschwunden. Hindenberg schreibt noch
böliken Geschwisterkinder (jetzt böylken s. § 92) und lurike ein Getränk,
was die gemeinen Leute aus Obst machen (jetzt lurk = dünner Kaffee).
Das ist allerdings nicht beweisend; aber in gälgöys-ky Goldammer,
wörtlich = Gelbgänselchen ist sk nicht mehr zu ä geworden, und in
der Kindersprache, in der das Suffix noch schwach lebendig ist, sagt
man neben äkpky ohne Bindevokal noch jetzt betwky Beinchen.
4) Sehr deutlich ist das Gesetz vom Ausfall des Mittelvokals
bei drei und mehrsilbigen Fremdwörtern erkennbar (vgl. § 113):
aftU Appetit; afkät Advokat; aftek Apotheke; apslüt oder afsliit
absolut; akrät akkurat; Adv. gerade; oftslä Offizier; miiskant Musikant;
kaptäl Kapital; vgl. Dodt Dorothea. Oft sind ganze Mittelsilben
ausgefallen: z. B. Fänant < Ferdinand, Kalln < Karoline, eksedn
127
exerzieren; Udrix < lid. liederlich; ontlich oder ollix < hd. ordentlich;
(Hilrl Artillerie.
5) In ähnlicher Weise sind in zusammengesetzten Erbwörtern
die mnd. Mittelsilben -de- (die im Norden zu r, im Süden zu i hätte
werden müssen, s. § 7, 2 a) und -ge- ausgefallen in: br&jäni (as.
hrüdigumOy mnd. brMeg(tm)\ x'ävin f. (mnd. tvedewinde s. § 188) Acker-
winde; häi-dan Besenstrauch, wörtlich Heidetannen (vgl. auch i^na?
< Friderich); hästä f. (mnd. hegester § 177) Elster; häditä f. (mnd.
egedisse s. § 177) Eidechse.
§ 116. Einen unbetonten Mittelvokal hatte ursprünglich auch das
Präteritum und das flektierte Part. Prät. einer grossen Anzahl schwacher
Ztw. aufzuweisen. Dieser Mittelvokal ist jetzt in allen Gruppen, nach
langer und nach kurzer Silbe, ausgefallen. Schon im As. hatten die
langsilbigen der ^a-Klasse meistens, die der 3. Klasse, wozu aller-
dings nur noch hebhian haben, seggian sagen und libbian leben gehören,
immer den Bindevokal unterdrückt. Es hiessen also die Präterita in
der 1. Klasse rekida erzählte, aber döpta taufte, in der 2. Klasse
makodn^ in der dritten habda. Im Mnd. ist der Bindevokal noch
häufig als e erhalten; sein Ausfall oder seine Erhaltung richtet sich
aber im wesentlichen nach der Art des voraufgehenden Konsonanten :
Ausfall findet statt besonders nach dj t, st, nach m, n, l, r und in
den Endungen -eleu, -emen, -enen, -eren (§ 114 a 3).
Es scheint, als ob sich in unserer Ma. das as. Verhältnis noch
erkennen lasse. Wörter wie as. brennian brennen, fullian füllen haben
im Präteritum und Partizip. Prät langes w und l (bräntn, fiiVtn
brannten, füllten; bränt, füPt gebrannt, gefüllt), Wörter wie as. lohon
loben Überlänge des Vokals (Ikvtn lobten, liwt gelobt), Wörter wie
as. bedon beten in WPri r für d (§ 72 a). Alle diese Erscheinungen
setzen den Ausfall eines e voraus und diese Synkope von e ist ein
verhältnismässig jüngerer Vorgang (vgl. § 294; § 227; § 158,
Anm. 1).
Mir ist allerdings wahrscheinlicher, dass hier einfach das Präs.
und der Infinitiv mit ihrem lautgesetzlichen liv, bär eingewirkt haben.
So sind ja auch auf ik nor (zu as. nödian) ich nötige, ik höyr (zu as.
hödian) ich hüte das r und die langen Vokale der jetzigen Präteriten
und Partiz. Prät. zei nortn und nort, zei höyrtn und höyrt zurück-
zuführen: sie hätten nach mnd. nödde, hödde nörn-nöt; hörn-höt heissen
müssen; höt gehütet wird auch noch vielfach gesagt. Von Formen
mit verkürztem Vokal, die den synkopierten Präteriten der as. Gruppe
schw. Ib (s. o.) entsprechen würden, kommt eigentlich nur noch vor:
köft (< as. köpta) kaufte, zu kopm < as. köpian\ alle übrigen sind
durch Ausgleichung beseitigt. Dagegen sind Partizipia Prät. mit
verkürztem Vokal, der alte Synkope beweist, etwas häufiger. Ich
führe an: höt neben höyrt gehütet (mnd. äöY), föt (mnd. vöt) gefüttert,
in upföt grossgezogen, sonst ftlrät, zu furän (§ 233, 234), bröt gebrütet
zu bröyrn, blöt neben blourt geblutet, zu blourn, bot (Hei. gibuotid,
Ess. Glos, giböt)^ zu böytn besprechen, anzünden; stöt (mnd. stöt)
128
gestossen zu stotn (§ 388); köft von kojmi (ferköft schon Ess. Glos.),
und döft getauft, von dopm, wofür jetzt meistens schon dopt gesagt
wird, wie es auch immer l&rt geläutet heisst.
An ID. Die Synkope stammt ans der flektierten Form des Partizipinms;
diese hätte im As. regelrecht Synkope zeigen müssen, doch ist sie hänfig dnrch
Ausgleichung beseitigt.
III. Die Vokale der Endsilben.
a. in Flexionssilben.
§ 117. End-^ ist auf dem ganzen Gebiete verloren gegangen,
gleichgültig, ob es auf langem oder kurzem Vokal beruht, ob es
Rest alter Stammbildung war (bei Ja-; i-; w-; n- Stämmen), ob es nach
Hochton oder Tiefton stand. Nur beim Adjektivum finden sich noch
einige spärliche Reste des alten e, und zwar 1) in der scheltenden
Anrede, z. B. du ole grove hunt du alter grober Hund und 2) im
Femin. Sing, der starken Deklination, z. B. zei izn flUige deän sie ist
ein fleissiges Mädchen, hier besonders bei mehrsilbigen Adjektiven.
(Vgl. § 340 Anm. 2 und § 341 Anm. 2) Es scheint, als ob das
Flexions-^ unter hd. Einfluss neuerdings wieder mehr Boden gewinnt.
Anm. 1. Schon zu Beginn des Mnd. waren alle langen Endsilhenvokale,
also auch -iu und i, > e geworden. Diese e fallen seit Beginn des 16. Jh.
öfter ab. Heutzutage ist bekanntlich das auslautende unbetonte e auf dem
ganzen Hinterland der Nord- und Ostsee geschwunden. (Vgl. Bremer, l^eiträge
zur Geographie der dtsch. Maa. bes. S. 78 ff.) An der Südgrenze der Pri setzt
sofort das End-6 ein und bildet den auffälligsten Unterschied zwischen West-
havelland und Pri.. Wann End-e in unserer Mundart verstummt ist, lässt sich
nicht genau feststellen. Wohl aber gibt es wichtige Anhaltspunkte. Im all-
gemeinen lässt sich sagen, dass es sich hier um einen Lautwandel handelt, der
von Norden nach Süden vordringt (s. Bremer a a. 0). Da nun die Pri zum
südlichsten Gebiete der e-Apokope gehört, so ist dieses Gebiet auch zuletzt
davon ergriffen worden. Wirklich scheint zu Ende des 18. Jh. e noch gesprochen
worden zu sein: sowohl Gedike als auch Hindenberg schreiben e. Bei Gedike
findet sich u. a. oge Auge, hörne Bäume, lüde Leute, müse Mäuse, osse Ochse,
Icorie Beerte kurze Beine; bei Hindenberg: huksche Kröte, kempe Eber, hede
Heede, piermade Regenwurm, däle Diele, na sine mutier nach seiner Mutter,
olle fi'VL alte Frau. Entscheidend sind diese Angaben trotz ihrer Übereinstimmung
nicht: beide Männer können einfach ihr hochdeutsches e angefügt haben, so
dass es rein orthographischer Natur wäre (s. Bremer a. a. 0. S. 84). Halb-
hochdeutsch ist doch auch, wenn Hindenberg schreibt: Det is een dummer
Schnah für dummen Snak) oder Wesen sie so guih; oder höpper, fiäster,
denn End-r war am Ende des 18. Jh. sicher schon verstummt. Er hängt auch
einmal e an, wo es gar nicht hingehört: er schreibt gose Gans. Demgegenüber
steht eine Angabe, die anzeigt, dass e schon schwinden konnte: für „kleines
Mädchen" gibt Hindenberg „lüt oder lütke diern^^ an. Hiermit stimmen schön
gewisse Angaben des etwa gleichzeitigen Bratring überein; er bemerkt im
Idiotikon der benachbarten Altmark bei Trumpf sösse: „auch ohne e"; er stellt
Aop neben Ape ASe, er schreibt wohl pohte Pfote, puette Brunnen, eksche Axt,
129
eise Eller und een dralle dehren ein dralles Mädchen (s. o.), aber ancb ass
Achse, bär Birne, doens Stnbe nnd das interessante seiss' Sense (mit Apostroph!).
So glanbe ich denn nicht fehl zu gehen in der Annahme, dass in der Pri die
Apokope des e nm das Ende des 18. Jh. ein in Flnss befindlicher Lautwandel
gewesen ist. Dazu stimmt aneb, dass in WPri e noch bestanden haben muss,
als nach § 7, 2 a intervokales d> r gewandelt wurde: rEr Rede, ^r Leute
setzt t^de, l^de voraus; *rM, *IM wäre ohne weiteres zu rE/, l^t geworden,
wie es ja auch im östlichen Teil der Pri geschehen ist (§ 7, 2 a, vgl. § 158
Anm. 1). Dass zu Anfang des 19. Jb. das Endungs-e in Meckl. verstummt
war, bezeugt Dietz, s. Nd. Jb. 20, 125.
Anm. 2. Aus den §§ 14, 17, 18 gebt hervor, dass e, ausser nach
Explosivlauten, nur der Artikulation nach geschwunden ist und seine Zeitdauer
entweder auf den vorhergehenden langen Vokal tiberträgt, indem es ihn tiberlang
macht, oder den voraufgehenden Konsonanten längt.
Anm. 3. Das Gefühl für End-e ist in unserer Ma. deic^massen geschwunden,
dass es einem plattdeutsch sprechenden Prignitzer schwer fälk^ das hd. End-e
richtig zu sprechen, s. § 9. Wenn End-e aus irgend einem Grunde nicht^ verloren
gegangen ist, wie in Mine < Wilhelmine, so ist für e ein ä (= er) eingetreten :
man sagt Minkf vgl. § 406.
§ 118. Flexions-e + Konsonant.
Auch dieses e ist im allgemeinen geschwunden, z.* B. l§ivt lobt,
lobte, gelobt, llivst lobst. Es schwindet auch, wie wir § 114, 3
gesehen haben, in den mnd. Verbalausgängen -elen, -enen, -eren, die
zu > ein, en und an werden. Erhalten ist es nur in der Endung
-er > 'd, in der r verstummst ist (vgl. § 114, 1 u. 2), mittelbar auch
in -en > n, dadurch, dass n silbisch wird, s. § 143. In 4en wird
nicht n, sondern l silbisch, also ruykln Runkeln, zamln sammeln.
Unsyllabisches n steht sonst nur 1) in den Pura, die schon im As.
einsilbige Infinitive besitzen: stän stehen, gän gehen, doun tun, zin
sein; 2) in Verben mit vokalisch auslautenden Stammsilben wie hlöydn
blühen, frdian 1. freuen 2. heiraten, 7nä9n mähen, wofür man auch
wohl einfach blöyn, frdin, man schreiben könnte.
Beim Ztw. müssen wir eine alte und eine junge Synkope
unterscheiden. Beide beziehen sich auf die 2. und 3. P. Präs. Sing,
und, soweit das schwache Ztw. in Betracht kommt, auf die unflek-
tierte Form des Partiz. Prät. und betreffen den Vokal in den Endungen
as. is, es, id (it), ed (et), mnd. -est, -et. Die unflektierte Form des
Partiz. Prät. ist schon zugleich mit der flektierten Form § 116
besprochen worden.
a) Alte Synkope, Sie betrifft hauptsächlich die 2. und 3. Pers.
Präs. der st. Ztw. und ist schon zu Beginn des Mnd. vollzogen.
Kennzeichen: Kürze des Stammvokals, sei es, dass ein ursprünglich
langer Vokal verkürzt (§ 228 ff.) oder ein kurzer Vokal in offener
Silbe nicht gedehnt ist (§ 200). Bei Eintritt dieser Synkope war
1) germ. z noch nicht zu r geworden: ik freä ich friere, du fräst,
Im frilst; 2) noch nicht Tondehnung eingetreten, die dann später
den Vokal in der 1. Pers. lang macht (z. B. ik grkv, du. gröfst, hei
gröft; ik spräk ich spreche, du sprikst, hei sprikt; ik Idt, du letst.
Niederdeutsches Jahrbuch XXXI. 9
130
hei let ich lasse^ du lässt, er lässt; 3) der Vokal des Plurals noch
nicht in den Singular getreten: du giltst, hei gilt du giessest, er giesst
erklärt sich nur aus as. giutis, giutid, während ik geit ich giesse,
mnd. gete, den Vokal des Plurals (as. io) zeigt: as. giutu hätte ik gilt
ergeben (s. § 104 Anm. 1 u. § 107); 4) lange Vokale werden gekürzt
(§ 228), z. B. drtv, drifst, drift treibe, treibst, treibt, löp^ löpst, löpt
laufe, läufst, läuft u. s. f.
Von schw. Ztw. zeigen nur die langsilbigen Ja-Stämme ähn-
liche Entwickelung, d. h. dieselben Zeitwörter, die nach § 116 durch
Synkope verkürzten Vokal im Prät. und Partizip. Prät. haben, also
föt up zieht gross, höt hütet, hröt brütet, bot zündet an, bespricht,
köfst, köft kaufst, kauft, zöxt sucht. Für döfst, döft taufst, tauft sagt
man jetzt gewöhnlich dopst, dopt, und es heisst ausschliesslich rärt
redet (mnd. ret). Umgekehrt muss bei den kurzsilbigen Ja-Stämmen
sich der Flexionsvokal länger gehalten haben: eine Form wie jhkij
jucken < as. jukkian erklärt sich nur aus as. jiikis, jukid (2. u. 3.
Pers. Sg. Präs.), s. § 207.
b) Die jüngere Synkope ist im allgemeinen im Mnd. noch
nicht durchgeführt. Der Stammvokal, der infolge der Erhaltung der
Flexionssilbe ' tonlang geworden war, wird durch den Schwund des
Flexions Vokals im Nnd. überlang (§ 227), auch werden /; m, n nach
kurzem Vokal lang (§ 294), z. B. du Ikvst, hei iKvt du lobst, er lobt;
du bkrst, hei h%>rt du betest, er betet.
Auffallend ist, dass starke Ztw. mit dem Stammauslaut l, m, n
vor den Endungen st und t bald kurze, bald gelängte l, m, n zeigen.
Man vgl. fal falle, fälst, fält; hol halte, holst, holt mit kel schelte,
äeVst, §eVt; fin finde, finst, fint.
b. in Ableitungssilben.
§ 119. Auch in Ableitungssilben ist der unbetonte Vokal,
soweit er im Mnd. schon > e geworden war, gefallen, z. B. hbvt
(as. höhid, mnd. hövet Haupt (§ 97); mänt m. (as. mänoä) Monat;
deinst m. (as. thionost, mnd. denest) Dienst; dfvt f. (mnd. erwet) Erbse;
melk (as. miluk, mnd. melk) Milch; näkt (mnd. näket) nackt u. s. f.;
ebenso im SuflSx as. -isk, mnd. -isch, -esch, welches sein e vielfach
schon im Mnd. verloren hat, z. B. dGitä (as. thiudisk, mnd. diidesch,
dusch) deutsch, pols polnisch; dänä dänisch; frantsoä französisch; vgl.
auch mins (as. mennisko^ mbr. mensche, minsche) Mensch, und das
weibliche Wesen bezeichnende Personennamensuffix mnd. -esche, z. B.
khks Köchin, äult§ Frau Schulz. Dagegen heisst es gewöhnlich helis
sehr (eigentlich höllisch), neben seltnerem heUn (schon mbr. heisch,
s. Graupe, S. 33). Vgl. auch § 225. Mnd. -er, -el, -ent, -en sind
natürlich auch hier zu -d, -l, -m, -n geworden.
Demgegenüber ist i in einer Reihe von Ableitungssilben, besonders
vor Hartgaumenlauten und Nasalen, erhalten geblieben.
131
a) as. 'ig, -ag > ix, z. B. honix Honig, krdftix kräftig, Kompar.
krdftigä, välix voll Kraft und Feuer, twintix 20, Idrix leer.
AniD. Als Mittelsilbe schwand i; daher ffi/i!;ö?ärp Heiligendorf (Eigen-
name) und mhix neben mt>nix manch (vgl. Siewert, Nd. Jb 29, 93).
b) Über lix < as. lik s. § 121.
c) as. 'ing, -ling > iyk, liyk, z. B. peniyk Pfennig; heeriyk
Häring; stäkliyk Stichling; hlentliyk Blindschleiche; z^aliyk m. Sauer-
ampfer; föytliyk Fussende des Strumpfes.
d) as. -nissi, nissia > mnd -nisse > nis, z. B. dröyfnis Betrübtheit,
vähnnis Wärme (mnd, wermenisse).
Anm. In fkmits Firnis hat die auf dem altslavischen Boden in Orts-
und Personennamen so bekannte Endnng -its die Endang -is verdrängt; ebenso
hört man häafig grifnits für grkfnis Begräbnis (Graupe verzeichnet S. 33 ein
mbr. hamitz für hamis Harnisch) Ich vermute auch, dass hMiiä Eidechse
für hMits und dieses für hMis, Mis st^ht (mnd. egedisse)^ vgl. §§ 115,5, 180,
182 a; Formen auf is in diesem Worte sind in anderen nd. Maa reichlich belegt,
vgl. Nd. Kbl. 13, 52.
e) Das as. weibliche Suffix -unga (z. B. kostunga Versuchung)
erscheint im Mnd. als -inge (wie im Niederländ., z. B. woninge Wohnung)
neben seltnerem -unge (z. B. settunge). Die heutige Mundart kennt
nur 'Uyk. Dieses -uyk ist nichts anderes als das hd. t4yk. Zuweilen
wird die Endung uyk das alte iy < inge verdrängt haben, wie z. B.
in vknuyk Wohnung, wo der Umlaut noch auf -inge hinzuweisen
scheint; meistens aber werden hd. Wörter auf -unk einfach auf-
genommen sein. Es handelt sich ja hauptsächlich um Verbalabstrakta,
wie mänuyk Mahnung, axtuyk Achtung, inkwatearuyk Einquartierung
u. s. f, und solche Abstrakta cnstammen meistens der hd. Gemein-
sprache (vgl. noch mnd. beteringe und nnd. bätaruyk Besserung).
Das mnd. -inge ist nur noch erhalten in dem Ausdruck näi tlriyy
(mnd. üdinge) Neuigkeiten, wörtlich: neue Zeitungen. Vgl. auch § 121.
Anm. Hd. -unge muss zur Zeit der Entlehnung schon sein e verloren
gehabt haben: -unge hätte uy ergeben (§ 283, d).
IV. Die Behandlung der Komposita.
§ 120. Das zweite, minder betonte Glied zeigt sich vielfach
abgeschwächt, und zwar as. föt > ft in häift barfuss; bür > vd in
nävä Nachbar (as. näbUr) ; as. sahs > sas > ses > s in 7nets Messer
(as. *metisahs, mezas = Speisemesser) ; as. gumo > game > jdm in
Mjäm Bräutigam (s. 115, 5); as. skö > .§ in hanän Handschuhe
(as. handskö ; der mnd. Plur. hantsche ist offenbar als ein schw. Masc.
Sing, aufgefasst worden und dazu ein neuer Plur. han^n gebildet
worden, der nun auch als Sing, gebraucht wird; schon im Mbr.
findet sich handschen, hanzschen^ s. Graupe S. 25); as. del > -dl in
fodl Vorteil, drüdl Dritteil u. s. f. ; as. vil > vi in vövl wieviel, zövl
soviel (daneben betont vöfkl^ zöfhl); as. skepil > sbl in visbl (mnd.
9*
m
mchschepet) Wispel; mnd. möd > mt in vörmt m. Wermut (mnd. wer-
mode^ wormede, wormde)\ mnd. -sate^ sete > sd in kotsd^ kosd (§ 7, Ib)
Kossät (mnd. kotsete; doch vgl. § 406); as. -haht für -haft > xt in ext
echt (as. *ekaht für ehaft rechtmässig) ; as. beri Beere > bd (statt beä)
in kdsbdn Kirschen, in WPri durchaus verdrängt durch das hd. kirs^
in OPri noch bekannt.
Anm. Hierher gehören auch die jetzt veralteten kö^j swen^ Kuhhirte,
Schweinehirte, in denen -ä dem as. hwdi entspricht; velt Welt (as. werold, mnd.
we7itf werlde) ist m. E. hd. ; noch Laureinberg sagt werreld).
§ 120 a. Die Beispiele von § 120 zeigen schon, dass oft auch
das betonte erste Glied von Zusammensetzungen sich nicht laut-
gesetzlich entwickelt hat. Besonders erscheint der Vokal, der im ein-
fachen Worte gedehnt ist, in der Zusammensetzung nicht selten als
kurz. Bei alten Zusammensetzungen wird er gar nicht gedehnt worden
sein; die Artikulationsstärke, die sonst dem einfachen Worte zu teil
wurde, verteilte sich hier, wo es galt, mehrere Worte durch die
Artikulation zu einem Lautgebilde zusammenzufassen, auf beide Glieder
des Wortes. Bei anderen Zusammeosetzungen mag der gelängte Vokal
wieder verkürzt worden sein, besonders, wenn er in der Zusammen-
setzung vor Doppelkonsonant zu stehen kam (vgl. § 228). Dieselbe
Erscheinung findet sich in anderen Sprachen, vgl. z. B. ne. mse und
wisdom, house und husband^ moon und monday^ fore und forehead u. s. f.,
hd. hoch und Hochzeit, Hoffahrt, kühn und Konrad u. s. f.
Beispiele aus unserer Ma. sind: spdrliyk Sperling (§ 250); ädrliyk
Schierling (§ 252 und Anm.); furman,^ furvdrk Fuhrmann, Fuhrwerk
(vgl. § 259 und 233); drütdin (§ 239) 13; fdftdin, fdftix 15, 50
(§ 232); snufdouk Taschentuch (§ 237); hoxtU, kropt^x Hochzeit
Kropzeug (§ 235); kdsbdn Kirschen {kds für *kdfs oder ke9s < kerse);
vö'vl, zövl wieviel, soviel {vö-, zö- für vö^ zö)\ fodl Vorteil; förhbvt
Wendacker (§ 97); füredt Feuerherd (§ 104), der alte Herd im
sächsischen Bauernhause ; varäftix wahrhaftig (aber vöd wahr § 257);
hälpat^ hälväg halbpart, halbwegs (hat für half)] bäift barfuss {bäi
für böd § 249); vörmt Wermut u. a.
§ 121. Ableitungssilben, die aus Substantiven entstanden
sind, a) -saft Es scheint, als ob in den einzelnen as. Dialekten
verschiedene Ableitungen der Wz. -skap als Bildungssilben gedient
haben: 1) skaft^ z. B. hugiskaft^ 2) skepi^ z. B. ambahtskep% 3) *skap
(vgl. ahd. scaf^ an. skap). Im Mnd. und Mbr. gilt -schap oder -schop
(vgl. Graupe S. 11) < as. *skap. Daneben findet sich vereinzelt schon
'Schaft, z. B. in ritterschaft. Jetzt ist -schap, schop vollständig durch
das hd. -Schaft verdrängt worden, z. B. früntsaft Verwandtschaft,
mansaft Mannschaft, nävdsaft Nachbarschaft. Nach Nerger § 155^
Anm. 1, hat -schop in Meckl. bis zu Anfang des 19. Jahrh. gegolten,
in Pom. hat man es noch um die Mitte des Jahrh. gehört, vgl. Höfers
Zs. für die Wissenschaft der Spr. 3, 379. — b) hdit und kdit (= igheit).
Auch -hdit scheint mir aus dem Hd. zu stammen oder doch davon
beeinflusst zu sein. As. -hed hätte als «-Stamm (s. Holthausen, As. EL
133
§ 304 und 306, Anm. 2) vielleicht -häit ergeben können, doch wäre
sicherlich eher heit zu erwarten gewesen, s. § 82 nebst Anm. Das
as. 'hed; z. B. in jugudherf, heisst im Mnd. -het und -heit (s. Vorbem.
zu § 81), im Mbr. meistens -heit. Zur Beurteilung des Verhältnisses
von -hdit : as. -hed wären heranzuziehen die sicher aus dem Hd.
stammenden arbäit^ dit verglichen mit as. arhed, M.) Beispiele:
kraykhdit^ vö9hdit, dumhdit Krankheit, Wahrheit, Dummheit ; renlixkäit,
evixkdit Reinlichkeit, Ewigkeit.
c) -lix. Auch hier ist starker Einfluss des Hd. bemerkbar:
As. -llk, mnd. -llk, -lik (s. Nerger § 14, Tümpel, P. B. Beitr. VII, 57)
hätte -lik ergeben. Aber schon in mbr. Urkunden findet sich nicht
selten -lieh für -lik (vgl. Siewert, Nd. Jb. 29, 97, Graupe S. 35).
Nach Dietzens Zeugnis (Nd. Jb. 20, 127) hat in Meckl. zu Anfang
des 19. Jahrb. auf dem Lande noch -lik neben -lieh gegolten, als in
den Städten -lieh schon durchgedrungen war. Das Suffix -ig (§ 119 a)
mit seiner Aussprache -ix hat sicherlich zu der Suffixvertauschung
beigetragen.
d) Ein. ganz anderes Schicksal als die Adjektivendung -lik hat
die substantivische Bildesilbe -ik gehabt: sie ist (über ek) > äk ge-
worden. Beispiele: härdk (mnd. hederik) Hederich (§ 290), pdrdk
(mnd. holstein. peddik) Mark der Bäume, nidrdk (mnd. merredik,
Gedike: marredig) Meerrettig. Hierher geliören auch der Eigenname
Bendk < Bendik < Benedietu^ und das vänäk = Enterich der Alt-
mark, des hannoverschen Wendlandes und sonst (vgl. Danneil S. 243
und Nd. Korr. 6, 18 und 50), wozu das wäykd der NPri bei Ausfall
der Mittelsilbe nichts als eine Weiterbildung durch -er sein wird
(s. § 406 ß).
e) Die Ableitungssilben -sam und -hdr haben sich entwickelt,
wie wenn sie in betonter Silbe gestanden hätten; sie sind zu -zäni
(§ 184) und -höd (§ 249) geworden, wobei ä in -zäm auf der flek-
tierten Form oder dem Adv. beruhen muss. — Beispiele: laykzäm
(as. langsamo adv. lang andauernd) langsam; äpmböd (mnd. openhär)
offenbar. Ein grosser Teil auch der hierher gehörigen Eigenschafts-
wörter ist sicherlich aus dem Hd. entlehnt, wie gehödzäm gehorsam,
arhäitzäm arbeitsam, gemeinzäm gemeinsam, oder doch aus dem Hd.
übersetzt, wie spö9zäni sparsam, möyzäm mühsam, axthöd achtbar,
daykhöd dankbar.
C. Die Konsonanten.
1. Halbvokale, / und r.
As. ;.
§ 122. As. j ist im Anlaut als j erhalten, z. B. ja ja, jöä
Jahr, juyk jupg, jägd Jäger, jenzlt (mbr. gemiden) jenseits.
§ 123. Inlautendes j nach Vokalen ist in einem Teile der
Pri verloren gegangen, z. B. zäan (as. saian) säen, blöydn (as. hlöian)
134
blühen, fröy früh, vgl. § 7, 4 b und § 76. Im nördl. Teil der OPri
aber sagt man zä^zpri und zä-r)y hloi^dn und blo-y (3. P. Sg. Präs. zaxtj
bloxt)^ in ganz SPri zäjdn, blöjen, fröt (3. P. Sg. Präs. zä-it, blo-it).
Es scheint sich hier also J erhalten, ja in einem Teile des Gebietes
zu g verdichtet zu haben. Nun finden sich aber die Formen mit j
gerade in dem Gebiet, in dem jedes g > j geworden ist. Man könnte
also versucht sein anzunehmen, dass auf dem ganzen Gebiet die
Formen einmal zagen, blogen gelautet hätten. Man braucht übrigens
nicht unter allen Umständen anzunehmen, dass in dem g sich altes j
wiederspiegele: g könnte hiatustilgend eingeschoben sein; es könnte
auch nach § 130 aus w entstanden sein. Allerdings finden sich in
der älteren Sprachperiode Formen wie *zewen, *blowen kaum; wohl
aber schon in mbr. Urkunden die Formen megen, Mögen (s. Graupe S. 36).
§ 124. As. z nach Konsonanten ist auf dem ganzen Gebiete
geschwunden, auch nach r, z. B. n^än (as. nerian erretten) nähren;
med f. (as. merie, noch mnd. merie, merje) Stute.
Anm. ^, s •+• Hiatus-i in Fremdwörtern > t§, ^, z. B. patsön Portion,
natsön Nation, akäön Auktion, komisön Kommission, profesön Beruf, vgl. auch
Kriäan < Christian, nach anderen Konson. > jy z. B. ^ö/;aw/ Proviant, das
zu g verhärtet ist in zirfget Serviette. Zwischen i •+• Hiatus -Vokal wird
zuweilen j eingeschoben, z. B. spijbn Spion, das > g geworden ist in figdUn
Violine und isigürip < tsigorigen Cichorie (§ 143). Ganz geschwunden ist
Hiatus-t in kastän. kristdn Kastanien; aus n- ist -rix geworden in materix
Eiter (vgl. Heilig § 104), aus li- -iVx in phtkziVx Petersilie.
§ 124 a. Französ. ± wird im Anlaut > §, z. B. sandarm, sandäff
Gendarm, sanedn genieren, ^Q (< jus) Sauce, im In- und Auslaut
> i^ z. B. pagät Bagage, rät Wut (Rage), kräi (< courage) Kraft.
§ 125. In der ug. Verbind. Vok. -f- zi (jj) ist n als i erhalten
und hat sich mit dem voraufgehenden Vokal zu einem Diphthongen
verbunden, z. B. intwäi, di Ei; mdi Mai. Über Wörter wie frdi frei,
frdi9n heiraten, drei drei vgl. § 243 ff.
As. tv.
§ 126. Anlautendes as. w -f- Vok. > v, z. B. viä Wiese,
vetn wissen, vdtd Wasser, vund Wunder, vditn Weizen.
Anm. In der nw. Pri (§ 7, 1 b) heisst durch Assimilation der Wiesen-
oder Heubaum bhgböm für v^sböm (§ 188). Einem hd b entspricht v in dem
jetzt veraltenden v^än Tante (mnd. iveseke, Koseform zu wase Base).
§ 127. Anl. as. w -f- Kons. > v. Es existiert nur noch
die Verbindung as. wr, Beispiele: vriyy (as. üt-tvringan aus-
drücken) wringen; (z'ik) vrayy (im Ablaut zum vorigen, vgl. me.
wranglen) mit einander ringen, sich balgen; (ümj-vriky (vgl. me.
wrikken hin und herdrehen); «?mÄ untauglich; vraklix, vrakln wackelig,
wackeln; vrädn dichter Wasserdampf vgl. § 7, 1 b; vrivln (Iter. zu
mnd. wrliven reiben) hin und herdrehen; vrousn (Etym.?) schwer
arbeiten; vrU m. (mnd. wrzt) Baumstubben, besonders von Ellernholz;
135
vrkgln, vrkglix (zu as. wrögian, mnd. wrögen rügen, schelten? s. § 92,
Anm. 2) tadelsüchtig, scheltsüchtig sein.
Anm. 1. In vrat f Warze für *vart ist w- durch Umspringen des r
entstanden; in ri^n reissen (as terito/i), rim reiben (mnd. loriven) ist v verloren
gegangen (vgl. Manrmann § 87 Anm.); rts Riese (vgl. as. wrisi) ist hd. (§ 188
Anm. 1.)
Anm. 2. As. wl- ist > l geworden. löym*rix (vgl. mnd. wlöm trübe,
westfäl. flaom, Holthansen, Soester Ma. § 156) trübe (von Flüssigkeiten). Noch
Danneil gibt für die benachbarte Altmark flömrich neben lömrich an.
§ 128. Anl. as. Kons. H- w, As. htv > v^ z. B. vll f. (as.
hmlä) Weile, roupm (as. hröpan) rufen, vat (as. htvat) was, vö (as.
hwö) wie. As. kw, tw, dw, sw > kw, tw, div, sw (s. § 37), z. B.
hces f. Druckschwiele, twe zwei, dtviyy zwingen, swat schwarz.
Anm. 1. In hwösia, dem as. Grundwort für houstn Hasten, muss w
schon verstammt sein, bevor h verklangen war; xöyt süss heisst wohl schon
im As. suoti neben swöti (vgl. Klage, Paals Gr. I, S. 378 and Holthaasen,
As. El. § 166).
Anm. 2. Kons. (bes. 5) -h t^? -h e, i ist mehrfach > Kons, -f- ü ver-
schmolzen: xül f. (mnd. swelle, sülle, vgl. ags. syll, ahd. swelli) Schwelle (ich
glaube nicht, dass xül mit dem lat. solea zu verknüpfen ist); sülpin (mnd.
schülpen) »ich hin und herwerfen, von Flüssigkeiten in einem Gefäss, schweppen,
das von einem as. *swelpian kommen muss (vgl. mnl. swalpen sich hin and
herwerfen); xüstk Schwester (mnd. fast allgemein süster, jetzt veraltet, doch
weniger in Meckl. als in der Pri, s. Tümpel, P. B. Beit. VII, 66, Graupe S. 24,
Siewert, Nd. Jb. 29, S. 100, Holthansen, As. El. § 166, Anm. 3; ich glaube,
dass das heutige swestk durch das Hd. wieder eingeführt ist); tü^7i, jetzt zurück-
weichend vor tiüiän zwischen (mnd. tuschen und seltener twischen)^ aber immer
tü^ f. schmaler Gang zwischen zwei Gebäuden. Franck erklärt ZfdA 35, 385 f.
auch züs sonst < *swis.
Anm. 3. Anlautendes w ist geschwunden in nikSj nist, niät nichts
< as. nioiviht (§ 180, Anm. 2). Ähnlich ist w < hw geschwunden in nän-ich
< mnd. neme, nergene < as. ni hwergin nirgend, vgl. § 173 b Anm. 1
und § 272.
§ 129. Inlaut, as. tv ist nach a geschwunden, z. B. klou
Klaue (§ 73), meistens auch nach aUy eii, z. B. hown hauen, dröyon
drohen, tröy Treue (§§ 95, 98, 105), zuweilen hier aber durch g
vertreten, z B. klöy-y (y < gen) Knäuel, s. folg. §.
§ 130. As. intervokales w ist nach dunklen Vokalen Häufig
> g gewandelt, wobei dann gen > -y wird. Neben hotwn, gnoion
(Part. Prät. haut, gtiout) hauen, nagen hört man hou-y, gnoti-y (Part.
Prät. hougt, gnougt), neben klöydn (as. kleuwin) klöy-y Knäuel Garn;
es heisst stets zöygl m. (as. *siuwila) Pfrieme; gröygl, zik gröygln
(mnd. gr&wel, vgl. grüwelik) Gespensterfurcht, sich vor Gespenstern
fürchten; mou-y (mnd. mouwe) Ärmel (nur noch wenig gebräuchlich).
Vgl. noch Pägl (Eigenname) < Pagel (so schon mnd.) < Pawel < Pa-ul
und die alte Aussprache der Stadt Havelberg als Hagelberg. Bei rüx,
flektiert rü-y rauh (mnd. rühj as. rügi und rüm rauhes Fell), bei
136
zei-y (as. sännm, vgl. § 377) sahen und vielleicht auch bei t^-y (mnd.
tewe) Zehe ist grammatischer Wechsel im Spiele.
Der Wandel von w > g ermöglicht uns die Erklärung der merk-
würdigen Form hläx blau (as. hlaoj flekt. hläwes, mnd. bldj hläwe).
Aus einem obliquen Casus, etwa bläwan, ist hlägen > hlä-y entstanden,
und hieraus ist ein neuer Nominativ hläx gezogen worden, der sich
zu hlä-y verhält wie tax zähe : tä-y zähen, rüx rauh : rü-y rauh oder
wie 6§ Auge : ö-y Augen. Dieselbe Entwickelung ist für gräx grau
(as. gräo fahl) in der alliterierenden Verbindung gris un gräx an-
zunehmen; sonst heisst grau stets grls,
Anm. 1. Der Übergang > g erklärt sich aus dem halbvokalischen
Charakter des altgerno. w. Da es ein konsonantisches ü war, so wurde es mit
stark zurückgezogener Zunge gesprochen, und so konnte leicht daraus der Weich-
gaumenlaut g entstehen, vgl. Wilmanns, Deutsche Gr. I^, § 116. In Meckl. ist
dieses g < w noch weiter verbreitet als in der Pri; es heisEt dort immer hou-^y
rÜB ruhen, ^rü-B trauen (Pri: trou*n). — Übrigens ist auch einige Male g > v
geworden, s. § 177.
Anm. 2. Über as. newan ausser > m^n nur s. § 292. Erhalten ist
as. intervokales w nur in evix ewig.
§ 131. Inlautendes w nach Konsonanten (l, r) wird, soweit es
erhalten ist, wie as. b behandelt; es wird, wenn es durch Apokope
des e in den Auslaut oder durch Apokope des e vor t steht, > v;
wen > m, Erhalten ist es nur in gäfm (as. gerwian bereiten) gerben;
fäfm (mnd. verwen) färben; swalm Schwalben; swalv Schwalbe; fäH
Farbe; näfv Narbe; fäfvty gdfvt färbt, gerbt; dfvt (as. "^erwit, mt;
mnd. erwete, erte) Erbse (vgl. § 210 ff.).
Anm. Inlautendes nachkonsonantisches w > f in en-ßk (mbr. engever)
Ingwer und jeiß,-en ein jeder, dessen ersten Bestandteil ich zu mhd. ieiweder
stelle (§ 108); Z5t? Löwe ist hd. (§ 98, Anm. 2), vgl. bräfhra.Y. In afkät Advokat
hat Präfixvertauschung mit der nd. Vorsilbe af- stattgefunden.
In allen übrigen Fällen ist inlautendes w durch Ausgleich mit
' Formen mit auslautendem w oder mit Formen, wo früher w vor o, u
stand (Holthausen, As. El. § 164), geschwunden; schon narv hat nöä
(§ 213) neben sich; die jiw. Pri sagt statt swalv swMk Schwalbe <
mnd. swaleke, Demin. zu as. swala.
§ 132. Auslautendes w ist überall geschwunden, nachdem es
schon im As. > o geyorden war, z. B. ze See, sne Schnee, mal (as.
7nelo) Mehl, 87neä (as. smero) Schmiere, göd (as. garo) gar. Näheres
s. § 210 f.
As. mnd. /.
§ 133. As. l ist in der Regel in allen Stellungen erhalten,
z. B. löpm laufen, zolt Salz, halky Balken, zal soll, äl Aal.
As. II > l, z. B. ml Wille, stal Stall, auch wo es aus Id- (§ 283 a)
entstanden ist, z. B. ölän (as. eldiron) Eltern.
: Mnd. len > In, z. B. spöyln spülen, faln fallen.
137
§ 134. /ist ausgefallen in as (mnd. ah^ seltener a$) als, wie;
zast (schon mnd. schast) sollst, züst solltest; vist willst, vost wolltest;
zak^ vik^ zük^ vok, Satzdoppelformen zu zal ik, vil ik^ zül ik^ vol ik
soll ich, will ich, sollte ich, wollte ich; vek (mbr. welk < as. htvilik
irgend einer) einige, vekd welcher (Fragew. und Relat.); in unbetonter
Silbe in tsufdrüt selbdritt; durch Dissimilation in Vildm Wilhelm.
l ist eingeschoben in plump f. Pumpe, wohl in Anlehnung an
plumps plumps; Meckl. sagt pump.
Anm. 1. l > n (durch Dissimil.) io knüpl (mnd. klüppel) EDÜppel.
Neben klisdek Elystier ist krisdek gebräuchlich (schon mnd.).
Anm. 2. Für -Is hört man -Its sprechen, z. B. halts neben hals Hals.
As. mnd. r.
§ 135. As. r ist auf dem Lande durchweg als Zungen-r (vgl.
§ 40) erhalten im Anlaut und im Inlaut zwischen Vokalen, in letzterem
Falle unter Entwicklung eines Gleitvokals (q) vor sich, wenn r nach
dem Hauptton steht, z. B. rext recht, njÄr-Ring, röt rot, bre-y bringen,
treky ziehen ; Mari Marie ; zlrup Syrup ; kör€dn kurieren ; leard Lehrer ;
he9rif)k Häring.
As. rr > r, z. B. karn karren; nar Narr; geäir Geschirr, an-
sirn aufzäumen; irn (as. irrian, mnd. irren, erren) irren; virix ver-
worren; purn stochern; iwrp schurren; gnurn (im Ablaut zu mnd.
gnarren knurren) knurren; slurn mit loser Fussbekleidung nachlässig
gehen; snurn (mnd. swwrren ein schnarrendes Geräusch machen)
schnurren, dann betteln, snurd Bettler, weil er auswendig gelernte
Worte herleiert.
Anm. 1. Nach a nähert sich r dem abgeschwächten f, wobei a halblang
wird, s. den folg. §; es heisst meistens kkr Karre, und immer gmin knarren,
hüziny kwkrix quarren, quengein (von Kindern).
Anm. 2. Walther erklärt Nd. Jb. 1 9, 23 .mnd. narre für oberdeutsch =
mnd. geckj dor ; irn heisst im Mnd. oft, im Mmeckl. wohl immer e/rren, und schon
im As. begegnet errislo Irrtum; geHr anäirn sind erst in nnd. Zeit belegt.
Aber i und u gehen immer parallel, und da u vor rr als u erhalten ist, so ist
es mir wahrscheinlich, dass auch i sich als i erhalten hat; ich möchte namentlich
irn und anäirn nicht für hd. halten.
0 o
§ 136. r vor Konsonant nach Vokal hat ein verschiedenes
Schicksal.
a) Vor Lippen- und Gaumenlauten wird es in der Regel > f,
und zwar ist der Grad der Abschwächung abhängig von den um-
gebenden Lauten. Dabei besteht nun eine Wechselbeziehung zwischen
r und dem voraufgehenden kurzen Vokal: je unvollkommener der
r-Laut gebildet wird, desto länger wird der Vokal. Kurz bleiben o
und ö, und nach ihnen wird r auch fast ganz wie anlaut. r gesprochen,
z. B. bork Rinde, barx kastrierter Eber, storrn Sturm, dörp Dorf;
etwas mehr, aber im ganzen doch nur schwach reduziert ist r vor m,
z. B. arm arm, wo man zur Not schon arm schreiben könnte. In
138
allen übrigen Fällen tritt zweifellos f ein und damit Längung des
voraufgehenden kurzen Vokals (am meisten wohl vor ^•), z. B. äarp
scharf, fafv Farbe, äfvt Erbse, vdfk Tyßrk, hdfk Birke, hafk Harke.
Anm. r bleibt in Lehnwörtern aus dem Hd., z. B. hirä Hirsch, ß,rs
Vers, virt Wirt.
b) Vor ursprünglich stimmhaften Zahnlauten verklingt r > rf, ^,
ein voraufgehender kurzer Vokal wird lang, z. B. föät (as. fard) Fahrt,
böäs (mnd. bars) Barsch, pedt Pferd, ed Erde, tuedn Zwirn, vödt Wort,
ked, oft k^dl (§ 162) Kerl.
Die unbetonten Endsilben -eren^ -ern und -ren werden gleich-
massig > dn, z. B. stdmdn (mnd. stameren) stottern; nüxddnnüchtern;
fodn (mnd. form) fahren, köredn kurieren.
c) Vor ursprünglich stimmlosen Zahnlauten {t = hd. z^ s, st^ sk)
ist r (z. T. schon im Mnd.) spurlos verschwunden (vgl^ § 262), z. B.
swat (as. swart) schwarz; dwas in fddwäs (mnd. dwars, dwass) verquer;
hää (mnd. barsk^ bask) barsch, stark von Geschmack, z. B. baän päpä
spanischer Pfeffer ; spatin (mnd. spartelen) zappeln ; pat (mnd. part <
lat. partem) Teil, z. B. in ik föä mm pat ich für meinen Teil; inatln
in zik äfmatln sich abquälen (mnd. martelen < griech.-lat. martyriiiyn;
auch im Ahd. Mhd. findet sich die Form mit l: martala, martel neben
martara^ marter) ; bostn (as. brostan) geborsten ; sosten (mnd. schorsten^
schosten^ vgl. an. skorsteinn) Schornstein; föst f. (mnd. vorste f., vorst
m.) First; bost Borste — Riss; bost Brust; kot kurz; döst Durst.
Anm. Hierzu kommen noch eine Reihe Fremdwörter: diiln Artillerie;
kwatei Quartier; äatek Scharteke; «aneä Scharnier; tdtSi (< Tartare) Zigeuner;
KaHn Karoline; potl.mdi)k (< appartement) Abtritt. Auch in velt (as. werold,
mnd. wei'lt) wäre das r ausgefallen; doch ist das Wort wohl aus dem Hd. neu
entlehnt — Durch Dissimilation ist das erste r gefallen iu födkn < hd.
fordern (das nd. Wort heisst /oräw, § 292) und wohl auch in födlst vorderste;
die mnd. Form heisst vorderst (vgl. § 344 Anm. 2). Über /brf/ Vorteil s. § 120 a.
— In dem Lehnwort mars Marsch ist r erhalten.
§ 137. As. r in altem oder jungem Auslaut (d. h. nach Apokope
des End-e) > ä^ z. B. göd gar, bed f. Beere; sp^d Speer; ^d (as. iraj
iro) ihr; död n. (as. dor) Thor; föd (mnd. vore) Furche; fod (as. furi
und fora) vor, für; höd Haar; ed f. (as. erd) Ehre; ätd schier; snöd
Schnur; öd Ohr; büd (as. bür) Bauer.
Die Flexions- oder Bildungssilbe -er ist > d geworden, z. B.
doxdd Tochter; kdlvd Kälber; grötd grösser.
Anm. -er > a fängt erst östlich von der Pri an; darnach ist Bremer,
Beiträge zur Geographie der dtsch. Maa. S. 169 f. zu berichtigen.
End-r scheint geschwunden in da neben död (as. thäTy thar)
und vö (as. hwärj hwar) wo. Doch sind beide vielleicht hd.; bei vö
mag auch Vermischung mit vö wie stattgefunden haben (vgl. § 71,
Anm. 1). Bei vokalischem Anlaut des folgenden Wortes bleibt r
immer erhalten, z. B. dödrüm, darum, vörüm warum; vgl. auch die
Satzdoppelform vörd wo er, wie er.
139
§ 138. r > / in kvlix übrig, durch Dissimilation in balbsdn
(schon mnd. halberen neben barheren) barbieren, marmlsUn oder
murmlsten Klickerkugel, wörtlich Marmorstein, und durch Assimilation
in Superlativen wie födlst vorderste, bhnlst oberste, s. § 344 Anm. 2.
Über Umstellung des r vgl. § 279; zum ganzen Abschnitt vgl.
§ 248 ff.
2. Nasale.
As. mnd. m,
§ 139. As. m ist im Anlaut, im Inlaut und im Auslaut nach
betontem Vokal erhalten, z. B. mäan mähen, mäkff machen, mes
Mist; hämä Hammer, löynwrix trübe, vörmä Würmer, damp Dampf,
hloum Blume, tarn zahm, vorm Wurm.
As. mm > m, z. B. swem (m < men), auch wo es nach § 282
aus -mh- entstanden ist, z. B. lam, lämd Lamm, Lämmer.
Über m vgl. § 293, 294.
Anm. Schon von Alters her ist m (oder n) vor f ausgefallen in ßf
(as. ßf) fünf, xaxt (as. sÄfto Adv., mnd. xaxt, § 229) sacht, sauff.
§ 140. As. mnd. m nach unbetontem Vokal > w in be^n m.
fj o • o
(as. besmOj mbr. besmen) Besen; born m. (as. boäam, mnd. bodem(e),
boden) Boden; brasn m. (mnd. brassem) Brachsen; färn m. (as, fadm^s
beide ausgestreckte Arme, mnd. vadem^ mbr. vademes, vedm^en; vgl.
engl, fathom) Faden (als Mass), Faden (Garn); bvzn m. (as. bösom,
mnd. bösem) Busen. Vgl. auch bün (as. biiimy biuri) bin, bi lütn bei
kleinem und das dem Hd. entlehnte ätn Atem.
o
Anm. Das m in torm (neben tofn) Tnrm (mbr. tom, selten tcrrm) erklärt
sich dnrch Einflass des Hd. (s. § 265), das m in twölm (neben twölv) dnrch
Anlehnung an elm < as. ellehan, das m in xülm selbst aas den obliqnen Casus
des as. se^o, wie z. B. selhun, mnd. sehen,
§ 141. As. mnd. n ist im Anlaut, im Inlaut und im Auslaut
nach betonten und unbetonten Vokalen erhalten, z. B. nap Napf, ;?&§
Nase, knast Knorren (an Bäumen), snüt Schnauze, houn Huhn, doun
tun, sfotn stossen, katn Katzen, stvatn schwarzen.
nn > rij z. B. zun Sonne, in der Regel auch, wo es aus -nrf-
entstanden ist (§ 283 ß), z. B. kinä Kinder.
über n vgl. §§ 8, 293, 294.
Anm. 1. n ist ans dem Accnsativ des Artikels an das Hauptwort getreten
in nöKs (as. ars) anns (vgl. nämt für gunämt guten Abend), es ist abgefallen
in arä (as. nkdraj mnd. nadder und adder) Natter. Ob in emäl einmal n aus-
gefallen ist (§ 120 a), oder ob Assimilation von nm > mm > m stattgefunden
hat, ist nicht sicher.
Anm. 2. n > m unter hd. Einfluss in torm für torn Turm, vgl.
§ 255 Anm.
140
§ 142. Von dem alten Schwund des n vor s und ]> unter
Ersatzdehnung (Holthauscn, As. El. § 191) ist in unserer Ma. nur
ein Beispiel erhalten: im westl. Teil der Pri heisst Gans, Gänse:
gous, göy^j göSj ^8s (as. "^gös, mnd gös).
Anna. 1. Der östl. Teil der Pri sagt nach § 7, 5 gans, g^hs; jans,
jIlüs. Uns, unser heisst auf dem ganzen Gebiet unSj uns; ^s ist schon im
Mbr. selten, vgl. Tümpel, Nd. Stnd. S. 96 ff., Siewert, Nd. Jb. 29, 101.
Anm. 2. Ob xüs sonst aus einem westgerm. *swis (§ 128 Anm. 2)
entstanden oder aus as. sics so mit unorganischem Umlaut zu erklären ist (vgl.
Holthausen, P. B. Beitr. XIII, 367), oder ob es unter Abfall des t (§ 155) auf
mnd. sust beruht und dieses für sunst seht, ist schwer zu entscheiden; auch
im Mittelhochdeutschen existiert die n-lose Form sttst neben sunst. Eher könnte
man sich fragen, ob brüSn begehren (von der Sau), Meckl., Vorpom. brüzn
(soweit nicht bikn gesagt wird) nicht zu einem bruns Brunst zu stellen wäre,
das Walther im Mnd. Handwörterbuch anfühft, allerdings mit einem ? versehen.
Vielleicht reicht aber das Zw. brüsen zur Erklärung aus, das ten Doomkaat
Eoolman auch in der Bedeutung ,sich bauschen, schwellen^ anführt. Und wie
steht es mit l^s-tap d. 1. die grosse Wagenrunge, die auf die Hinterradschrauben
des Erntewagens gesteckt wird und über das Bad hinweg bis an den oberen
Querbalken der langen Leitern reicht, um diese zu stützen? Früher gebrauchte
man als Halt für das Rad den Achsnagel, lüfis (mnd. lünse, WiSse, as. lunis
und lun). Sollte Instar) als Ifas-stange zu deuten sein, also von dieser lünse
den Namen haben? Ich habe mir aus der Rostocker Gegend lünstäkt; notiert.
Freilich, in Wettbewerb tritt das mhd. liuhse Leuchse (s. Kluge, Wb.), das im
Mnd. I^sse heissen müsste (§ 167).
Von dem Schwund des n vor J? (vgl. as. ßdan finden, hrip Rind, niüd
Mund, ä^ar, ö^ar ander) ist in unserer Mundart keine Spur mehr vorhanden,
es sei denn, dass ärkkoudn, ,wiederkäuen^ das ich § 71 zu mnd. hder in
der Bedeutung ,Eiuge weide' gestellt habe, als ,and er käuen' zu deuten wäre:
äri. würde genau äd«^ entsprechen.
§ 143. n vor p > m, z. B. zämp Senf, hämp Hanf (noch im
16. Jhdt. finden sich sennep^ hennep).
In der Endung -en erhält sich n unverändert nur nach Vokalen
und in den Verbindungen -ren und -len, die sich als -an und In dar-
stellen, z. B. mäan mähen, foän fahren, faln fallen. In allen übrigen
Fällen wird n silbisch. Dabei bleibt es alveolar nur nach den Zahn-
lauten und den stimmlosen Reibelauten s, /*, x^ ä, z. B. fätn fassen,
rtrn reiten, ßn finden, brän brennen, flesn flächsern, äafn schaffen,
laxn lachen, maän Maschen. Nach den Lippenlauten (ausser f) entsteht
m, und zwar wird -pen > -pm^ -ben (§ 147) > m, as. -bew, mnd. -ven
> -m, -men > -m, z. B. löpm laufen, srzm schreiben, am Ofen, ämt
Abend, kern kämmen. Nach den Gaumenlauten (ausser x) endlich
wandelt sich n > silbischem y, und zwar -ken > -ky^ -gen > -y^ z. B.
kouky Kuchen, vä-y Wagen, wagen, liyy liegen, düxtiyy tüchtigen.
Anm. 1. Über -ir'n < -ven {äriirn schreiben), -<j*w, -fn < -gen {hrWn^
krlj^n gekriegt) in der südl. Pri vgl. § 7, 3 a.
Anm, 2. Auffallend ist n für n in d^n den (as. thena^ thana^ mnd. den).
Ich vermute, dass der Akkus, des unbestimmten Geschlechtswortes en einen und
xön = so ein, solch (§ 354) eingewirkt haben.
141
Anm. 3. In der Bildungssilbe -enefi (§ 114, 3) geht die Endung en
verloren, z. T. schon im Mnd., z. B. rMp rechnen, aber tSkkr^t rechnet, wofür
manche auch rMnt sprechen. Nicht zu dieser Gruppe gehört dr^-p trocknen,
dessen 3. P. S. Präs. dr^xi = trocknet lantet.
Anm. 4. Die Vorsilbe un- wird za um vor Lippenlauten, zu up vor
Gaumenlauten, z. B. umbekani unbekannt, upgevis ungewiss, upklouk unklug.
Anm. 5. Über die Gruppe Mr Kette < mnd. kedene s. § 114, 1 Anm. 1
und § 337, über vUi neben v^tn^ hou^t neben housin § 334, 2.
§ 144. n ist eingeschoben in alns alles (schon im Mnd. findet
sich wie im Mnl. allent neben allet; das nd. t ist durch das hd. s
verdrängt worden); ferner in einer Reihe von Fremdwörtern (vgl.
Bernhardt, Nd. Jb. 20, 5), z. B. ptufntsdi^n prophezeien, fiznteän
visitieren, ruynBdn ruinieren, spiykuUdn spekulieren, wahrscheinlich
auch in munstd Muster, munstdn mustern, das wohl eher auf hd.
muster < it. mostra als direkt auf dem lat. Grund worte monstrare
beruht.
Anm. Kurz hingewiesen soll noch werden auf die vielen nasalierten
Formen, die sich neben den unnasalierten in derselben Ma. oder im Hd. finden,
vgl. slupk Speiseröhre : slükp schlucken, strupk : sti'ük Strauch, strepk : strikt
ßür/k Flügel : hd. flüggSf suykln : hd. schaukeln^ luyk Lücke, Öffnung : Ijücke
od lük, hümpl : höp Haufe, timpm : Zipfel, splintk-nM : splitternackt, lün-
sthn ausspionieren zu as. kitist Lauschen u. s. f.
As. mnd. y in wi, ng.
§ 145. As. mnd. y (der Gaumen-Nasal) ist in allen Stellungen
erhalten, z. B. juyk jung, layk lank, lay lange, ziyy singen, eyl Engel,
peniyk Pfennig. Neu erwachsen ist y im Auslaut < ken, gen, z. B.
zaky sinken, vä-y Wagen, 7'äky rechnen (s. § 143), in uy- für un-
(§ 143, Anm 3), und in Lehnwörtern mit Nasal aus dem Französ.,
z. B. potdmayk (< appartement) Abtritt.
Anm. n war schon im As. gefallen in honeg^ Honig Honig, jetzt hanix;
König ist hd. Lehnwort.
3. Verschluss- und Reibelaute,
a. Lippenlaute.
As. mnd. p.
§ 146. p ist in allen Stellungen erhalten; vor betontem Vokal,
vor l und r und im Auslaut ist es stark aspiriert (§ 19), z. B. pot
Topf, pip Pfeife, plöyy pflügen, preistd Prediger, äejyd Schäfer, helpm
helfen, gript greift, slöpt schläft, up auf.
pp > p^ z. B. nap Napf, apl Apfel, klopm klopfen.
Anm. 1. p > f in köft kauft, kaufte, gekauft, von Ä^öpm, und döft tauft,
taufte, getauft (von d^m), das aher zu veralten heginnt und der Neubildung
142
d^t Platz macht. Das Praet. und Partip. Praet. lautete schon im Mnd. kÖflCy
köfty die 3. Pers. Praes. aber k^t oder klypt (s. Graupe S. 23, Nerger § 59);
das Partiz. ferköft findet sich schon im As. Vgl. noch §§ 116 und 118. —
In aftek Apotheke hat Praefixvertauschnng mit af- stattgefunden.
A n m. 2. Zwischen m und t schiebt sich in der Aussprache leicht p ein ;
wird dann bei nachlässiger Aussprache t nicht artikuliert, so entstehen Formen
wie hei nimp^ kümp er nimmt, kommt; vgl. mützämps samt § 416.
Anm. 3. /? ist schon seit alter Zeit ausgefallen in isalm (mbr. salm) Psalm;
durch Angleichung, wie es scheint, an mm Gestänge (§ 88) auch in strö-vlm
für strö-wlpm (mnd. wipe) Strohwisch. Steht stuml Stummel für stumpl < stump
stumpf?
Anm. 4. p > b in einer Reihe von Lehn- und Fremdwörtern, z. 6.
bei (mnd. feere, aber mnl. pere^ ags. peru < lat. pira) Birne ; bunt ( < vlat.
puncius gefleckt?) bunt; Z^röfteän {».her prouv Probe) probieren; büri Porree u. a.
Über b > p in Fremdwörtern s. § 147 Anm.
Über /• = hd. /• < |) s. § 153.
As. mnd. b,
§ 147. Der stimmhafte Verschlusslaut b kam im As. nur im
Anlaut, nach m und in der Gemination (bb < hj) vor: er ist jetzt
nur noch im Anlaut erhalten, z. B. bttn beissen, buk Bauch, breif
Brief, bläx blau.
Anm. In entlehnten Wörtern findet sich zuweilen p für b (vgl. § 146,
Anm. 4); so in pukl Kücken, dass sich noch nicht im Mnd. findet, pik} Picke),
pamkrot (Meckl. paiiki) bankerott; tslpoln (mbr. xibollen) Zwiebeln.
Über as. -mb- > m, das aus dem Inlaut auch in den Auslaut
tritt, z. B. larrij Idmä (as. lamb) Lamm, Lämmer, vgl. § 282.
As. mnd. -bb- wird in der Regel > v, das sich in den Auslaut
tretend weiter > v, f entwickelt. Beispiele: kriv, krif (as. kribbia)
Krippe, riv, rif (as. ribbi, mbr. ribbe) Rippe, hef (as. hebbiu, mbr.
hebbe) habe, duvlt doppelt, sruvä Handscheuerbesen (§ 60 Anm. 2).
Hierher gehören zahlreiche Iterativbildungen, wie gravln (mnd.
grabbelen) mit den Fingern hin und hergreifen, zavln (mnd. sabben)
geifern, kavln (mnd. kabbelen) sich zanken, vrivln (mnd. *tvribbelen,
zu as. wrihan reiben) einen Faden aufdrehen; drivln (mnd. *dribbelen,
zu as. drihan treiben) in einem fort zum Aufbruch treiben, bliivdn
(mnd. blubberen) u. s. f. Vgl. § 114, 3.
Mnd. -bben wird wie mnd. -ven < as. -hen > m, z. B. krim
Krippen, rim Rippen, kern haben (vgl. §§ 7, 2 c, 176 und 289).
Anm. 1. In einem grossen Teil der Pri ist bb im Aaslaut > p geworden,
z. B. krip, rip, ik kep (§ 7, 2 c).
Anm. 2. Auffällig ist p in tupm Zuber; nach mnd. tubbe (vgl. me.
tuhbe, nl. iobbe) müsste man tum erwarten.
143
As. b, mnd. v,
§ 148. As. h (schon häufig v geschrieben), mnd. v > v. Es
steht, wie im As., nur im Inlaut zwischen Vokal, nach l und r und
vor l (< el), z. B. lävix lebendig, klvit (mnd. klvif) Kiebitz, bävdn
beben, hävä Hafer, Sivä über, mvd Weiber, kvl Übel, zülvä (as. siluhar)
Silber, kälvd Kälber.
I? < as. b ist verhältnismässig selten geworden, einerseits dadurch,
dass die so häufige Endung as. -hen, mnd. -ven > m geworden ist
(§ 143), z. B. häm (as. hehan) Himmel, läm (as. lohon) loben, stSm
(mnd. stoven) stauben, dorm dürfen, ämt (as. ahand, mnd. avend)
Abend; anderseits dadurch, dass durch den Schwund des End-e
(§ 117) mnd. v vielfach in den Auslaut getreten und durch Verlust
des Stimmtons > v geworden ist (§ 44). — Über v^n < mnd. -ven im
südl. Teil der Pri vgl. § 7, 3 a.
Anm. h (statt v) zwischen Vokalen, nach r, l and vor l ist durchaus
ein Kennzeichen von Lehnwörtern, z. B. obkst Oberst, tsovM, Zauber, röyhk
Räuber, hrobhkn probieren, balbein barbieren, blbl Bibel, ßbl Fibel, xMl Säbel,
jübl Jubel, irübl Trnbel, oktöbk Oktober. In solchen Fällen liegt es dem
Niederdeutschen nahe, für b sein v einzuführen, so dass man anch röyv^, xävl
hört. In ähnlicher Weise ist schon im As. lat. scribere > skrihan (jetzt Mm),
diaholus > diuhal (jetzt d^vl) geworden. Ist doch sogar das b von as. bnr
zu V gewandelt in der alten Zusammensetznng nävk < nähvLr Nachbar. So weist
denn auch das b in arbkit, arbkiin durchaus auf Entlehnung aus dem Hoch-
deutschen. Vgl. auch § 82 Anm. und § 168 Anm. 3. Anders Maurmann,
§ 104 Anm.
rn < mnd. -ven hat Anlass zu einigen fehlerhaften Neubildungen
gegeben: zu bäm oben (as. biöban) ist ein neuer Superlativ bhmlst
für bhvlst gebildet worden, zu stöm stauben heisst die 3. P. Sg. Präs.
häufiger stomt als stövt, und nach der Analogie von lim : lim leimen,
Leim ist ein neues Hauptwort stöm Staub entstanden, das neben
stof gebraucht wird.
§ 149. In ursprünglichem Auslaut, auch Silbenauslaut, erscheint
b; wie schon im As., als f, z. B. af ab, döf taub, t?f/'Weib, graf (as.
graf) Grab, grdfnits Begräbnis, gif gib, half halb.
Bei alter Synkope (§ 118, a) erscheint as. b auch vor den
Endungen st, t als f, z. B. gif st, giß gibst, gibt; drifst, drift treibst,
treibt; äüfst, süft schiebst, schiebt. In jungem Auslaut nach Apokope
dasEnd-e und bei junger Synkope des e (§ 118, b) erscheint as. b als
stimmlose Lenis, d. i. i), z. B. düv Taube, glov Glaube, l^v lobe,
ik suv ich schiebe, haFv halbe; ISii^st, Isivt lebst, lebt, drvt erbt, &,vt
Obst, kra,vt Krebs. Vgl. § 44 und § 174.
Anm. 1. Darnach erweist sich als hd.: op ob (as. ef of mnd. of), aber
auch gräf Graf, s. § 71.
Anm. 2. gafl hölzerne Strohgabel verdankt sein f den Casus, wo f im
Silbenauslaut, d. h. unmittelbar vor / stand, vgl. as. gaflie Gabel, Oxf. Gloss.
und Holthausen, As. El. 222 Anm. 1.
144
Anm. 3. /" < b ist ausgefallen in hSi^t, hki hast, hat (mnd. hefst,
heft; schon mbr. häufig hesty het)\ ferner in Znsammensetznngen wie kd^t
halbpart, halvl.^ halbwegs (§ 120 a), oft auch in äribouk Schreibbach, und im
Satzzusammenhänge in Formen wie gimi gib mir; vgl. §§ 298, 299.
Anm. 4. f, v > v, wenn es im Satzzusammenhänge in den Inlaut tritt,
z. B. dörvik darf ich, btivik bleibe ich, givim gib ihm. Vgl. raf und die
Weiterbildung ravii, herab (§ 111), ferner § 298.
§ 150. As. mnd. f > f- Es findet sich seit Alters nur im An-
und Auslaut, z. B. ftf 5, fout Fuss, flas Flachs, fränt Freund, stif
steif, hof Hof, vulf Wolf. Ebenso im Silben aus laut, z. B. tivtfi,
twifln (as. twlflon) Zweifel, zweifeln.
§ 151. Silben an lautendes f in stimmhafter Umgebung war
schon im As. stimmhaft geworden und ist v geblieben, ist aber
neuerdings bei Ab- und Ausfall von Endungs-e > v geworden, d. h.
hat den Stimmton eingebüsst, z. B. hKv Höfe, vülv Wölfe. Nach
§ 7, 3 a ist -ven in NPri > m geworden: am (mnd. oven) Ofen.
Anm. 1. Das v in fw 5 (vor Hauptwörtern) neben ßf und iwölv 12
erklärt sich aus den as. Pluralen fibi, twelihi. Neben kdrv (mnd Jcerve) Kerbe
findet sich in gewissen Verbindungen kdr.
Anm. 2. Fremdes f in stimmhafter Umgebung wird häufig > v, z. B.
kuvSit < frz. coffre, tüvl Kartoffel, Pantoffel (§ 112), wofür man zuweilen tüfl
hört, wie tkvl neben tS^fl. Vgl. auch vövl, xövl wieviel, soviel (§ 120) und
ävkn, wenn es aus dem Hd. stammt und nicht unmittelbar auf frz. livrer
zurückgeht.
-fl, 'fn nach langem Vokal weist immer auf Entlehnung aus
dem Hochdeutschen, z. B. sträfn strafen, gräfn Grafen, täß Tafel.
Inlautendes /" nach kurzem Vokal kann alt sein; es geht dann auf /f
zurück, z. B. knufn knuffen, pufn puffen, blafn bellen, mußx 1. modrig,
2. verdrossen.
Germ, f und germ. b im In- und Auslaut sind also in unserer
Ma. (wie überhaupt im Nd.) zusammengefallen.
§ 152. Die Verbindung -ft ist schon im As. nicht selten zu
ht = cht übergegangen.
Im Mnd. findet sich in derselben Ma. (so auch im Meckl. und
Mbr., vgl. Nerger S. 60, Graupe S. 29) dasselbe Wort mit -ft und -cht,
für cht wird auch ft geschrieben, und ft und cht reimen. In unserer
Ma. finden sich von -cht < -ft folgende Spuren: axtd (as. aftar, ahter)
hinter (vgl. § 7, 2 d); dazu ztk fd-dxtdn (§ 51, 2 b) sich erholen; ütluxtn
auslüften, während liixt (mnd. luht) Luft nur noch von allerältesten
Leuten für luft gebraucht wird; zßxt (as. säfto, mnd. sacht) sachte;
zixtn sieben; saxt (mnd Schacht) 1. Quadratrute 2. Schaft in stävUaxt
Stiefelschaft. 3. (Meckl.) Stock zum Schlagen, Tracht Schläge. Gehört
dazu äaxtlhalm? Der volkstümliche Name ist katn-stedt Katzensterz,
für den verpönten Wiesenschachtelhalm düvut, dessen mnd. Form
düvenwocke heisst, s. Grimm, Dt. Wb. unter Duwock.
145
§ 153. ^^' pft f {< P) > f (pf) in einer Reihe von Lehnwörtern,
z. B. fant Pfand, ßixt (neben plixt) Pflicht, fifäliyk Pfifferling, trumf
Trumpf, kemfn (mnd. kempen) kämpfen, äöpfd Schöpfer; hofn (mbr.
hapen) hoffen, äafn (schon mbr. schaffen neben scheppen^ schappen)^
rextäafn (mbr. rechtschapen)^ zaft (mnd. sap) Saft, grif Griff (dazu
grifl Griffel?), slöyf Schleife. Über die Ableitungssilbe hd. saft für
nd. schap, schop s. § 121a. Mehr medizinisch sagt man kremf^ imfn
Krämpfe, impfen, mehr volkstümlich kramp, impm
Anm. 1. Auffällig ist das /*in steifbrourkj steißrk Stiefbruder, Stiefvater
u. s. w. Schon das Mnd. sagt regelmässig stefj das Mnl. stief; nur das Engl,
und das Fries, haben p bewahrt (vgl ags. steop-sunu). Möglicherweise hat sich
zuerst im as. ^stiopfader p &n f assimiliert, und die f- Form ist dann auf die
anderen Verbindungen übertragen worden; so schon Walther, Nd. Jb. I, 50.
Anm. 2. f ist eingeschoben in den beiden Lehnwörtern tsimft Zimmet,
%amft Sammet.
b. Zahnlaute.
As. mnd. t,
§ 154. As. mnd. t ist in der Regel im An-, In- und Auslaut
erhalten, z. B. tU Zeit, twe 2, treky ziehen, f^dtix 40, lätn lassen, üt
aus, holt Holz.
Anm. 1. Nach langem Vokal iu stimmhafter Umgebung, vor allem vor
l, auch nach Beibelauten wird inlautendes t vielfach zu stimmlosem d, d. h. mit
geringerem Luftdruck gebildet als sonst, z. B. UMl. besser, doxdk Tochter, slkdl
Schlüssel.
Anm. 2. t > d in Fremdwörtern wie madräts Matratze, kard^U Kar-
tätsche, Pferdestriegel.
As. tt > L z. B. kat Katze, zun sitzen.
As. t^ tt -\- t > t in der Verbalflexion bei alter Synkope, d. h.
in der 3. P. S. Präs. und bei schwachen Ztw. der Klasse I b (lang-
silbige der ^a- Klasse) auch im Präterit. und im Partiz. Prät., z. B.
geitn — gilt giessen — giesst, zitn — zit sitzen — sitzt, stotn — stöt
stossen — stösst, gestossen, böytn — bot böten (besprechen) — bötet,
gebötet.
Bei jüngerer Synkope aber, d. h. bei den übrigen schwachen
Ztw., entsteht aus as. t, tt -{' t ein t, welches mit stärkerem Luft-
druck und Muskeldruck abgesetzt als eingesetzt wird (Bremer, Dtsch.
Phonetik, § 53 ff. § 93 ff.). Die Dauer der Verschlussstellung ist
daher naturgemäss grösser als beim einfachen End-^, der nach-
strömende Lufthauch viel stärker. Ich bezeichne dieses t mit ift.
Beispiele : zetn — zeft setzen — setzt, setzte, gesetzt ; swetn — sweft
schwitzen — schwitzt, schwitzte, geschwitzt.
Anm. 1. Dieses ft finden sich natürlich auch im Plur. Prät., z. B.
zeftn. swet'tn setzten, schwitzten.
Anm. 2. st^ xt -^ t > sty xt^ z. B. trZsin — trZst trösten, tröstet,
getröstet, paxtn — paxi pachten — pachtet, gepachtet.
Niederdenteches Jahrbnoh XXXI. 10
146
§ 155. t fällt aus in -xt -f- st, z. B. du paxst du pachtest,
lixst leichteste zu lixt leicht. — t ist abgefallen in is ist (schon as.
häufig is neben ist) ; in nix nicht (schon mnd. mbr. nicht selten nich
für nicht, vgl. Tümpel, Ndd. Stud. S. 60 ff.); in niks, der in NPri
gebräuchlichen Form für nichts (in der s. Form nist und der ö. Form
niM ist t erhalten); in züs < mnd sms, wenn dieses für sust < *stmst
stehen sollte (§ 142, Anm. 2); in Satzdoppelformen wie 7nük < müt
ik muss ich, vek < vet ik weiss ich (vgl. § 298); häufig in mäfk für
markt Mark. Es scheint auch ausgefallen in nkln trödeln: das
Bremer Wb verzeichnet neteln, nöteln, und das gleichbedeutende nl.
neulen wird zu mnl. neutelen gestellt.
Anm. Nach Vokal vor st ist t seit alters in best beste geschwunden.
In mbr. Urkunden heisst es meistens auch teste, groste letzte, grösste (vgl.
Graupe S. 31); heutzutage sagt man nur letst, grötst, wie auch vetst weisst,
wofür Meckl. veist sagt.
§ 156. t ist, schon im Mnd., angetreten in der 2. P. Sg. Präs.
und Prät., z. B. gifst, geivst gibst, gabst (§ 257, Anm. 1.); dann an
einzelne Wörter, besonders solche, die schon auf einen Zahnlaut
endigten, z. B. dedt n. (schon mnd. der und dert) Untier (vielleicht
unter Einfluss des mnd. KoUektivums derte n. Getier); mödt (mnd,
mar) in mödt-drüky Alpdrücken, vgl. § 420; änäthalf anderhalb; mln-
väyt neben mlnväy meinetwegen, förixt vorige. Bei mänt Mond (neben
man § 71 Anm.), kämt Hemd (neben hdm) ist das t wohl durch
Einfluss der entsprechenden hd. Wörter (§ 71) angetreten. Vgl. auch
ktivdt neben kuvä < frz. coffre Koffer und das hd. entslt einzeln.
Anm. 1. In püstn = mhd. phüsen und knüst = hd. Knaus scheinen
mir «^-Bildungen vorzuliegen.
Anm. 2. Zwischen s und r vor dem Tone ist die Aussprache durch t
erleichtert in kastrol < frz. casserolle.
Anm. 3. In nMt (mnd. vereinzelt niet), der prädikativen Form zu nAi
neu könnte man eine merkwürdige Spur der im Mnd. noch seltenen, jetzt
namentlich in Westfalen (vgl. Behaghel, Pauls Gr. I, S. 771) häufigeren Endung
-et im Nom. Akk. Sgl. Neutr. sehen wollen. Ich meine allerdings eher, dass /
angetreten ist in Anlehnung an olt alt, mit dem es so häufig im Gegensatz steht.
Anm. 4. Über die Verbalsubstantive auf entj z. B. d§it Wmt das Leben
vgl. § 356.
Anm. 5. In störkm stürzen (mnd. störten) scheint mir Dissimilation des
zweiten i > k vorzuliegen.
Anm. 6. Über t < germ. d in Lehnwörtern aus dem Hd. s. § 163.
Anm. 7. Zahlreich sind die Lehnwörter aus dem Hd., in denen für nd.
t das hd. tZj ss^ s als is, s erscheint. Dabei ist zu bemerken, dass der Prig-
nitzer eine gewisse Schwierigkeit hat, ts im Anlaut zu sprechen, und dass viele
im Anlaut und im Inlaut nach Konsonanten dafür ^ sprechen, a) im Anlaut:
ts^gj tsik (schon mnd. sege) Ziege; tsü^n (schon mnd. siren) zieren; tsit^i
(schon mnd. sitteren) zittern, tsitkn un tsäm zittern und zagen; tsif (schon
mnd. sibb) weibliches Kaninchen; tsax (schon mnd. sage) zaghaft; alt sind auch
wohl fUs^xt verzagt und tsex Zeche, vgl. mnl. vertsagen, sech\ — tsüvk^
147
tsanhi Zank, zanken; tsorn Zorn (aber fU^hi erzürnen); tsihi zielen (mnd.
tUen)\ tsipm zupfen (in den Haaren); tsapln zappeln; tsoubk, tsoub^n Zauber,
zaubern; tskitunk Zeitung; tsimlix ziemlich (Meckl. ßimlix)\ {t)swek, {t)swek-
mlsix zweckmässig; tsümftix zünftig, an seiner Stelle; tsuxt, untsuxt Zucht,
Unzucht (im moralischen Sinne, sonst toxt)\ ütseru^k Auszehruug; irüxtsopm
zurückzucken; tsäi Zahl (aber betäln bezahlen, Meckl. auch ial)) tsux (Meckl.
iox) Eisenbahnzug. — b) Im Inlaut: reitsn reizen (bes. im Kartenspiel), nutsn
nütslix Nutzen, nützen, nützlich; x^fsyi seufzen; axsix 80 (für axtix)\ esix
Essig (as. etik); m'Sisix massig; entslt (mnd. entelen) einzeln. — c) Im Auslaut:
ganiSj genslix (schon mnd. gantXj genxlichy genxliken) ganz, gänzlich; xats^
afxatSj bezats Satz, Absatz, Besatz; spits spitz; blits Blitz; vits Witz; slits
Schlitz; rits Bitze; rots Rotz; klots Klotz, irots Trotz; stolts stolz (als Ei-
genname noch Stolt)] filis Geizhals; geäüts Geschütz; gevürts Gewürz; gezets
Qesetz; änoutsböit Schnurrbart; nets neben net Netz; kreis (schon mnd. kreis
neben kreit) ; IiaSy hasUf heslix Haas, hassen, hässlich ; ris Riss ; löSj los Loss ;
strüs Strauss (Blumen); gr^s Gruss (von Kohlen, Torf, Steinen); aus Schuss;
flus Fluss (bes. als Krankheit) ; spis Spiess ; §los Schloss (als Gebäude) ; fräs, fresn
Frass, fressen (verächtlich, sonst fr^t7i)\ hornis (mnd. hörnte) Hornisse; afsUsn
abschätzen; b^sn büssen; gi^syi grüssen; dU is kein mus das ist kein Muss.
Meistens sagt man auch grösmvdk Grossmutter. Aus s ist s geworden in dem
alten Lehnwort .körbs (mnd. körbiize < ahd. kurbi"^ < lat. (mcurbita, vgl. ags.
cvjrfet und § 271).
Mnd. d.
§ 157. Schon zu Beginn der mittleren Periode war as. J?, d
> d geworden: mnd. d vertritt also as. rf, d, )?, d. i. hd. t und d,
Mnd. d hat sich nur im Anlaut erhalten, z. B. del Teil, doun tun,
drinky trinken; denky denken, diyk Ding, drei drei. Abweichend vom
Westen des nd. Gebietes (vgl. u. a. Maurmann § 111, Holthausen,
Soester Ma. § 163) ist auch as. pw- > dw geworden, z. B. dwirjy (as.
\mngan) zwingen, dweä (as. ]>werh) quer, dwas in fädwas (mnd.
dicars) verdreht, dwel f. (mnd. dwele Handtuch) Tischtuch (§ 7, 2 d),
dwat§ verdreht.
§ 158. Mnd. d im Inlaut ist zwischen Vokalen, ausgenommen
vor / < el, im nördl. Teile der WPri zu einem r-Laute geworden, hat
sich in einem angrenzenden schmalen Gürtel der WPri und in der
nördl. Hälfte der OPri als d erhalten, und erscheint im südl. Teile
der gesamten Pri als ein j'-Laut (Näheres § 7, 2 a und Anm. 1 u. 2).
Boberow, das im r-Gebiete liegt, bietet folgende Formen: brourä
Bruder, snirä Schneider, blärä Blätter, dörix tot, frär Friede, vir
Weide, bror Brote, rör rote, snifn schneiden, fäfn Faden, lyräfn
Braten. Vor n wird der r-Laut also reduziert, wie f, gesprochen.
Vor / ist d erhalten geblieben, z. B. nädl Nadel, rädl Kornrade,
kMl Kotstück, edlman Edelmann (vgl. Holthausen, Soester Ma. § 166).
Anm. 1. Der auf Trägheit in der Lautbildung beruhende Wandel von
^ > r ist entschieden jüngeren Datums und sicherlich jünger als die Vertretung
des intervokalen d durch j. Nach meiner Wahrnehmung ist gerade die Pri und
10*
148
der angrenzende Strich von Meckl. hinsichtlich der Schärfe der Artikulation am
weitesten nach r vorgeschritten (vgl. z. B. Nerger § 193, Gilow, Leitfaden znr
plattdeutschen Sprache, Anclam 1868 S. 32-37). Zu derselhen Zeit, wo
Bratring für die südl. Altmark schon meistens y /"^j für intervokales c^ schreibt,
schreiben Hindenberg und Gedike d\ ersterer schreibt hede Heede, mäc^e
Made, letzterer hrüde Bräute, lüde Leute, ryden reiten. Das ist allerdings nicht
beweiskräftig, da heide ihre hd. Orthographie auf das Nd. übertrageu haben:
Hindenberg schreibt z. B. auch Naber Nachbar, mit hochdeutschem h. Aber
bei beloben gibt er an, es werde belöwen ausgesprochen. Sollte er, der gerne
auf Unterschiede zwischen seiner mittelmärkischen Heimat und der Pri achtet,
nicht auch ein r für d bemerkt und hervorgehoben haben?
Anderseits ist zu bedenken, dass in Wörtern wie /rar (mnd. vrede) Friede,
wir Weide (mnd. w\de) d sich schon nach r hin bewegt haben muss, als End-e
noch bestand: nach Schwund des End-e in den Auslaut geratendes d wäre
einfach t geworden (§ 161); überhaupt ist der Lautwandel von d > r eben an
intervokales d gebunden. Nun haben wir aber § 117 Anm. 1 gesehen, dass
End-ß höchstwahrscheinlich im Laufe des 18. Jh. verstummt ist. Nicht lange
vorher wird sich ein r-haltiger Laut für d eingestellt haben. Das älteste
Zeugnis für den Ühergang von d > r ist das von Dietz, abgedruckt im Nd.
Jb. 20, 125. 127. Darnach war für gewisse Teile von Meckl. dieser Übergang
zu Anfang des 19. Jh. schon vollzogen.
Man beachte auch, dass r für d immer nach langem Vokale steht: da
eben nur intervokales d in Frage kommt, so stand der vorhergehende Vokal in
offener Silbe und musste gelängt werden (§ 183 ff.). In Wörtern wie Zärä Leder,
Ikrich leer müssen wir von einem jüngeren dd ausgehen (§ 159).
Anm. 2. In dem r- und c?-Gehiete gibt es zwei merkwürdige Wörter,
die ausgefallenes d und auch Spuren seines Vertreters j zeigen: Ikvn (as.
ledian) und spr^i'^n (mnd. spreden) s. § 82, b. Man könnte im Hinblick auf
verschieden sprachige Ansiedler denken, dass bei diesen beiden Wörtern eine
andersartige Ausgleichung stattgefunden habe: dann müsste man aber des Schwund
des intervokalen d sehr früh ansetzen. Mir scheint wahrscheinlicher, dass diese
Formen vom Süden her eingewandert sind.
Anm. 3. Erhaltung des 6^ zwischen Vokalen deutet auf hochdeutsche
Entlehnung, so in r^dix ungezogen, gnMix gnädig. Hochdeutscher Einfluss muss
auch vorliegen in mudk Mutter (für *m(?wrä, vgl. broura, Bruder), fadi (neben
färSi) Vater. Sicher hd. ist fedk Vetter; das schon etwas altertümliche /era
hezeichnet jeden männlichen Verwandten. Halbhochdeutsch ist auch twet zweite.
— Aus dem Hd. stammen natürlich auch die Wörter mit t = as. d, d, z. B.
äain Schatten (as. skado), arbkitn (mnd. arbeiden) arbeiten, ätn Atem, beglAiin
begleiten, äkitl Scheitel, betin betteln, sm7ä Schnitter, sütln schütteln. — Sehr
auffällig ist t statt r in stxitn (schon mnd. stüte, vgl. &ber ne. stiid) Eoggen-
weissbrot, und in rxit, Mz. rütn Fensterraute.
' ^ o
Anm. 4. hnt Kreide stammt vom lat creta; roman. creda^ das Grund-
wort zum hd. Kreide, hätte krir ergeben, wie rom. seda xlr Seide. jEfti^ heute
{h^t auch im ^-Gebiete) kann nicht auf as. hiudu, mnd. hüde beruhen, das Mr
ergeben hätte. Ich vermute Beeinflussung durch das mhd. hiute, und bemerke,
dass sich schon im Mnd. hüte findet. Für zlt Seite ist nicht mnd. sidCj sondern
die Nebenform slt f. als Grundwort anzusetzen.
A n m. 5. Weggefallen ist inlautendes d in gunmöm guten Morgen.
gundäx guten Tag, und in i/% in Verbindungen wie liebest allerbeste, das ich
149
ZU mnd. idel lauter, unvermischt stellen möchte (eine andere Erklärung s. bei
Holtbausen, Soester Ma. § 115). Zu erwähnen ist noch, das r < d oft nicht
mehr gehört wird in bki beide (neben b^Ltr) und in zö drä as (neben %ö drär as)
sobald als. Über den Ausfall der Mittelsiibe -de- in Wörtern wie br^jkm
Bräntigam s. § 115, 5.
§ 159. Mnd dd > r. Man muss unterscheiden a) altes, schon
as. dd {< dj)^ z. B. ver f. (as. weddi n. Pfand) Wette; her (as. beddi)
Bett (vgl § 318 Anm.); mir f. (as. middi n. und middia f.) Mitte;
hirn (as. biddian) bitten; rern (mnd. redden) retten; pern (mnd. pedden)
treten; torn (mnd. *todden, s. § 59) streuen von Körnern und Nadeln;
süni (as. skuddian) schütten, schütteln; dazu äürkopm mit dem Kopfe
schütteln; vgl. auch här hatte < mnd. hadde und kldrn schlecht
schreiben (Kladde), b) jüngeres mnd. ddj das sich gebildet hat nach
kurzem Vokal in solchen Wörtern, in denen in einer bestimmten Zeit
kurzer und langer Vokal innerhalb der Flexion abwechseln mussten,
in denen aber der kurze Vokal durch Ausgleich den Sieg davon
getragen hat, z. B. bom Boden, Idrä (mnd. ledder), lärix (mnd. leddig)
leer. Vgl. 7, 2 c und § 222.
Vor / < el ist natürlich auch hier (§ 158) d erhalten, z. B.
edlman (mnd. eddel) Edelmann. Vgl. auch Iterativbildungen wie
hrudln unordentlich machen, tiidln zerstreut sein, tudlix zerstreut.
-md- > mm > m, z. B. häm Hemde s. § 283 y. -^i^- > ^^^ > ^;
z. B. kind Kinder, ptin Pfunde, s. § 283 ß -Id- > II > l, z. B. ölä
älter, kül Kälte, s. § 283 a. -rrf- > r, das in jungem Auslaut noch
zu ä wird, z. B. färix fertig, peä Pferde, s. § 284.
§ 160. As. d; d -f- id in der 3. P. Präs. Sing, ist in starken
Ztwn. und bei den schwachen der Klasse I b > ^ geworden, z. B.
snit schneidet, büt bietet (as. biodan), hat hütet (as. hödian)\ bei den
übrigen schwachen Verben > rt^ z. B. rärt redet. Dieses r dringt
durch Ausgleichung auch in die Klasse I b der schw. Ztw. ; so hört
man höyrt neben hat hütet, und immer l^rt für das ausgestorbene
lüt läutet; schadet heisst immer §ät (Vgl. § 154.)
§ 161. Auslaut, as. d > t, z, B. blat Blatt, döt tot, röt rot,
hröt Brod, gout gut, kint Kind, olt alt, peät Pferd.
Anm. 1. Das n in bün band (as. band), das / in gül galt (as. gald),
das r in sneir schnitt (as. snh^j sned) muss also aus dem Inlant stammen;
denn nur dort wird -nd-, -Id- > n, l (§ 159), -d- > r (% 158). Es stammt
aus dem Plur. Präter. oder direkt aus dem Optativ, s. § 366.
Anm. 2. Auslautendes d im ersten Giiede von zusammengesetzten
Wörtern, deren zweites Glied auch mit d anfängt, geht gern verloren, z. B.
handouk Handtuch, kind^p Kindtaufc. — d ist auch ausgefallen in den aus
dem Hd. stammenden Wörtern ornuvik, orn Ordnung, ordnen.
§ 162. d schiebt sich gerne ein vor l nach langem Vokal; so
(immer) in sträidls Streu, stäidl steil neben stäil, keddl Kerl, KöddL
'/ O /O 'O/O'
Kädl (lid.) Karl, ddidln teilen neben ddiln, vgl. auch pädln schwatzen
< frz. parier; ferner zwischen n und d oder r, z. B. Heinrix neben
150
Heindrix, rentlix reinlich. Angetreten ist t (für d) in hin in der
Redensart kein hint ord kint keine Anverwandten (s. § 232 Anm. 2).
§ 163. Als lid. erweisen sich (ausser den § 158 Anm. 3 u. 4
angeführten) durch ihr t für nd. d: ttä Tier (deät nur noch Schimpf-
wort, vgl. Löwe, Nd. Jb. XIV, 36); trürix, trüän traurig, trauern;
tr^ipsäl Trübsal; törp, toben (aber as. dohon delirare); fdtily vertilgen
(mbr. delgen)^ tüks tückisch, tön (mud. dön) Ton; artix (neben ö^rix
§ 249) artig; gevitä (aber värän donnern) Gewitter; zatlä (aber zädl
Sattel) Sattler; zeltn selten; glat Kompar. gldtd glatt; got^ Gen. gots
Gott; berdits bereits.
Aum. In ^ü^ Düte und titit Dinte entspricht nd. t einem hd. d,
§ 164. Hieran knüpft sich die wichtige Frage: Ist auch t im
Präter. der schwachen Ztw. auf hochdeutschen Einfluss zurück-
zuführen, wenn es heisst Ihvtn lobten, bärtn beteten, m§,tn mähten,
botän bauten, drbmtn träumten (nind. drömden)^ fültn faulten (mnd.
vülden) faulten? Ich meine nicht. Schon im As. wurde d nach
stimmlosen Lauten > t; Holthausen führt im As. El. § 248 an: döpta
taufte, bötta büsste, senkta senkte, kusta küsste; vgl. mnd. Formen
wie muste, dofte, sochte. Die starken Ztw. mit dem Stammauslaut t
boten ebenfalls im As. -t, -tun, im Mnd. -t, -ten, z. B. götj götiin —
göt, göten goss, gössen. Zu bedenken ist auch, dass -Id-y -md-, -nd-j
-rd' zu /; My riy r hätten werden müssen (§ 283, 285) : wie wollte man
aber dann noch z. B. füln < fülden faulten unterscheiden können von
der Mehrzahl der Gegenwart, die auch füln hiess? Nach Apokope
des e heisst der Sing. Prät. ohnedies fült (< fülde)^ da auslautendes
d von selbst > t wurde. Was lag näher, als daraus fültn neu zu
bilden und sich so das nötige Unterscheidungsmerkmal für das
Präteritum zu erhalten?
Eine ähnliche Frage besteht hinsichtlich einiger einzelner Wörter:
ödt (mnd. art^ flektiert arde) Art, födt (as. fard) Fahrt sollten in der
Mehrzahl öarn, födrn heissen (vgl. gödrn < as. gardo Garten); sie
lauten aber ödtn^ födtn. Ähnlich heisst antworten antvodtn statt
antvödrn (as. andwordian); denn -rrf-, das im Auslaut > rt wird,
assimiliert sich zwischen Vokalen > rr > r {% 285 und Anm.). Man
könnte auch hier an Anlehnung an die hd. Formen „Arten", ;,Fahrten",
„antworten" denken. Ich glaube aber vielmehr, dass wir es mit
Neubildungen aus der Einzahl zu tun haben, zu denen ködt — kö9tn
(< franz. cm^te) und pödt — pödtn (< lat. portd) das Muster boten.
Vgl. auch § 346 Anm.
As. mnd. s.
§ 165. As. mnd. s > z im Anlaut vor Vokalen, im Inlaut
zwischen Vokalen und nach Liquiden und Nasalen, z. B. zeis Sense,
ziyy singen, zkm 7, zun Sonne; Mzä Häuser, väzlk Wiesel, läzn lesen,
vamzn prügeln, pinzl Pinsel.
151
All in. 1. Dass auch s nach r ursprünglich stimmhaft war, beweist das
Schicksal des r und des yoranfgehendeu Vokals: man s. § 248 f. und vgl. nö^s
(mnd. a7's) amts, bö^s (mnd. bars) Barsch mit fS^-dwas verrückt < dwars,
dwasSy das sicher stimmloses s hatte. Manche sprechen auch s in pksön Person.
A n in. 2. Nach kurzem Vokal vor / und n wird das s mit etwas grösserem
Lnftdrnck und etwas grösserer Mnskelspannung gesprochen : es bleibt Lenis, wird
aber in der Aussprache vieler tonlose Lenis (s) : man hört z. B. buxn und bu%n
Bnseu, hevn und be^n Besen, hazl und Jia^l Hasel, duxl und di(?>l Dummkopf;
in Iterativbildungen wie puxln herumhantieren, nuxbi hintendran sein spricht
man wohl nur x.
Anm. 3. Anlautendes s wird ts oder s gesprochen in dem zur Interjektion
gewordenen t^, mnd. ^t^ sieh (die eigentliche Befehlsform heisst xei)^ und in vor-
toniger Silbe in tsufdrüt selbdritt, Tsifelt Flurname in Boberow, den ich nach
Lage der Dinge als xir feit = das niedrige Feld deuten mnss, Tsaß Sophie.
§ 166. As. mnd. s > s im Auslaut, z. B. hüs, gous Gans,
glas Glas, hals Hals, uns uns, mets Messer.
In jungem Auslaut, der durch Verstummen des End-e ent-
standen ist, wird 2; > s, z. B. Ääs Hase, j'/Ss Gläser, göy^ Gänse,
häh Hälse, um unser. Vgl. § 44.
§ 167. As. SS' > s, z. B. gecis (as. giwisso) gewiss; küsn (as.
kussiun) küssen; küsn Kissen, eigentl. Sitzkissen (s. § 68); mis f in
Iktmis (< mlat. missd) Maria Lichtmiss.
§ 168. Im Anlaut vor t, p, /, tn, n, w ist s auf dem Lande als
s erhalten, das aber nicht stark artikuliert wird. (Über die Ver-
breitung und das Vordringen von § vgl. § 8, 2). Beispiele: sten Stein,
sfoul Spule, spräk Sprache, släpm schlafen, smet Schmied, sntrn
schneiden, su)ln Schwein.
Anm. 1. Es scheint, dass s vor l, m, n, w leichter zu § wird als vor
p und ^, vgl. Löwe, Nd. Jb. 14, 25 f.
In einigen Lehnwörtern aus dem Hochdeutschen wird § gesprochen, z. B.
slos Schloss (Gebäude), änoutshbkt IBchnurrbart, slits Schlitze.
Ganz fest ist s vor p und t im Inlaut, z. B. swestk Schwester, vost
Wurst, vispl Wispel.
Anm. 2. In (^sl (as. thistil) Diestel ist t vor l geschwunden; in fnltsix
nebelig, nasskalt (vgl. mnd. mistig und ags. mlst Nebel) scheint st > ts um-
gestellt zu sein; in Krisan Christian ist st -H- Hiatus-i > s geworden, vgl.
§ 124 Anm. 1.
§ 169. Die Verbindung sk ist in allen Stellungen > § geworden,
z.B. säp Schaf, §oul Schule, döän dreschen; vasn waschen; fi§ Fisch,
fles Fleisch, min§ Mensch, äräpm schrapen, .^nm schreiben.
Anm. 1. Schon in mnd. Urkunden ist seh für sk {sc, sg) sehr häufig,
und in mbr. Urkunden eher häufiger als sk Nichtsdestoweniger kann in unserer
Ma seh noch nicht sehr alt sein: noch jetzt erzählt man sieb, dass die Alten
j^disk und fisk und waskeldouk'^ gesagt hätten (es werden immer diese 3 Wörter
angeführt). Ja, es gibt einige entlegene Dörfer, in denen alte Leute noch disk,
fi^k sprechen, z B. Besandten und Unbesandteu in der Lenzer Wische. Gedike
schreibt S. 326 nagreepsk eigennützig, geeivsk der gerne gibt, und für die Alt-
mark verzeichnet Bratring am Ausgang des 18. Jh. ein lieskenstrieker Schmeichler.
152
Anm. 2. In xal, xöln (as. skal, skulan) soll, sollen ist x für s < sk
eingetreten Der einfache ^-Laut findet sich schon häufig iin Mnd. (hes. im
Westen, s. Tümpel, Nd. Stud. S. 110 fF); in unserer Mundart ist s für ä nicht
allzu alt: ich selbst habe als Kind noch einige alte Frauen gekannt, die äal shln
sagten. Ich glaube, dass sowohl s wie der kurze Vokal auf hd. Einfiuss beruht.
Richey nimmt neben hd. auch holländischen Einfiuss an.
Anm. 3. Muskat- nuss heisst mas§itn-nht; dagegen sagt man muskant
Musikant und gMgÖysken Goldammer, wörtlich Gelbgänschen: s und k sind hier
erst nach Ausfall eines Vokales zusammengetreten. Aber trotzdem wkän Tante
< weseke.
Anm. 4. ä auch = frz ch, z. B. kusn sich niederlegen, ruhig sein <
frz. coucher,
§ 170. Nach stimmlosen Explosivlauten hat sich sporadisch
s > ä gewandelt, z. B. ekä (as. acis für acus, mnd. ekse) Axt; göps
(mnd. gepse) die innere Höhlung der beiden zusammengefügten Hände;
hädiU < hädits (§ 119 d. Anm.) Eidechse; förföytä (mnd. vorvotes)
vor den Füssen weg, ohne Umwege; flit^n neben ßitsn sich schnell
bewegen ; vgl. auch körbä < mnd. körbitze oder körvisch < ahd. kurbiz
und forä (mnd. forse) Kraft, kräftig (< frz. force).
Anm. Das ä in faU falsch beruht wohl auf mnd. vdlsCy das sich neben
fals findet, das s in heis heiser auf einer A:- Ableitung zu as. heis^ also *h^sk.
Ob wir für blous Baumblüte ein mnd. *blöseke ansetzen dürfen, oder ob sich
hier in dem mnd. Mosern (yg\. ags. blösma) s > s entwickelt hat, vermag ich
nicht zu entscheiden. Es wäre dann blösen < blöseni (§ 140) als ein Plural
verkannt worden und darnach ein neuer Sing, blous gebildet worden (% 337y.
Auffällig ist auch das ä in brüsn, wenn es wirklich von *brunsan (§142 Anm.)
kommt, und das s in prüsn niesen, für das ich im Mnd. nur prusten belegen
kann, hirä Hirsch und kirä Kirsche, Kirsch sind hd. Ursprungs.
§ 171. s ist angetreten in mäfks Mark (in den Knochen) und
vielfach an Adverbien, z. B. atjes Adieu, föäts sofort, vgl. § 416.
c. Gaumenlaute.
As. mnd. L
§ 172. As. mnd. k in allen Stellungen >• ä:, z. B. kan kann,
kr^vt Krebs, klouk klug, knüpl Knittel ; klöykä klüger ; kouky Kuchen ;
bouk Buch, folk Volk, ik ich, zik sich.
As. mnd. qu > kw^ z. B. kwäk Unkraut.
As. mnd. kk > k, z. B. liky (as. likkon) lecken, akä (as. akkar)
Acker.
Über sk > ä vgl. § 169.
Über tk > t, z. B. bätn bischen < bätken^ vgl. § 286.
Anm. Als hd. erweisen sich durch ch für nd. k: flüxn fluchen; tskun
(neben teikr))^ smeixln schmeicheln; zeixn harnen; zixk sicher; bötxk Eöttcher
(mnd. bödeker)] raxn Bachen; rax Rache; vox Woche (mnd. whke)\ stix Stich
153
(bes. im Kartenspiel); stixln sticheln; strix Strich; brux Fruch (in der Bechuung);
sprux Spruch (bes. Bibelspruch) ; gerux Geruch ; xax Sache (neben xäk) ; houptxax
(neben houptxäk Hauptsache ; hexfix (neben bexöyk) ; pex in der Bedensart pex
kern Pech haben; kirx Kirche (das ältere kdfk noch in dem Flurnamen venä
käfkhof Wendischer Kirchhof); llrx Lerche, s. § 81 Anm.; fenxl (mnd. venekel
= lat. foeniculum) Fenchel] f^ilx9n Yeiicheu] Manxn Marieeben, Lisxn Lieschen;
über -lix für -lik vgl. § 121, c.
As. mnd. 5, g.
§ 173. a) As. 5 > ^r im Anlaut und im Inlaut zwischen Vokalen,
z. B. gistän gestern, geän gern, gän gehen, gous Gans, glds Glas,
gröt gross; kröygä Gastwirt, fägl Vogel.
Anm. 1. Der Verschluss bei Bildung des g ist lose.
Anm. 2. über g > j iia. SPri s. § 7, 4 a — Auch in der NPri wird in
einigen Wörtern j für g gesprochen: fit) gegen (schon mnd. jegen neben gegen),
ßrjt Gegend, hej^f) begegnen, Jürn (mnd. Jürgen) Jürgen. lu diesen Wörtern
liegt wobl Dissimilation vor. In hr^j^m Bräutigam stand g vor unbetontem
Vokal; in höjS^pni gähnen (mnd. gapen den Mund aufsperren) ist wohl Ver-
mischnng mit japm nach Luft schnappen eingetreten; jurk Gurke scheint durch
das j zu bezeugen, dass dieses Gemüse von Südosten her vorgedrungen ist. Bei
ji ihr ist mir zweifelhaft, ob nicht schon für das as. gl ein j'-Laut anzunehmen ist.
Anm. 3. Während sonst -gel durchaus zu gl geworden ist {speigl Spiegel),
ist es in dem Lehnwort lexl (schon mnd. lechelen = mlat. lagena) kleines Fass
> xl geworden.
b) Mnd. -gen (nach langem Vokal), -ggen (nach kurzem Vokal)
> j;, z. B. öy Augen, swiy schweigen; royy Roggen, leyy legen.
Näheres s. § 289.
Anm. 1. Nach r ist in -gen g mehrfach geschwunden: Jürn < mnd.
Jürgen; morn (neben mory) morgen (schon mnd. mome neben morgene)\ Arn
den Hund necken, reizen, das doch wohl nicht von mnd. tergen necken zu trennen
ist. So erklärt sich nun auch das schwierige Wort nänix nirgends: mnd. nergene
< as. ni hwergin ist (schon in mnd. Zeit) > nerne, dieses aber nach § 413,
indem sich das schliessende n mit ix zu nix verbunden hat, > nänix geworden.
Anm. 2. Auffällig ist x in löyxn lohende Flammen (as. fö^na, mnd.
%ewß, löchene).
§ 174. In ursprünglichem Auslaut erscheint 3, wie schon im
As., als X, z. B. dax Tag, vex Weg, dex Teig, trox Trog, talx Talg,
bdrx Berg, honix Honig, lärix leer.
Bei alter Synkope (§ 118 a) erscheint as. 5 auch vor den
Endungen -st und -t als x, z. B. dräxst, drdxt trägst, trägt; züxst,
züxt saugst, saugt. Vgl. auch hogä höher und höxt Höhe.
In jungem Auslaut nach Apokope des Eud-e und bei junger
Synkope (§ 118 b) erscheint 3 als stimmlose Lenis, d. i. g, z. B.
og Auge, dkg Tage, 'iAg Wege, zug sauge, drbgst, drbgt trocknest,
trocknet (zu drdy trocknen). Vgl. § 149.
154
§ 175. Äs. yg im Inlaut < j; (§ 283 S), im Auslaut > yk^
z. B. fiyä Finger, jüyä jünger, ziy singe, lay lange; layk laug, riykj
juyk jung.
As. yg -h ßw > silbenbildendem y (= j;»?), z. B. hreyy bringen,
fayy fangen.
§ 176. As. mnd. gg (inlaut.) > x, mnd. -ggen > yy (§ 289),
z. B. rox (as. roggo)^ neben ro??^; § 334, 2, Roggen; ftrwa? (as. bruggia)
Brücke, Mz. brüyy; müx (as. muggia) Mücke, pox (mnd. pogge) Frosch,
fliix (mnd. vlügge) flügge, ex (mnd. egge) Egge, trüx zurück, aber rüyy
Rücken, ik zex, lex, lix sage, lege, liege, zu iseyy, leyy, liyy sagen,
legen, liegen (as. seggian, leggian, liggian). Vgl. rif, rim § 147.
Anm. Im südlichsten Teil der WPri und in ganz OPri ist gg > k
geworden, z. B. mük, Mz. müky Mücke, Mücken, brük Mz. brüky. Vgl. § 7, 2 a
und Manrmann § 122
§ 177. g zwischen hellen Vokalen ist geschwunden in zeis
(as. segisna, mnd. seisne > seisse, vgl. § 337); hästä (mnd. hegester)
Elster; hädiU (mnd. egedisse) Eidechse; tl f. (mnd. egele, ele, lle)
Blutegel, aber swl-nägl Igel; hixt (as. bigihto) Beichte, zär (mnd.
segede > sede) sagte; lär (mnd. legede > l^de) legte. Vgl. stdil steil
und ags. stägl, stäger, mäky und mnd. megedeken (selten für deän).
zägl (nfränk. seil) Segel ist vielleicht hochdeutsch, s. aber dagl Tiegel.
g nach dunklem Vokal ist > v geworden im Monatsnamen
.mnd. öuwest < augüst, das sich dann weiter zum heutigen oust, oiistn
Ernte, ernten entwickelt hat, und vielleicht in gävl-ßes Zahnfleisch
< as. gägal, vgl. aber § 420; g nach r in märvl neben märgl Mergel.
Über den Wechsel von g und h in Formen wie nä-nägä nahe-
näher (grammatischer Wechsel) vgl. § 295 b, c.
§ 178. Das k in kein kein scheint mir hd. Die mbr. Formen
sind negen (as. nigen), engen, engein, gein; nen, nein.
Anm. Wie es entlehnte Wörter gibt, in denen einem hd. d ein t
(§ 163 Anm.), einem hd. b ein p (§ 147 Anm) entspricht, so auch Wörter, die
k für hd. g aufweisen: kluk Glucke, klok (mnd. klokke) Uhr.
As. h := X, j^.
§ 179. Der as. Gaumenreibelaut ^ kam nur im Auslaut und
im Inlaut vor Konsonanten vor. Er hat sich erhalten
a) im Auslaut, z. B. dox (as. poh), nox (as. nah) noch, höx
(as. höh) hoch, dörj^ (as. \>uruh, mbr. dorch neben dor) durch.
Anm. 1. Über die Präterita zax, geäax sah, geschah vgl. § 378 Anm. 1.
Anm. 2. Doch nicht, noch nicht heisst gewöhnlich dönix nönix.
b) im Inlaut vor t, z. B. doxdä (as. dohtar) Tochter, lixt Licht,
rext recht, daxt (as. ^fähta) dachte
Anm. 1. Über den Wechsel von ch-h vgl § 295.
Anm. 2. Fremdes -^ > g in Job Joachim, tslgviriyy Cichorien. Altes
X > Ä; in färkm Ferkel, vgl. § 217 Anm.
As. 'hh' > a; in Icuvy^ (as. *hlahhian) lachen.
156
§ 180. As. hs ist > 8 geworden. Die Anfänge dieser Assimi-
lation reichen in die as. Zeit zurück (vgl. Holthausen, As. El. § 215);
sie ist im Mnd. vollständig durchgeführt. Beispiele: as (as. ahsa)
Achse; flas Flachs; vas (as. wahs, was) Wachs; vasn (as. wahsan,
Hassan) wachsen; brasn Brachsen; mes m. (as. mehs n. Ess. Gl.) Mist;
zös (as. sehs, ses) sechs; vesln (as. weslon) wechseln; dlsl m. (as.
yisla f.) Deichsel; os Ochse; fos (as. fohs) Fuch?^; biis f. Buchse, d. i.
innere Bekleidung der Nabe, in der die Achse sich dreht; büs f.
Büchse (mnd. busse = mlat. biixis < griech. pyxis)\ hesp f. für *hes
(§ 420) (mnd. hesse) Hachse, Kniebug der Hinterbeine, bes. bei Pferden
und Kühen; häditä f. < hädits < hädis (§ 119 d Anm.) < as. egipessa
Eidechse; l^-stay für WiS-stay, wenn es nicht zu mnd lünse (§ 142
Anm ), sondern zu mhd. liuhse gehört, vgl. noch rheinfrk. laiys,
Heilig § 133.
Anm. 1. DemDach sind ans dem Hd. entlehnt: viks Wichse; daks (mnd.
gr^nd) Dachs; luks (as mnd. hs) Lnchs; xeks^ Sechser (6 Pf. = V« Groschen).
Anm. 2. Es ist hier der Ort, über die Vertreter des hd. „nichts'' zu
sprechen. Nach § 7, 2 b sagt die NPri niks, die SPri nist, von Osten dringt
nisi vor. Die Anwesenheit eines s in allen Formen zeigt, dass man nicht von
der älteren Form mnd. niht < as. niowiht ausgehen darf. Es fragt sich nun,
ob die mnd. Verstärkung nichtesnickt oder die später dafür in Gebranch kom-
mende verkürzte Form nichtes die unmittelbare Grundlage der jetzigen Formen
ist. Für nichtesnickt könnte sprechen, dass man noch heute häufig niksnix,
nistniXy nistnix sagt. Dann wäre in niks das t (des zweiten nicht) verloren
gegangen, das nist und nist bewahrt hätten; das s in nist könnte aus -hs <
htes entstanden sein; nist wäre als vergröberte Aussprache von nist aufzufassen,
s Hesse sich aber auch erklären aus einer Umstellung nisket < einem etwaigen
nikses nit. Dascegen ist zu bemerken, dass t in nicht sehr früh verloren
gegangen ist (§ 155), und dass niks immerhin noch besser aus nichs < nichtes
als < nichtesnicht zu deuten ist. Holthausen meint A. f d. A. 1900, S. 32
m. E. mit Recht, k in niks beruhe auf Dissimilation der Spiranten. Liesse sich
auf ähnliche Weise heks Hexe erklären?
As. h =1 h.
§ 181. As. h ist als h erhalten nur im Anlaut vor Vokalen,
z. B. hüs Haus, hunt Hund, htä hier, heä her.
Anm. In den anlautenden Verbindungen hl-, hr-, hn-, hw- war schon
in der mnd. Periode h verstummt, also laxn lachen (as. hlahhia7i, mnd. lachen)
lachen; riyk (as. hring, mnd. ring) Ring; nap (as. hnap, mnd. nap) Napf;
vUtn m. (as. hweti, mnd. weie) Weizen. Jn houstn (vgl. ags. hwösta) muss w
geschwunden sein, bevor h verstummte.
§ 182. In allen übrigen Stellungen ist h ausgefallen, a) nach
Vokalen, z. B. stdl (vgl. ahd. stahal) Stahl; bll (vgl. ahd. bthal)
Beil; fll f. (vgl. ahd. fthala) Feile; trän (as. trahan) Träne; slän (as.
slahan) schlagen; mal (as. rwaÄa/ (jerichtsstätte) Mal, Freistätte beim
Spielen; öd (as. ahar, mnd. ar) Ähre; dwel f. (vgl. ahd. dwehila
Handtuch) Tischtuch; lein (as. l^hanon) leihen; däidn (as. ththan)
gedeihen (§ 243 a); tdin (as. tehan, tian) zehn; man Mohn; nä nahe,
L.
156
nävd Nachbar; äou Schuh, Schuhe; fei Vieh; flo Floh, Flöhe; zM, zU
siehst, sieht, b) nach Konsonanten, z. B. föä Furche (§ 216 f.);
hefäln (as. hifelhan, hifelan) befehlen; vgl. Viläm Wilhelm und Formen
wie a-länt < allhand immerhin, inzwischen, in OPri häufig, in WPri
unbekannt; va-rdftix wahrhaftig. Regelmässig verliert sein h hei er,
wenn es enklitisch angehängt wird, z. B. zä-rd sagte er (vgl. § 298).
An ID. 1. Die Bildaugssilbe -M^7 wird bald mit h, bald ohne h gesprochen,
z. B. vö^riit und vö^h^it, dumUt und dumhkit.
Anm. 2. Eingedrungen ist x für h in höxt Höhe (as. höhida) und nlxt
Nähe, vgl § 295 und Anm.
§ 182 a. h ist angetreten in häditä (mnd. egedisse) Eidechse,
hästä (as. agastria, schon mnd. hegester neben egester), hülän Ulan
(wohl in Anlehnung an hüzöd Husar).
Anm. In anderen nd. Dialekten erhalten auch noch andere Wörter ein h.
So heisst meckl. ä^i^fcöä Storch in Ostfriesland ksJiebar (Nd. Jb. 9, 111), in
Samland Md^böL Dagegen haben die ostfries. Wörter für Eidechse, Elster
kein h: ^ftas, ^kster.
§ 315. Übersicht der Entsprechungen
vom heutigen Bestände der Mundart aus.
1. Die kurzen Vokale.
Pri a < 1) as. a in geschlossener Silbe § 48. Vgl. §§ 197. 202.
204.
< 2)
< 3)
< 4)
< 5)
< 6)
Pri ä
(betont)
< 1)
< 2)
< 3)
< 4)
< 5)
< 6)
Pri ä
(unbetont)
< 1)
< 2)
as. a -f- r vor stimmlosen Zahnlauten § 136 c.
as. a -\- rr ^ 135.
as. a verkürzt § 229.
hd. a § 184 Anm. 2. § 249 Anm. (vor r). § 273
Anm. 2 (vor -Id).
verschiedenen Vokalen in Fremdwörtern § 113.
as. e (jüngerer Umlaut) § 51.
as. e vor bestimmten Konsonanten gruppen § 54.
Vgl. § 51, 2 a. § 51, 2 b Anm. 2.
as. i vor bestimmten Konsonantengruppen § 57. Vgl.
§ 51, 2 d. § 188, 4 (am < imu ihm). § 242 Anm.
as. i -h r vor stimmlosen Zahnlauten § 263.
as. ^ verkürzt {fdft 5te) § 232.
as. a (sporadisch) § 48 Anm. 2. § 51, 2 Anm.
as. betontem Vok. + r im Auslaut § 137.
as. betontem Vok. -H r vor stimmhaften Zahnlauten
§ 136 b. § 284.
< 3) as. Vok. -H r in Vorsilben § 110, 1. Vgl. § 120.
157
Pri rf < 4
(unbetont)
< 5
Pri e
Pri i
Pri 0
Pri 0
1
2
5
6
7
8
1
2
3
4
5
6
7
8
1
2
< 5
< 6
< 7
< 8
< 9
< 10
<
<
<
1
2
3
4
as. Vok. -f- r in Ableitungssilben § 136. § 137.
§ 114, 2.
as. i in der Ableitungssilbe -ik § 121 d.
as. e in geschlossener Silbe § 50.
as. e in geschlossener Silbe § 53.
as. i in smet Schmied u. ähnl. § 197 Anm. 2, in
melk § 241.
as. i -f- Nasenlaut -+- Kons, (sporad.) § 276.
as. Umlaut von a verkürzt § 230, 1.
as. c (< ug. ax) verkürzt § 231.
hd. ä in geschlossener Silbe § 51, 2 a Anm. § 51, 2 b
Anm. 3. § 53 Anm. 2.
as. i in den Vorsilben gi-y bi- § 110, 2, 3.
as. i in geschlossener Silbe § 56. Vgl. § 199.
§ 197 Anm. 2.
as. ije in geschlossener Silbe § 56 Anm. 1.
as. e, e -f- gedecktem Nasenlaut (sporad.) § 275.
as. t verkürzt § 232.
as. e verkürzt § 231 Anm. 2.
as. io verkürzt § 240.
as. i, a in Ableitungssilben § 119. § 121c.
hd. i § 188 Anm. 1. § 222 Anm.
as. 0 in geschlossener Silbe § 59.
as. ofii in geschlossener Silbe § 60, 2.
as. 0 vor r -f- Kons, (ausser stimmhaften Zahn-
lauten) § 136 c. § 268.
as. u vor r 4- Kons, (ausser stimmhaften Zahn-
lauten) § 270.
as. a -t- W § 273.
as. a (sporad.) § 48 Anm. 1.
as. ö (< ug. au) verkürzt § 235. 241 (dox doch);
vgl. § 120 a.
as. u in bodd Butter u. a. § 241. Vgl. § 114, 1.
as. e od. o (vol wohl) § 189 Anm. 1.
hd. 0 § 189 Anm. 3.
as. Umlaut von o in geschlossener Silbe § 62.
as. ölü in geschlossener Silbe § 64.
as. jüngerem Umlaut von a in geschlossener Silbe
§ 63. § 274.
as. Umlaut von o vor r -+- Konsonant (ausser stimm-
haften Zahnlauten) § 269.
as. Umlaut von ti vor r -f- Konsonant (ausser stimm-
haften Zahnlauten) § 271.
158
Pri ö < 6) as. e^ e gerundet 277 a.
< 7) as. Umlaut von u in offener Silbe (sporad., z. B.
in äödl Schüssel) § 114 Anm. 2. § 242 u. Anm.
§ 200 Anm. 1.
< 8) as. jüngerer Umlaut von as. a verkürzt § 230, 2.
< 9) as. Umlaut von ö (< ug. ö) verkürzt in Verbal-
formen mit Synkope § 234 b.
10) as. Umlaut von ö (ug. ou) verkürzt § 236.
11) as. ö in zö, vö so, wie verkürzt § 120 a. § 296.
<
<
Pri u < 1) as. u in geschlossener Silbe § 66.
<
2) as. ujo in geschlossener Silbe § 60.
< 3) as. 1^ 4- rr § 135.
< 4) as. a vor Nasenlauten § 48 Anm. 1.
< 5) as. ü verkürzt § 237.
< 6) as. ö (ug. ö) verkürzt § 233. Vgl. § 120 a.
< 7) as. ö (ug. au) verkürzt (uk auch) § 241.
< 8) as. ä vor Nasenlauten verkürzt (brumlbeä Brombeere)
§ 229 Anm. 2.
< 9) franz. o (nasal) § 272.
Pri ü < 1) as. Umlaut von u in geschlossener Silbe § 68.
< 2) as. Umlaut von ujo in geschlossener Silbe § 69.
< 3) as. Wechsel von ujü in geschlossener Silbe § 68
Anm. 1 u. 2.
4) as. we, wi nach s § 128 Anm. 1.
5) as. i gerundet § 277 d.
6) as. e in zülm selbst § 277 d Anm., in füy fing § 53
Anm. 1.
7) as. Umlaut von ü verkürzt § 238.
8) as. iu verkürzt § 239.
9) as. Umlaut von ö (ug. ö) verkürzt § 234 a.
10) hd. ü § 192 Anm. 2.
<
<
2. Die halblangen Vokale.
Pri ä < 1) as. öj + r vor Lippen- und Gaumenlauten § 265.
(halblang) < 2) as. a -f- rr § 135 Anm. 1.
V
Pri ä < 1) as. e vor r -+- Lippen- und Gaumenlauten § 266.
2) as. e vor r -h „ „ „ § 267.
3) as. i vor r -}- „ „ „ § 268.
<
V
V
Pri i, u, ü < as. i, u, ü vor stimmlosen Verschluss- und Reibelauten
im Auslaut § 17, 3.
159
3. Die langen Vokale.
Vorbem. Die überlangen Vokale und Doppellaute Sl, e, t, ^,
ä, Oj 8, ü, Ü; ei, äij oii, öy sind nicht besonders aufgeführt. Sie stehen
in einem bestimmten Verhältnis zu den entsprechenden langen Vokalen
und sind zu beurteilen nach § 17 und § 227.
Pri a
Pri ä
Pri ä
Pri e
Pri
Prii
Pri 4
< 1
< 2
< as. e, e -|- rd-, rn-, rr- § 272.
<
<
<
<
<
<
<
<
<
<
<
<
<
<
<
<
<
<
<
1
2
3
4
5
6
1
2
3
4
5
6
7
8
1
2
3
4
1
2
3
4
5
6
< 1
< 2
äs. a in här hatte § 272.
hd. a in gär Garde § 249 Anra. 1
as. e in offener Silbe § 185. Vgl. § 197. § 206. § 211.
as. e- ^ „ , § 187. Vgl. § 197. § 198. § 211.
as. i „ „ „ § 188. Vgl. § 197. § 203. § 211.
as. eli„ „ „ § 187 Anm.
as. Umlaut von ^1 § 76.
as. -egi' § 177.
hd. ä § 76 Anm. 2.
as. e (ug. ai) § 81.
as. ew ^ 107 Anra. 2.
as. Umlaut von d vor und nach Hartgaumenlauten § 75.
as. Umlaut von a vor r § 75. § 258.
as. e •-\- r oder r vor stimmhaften Zahnlauten § 250.
as. et +- r oder r „ ^ » § 251.
as. i •+- r oder r ^ „ » § 252.
as. io -^ r ^ 261.
hd. ö § 107 Anm. 4. § 108 Anm. § 185 Anm. 3.
§ 187 Anm. 2.
as. l § 88.
as. t < lat.-rom. ö § 86.
as. i -H s^ § 194 b (in dlsl Distel).
hd. I § 104 Anm. 2. § 107 Anm. 4. § 188 Anm. 1.
as. ö § 71. § 73.
as. a in offener Silbe § 184. Vgl. § 121 e. § 198.
§ 205. § 211. § 221.
as. 0 in offener Silbe § 189. § 198. § 199. § 205. § 211.
as. u in offener Silbe § 191. § 211.
as. a 4- A 4- Vok., ^ -+- A -f- Vok. § 72.
as. a -\- st (sporad.) § 194 b.
hd. Ä § 71 Anm. 1. § 184 Anm. 2.
as. Umlaut von o in offener Silbe § 190. § 197.
as. Umlaut von u in offener Silbe § 192. § 203.
§ 206. § 211.
160
Pri i
Pri ö
Pri o
Pri u
Pri Ü
Pri ei
Pri äi
< 4
< 5
< 6
< 1
< 2
< 3
<
<
<
<
<
4
5
6
7
8
9
< 1
< 2
< 3
< 4
< 5
< 6
< 1
< 2
< 3
< 1
< 2
< 3
<
<
<
<
<
<
1
2
3
4
5
6
3) as. Umlaut von oju in offener Silbe § 203. § 192
Anm. 1.
as. jüngerer Umlaut von a in offener Silbe § 186.
as. jüngerer Umlaut von ä § 77.
as. e,i in offener Silbe {< ä) gerundet § 277 b.
as. ö (ug. au) § 94.
as. ö (ug. ö) in vö wie § 90 Anm. 2.
as. a 4- ^ oder r vor stimmhaften Zahnlauten § 249.
Vgl. § 121 e.
as. 0 H- r oder r vor stimmhaften Zahnlauten § 253.
as. u '■\- r oder r „ „ ?j § 255.
as. a (aha) -h r § 257.
as. ö (ug. ö) + r § 259.
as. 0 im Auslaut § 59 Anm. 2. § 108.
hd. ö § 94 Anm. 2. § 189 Anm. 3. Vgl. § 90 Anm. 3.
as. Umlaut von ö (ug. au) § 97.
as. ö (unorgan. Umlaut) § 94 Anm. 1.
as. Umlaut von o +■ r oder r vor stimmhaften Zahn-
lauten § 254.
as. Umlaut von w -f- ^ oder r vor stimmhaften Zahn-
lauten § 256.
as. Umlaut von ö (ug. ö) -f- r § 260.
hd. o § 98 Anm. 2. § 190 Anm. 1. § 192 Anm. 2.
as. ü § 100.
as. ü < lat.-rom. ö § 94 Anm. 3.
hd. Ä § 90 Anm. 2. § 191 Anm. 2 u. 3.
as. Umlaut von ä § 102.
as. iu § 104.
hd. ü § 92 Anm. 4. § 192 Anm. 2.
4. Die Diphthonge.
as. e (ug. e^) § 79.
as. io § 107. Vgl. § 245.
as. iujio § 104 Anm. 1. ,
as. ia, ißy i + A -h Vok.* § 245, 2 u. 3.
as. Umlaut von e (ug. ai) § 82 a. Vgl. § 83.
as. Umlaut von ä im Praeter, neim nahm u. s. f.
§ 76 Anm. 3.
as. e, i (> ä, ä) im Praeter, sreiv schrieb § 83 Anm. 2.
as. ei (ug. aÜ) § 84. Vgl. § 245.
as. i vor Vokal diphthongiert § 243 a.
as. Umlaut von e (ug. ai) § 82 b.
161
Pri di
Pri ou
Pri äj/
< 4
< 5
< 6
< 7
< 1
< 2
< 3
< 4
as. 'id, ii -f- Vokal diphthongiert (strichweise) § 246.
as. Umlaut von ö (ug. ö) entrundet § 92 Anm. 2 u. 3.
as. Umlaut von au (ug. auü) entrundet (strichweise)
§ 98 Anm. 1.
hd. ei § 82 Anm. § 88 Anm. § 121b.
as. au (ug. aü) § 73.
as. au (ug. auü) § 95.
as. 6 (ug. ö) § 90.
as. ü -<- Vokal diphthongiert § 243 b.
hd. au § 94 Anm. 2. § 100 Anm.
1) as. euw, iuw (ug. euü) § 105.
2) as. Umlaut von au (ug. auü) § 98.
3) as. Umlaut von ö (ug. ö) § 92.
4) as. Umlaut von üd, üi -f- Vokal diphthongiert
(strichweise) § 246.
5) hd. eu, äu § 97 Anm. 2. § 102 Anm. 2. § 104 Anm. 2.
5. Die Konsonanten.
Vorbem. Die stimmlosen Lenes v, s, g sind nicht besonders
aufgeführt. Sie sind nach § 14 zu beurteilen.
Prij < 1) as. ^' § 122. Vgl. § 123.
< 2) as. i 4- Vokal § 108.
< 3) as. g § 173 Anm. 2.
< 4) as. g (strichweise) § 7, 4 a.
< 5) as. d, ]>, d ^ 72 a. § 158.
Pri w < as. w nach k, t, d, s ^ 37. § 128.
Pri l < 1) as. / § 133.
< 2) as. U § 133. Vgl. § 293.
< 3) as. -Id' § 283 a.
< 4) as. r oder r in Fremdwörtern § 138.
Pri l eingeschoben § 134.
Pri F < as. l vor stimmhaftem Reibelaut § 18, 1. § 294.
(langes l)
< as. Im § 133.
Pri l
o
Pri r
< 1) as. r § 135.
< 2) as. rr § 135. Vgl. § 293.
< 3) as. -rd-, -rd- § 284.
< 4) as. -dr- § 290.
< 5) as. d^ J?, d zwischen Vokalen in jungem Auslaute
(strichweise) § 7, 2 a. § 158. Vgl. § 160.
Niederdeutsches Jahrbuch XXXI. 11
<
<
<
<
<,
<
162
Pri r < 6) as. mnd. -dd- § 159. § 290.
< 7) as. her- (Vorsilbe) § 111.
Pri f < 1) as. rr (nach a) § 135 Anm.
(s. § 40) < 2) as. d, J?, d zwischen Vokalen § 158.
< 3) as. r vor Lippen- und Gaumenlauten § 136.
Pri r < r vor stimmhaftem Reibelaut § 294.
Pri r umgestellt § 279.
Pri m < 1) as. m § 139.
< 2) as. mm § 139. § 29.3.
3) as. -mb' § 282.
4) as. -md' § 283 y.
5) as. n vor Lippenlauten § 143.
6) a«. n im Auslaut (sporad.) § 140 Anm.
7) as. w in mdn nur § 292.
Pri m < as. -md- § 293.
Pri m < 1) as. -|- Vok. -+- n nach Lippenlaut § 143.
2) as. -wen § 131.
3) as. -bm § 143. § 148.
< 4) as. bb H- Vok. + n § 147. § 289.
Pri n < 1) as. w § 141. Vgl. § 143.
2) as. nn § 141.
3) as. -nd- § 283 ß.
< 4) as. m im Auslaut § 140.
< 5) as. l (dissimil.) § 134 Anm. 1.
angetreten im. Anlaut § 141 Anm. 1.
eingeschoben § 144.
vor as. s und ]> § 142.
Pri n < 1) as. -nd- § 293.
< 2) as. n -h stimmhaftem Reibelaut § 294.
Pri n < as. Vok. -f- n nach Zahnlauten und stimmlosen Spi-
ranten § 143.
Pri y < 1) as. j; § 145.
< 2) as. -yg- § 283 S.
< 3) as. n vor Gaumenlauten § 143 Anm. 4.
Pri y(y) < 1) as. Vok. -|- n nach Gaumenlauten § 143.
(silben- < 2) as. -inon nach Gaumenlauten § 114, 3 ß.
bildend) < 3) as. -yg -f- Vok. 4- n § 175.,
< 4) -gg H- Vok. 4- n § 176. § 289.
Pri p < 1) as. j? § 146.
< 2) as. pp § 146.
<
<
163
Pri p < 3) as. bb (strichweise) § 147 Anm. 1.
< 4) 6 in Lehnwörtern § 147 Anm.
eingeschoben § 146 Anm. 2.
ausgefallen § 146 Anm. 3.
Pri J < as. b (im Anlaut) § 147.
<
<
as. bi' (Vorsilbe) § 110, 3 Anm. 2.
hd. b (im Inlaut) § 148 Anm.
p in Lehnwörtern § 146 Anm. 4.
<
<
<
<
Pri V < 1) as. «; § 126.
< 2) as. b § 148. Vgl. § 151.
< 3) as. b für /• § 151.
< 4) as. hw § 128.
< 5) as. mnd. -bb- § 147.
< 6) as. g im Inlaut (sporad.) § 177.
< 7) /* in Fremdwörtern (inlaut.) § 151 Anm. 2.
Pri jT < 1) as. f § 150.
< 2) as. /• für b § 149.
< 3) as. p vor t § 146 Anm. 1.
4) as. w (sporad.) § 131 Anm.
5) hd. /", pf § 151. § 153.
eingeschoben § 153 Anm. 2.
Pri ^ < 1) as. t § 154.
2) as. tt § 154.
3) as. d im Auslaut § 161.
< 4) as. d im Inlaut § 164. Vgl. § 158, 3.
< 5) as. ^ + i § 286.
6) as. t, tt -{- t (in synkopierten Verbalformen) § 154.
7) as. te- (Vorsilbe) § 110, 4.
< 8) hd. t § 163. § 158 Anm. 3. 4.
Pri ft < as. t, tt -{- t bei jüngerer Synkope § 154.
Pri t abgefallen § 155. § 168 Anm. 2. § 287 (sl < stl).
angetreten § 156.
Pri d < 1) as. rf, {), d im Anlaut § 157.
< 2) as. d, {), d vor l im Inlaut § 158. Vgl. § 159..
< 3) hd. d § 158 Anm. 3.
ausgefallen § 158 Anm. 5.
eingeschoben § 162.
Pri s < 1) as. s im Auslaut § 166.
< 2) as. s -\' tj p, l, THj n, w ^ 16Ö.
< 3) as. SS § 167.
< 4) as. hs § 180.
< 5) hd. s oder 0 § 156 Anm. 7.
11*
<
<
164
Pri s
Pri 0
Pri ts
Pri sjz
Pri z
Pri s
Pri Ä:
Pri g
Pri 3
Pri a;; 5^
Pri h
angetreten § 171.
< as. s § 165.
< 1) as. s im Anlaut § 165 Anm. 3.
< 2) hd. z, fe § 156 Anm. 7.
3) as. s nach ^ § 134 Anm. 2.
im Wechsel mit r (grammatisch. Wechsel) § 295 a.
< französ. ^ (e, i) § 123 Anm. 2.
as. sk § 169.
as. s + t, p, Ij m, n, w (in den Städten) § 8, 2.
§ 9. Vgl. § 168. .
as. s im Auslaute nach Konsonant § 170 und Anm.
hd. § § 168 Anm. 1.
lat.-frz. ti^ si -y- Vok. § 124 Anm. 1.
as. Ä: § 172.
as. hk § 172.
as. g nach y im Auslaut § 175.
as. -j^ in fäikif) Ferkel § 179 b Anm. 2.
as. g § 173.
as. gi- (Vorsilbe) § 110, 2 Anm. 1.
as. w zwiscken Vokalen § 130 u. Anm.
as. h (oder im Wechsel mit h) § 295 b, c u. Anm.
lat.-franz. J § 124 Anm. 1.
ch in Fremdwörtern § 179 b Anm. 2.
geschwunden § 173 b (in -rgen); § 177 (zwischen Vokalen).
< as. j zwischen Vokalen (?) § 123.
< 1
< 2
< 3
< 4
< 5
< 1
< 2
< 3
< 4
< 1
< 2
< 3
< 4
< 5
< 6
<
<
<
<
<
<
1) as. 5c § 179.
2) as. g im Auslaut § 174.
3) as. -gg- § 176. § 289.
4) as. g im Inlaut (sporad.) § 173 Anm. 2.
5) as. 'ft vor ^ § 152.
6) hd. cÄ § 172 Anm.
< 1) as. h § 181.
ausgefallen § 182.
angetreten (im Anlaut) § 182 a.
FRIEDENAÜ bei Berlin.
E. Maekel.
Niederdeutsches Jahrbuch.
Jahrbuch
des
Vereins für niederdeutsche SpracMorscliung.
Jahrgang 1906.
XXXII.
»:jg»)aiaF>z>~zicKiiee<*><g:
NORDEN imil LEIPZIG.
Diedr. Soltau 's Verlag.
1906.
Druck von DJtidr> Soltau in Nordeo.
Inhalt.
Seite
Die Mundart der Prignitz. Von E. Mackel 1
II. Hauptgesetze für die Geschichte der Mundart:
A. Vokaldehnungen 1
B. Vokalkürzungen 17
C. Diphthongierungen 22
D. Veränderungen der Vokale vor r 26
E. Einwirkung von 1 -(- Kons, auf vorhergehendes a 35
F. Einwirkung der Nasale 36
6. Labialisierung 36
H. Metathesis 37
I. Konsonantenassimilation 38
K. Dissimilation 41
Ij. Konsonantendehnung 42
M. Grammatischer Wechsel 42
N. Satzdoppelformen und Sandhierscheinungen 43
(). Lehnwörter und Fremdwörter 45
III. Relative Zeitfolge der Lautgesetze 52
Kinderspiele und Einderreime vom Niederrhein. Von Karl Caro .... 55
Ein ndd. Katechismus- Auszug des 16. Jahrh. Von Conrad Borchling ... 78
Beiträge zur Reuter-Forschung. Von Wilhelm Seelmann 81
Zar Entstehungsgeschichte einiger Läuschen Reuters 81
Die Fliegenden Blätter und andere literarische Quellen der Läuschen
Reuters 104
Fritz Reuters Reise nach Braunschweig 123
Diminutiva in der Mundart von Cattenstedt. Von Ed. Damköhler. . . .129
Dat Törfmakn. Von. Heinr. Carstens 134
Dat Klein. Von Heinr. Carstens 136
Dat Tegeln. Von Heinr. Carstens 137
Zu Meister Stephans Schachbuch. Von Rob. Sprenger 138
Die Schwalenbergische Mundart. Von R. Böger 140
Die Mundart der Prignitz.
(Fortsetzung, vgl. Jahrbuch 31, 65 fif.)
IL Hanptgfsetze fflr die Gesehiehte der Mundart.
A. Vokaldehnungen.
1. Tondehnung in offener Silbe, ausser vor r.
§ 183. Kurzer betonter Vokal in as. offener Silbe wird gedehnt.
Das Ergebnis dieser Tondehnung ist in der Prignitz stets ein weiter
(offener) Vokal, ausser vor r. Die Tondehnung war bei Beginn der
mnd. Periode schon vollzogen. Es werden gedehnt: a, o, u zu ä;
e, 6, % zu ä\ ö, ü zu &.
Da ä zur Zeit der Tondehnung noch Doppelkonsonant war (si),
so hat sich vor ihm keine Dehnung entwickelt; daher maä Masche,
vasn waschen.
Anm. 1. In den dnrch alte Synkope (§ 116, § 118 Anm. a) betroffenen
Verbalfonnen ist der Vokal knrz geblieben, z. B. kümt kommt, gift gibt, ärift
schreibt, süt schiesst, grkft gräbt, liöi hütet. Die Synkope mnss also vollzogen
sein, ehe die Tondehnung eintrat.
Anm. 2. Über das Nebeneinanderbestehen von kurzem und gedehntem
Vokal oder über Beseitigung solcher Doppel formen durch Ausgleich innerhalb
der Deklination und Konjugation s. § 195 if.
As. a.
§ 184. a > 5, z. B. mäky (as. makon) machen; väky (as. wakon)
wachen; läk f. Lake, Salzbrühe; zäk Sache (mehr in Meckl. als in
Pri, wo das hd. zax stark vordringt); ääk f. (vgl. mnl. schäkel^ ags.
scacul^ ne. shackle) Glied einer Kette; bräk f. Flachsbreche; stäky m.
Staken, Stange, dazu «/*-, up-stäky mit der Heugabel Stroh, Heu ab-,
aufladen; häky m. (as. hako) Haken; hläky russen von der Lampe;
dp Aflfe; sräpm schrapen, stark schaben; räpm raffen; lät (as. ^lato^
mnd. läte^ Adv. zum Adj. as. lat saumselig, spät) spät; fätn fassen;
drä-y tragen; klä-y klagen; mä-y m. (mnd. mäge f., selten m.) Magen;
jo-j^ jagen; säm (as. skavan) schaben; gräm m. Graben; ^rJm graben;
häm m. (as. havan) Hafen, Topf; läm laben; dräm traben; ^Jr, ädfn
Schade, schaden; vdfn waten; 7när f. (as. mapo schw. m. Wurm, Made)
Made; bäfn baden; Bär (zu as. *badu Kampf) Bade, n. pr.; läfn fas. hladan
st. Zw. wohinlegen) laden; läjtn (as. hladian) einladen; blärn (mnd.
Niederdeutsches Jahrbncb XXXII. 1
bladen) Blätter von Kohl, Runkeln zu Fütterungszwecken abstreifen;
grdm grasen; fdktcäzn (mnd. qiiaseti schlemmen) verschwenden; mäln
malen; man mahnen; häln (as. halon) holen; fiäm Name; ääm f. (as.
skama) Scham, Üffdäämt ausverschämt; hdm (zu as. hämo Kleid, Hülle,
mnd. häm ElüUe, Nachgeburt) Nachgeburt; swän Schwan; dazu wohl
swä^ Vb. imp (mnd. suänen) vorgefühlt werden; hän Hahn; befäln
bezahlen; zik väln (mnd. wälen) sich wälzen; gräm Gram; fän f.
(mnd. vane schw. m.) Fabne; länkzäm (as. langsamo lange) langsam;
nKv f. (mnd. näve^ vgl. ags. nafu) Nabe; zh,g f. (mnd. säge^ vgl. ags.
sagu) Säge; vk§ (as. loaga Wiege) Wage; kämä (as. kamara, mbr.
kämer < lat. camera) Kammer; dräk f. (mnd. dräke = lat. draco)
Drache, eine im Volksglauben eine Rolle spielende Feuererscheinung;
plätn Kuchenblech (mnd. pläte\ zu mlat. plattus < griech. TrXaTi»;?).
Anm. 1. Gehört gätlix recht leidlich za mhd. geteUx passend, angemessen,
und fäxäky verlegen, verbringen zn as. farsakan versagen, verlengnen?
Anna. 2. Es ist schwer, hochdeutsche Lehnwörter zn erkennen, da hd. ä
meistens ohne weiteres ä gesprochen wird (vgl. § 71, Anm. 1.). So stammen
einige der oben aufgezählten Wörter vielleicht ans dem Hd., wie gräm in der
Bedeutung Gram, fän in der Bedeutung Fahne. Sicher hd. sind tsäl Zahl,
tsäln Zahlen, dann däl^ Taler, mäkl Makel, die beide im Mnd. noch nicht belegt
sind, und täfl Tafel, da as. iafla^ mnd. iafel, taffei < mlat. "^tavla < tabula wohl
tafl ergeben hätten (vgl. Heilig § 71, Anm. 3); es wird zugleich mit grifl
Griffel der Gemeinsprache entlehnt sein. Hd. sind ferner satn Schatten (as. scado,
mnd. seh&de) und raxn Rachen (vgl. ags. hracü). Beeinflussung durch das Hd.
ist auch wohl bei grär grade anzunehmen (mnd. g(e)rade rasch, sofort).
Äs. e.
§ 185. As. e > ä, z. B. bäk f. (as. bekt) Bach; stär f. (as. stedi f.)
Stätte, Stelle; nä$ f. (mnd nese^ vgl. me. (dial ) nese neben näse) Nase;
rar f. (as. re^i f. oder re^ia f.) Rede; rärn (as. redion) reden; geMg
n. Gehege; dazu inhä-y einhegen, uphä-y (mnd. hegen umzäunen,
retten, sparen) aufbewahren; bätd besser; bätdn (as. betiron) bessern;
jä-y (as. gegin, mnd. jegen) gegen; rä-y regen; vätän (mnd. wetereti)
wässern, tränken (Vieh); stärd (mnd. steder) Städter; grävä (mnd.
gr6ver) Gräber, Späten; stä^ (mnd. stenen) stöhnen; bäziyk (vgl. mnd.
beseke, got. bast) Beere, bes. von Johannis- und Stachelbeeren gesagt;
däxlix (mnd. degelich neben dagelich) täglich; nädr^gä nachtragend;
gräzix (vgl. mnd. greselich) grässlich; zik ääm sich schämen; zik räkln
(zu mnd. reken = recken sich recken und strecken, oder zu mnd.
rekel grosser Bauernhund) sich faul und bequem hinlegen; ßämi
gewaltig (z B. ßämän keadl riesiger Mensch (= mnd. vlamesch flämisch;
ägt f. (as. egi^^a) Egge (in SPri); hämln einen Bock zum Hammel
machen.
Anm. 1. Über -ege- > S s. § 177.
Anm. 2. Min ekeln, Mlix eklich wird von Kluge im Wb. zu germ.
*aikla gestellt. Dem widerspricht &: ai Hesse in unserer Ma. e, höchstens ei
erwarten (§ 81 f.). Ich möchte lieber an mnd. eken eitern, ekich eitrig, oder
an ags. ece Schmerz denken. — Mutterseelenallein heisst in unserer Ma. möut'
^Uixale*n : ist das eine Entstellung des hd. Ausdrucks, od. vielmehr dessen Quelle ?
Anm. 3. deije^nix derjenige (mbr. jenick, jennich) ist hochdeutsch.
§ 186. Neben ä erscheint ein jüngerer Umlant ä, besonders
wenn eine umlautslose Form daneben besteht (vgl. §§51 und 77);
z. B. snkvl neben snävls (mnd. snevele) Schnäbel; swin Schwäne; nkgl
(mbr. negele) Nägel; näm Namen; ^ä/ Säle; rar Räder (§ 197); hlkkän
durch Rauch schwärzen; infkrn einfädeln. Mentz stellt Ikzich (mnd.
hmhf losich) kraftlos zu franz. las müde (Französ. im meckl. Platt IT,
Beilage zum Jahresbericht, Delitzsch 1998). Wie mir scheint, mit
Unrecht. Gehört es nicht vielmehr zu got. lasiws^ ags. leswe kraftlos?
fllkrich flatterhaft halte ich für verwandt mit ags. flacm* beweglich.
klktän rasseln, klappern, lässt sich zu ndl. klateren^ ml. clateren stellen,
klUä-nat bis auf die Haut durchnässt könnte zu ndd. klater Dreck
gehören (in unserer Ma. nicht mehr vorhanden), aber auch bedeuten :
so nass, dass die Tropfen auf den Boden fallen. In kvä aber (mnd.
aver, over aber, sondern, wiederum) scheint unorganischer Umlaut
Torzuliegen, OPri sagt übrigens meistens (iber (hd.). Bei swklk Schwalbe
(auch bei klktän und Ikzich?) liegt Labialisierung von ä > k vor,
8. § 277 b.
As. ^.
§ 187; As. e > 5, z. B. ätn essen, spräky sprechen u. and. st.
Ztw. der Kl. IV und V (§ 375, 377); zätn gesessen; häry, (as. hedon)
beten, dazu här-stun (vgl. mnd. hedevart Wallfahrt) Bet- d. i. Kon-
firmandenstunde; swäm schweben; fä-y (as. vegon putzen) fegen, eilig
laufen; swäln schwelen, langsam verbrennen; käl f. Kehle; välix (zu
as. wel^ wela wohl, vgl. as. welag wohlhabend, mnd. uelix wohlich)
übermütig, kraftvoll; lävix (vgl. as. levendich) lebendig (§ 413,
Anm. 1); näm (as. an-ehan) neben; räky rechnen u. a., s. § 114,8;
däkä-vöä {däkä < mnd. deker < lat. decüria zehn Stück) Dutzendware.
Anm. 1. Da anch as. kurzes i io offener Silbe > E wird (§ 188), so ist
in manchen Fällen nicht genaa festzustellen, ob ä auf i oder e beruht. Im As.
kommt gihan neben g'ehan vor (vgl. Schlüter, Ndd. Jb. XVII, 153), und niman
ist sogar weit häufiger als n'eman (Schlüter, Ndd. Jb. XVIII, 161); nach § 207
kann /Im leben ebenso gut von as. libbian wie von as. lebon kommen. Die
wichtigsten dieser zweifelhaften Fälle sind: g^m (as. g'ehan, gihan) geben;
nlm (as. niman, neman) nehmen; Ikm (as. libbian, lehon) leben; ktkm (as.
Hibon, kl'ehon festhalten, Wurzel fassen) kleben; vkxlk m. (mnd. w^seliß),
weselken n. ; vgl. ahd. unsala und ags. w'esle) Wiesel; l%.vä f. (mnd. l^ver, vgl.
ahd. l'ebara und ags. lifet^) Leber; tU f. (mnd. teke (as. tika?), vgl. mhd. zecke
und ne. tick, tike) Zecke, Schaflaus.
Anm. 2. Hochdeutsch ist re^/ Regel; möglicherweise auch ^E^/, ^a^/»,
da as. s'egel, s'egalan wohl xeiln ergeben hätte (vgl. § 177; mnd. segelen, seilen,
s%gel, seü', Richey, Idiot. Hamb. seilen); ^ä-^ sehnen (doch mnd. senentUken
voll Sehnsacht) ; tr^rn in üptr^rn auftreten, trotz as. iredan ; treten heisst sonst
pem, § 159.
1*
As. i.
§ 188. As. » > mnd. e > ä^ z. B. frär (as. fri^u) Friede; smärn
(as. smij^n) schmieden; smär f. (mnd. smide < as. ^smiHa, vgl. rar <
redia und Holthausen, As. £1. § 208); slärn m. (mnd. slede^ vgl. an.
sMi und sfedi) Schlitten; snär f. (mnd. snede) Brotschnitte; swäp f.
(mnd. swepe, vgl. ags. swipu) Peitsche; ^Ä^ m. (mnd. schale) Schiss;
kwäk f. (vgl. mnd. queken triticum, and. quik lebendig und ags. ctvice
Unkraut); räp f. (mnd. repe) Riffel; vär f. (mnd. wBde, vgl. afries. tvithe)
zum Binden und Flechten dienende Rute, bes. von Weidenreisern;
sträk f. (vgl. mnd. streke Strich, ags. strica Strich, Linie) ein Werk-
zeug, mit dem die Sense ^gestrichene, d. i. geschärft wird; sträky
(mnd. streken) den Acker stürzen; bätn < hätken (§ 286) (zu as. biti^
mnd. hete Biss) bischen ; splät-holt (mnd. spWe Spliss) Spleetholz ; trär f.
(mnd. trede m. Tritt, Stufe) Trittbrett am Webstuhl; zkv n. (mnd. seve^
vgl. ags. sife) Sieb; iät? (mnd. scheve, vgl. ne. shive und shiver) Splitter
(Abfall) der Hanf- und Flachsstengel; tie f. (mnd. teve, vgl. ags. tife)
Hündin; d&g f. (mnd. dege Gedeihen, tüchtig) Gedeihen, beginnt zu
veralten; dsizn vfohl värd-dSigs störrisch, widerspenstig (vgl. aber mnd.
wedder-dedinge < degedinge Widerspruch) und dägän (mnd. degerj
degeren Adv. völlig) sehr, stark; gräps (zu mnd. grepe Griff) raff-
süchtig; bät^ (mnd. betesch) bissig; zäln m. (mnd. sele f. Riemen;
Sielenzeug) Sielenzeug; lä-n (as. hlinon) lehnen, dazu län f. Lehne;
släpm (mnd. slepen < as. *slipon^ im Ablaut zu sUpan schleifen)
schleppen ; dräm (as. *drihon, im Abi. zu drihan treiben) läufisch sein
(von der brünstigen Hündin); bä-vän (zu as. bihon) beben; nä-y (as.
nigun); päk f. (as. ^piki) Salzbrühe; daher wohl nach § 412 päklfles
Pökelfleisch, vgl. aber § 221); in-päkln (mnd. pekelen) einpökeln; däl f.
(mnd. dele, vgl. as. ^ili^ Petrier Glossen, bretterne Erhöhung, ags. pile)
Flur, Fussboden (nicht nur von Brettern, z. B. ä&n-däl Scheuntenne)
niemals Brett, s. Damköhler, Ndd. Jb. XV, 51, der däl Flur und däl
Brett voneinander hält. Hierher gehören die Partiz. Praet. der st.
Ztw. I, z. B. bätn (as. gibitan) gebissen (§ 367). Veraltet ist twään
Zwillinge (mnd. tweseke, vgl. sls, gittvisan); dafür jetzt halbhd. ^i/^tV/ij^A:.
As. *unsa, mnd. uese Wiese (so auch mbr. neben wische < *wtska § 232)
ist erhalten in wäs-bötn Heubaum, für das die nordwestl. Ecke der
Pri (mit Boberow) bäsböm sagt (§ 126 Anm.). Interessant ist auch
vä'Vin Ackerwinde, Convolvuli^ arvensis, eigentlich Holz winde: vävin <
mnd. wedemnde Zaunwinde, ligustrum (§ 115,5), dieses < as. *widu'
winda (vgl. as. widuhoppa Wiedehopf, ags. wuduwinde^ und Walther,
Ndd. Jb. XVIII, 138). tskg f. (mnd tzege^ sege < ahd. ziga\ das as.
Wort war gel) Ziege, ist eins der ältesten Lehnwörter aus dem
Hochdeutschen.
Anm 1. Neben .^Ä'ä^ existiert tsik < ahd. zicchi, neben ^^/n das halbhd.
biiän bischen, neben t^vfi^näin ^5»/* weibliches Kaninchen, Lamm. Hochdeutsch
sind ferner: a) kitl (vgl. mnd. kedele) Kittel; vitvi, vitve (gewöhnl. vüfrou)
Wifwer, Witwe (vgl. as. ividowa, mnd. wedewe)^ grif (mnd. grepe) Griff, vox f.
(as. tüikaj mnd. weke) Woche, xixSi, fOr zäki sicher (§ 221); wahrscheinl. aach
^177?/ Himmel (mbr. hemelj henimel und himmel) und bilt Bild: as. bili^i masste
mnd. beide ergeben, was auch die gewöhnliche Form im Mbr , so immer in
mcbeldCj ist (Granpe S. 15); vgl auch mnl. beeide, — b) xlx, xi9 Sieg, siegen
(mDd. seghe)\ zigl, zigln Siegel, siegeln (mnd. seghel, segeln < lat. sigülum;
schon mbr. sigel vielfach statt segel); rts (mnd. rese < as. tvrist Riese);
siß Schiefer; strigl f. Pferdestriegel; sin Schiene; n^/ Riegel, spls (mnd. spet)
Spiess; las Kies; smgkmud^ Schwiegermutter; blbl Bibel; neben let (§ 197 Anm. 2)
steht das hd. ght Glied.
Anm. 2. Für das Meckl. kommen noch fäl viel und spain spielen in
Betracht; über die entsprechenden labialisierteu Formen der Pri /ä/, spkln, wie
auch über z&m 7 vgl § 277 b.
Anm 3. Das e in vetn wissen (für väln < as. witan) stammt aus dem
Sing. Praes. tvet (as. wet^ e < a%).
Anm. 4. As. imu ihm masste äme, inu ihn äne ergeben. Ersteres ist
infolge häufiger Tonlosigkeit und enklitischen Gebrauches über em (so Meckl.)
zn km geworden und vertritt auch den Akkus, (vgl. § 347).
Über andere sekundäre Verkürzungen von <!>e, Hs. §241.
As. 0.
§ 189. As. 0 > mnd. ö, a > d, z. B. d-m Ofen; dprn oflfen;
sprät f. Leitersprosse; kdtn m. (mnd. köte n. f.) Tagelöbnerhaus;
2äl f. (as. sola Fusssohle) Stiefelsohle; bd-y ra. Bogen; kldm (as. kloho)
Kloben Holz; gespaltener Huf; bdl f. (mnd. böte, vgl an. io/r Stamm)
Bohle; bdr Bote; kndky Knochen; swlns-kdm (mnd. köve{n) Hütte,
Verschlag, vgl. ags. cofa Gemach) Schweinestall; kdl f. (mnd. köle)
Kohle; gräpm m. (mnd. gröpe) kesselartiger Topf; bdm oben; Idm
loben, geloben; rdru (mnd. roden) roden, reuten; fdln fohlen; kdky
(mnd. koken < mlat. coc«r^ für coquere) kochen. Hierher gehören die
Partiz. Praet. der st. Ztw. II, z. B. gdfn gegossen (§ 369 f.) und der
St. Ztw. IV, z. B. stdln gestohlen (§ 375).
Anm. 1. vol wohl ist entweder entstanden aus as. wel (man würde aller-
dings völ erwarten § 277a)j oder aus einem Eompromiss zwischen as. wel nnd
wola, oder es verdankt sein kurzes o seiner häufigen Tonlosigkeit.
Anm. 2. Der Umstand, daas ä auch = hd. ä ist (§ 71), hat veranlasst,
dass gi'dpm und kdtn falsch zu gräpen^ kkten verhochdeutscht sind ; richtiger
wäre gr^peUf köten.
Anm. 3. Hd. Ursprungs sind a) hofn (mbr. höpen) hoffen; got Oott,
(len. gots (mnd. gädeSj immer ghdes geschrieben, s. Anm. 3). b) iöm (as. dohon
rasen) toben; gevö'nt, gevö'nJAit gewohnt, Gewohnheit; gebot Gebot (biblisch),
vgl. § 197, Anm. 3; /n9S, höxn Hose, Hosen (mnd. höse Strumpf), doch findet
sich das lautgesetzliche hdxy. noch in SPri, in NPri nur in der veraltenden,
weil nicht mehr verstandenen Redensart: hei f^-xüpt nox hdzn un vamxn
er vertrinkt noch Hose und Wams. — Die echte mnd. Form für „oder" scheint
edder gewesen zu sein. Aber gerade in mbr. Urkunden (Tümpel, Ndd. St. S. 24)
findet sich dafür häufig odder und oder^ wohl unter hd Einfluss. Dem odder
entspricht die heutige Aussprache orll, dem oder die Aussprache örl. Doch
scheint edder fortzuleben in Ansdrflcken wie stükSif 8tük9fA axt gegen acht Stück;
puntl^, puntdrA nÄ-» ungefähr 9 Pfund; jö'drtA xk-m ungeföbr 7 Jahre,
Uok9rA zSi-m gegen 7 Uhr u. s. f. Nach Höfer Qerman. XIV, 209 ist stük^y
sWksnk axt aus en stück edder acht entstanden. Doch könnte dieselbe Ver-
kürzung auch aus oder entstehen, s. Grimm, Dt. Wb. III, 114.
Anm. 4. Wie auf der Wenkerschen ,schlafen^ -Karte die Mecklenb.
Landesgrenze ein nördl. schUpen-Qehiet von einem südl. schloapen-Gehiet trennt,
so auf der ,Ofen'- Karte ein nördl. o^^n- Gebiet Ton einem südl. o6en- Gebiet.
Ich habe schon § 71, Anm. 2 darauf hingewiesen, dass bei beiden Wörtern in
beiden Gebieten ä gesprochen wird, dass es sich also gar nicht um einen
lautlichen, sondern um einen graphischen Unterschied handelt. Ebenso
wenig aber haben wir es mit einem Lautwandel, mit einer „ Senkung des o zu a'
(Lübben S. 15, Graffunder, Ndd. Jb. XIX, S. 132 f., Tümpel, Ndd. St. S. 22 f.)
zu tun, wenn in mnd. Urkunden, mit dem 14. Jhd. anfangend, in immer
zunehmendem Masse, für tonlanges ö ä geschrieben wird, z. B. gsdes Gottes,
kpen offen, spr&ken gesprochen. Es handelt sich hier sicherlich nicht um einen
Lautwandel, sondern um einen Wandel in der Schreibung. Tonlanges o war
schon im Mnd. sicher weites d, und dieses ä wurde durch o, das Schriftzeichen
auch für enges ö < au nur sehr ungenau wiedergegeben. Jedenfalls eignete
sich von Yorneherein ä ebenso gut wie ö zur Wiedergabe des d. Nun aber
nahm noch dazu im grössten Teil Niederdeutschlands sowohl altes wie tonlanges ä
immer mehr eine o-Färbung in seiner Aussprache an, und wir dürfen annehmen,
dass im 16. Jahrb. ä schon ä gesprochen wurde. Was lag da näher, als in
diesen Gegenden nunmehr ä mit seinem neuen Lautwert auch zur Darstellung
des ä < 0, u zvL verwenden?
Umlaut zu o.
§ 190. Mnd. o > a, z. B, kktnd (mnd. kStenere) Kätner; knkkan
knöchern; b&mlst oberste; tkgdn zögern; stkkAn (vgl. mnd. stöken)
stochern; pktdn (vgl. ndl. potei'en^ peuteren in etwas herumstören)
Obst, Nüsse mit der Stange abschlagen; nkln. (vgl. ndl. neutelen) trödeln;
rky (mnd. rogen) Rogen; mkglix (mnd. mogelik) möglich; krkt in lüt
krkt kleiner Kerl, krktix klein, aber keck.
Anm. 1. Als hochdeutsch erweisen sich durch ihr 6: 8/ Öl; Mflix
höflich; A;8^ä (mnd. h^terhurU^ A;5^er), das zu kdtn Katen und kktrA gehört.
As. w.
§ 191. As. w > mnd. ö > 5, z. B. kd-m (as. kuman) kommen,
gekommen; ndni, (as. gi-numan) genommen; fdgl m. {a,s, fugal) Vogel.
Anm. 1. Es lässt sich nicht immer erkennen, ob einem d as. u oder o zu
Grunde liegt: vdn wohnen kann gleicherweise auf as. vmnon als wonon, frdm
fromm (von Tieren), mnd. vrhme auf as. fruma und froma (s. § 205) zurückgehen.
Anm. 2. Hochdeutsch sind a) vielleicht xom^ Sommer, da as. sumar,
mnd. sömer hatien xdmSk erwarten lassen. Vgl. aber § 241. b) siüv f. (mbr.
Ä/öt'ß) Stube ; jnr m. (as. judeo, mnd. jode) Jude ; kügl Kugel, ^üb/, dä»t (mbr.
jöget, döget) Jugend, Tugend ; pmü Pudel.
Anm. 3. Merkwürdig ist htvl Hobel (mnd. hZvel, holst, /rät;/; aber
Glflckstadt hnwl), Haben wir es hier mit einer verkehrten Verhochdeutschnng
des als plattdeutsch aufgefassten hd. höbet zu tun? Vgl. § 302, Anm. 1.
Umlaut von as. u.
§ 192. Mnd. o > i, z. B. fkffl Vögel, hk§ m. (as. huffi Gedanke,
Gemüt) Freude, dazu zik hky sich freuen (§ 207); lk§ f. (as. lugina
§ 337) Lüge; dkzix (mnd. dosich, vgl. ags. dysig) dummerhaft, dazu
dhzn zwecklos umhergehen; bkn ra. (as. 6wwt, mnd. bone u\. f.) Decke,
Boden, Speicher; zkg f. (as. suga^ mnd. söge) Sau; z&n (as. swwtf,
mnd. sow^) Sohn; dr&n (mnd. dronen dröhnen, vgl. an. drynja brüllen,
ndl. dreunen) 1. dröhnen, 2. langweilig und unverständig schwatzen;
snkv m. (vgl mnd. snove, zur Wz. snnb schnauben) Schnupfen; grktm.
(as. *grutij belegt ist gnot^ vgl. mhd. grüz) steiniger Kiessand; mSiff
(as. mugan) mögen; dky (as. dugan) taugen (der Umlaut stammt aus
dem Optat mugin^ dugin); kzl f. (mnd. ösele^ vgl. ags. ysle und mhd.
mele) glimmende Lichtschnuppe.
Anm. 1. In folgenden Wörtern ist nicht klar zu erkennen, ob ü oder ö
zii Grande liegt: ght f. Ansgnss, Gosse (mnd. gMe könnte anf as. *guti zurück-
geben); kv% ttber, kvlix übrig (as. ohar, aber auch uhar^ vgl. an. yfer, ahd.
uber)\ kkk f. Küche, dazu kkks Köchin (mlat. cochva < coquina m^sste as.
*kukma (vgl. ags cycene) ergeben; belegt ist nur koka (Freckenhorst. Heberolle);
mnd. kMene, k^ke s. § 337); fKnun^k Wohnung f. (mud. wöninge) s. § 191, Anm. 1.
Anm. 2. Hochdeutsch sind a) hüps hübsch; b) k^nix (as. kuning,
mbr. k^ningj k^nig)) prügln prügeln.
Anm. 3. Über h verkürzt > ö s. § 241.
2. Tondehnung in oflFener Silbe vor r.
§ 193. Kurzer, betonter Vokal in as. offener Silbe, wenn die
folgende Silbe ursprünglich mit einem r beginnt, wird ebenfalls
gedehnt, aber zu einem engen (geschlossenen) Laut. Es werden
gedehnt: a, o, w > ö; e, e\ i > e\ ö, ü > o, z. B. vöän (as. waron)
dauern (von Obst); neän (as. nerian) nähren; be-g^dn (as. geran)
begehren; eä (as. tVo, ira) ihr; böän (as. boron) bohren; bodn (as.
burian) tragen, heben.
Näheres s. im Kapitel von den Veränderungen der Vokale
durch r §§ 248 ff.
3. Tondehnung in geschlossener Silbe.
§ 194. Kurze, betonte Vokale in geschlossener Silbe werden
in unserer Ma. lang nur a) vor r im Auslaut oder vor r -f- stimm-
haftem Zahnlaut, b) sporadisch anscheinend vor st. Das Ergebnis
ist vor r dasselbe wie im § 193. Beispiele: B),böd (as. bar) bar;
8
födt (as. fard) Fahrt; sp^d (as spar) Speer; v^dt (as. werS) Wert;
tw^dn Zwirn; död (as. dor) Tor; vödt (as. word) Wort; hodn (as hörn)
Hörn; fdtodn erzürnen. Näheres s. § 264 fF. b) plästd m. (mnd.
plaster^ as. plaster, für das Holthausen, As. El. § 89, u. Wadstein,
Glossar, m. E. mit Unrecht plastar ansetzen, vgl. ahd. pfl^tar < mlat.
plastrum < gr.-lat. etnplastrum Wundpflaster); dtsl m. (as. pistil)
Distel; kndsddn prasseln; räsddn rasseln. Über Vokaldehnung vor st
im Englischen vgl. Morsbach, Mengl. Gr. S. 82.
Anm. lulant. st wurde zur folgenden Silbe gezogen (vgl. Morsbach,
Me. Gramm. § 62). Das ist auch der Grund, warum vor st niemals Verkürzung
eingetreten ist, z. B. jrresti Prediger.
4. Lautgesetzlicher Wechsel zwischen kurzem und langem Vokal.
§ 195. In der Flexion des Nomens und des Verbums mussten
vielfach innerhalb desselben Paradigmas Formen mit langem und mit
kurzem Vokal entstehen, je nachdem der Vokal in offener oder in
geschlossener Silbe stand. Diese Doppelformen sind noch in vielen
Fällen erhalten.
a. In der Deklination. § 196. Bei Haupt- und Eigenschafts-
wörtern, die auf einen einfachen Vokal ausgingen, musste in der
unflektierten Form der kurze Vokal erhalten bleiben, in der flektierten
Form aber der lange Vokal eintreten. Das ursprüngliche Verhältnis
ist noch in vielen Wörtern bewahrt, mit der Beschränkung jedoch,
dass jetzt der ganze Singular die Kürze, der ganze Plural die Länge
aufweist. Ursprünglich aber fand auch im Singular ein Wechsel statt,
indem der Gen. und Dat. langen Vokal zeigen musste: mnd. schip
Schiff wurde in der Einzahl abgewandelt: schip, schepes, schepe, schip.
Dieser Wechsel musste schwinden mit dem Untergang eines organischen
Genetivs und Dativs (§ 317). Er erscheint aber noch heute in einigen
erhaltenen isolierten Resten der beiden Casus (§ 198 und § 318).
a) Hauptwörter. § 197. dag (as. dag) Tag — dkgTsige; Uix n.
(mnd. lax) die für jeden Dreschgang auf der Tenne ausgebreitete
Schicht aufgelöster Garben — Mz. lä-y, stvat n. (mnd. swat, vgl. ags.
swää, swadu Spur) eine Reihe gemähten Grases — Mz. swär; — slax
Schlag; grösseres Ackerstück — Mz. s/ä^; glas Glas — Mz. glsis;
stat f. (as. stad) Stadt — Mz. stär] fddräx Vertrag — Mz. fddrSig;
rat Rad — Mz. rar Räder; blat Blatt — Mz. blärä; graf Grab —
Mz. grävd ; staf Stab — Mz. stkv (Gehört dazu stäm < st^ven so aus-
sehen wie?); vex Weg — Mz. vkg; stex m. n. Steg — Mz. s^ä^; bret
Brett — Mz. brär und brärä; smet (as. smi\i) Schmied — Mz. smär\
äep (as. skip) Schiff — Mz. säp; let n. (as. /*{) Glied) Glied in /i'yrf-fe^
Fingerglied, let n. (ags. hlid Deckel) in ö-y-let Augenlid — Mz. lär;
hof Hof — Mz. Aät5; trox Trog — Mz. trkg; tox m. (mnd. toch) Zug
— Mz. tkg.
9
Anm. 1. Frttber geborte hier noch her teU Zahl — Mz. täln] es ist
jetzt in Pri (nicht in Meckl.) dnrch das hd tsäl^ tsäln fast ganz verdrängt, wie
anch tox Zog immer mehr dnrch das hd. tsux — is{ig ersetzt wird; hJät in
den Eollektivbegriffen köl-blätt ruM blät, Kohiblat, Runkelblat scheint mir
eine Neubildung ans dem Zw. bldm Blätter abrnpfen zu sein, aus einer Zeit, wo
noch bläden gesprochen wurde; ein as. *gi'bladi hätte blär ergeben.
Anm. 2. Die heutigen Einzahlformen smet Schmied, sep Schi£f, let Glied,
Lid sind als Kompromiss formen aufzufassen. In dem lautgesetzlichen
Paradigma smit — sni^r, äip — «äp, lit — /Sr (mnd. smit — smede, schip
sckepCj lit — lede vgl. § 188) standen i und ä zu weit von einander ab, um
ooch als organisch zusammengehörig empfunden zu werden; so trat der e-Laut
aas der Mehrzahl in die Einzahl, die Kürze der Einzahl aber wurde bewahrt.
Vergleiche über ähnliche Fälle quantitativer Angleichung in der Ma. des Tauber-
grandes Heilig § 159, Anm. 1. Zu st^l (as. stil) Stiel vgl. § 203. Ich kenne
nur ein Hauptwort, wo sich in der Einzahl i z. T. erhalten hat: spil Spiel.
Atts mnd. spil — speie ist durch Labialisierung spil — spkle geworden (§ 277 b).
Der Vokal der Mz. ist seiner Qualität nach in die Einz. getreten, das neue spöl
hat aber das alte spil nicht ganz zu verdrängen vermocht. Die Mz. spU, wird
übrigens fast nicht gebraucht.
Anm. 3. kaf (mnd. kaf^ Dat. k^ve) Kaff, Getreidehttlsen, gras n. (as. gms)
Gras, draf m. (mnd. draf) Trab, blek (as. bUk) Blech; pik n. (as. pik < lat.
jDiccw. mnd. pik — pekes) Pech ; stof m. (mnd siof — stöves) Staub ; lof n.
(as. lof) Lob; boty gebot n. (as. gebot) Angebot kommen nur im Singularis vor.
§ 198. Gelängter Yokal in der Einzahl findet sich noch in
einigen erstarrten Genetiven und Dativen, die als formelhafte Wen-
dungen weiterleben; z. B. bi dkg bei Tage; Mt^sdkgs {< mnd. hüdes
däges) heutzutage; aldkg% alltags; in vkg stän im Wege stehen;
goutouvkg gut zu Wege; tou hkv gän zu Hofe gehen, d. h. als Tage-
löhner auf einem Gutshofe arbeiten ; hkvgeyä Hofgänger, Hoftage-
löbner (vgl. ags. hovaward Hofhund); bärstun Betstunde, d. i. Kon-
firmationsstunde, wenn bar hier nicht verbaler Natur ist; ddl nieder,
herunter < as. te dale (§ 111, Anm.).
ß) Eigenschaftswörter. § 199. Es kommt nur in Betracht ^^ro/*
grob, das flextiert noch zuweilen gräm (< gräven) heisst, z. B*. hei
isn gräm hunt er ist ein grober Kerl. Doch dringt kurz o vor; die
Mz. heisst schon meistens grofn, der Komparativ immer gröfä gröber.
Neben fäl viel (§ 277 b) hört man in OPri singularisch vielfach ßl.
b. In der Konjugation. § 200. Es kommen hier diejenigen
st Ztw. in Betracht, in deren Stammsilbe auf kurzen Vokal einfacher
Konsonant folgt, d. h. die Ablautsreihen IV, V und VI (§§ 375, 377,
380). Bei ihnen konnte im flexionslosen Imperativ und infolge alter
Synkope des Endungsvokals auch in der 2. und 3. Pers. Präs. Sg.
keine Tondehnung eintreten, so dass innerhalb des Präsensstammes
ein Wechsel zwischen langem und kurzem Vokal entstehen musste:
z. B. näm nehmen, Präs. näm, nimst^ nimt, närn^ Imper. nim\ gäm
geben, Pr. gSiv gifst^ gift^ gärn^ Imp. gif\ kam kommen, Pr. käm^
kümst, kümty kam, Imp. kum; gräm graben, Pr. grkv, 9^öfst, groß, gräm.
10
Anm. 1. In der Klasse VI (gräm) ist der lange Vokal hereits in den
Imperativ vorgedrangen, z. B. ffrht grabe.
Anm. 2. Bis vor nicht langer Zeit gehörten hierher anch die Präterita
der st. Ztw. IV und V, in denen die Einz. a, die Mz. ei aufwies (< mnd. a-e),
z. B. gaff was gab, war — gei-m, veSin gaben, waren. Heutzutage ist der
Pluralvokal fast vollständig durchgedrungen: gaf was hört man nur noch bei
sehr alten Leuten. Vgl. § 37ö, Anm. 2 und § 377, Anm. 1.
Beachte den Wechsel zwischen langem und kurzem Vokal in
max^ mk-y mag, mögen, und in dkg^ döxst^ döxt^ dk-y tauge, taugst,
taugt, taugen. Auf einem grossen (Jebiete von Meckl. sind hier noch
aufzuzählen; zal — zkln soll — sollen (Pri: zal — zöln § 208) und
nach falscher Analogie von max — mä-y, zal, zkln auch kan — kkn
kann — können (Pri: kön).
5. Lautgesetzlicher Wechsel zwischen langem und kurzem Vokal
ist ausgeglichen.
§ 201. Viel häufiger ist der Fall eingetreten, dass ursprünglich
innerhalb desselben Paradigmas wohl Doppelformen mit Kürze und
Länge nebeneinander bestanden haben, dass aber bald die einen, bald
die anderen durch Ausgleichung beseitigt worden sind.
In der Deklination der Hauptwörter. § 202. Der kurze Vokal
der Einz. hat gesiegt in fat n. (as, fat Gefäss) Fass — Mz. fdfd;
dak Dach — Mz. däkä\ fak Fach - Mz. fäkä\ slot Schloss (an der
Tür) — Mz. slötä] lok (mnd. lok, Gen. lockes Loch, vgl. ags. loc
Verschluss) Gefängnis, Loch — Mz. lökä\ aap n. (as. skap Gefäss,
Fass) Eüchenschrank — Mz. äapm,
Anm. Man beachte, dass alle diese Wörter auf eine stimmlose Fortis
und in der Mz auf -er ausgehen.
§ 203. Für die Verallgemeinerung des langen Vokales lässt
sich ein ganz reinliches Beispiel nicht anführen. Mit Wahrscheinlichkeit
aber gehören hierher: stäl Stiel und ^-a/ Saal. As stil (< lat. stiltis)
musste im Mnd. stil — Mz. stele ergeben; das heutige stäl könnte
sein ä also sehr wohl aus der Mz. haben. Nun existiert aber auch
ein ags stela (Kluge, Wb. unt. Stiel); ein entsprechendes as. ^stela
hätte ebenfalls stäl ergeben. — Die as. Form von zäl Saal ist seit m.
Im Mnd. dringt neben sele ein sal durch, mit der Mz. säle (vgl.
Behaghel, PGr. I, S. 759). Aus säle musste in unserer Ma. zäle^ zäl
werden, und dieses wird sein ä der Einz. aufgedrängt haben. Da
nach Schwund des End-^ nun Einz. und Mz. zäl lauteten, so wurde
ein neuer PI. mit Ablaut zkl gebildet. — nkt f. Nuss würde hierher
gehören, wenn man auf Grund des mnd. not f. und des an. knot berechtigt
wäre, ein as. "^hnot als Grundform anzusetzen. Ist aber *hniUa (vgl.
ags. hnuta) die Grundform, so wäre wie in zkn < sunu Sohn die Länge
lautgesetzlich, und nur der Umlaut wäre aus dem PI. in den Sgl.
11
gedruDgen. — Merkwürdig ist auch die Form tän m. Zahn. Sie
erklärt sich gut aus dem Mnd. tan — t6ne; dieses aber erklärt sich
sehr schwer aus dem as. tand — tende^ zu dem sich mnd. tant —
tande stellen. Vgl. § 281 c Anm.
In der Deklination der Eigenschaftswörter. § 204. Der kurze
Vokal der flexionslosen Kasus ist verallgemeinert worden in: nat
nass, Mz. ncUn^ Kompar. ndtä\ stcak schwach, Mz swaky^ Kompar.
swdkd\ tarn zahm, Mz. tam^ Kompar. tdmä\ smal (as. smal klein)
schmal, Mz. smaln^ Kompar. smdld; ^a^ satt, Mz. 2:a/n, Kompar. ^^^f^d;
glat glatt, niedlich, Mz. glatn^ Kompar. gldtä\ glat dedn niedlic|ies
Mädchen; slap schlaff, träge, Mz. slapm^ Kompar. sldpd; spak dijrr,
trocken, Mz. spaky^ Kompar. spdkd\ hol (as. hol) hohl, &Iz. Aö/w,
Kompar. hold.
Anm. Über grof gtoh s. § 199; gram feindselig kommt nur prädikjitiv
vor: hei is mi gi^am tou er ist mir feindselig gesinnt; hlekkn blechern hat
seine Kürze vom Hauptwort hlek.
§ 205. Aus den zweisilbigen Formen ist der lange Vokal auch
in die unflektierten Formen gedrungen bei Idm (as. lam) lahm; §dl
schal; främ (mbr. vröme) fromm, nur von Tieren gesagt; from (von
Menschen, in kirchlichem Sinne) stammt aus dem Hochdeutschen.
In der Konjugation. § 206. Der § 200 angegebene Wechsel
zwischen langem und kurzem Vokal im Praesensstamme der Ablauts-
reihen IV — VI ist zuweilen zu gunsten des langen Vokals ausgeglichen,
z. B. stäl^ stälsty stält stehle, stiehlst, stiehlt; befäl^ befälst^ befält
befehle, befiehlst, befiehlt; last liest neben list\ Idrst, Idrt (selten löt)
ladest, ladet; M^, h&tst^ h&tt hebe, hebst, hebt (§ 207); auch bei
gräm graben hört man schon grkvst^ grkvt, was damit zusammenhängt,
dass es, wie mdln mahlen, schwach wird.
§ 207. Bei den kurzsilbigen Wörtern der ^'a-Klasse musste
im Praesens ein Wechsel zwischen Länge und Kürze des Vokals ent-
stehen: jukkian jucken konjugierte jukkiu^ jukis, jukid\ jukkiad^ d. h.
es mussten im Mnd. die 2. und 3. P. Sgl. laugen Vokal erhalten.
Bei den meisten der hierher gehörigen Wörter ist der kurze Vokal
durchstehend geworden. Einige haben aber doch den langen Vokal
erweitert: j^ky {sls. jtückian) jucken; zik kk-y (as. htiggian sinnen) sich
innerlich freuen; beväy (as. weggian) bewegen; spän (as. spennian)
entwöhnen (von der Muttermilch); tarn (mnd. temmen, temen) zähmen.
Auch ein starkes Zw. gehört hierher: häm (as. hebbian) heben: es
flektierte im Sg. Präs. hebbiu, hehis, hebit und bot daher im Mnd.
denselben Wechsel wie z. B. jukkian.
Anm. Hieber würde auch gehören /am leben, wenn es auf libbian beruht
nnd nicht auf lehon (vgl. § 171, Anm. 1). Unsicher ist, ob das schw. Ztw.
bvl.ln quälen auf as. quelan st. Ztw. Qual leiden oder as. *quellian Todesqual
bereiten (vgl. mnd. quelen und quellen), h&ln hehlen schw. Ztw. auf as. helan
8t. Ztw. verhehlen oder as. hellian verhtlllen beruht.
12
§ 208. Der kurze Vokal ist verallgemeinert in zal^ zöln soll,
sollen: as. skulum musste langen Vokal geben, wie denn Meckl. auch
wirklich strichweise zhln sagt (§ 200). Die Kürze stammt aus der
Einzahl, oder aus kan — kön kann, können, oder aus dem Hoch-
deutschen. Auch könnte die liäufige Unbetontheit dieser Formen
nachträgliche Verkürzung zur Folge gehabt haben (vgl. mütn müssen
§ 241 und § 242.)
Besondere Fälle.
§ 209. Eine besondere Behandlung erfordern die mehrsilbigen
Wörter, in denen auf einen kurzen Vokal ursprünglich in ein-
und demselben Paradigma bald Doppelkonsonant -h Vokal, bald ein-
facher Konsonant + Vokal folgen musste, so dass der Stammvokal
bald in offener, bald in geschlossener Silbe stand. Auch hier mussten
Doppelformen entstehen; sie sind aber bis auf einen Fall (§ 213)
durch Ausgleich entweder zu gunsten der Länge oder zu gunsten der
Kürz^ beseitigt worden. In Betracht kommen hier die Wörter mit
w und h nach Konsonant, die Wörter mit den Bildungssilben mnd.
-eVy -el, -gm, -en, dann Wörter mit anderen Bildungssilben, z. B. -ig.
Konsonant + w.
§ 210. Schon im Westgerm, war Inlaut, w vor o, u geschwunden
(Kluge, PGr. I, S. 379); auslautendes w war im As. zu o geworden.
Innerhalb desselben Paradigmas mussten nun Formen mit erhaltenem
und mit nicht erhaltenem w entstehen; zwischen diesen Formen hat
schon in as. Zeit Ausgleich stattgefunden zu gunsten der t€^-losen
Formen. Zur Zeit der ,Tondehnung' musste der Stammvokal in den
Formen mit erhaltenem w kurz bleiben, in den anderen gelängt
werden: aus as. melo, nielwes musste mnd. m^fe, melwes werden. Es
konnte nun mal oder melt als Nominat. entstehen. Gewöhnlich hat
aber die w;-lose Form gesiegt. In einem Falle (§ 213) liegen Doppel-
formen vor.
Hauptwörter, {wa-^ wan'\ i<^ö-, «^'öw-Stämme.) §211. Die Aus-
gleichung geschah zu gunsten der w?-losen Form: mal n. (as. melo)
Mehl; phl m. (mnd. pol m. und pole f., vgl. ag^. pyle < lat. pulmmis)
Querkopfkissen, das über das gaaze Bett reicht; smeä n. (as. smero)
Schmeer; vär f. (as. wa^^a < ^wa^^wö) Wade; zän f. (as. senewa^ sinewa)
Sehne; swMk f. (mnd. swaleke, schon as. swala für swalwa) Schwalbe
(so nur im diphthongischen Gebiet, s. § 7, Ib und unten).
Anm. Wie wö-StÄmme sind behandelt: sok f. Scherbe (mnd. scirbe,
scherve, as. skerhin n. Werd. Gloss.) und kär Kerbe (§ 151, Anm. l).
§ 212. Die flektierten Formen haben gesiegt in fafv f. (as.
farawi Aussehen, mnd. varwe) Farbe; sioalv f. Schwalbe (mnd. stvale
und swalwe) im monophthongischen Gebiet (hd.?); dvvt f. Erbse
(as. erit für *enmt, mnd. erwete und erte).
§ 213. Doppelformen sind nur in einem Falle erhalten geblieben:
man pagt nöd und naiv f. (as. naro^ mnd. nare und seltener narwe) Narbe.
13
Eigenschaftswörter. § 214. gäl (as. geh) gelb; göd (as. garu
bereit, fertig) gar; moä (mnd. mor^ mörwe) mürbe, vom Obst; käl
(mnd. hole, vgl. ags. calu < lat. calvus).
Anm. Die englischen yeüow, callow stammen umgekehrt itus den
flektierten Formen mit erhaltenem tv.
Zeitwörter. § 215. w ist geschwunden in zik zkln (as. suU
tcian und svlian) sich im Schmutze wälzen (von Schweinen), zik inzkln
sich beschmutzen (auch von Kindern); es ist erhalten in gäi'l^ (as.
gerwian bereiten) gerben, fdrm (mnd. verwen) färben (w < ven).
Konsonant + h.
§ 216. h nach Liquiden wurde im Auslaut spirantisch gesprochen
(s. dörx durch < as. ^urh); vor dem Vokal der Flexion aber war es
ein blosser Hauchlaut und schwand früh (Holthausen, As. El. § 218).
Von diesen flektierten Formen aus hat die Ausgleichung stattgefunden.
Hauptwörter. § 217. föä f. (mnd. vöre, vgl. ags. furh) Furche;
meä f. (mnd. merie^ got. *marhi s. Kluge, Wb. unt. Mähre) Mähre.
Aum h scheint als k erhalten zn sein in fävki) Ferkel (schon mnd. ferk,
ferken, vgl. ags. fearh),
Eigenschaftswörter. § 218. dweä (schon as. }^wer^ mnd. dwär^
vgl. ags. dweorh) quer.
Zeitwörter. § 219. befäln (as. bifelhan, Präter. bifalh) befehlen.
Wörter auf mnd. -el, -er, -e^n, -en.
§ 220. Bei zweisilbigen Wörtern mit kurzem Vokal in der
Stammsilbe und kurzem Vokal + Liquida und Nasal in der Endsilbe
(z. B. as. fugal, watar^ fa^om, wagan) wurde in den obliquen Kasus
des Sgl. und im PI. der Endsilbenvokal synkopiert, so dass wir z. B.
das Paradigma Singul. Nom. Acc. fugal, Gen. fugles^ Dat. fugle, Plur.
fuglos, fuglo, fuglum erhalten. Zur Zeit der „Tondehnung*' erhielt
fugal langen Stammvokal, während die übrigen Formen den kurzen
bewahrten. Dieser Wechsel im Paradigma wurde ausgeglichen, indem
sich die Sprache bald für die eine bald die andere Gruppe entschied.
Doppelformen sind nicht erhalten; doch vgl. § 223. In Bezug auf
die Bevorzugung der Länge oder der Kürze weichen die einzelnen
germanischen Sprachen und Dialekte sehr voneinander ab.
Anm. Eigentlich mttsste s wischen solchen Wörtern unterschieden werden,
bei denen der Endsilben vokal irrational ist und sich erst im As. entfaltet hat,
und solchen, wo er ein alter Mittel vokal ist. Bei den letzteren musste die
Dehnung eigentlich unter allen Umständen eintreten, da nach kurzen Stamm-
silben nicht synkopiert wurde (s. Pßbeitr. V, 81), in den obliquen Kasus also
dreisilbige Formen entstehen mussten. Aber einerseits fanden in der lebendigen
Sprache sicherlich auch bei letzteren Synkopierungen statt, anderseits wurde bei
den ersteren der irrationale Vokal schon im As auch in den obliquen Kasus
durchgeführt, so dass eine Scheidung praktisch keinen Wert haben würde. In
der übergrossen Mehrzahl der Fälle hat eben die Länge gesiegt.
14
a. Die Länge hat gesiegt.
§ 221. -el) häml Hammel; snävl Schnabel; zädl Sattel; nägl
Nagel; fäzl-swtn (mnd. väsel Zucht) Faselschwein; hägl Hsigel; stäpl m.
Stapel; kävl f. (mnd. kävel zugerichtetes Holz zum Losen) eine
bestimmte Parzelle von Gemeindewiesen, ein Los Land); üt-kävln
verlosen; ääpl ScheflFel; läpl m. (mnd. lepel^ leppel) Löffel; kätl m.
(as. ketil < mlat. catillus) Kessel; äzl (as. esil < mlat. aselhis für
asinus) Esel; kägl Kegel; knävl m. Knebelholz; flhgl m. (as ßegil <
lat. flagellum) Dreschflegel; nävl m. (as. nehal) Nebel; gävl Giebel;
stävl m. (mnd. stevel) Stiefel; sträml Streifen; smnägl (mnd, simnegel^
vgl. an. igull) Schweinigel (fast nur noch Schimpfwort; das Tier
heisst staxlswln); dägl m. (mnd. degel^ das ich auf as; *digul = an.
digull zurückführe und für ein echt germanisches Wort halte; Kluges
Herleitung aus lat. tegula tegula verbietet sich m. E. nach Form und
Bedeutung); päkl (mnd. pekely vgl. me. pikil) Pökel, wenn es nicht
nach § 411 Ableitung aus päk Salzbrühe ist; fägl m. (as. ftigal)
Vogel; slktl m. (as. slutil) Schlüssel; ikgl m. (mnd. togel) Zügel;
lii^l n. (as. uhil) Übel; krkpl n. (mnd. kropel^ krepel^ kröppel^ kreppel)
Krüppel; hkgl Bügel; y/i^r/ Flügel der Windmühle, sonst jÄ%fc.
-er) vätä Wasser; hämä m. (as. hamar) Hammer; grävä Spaten;
värä n. (as. wedar) Wetter; päpä (mnd. peper < lat. piper) Pfeffer;
bäkä (as. bikeri < mlat. bicarmm) Becher; — mägä mager; am (as.
ehan) eben; kvl (gew. ünh>vl § 110, 5) übel; veraltet und durch das
hd. zixä verdrängt ist zäkä (as. sikur < lat. securtis) sicher.
An in. Hierher gehört auch jt^E/, neu gebildet aus '*'päter (mnd. petery
petter < lat. patnnus) Pate (vgl. 330 Anm. 4).
-em) färn m. (as. *fa^om; belegt ist der Plur. fadmos) die Länge
der beiden ausgestreckten Arme, Faden. (§ 140.)
-en) i?5-j; Wagen; hä-y Hagen, Speiglhä-y Spiegelhagen; läky n.
(as. lakan) Laken; rä-y Regen; brä-y m. (mnd. bregen) Bregen; Mm
(as. hehan) Himmel; am Ofen; khn für kam s. § 337 (mnd. körnen <
lat. cumlnum) Kümmel.
Anm. Hierher gehört die § 337 besprochene Gruppe von Wörtern, in
denen za der missverstandeneu Endung -en eine neue Form für die Einzahl
gebildet worden ist.
b. Die Kürze hat gesiegt.
§ 222. -el) hazl-nkt (mnd. häsel und hasselnöte) Haselnuss;
äeml m. (mnd. schamel < lat. scamellum) Schemel (am Wagen) ; swövl m.
(as. swehal) Schwefel, bes. swövl-stiky (mnd. swevelsticke) Schwefelholz;
(ixl f. (vgl. ahd. ahil^ im Mnd. erscheint dafür vese^ vesen) Ährenspitze;
ßtl (as. fitil, s. fitil'Vöt bei Wadstein, Gloss.) Hinterbug der Pferde
mit dem Kötenhaar.
Anm. ßdl Fiedel und titl Titel scheinen aus dem Hochdeutschen entlehnt;
ersteres heisst im Mnd. vhdele^ veddele, vgl. ags. fiäek, titl ist in älterer Zeit
überhaupt nicht belegt; ebenso sind hd. himl Himmel, kitl Kittel.
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-er) dund m. (mnd. dunner ^ vgl. a^s. |)wwor) Donner; Idrd (mnd.
Jeder, ledder, vgl. ags. leäer) Tjcdor; flärä-müs f. (mnd. vleder. vledder-
müs) Fledermaus; kopä n. Kupfer (§ 59). Hier ist auch aufzuzählen
värä wieder, mnd. wedde^' < as. mdar, vgl. § 242.
-efn) be^n m. (as. besmo, mnd. besem, bessern, besmen) Besen;
born m. (as. bodam, Dat. bödme) Boden.
c. Doppelformen.
§ 223. Eine Doppelform scheint vorzuliegen in färä und fadd,
von denen das letztere das eistcre allmählich verdrängt, insofern das
erstere anfängt für vulgärer zu gelten. As. fadar hätte aber beim
Siege der flektierten Formen ein mnd. vadder und dieses farä ergeben.
Es dürfte fadä wie mudä, gefadd, fetd hochdeutschen Ursprungs
sein (§ 158, Anm. 3).
Dreisilbige Wörter mit der Mittelsilbe mnd. el, er, en,
§ 224. Wörter mit der Bildungssilbe -«/-, -er-, -m-, bei denen
auf die Bildungssilbe noch eine Flexionsendung folgte, also weibliche
Hauptwörter wie as. fethera F'eder oder Zeitwörter wie mnd. rekenen
mussten unter allen Umständen Tondehnung erfahren. Das ist aber
nicht immer der Fall gewesen, und es scheint, als ob auch hier
gelegentlich Synkope eingetreten ist. Vgl. für eine ähnliche Erscheinung
im Me. Morsbach, Mittelengl. Gramm. § 71. Diese Wörter sind schon
im Kapitel von den Vokalen in Mittelsilben behandelt, und zwar die
Hauptwörter § 114, 1, die Zeitwörter § 114, 3; § 114, Iß sind die
Substantive aufgezählt, in denen der Stammsilbenvokal kurz geblieben ist.
Zweisilbige Wörter, in denen auf einfachen Konsonanten und
unbetonten Vokal andere Konsonanten als l, r, m, n folgen.
§ 225. Tondehnung ist eingetreten in ndkt (mnd. näket) backt;
hakt m. (as. *hakid, vgl. ahd. hehhit, mit Suffixablaut zu as. *hakttd,
hakth, Oxf. Gloss.) Hecht; MrÄr m. (as. hähuk) Habicht; krSivt m.
(mnd. krevet) Krebs; Kt>t n. (mnd. övet) Obst. Vgl. § 119, und über
dreisilbige Wörter dieser Klasse § 115.
Hierher gehören auch die 2. und 3. P. Sgl. Präs. der schw. Ztw.
der 0»- Klasse, die stets Tondehnung zeigen; z. B. ik lhx>, du Ikvst,
hei Ikvt von läm loben (as. lobon).
Tondehnung ist nicht eingetreten oder wieder aufgehoben worden
in pärdk n. (mnd. peddik, vgl. ags. pij^a) Mark der Bäume; s. § 242.
§ 226. Demgegenüber erscheint vor Konsonant -f- ig Kürze
des Stammvokals, wohl aus den synkopierten Formen der obliquen
Kasus stammend (vgl. Heilig § 157, Anm. 3), z. B. honix (as. honig,
honeg, mnd. honeg, honnich) Honig; mänix, mdnx (as. manag, manig,
mbr. mannich, mennich) manch ; Idrix (mnd. ledich, leddich) leer. Vgl.
auch die Verkürzung von e > i in mnd. hilghen Heiligen, zu hillich,
und in tmntix 20 (§ 231, Anm. 2).
Eine Doppelform liegt vor, wenn man das brandenb. dnt f. Ente
(< as. *enit) mit meckl. dnt (< as. *anut) vergleicht.
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6. Überlänge.
§ 227. Es ist § 17 darauf hingewiesen, dass lange Vokale und
Diphthonge überlang werden, wenn nach folgenden ursprünglich
stimmhaften Reibelauten durch Synkope oder Apokope ein e yerstammt
ist. Diese Nachlängung erfahren sowohl ursprünglich lange als auch
nach § 183 in freier Silbe gedehnte Vokale. Bei einer Form wie
dkg Tage haben wir also zweimalige Längung anzunehmen: durch
die ^jTondehnung^ wurde schon früh dage > däge, durch Verstummen
des e später däge > dk§.
Wo früher ein End-^ zwei sonst gleichlautende Wörter unter-
schied, da leistet heutzutage die Überlänge diesen Dienst. Man ver-
gleiche Wörter wie lös los und /os lose; t^x Zeug und tfig Zeuge;
vis Reis und ri^ Riese (hd.); drüf Traub und drüt Traube; stuf
stumpf ab und stüv Stube (hd.); houf Huf und hoüv Hufe; leif lieb
und lew Liebe. So ist denn auch die Überlänge oft ein Mittel, die
Mz. von der Einz. zu unterscheiden, auch wenn schon die Einzahl einen
langen Vokal hat, z. B. prls Preis — prh Preise; stlx Steig — süg
Steige; hreif Brief — breW Briefe; deif Dieb — deit Diebe; ploux
Pflug — plöyg Pflüge; gom Gans — göy^ Gänse u. s. f. Man vgl.
auch §nf schreib und ik äriv ich schreibe miteinander. Überlänge
unterscheidet auch gegebenen Falles das attributive Eigenschaftswort
vom prädikativen: stif steif, drox trocken, tax zähe, bos böse, leif
lieb sind prädikativ; sttv^ dr&g, ik§^ 68s, leit attributiv.
Die Überlänge ermöglicht zu erkennen, dass fiv 5 (vor Haupt-
wörtern) aus der as. Mz. fihi stammt, flf (allein stehend) aber aus
der Einzahl. An der Überlänge geben sich manche Formen als
erstarrte Reste alter Genetive und Dative zu erkennen, z. B. in hm
im Hause; tou Iw gän zu Leibe gehen; ^ü^s notux schlechtes Zeug
genug. Die Überlänge in Verbindung mit der stimmlosen Lenis (§ 14)
am Ende ist noch jetzt ein deutlicher Beweis, dass der Sing. Prät.
der starken Verba aus dem Plural oder dem Optativ stammt : ik bleU
ich blieb, slöyg schlug erklären sich nur aus mnd. hleve^ sloge < as.
blihi, slögi.
An in. Die Überlänge als Ersatz für verstammendes e spricht sehr für
die Theorie von der mechanischen Qaantitätsregnliemng, fär die in Bezog anf
die Qaantitätsverändernngen im Englischen in einem sehr bemerkenswerten
Aufsatz Lnick, Auglia XX, S. 335 £F. eingetreten ist, nnd auch sehr für die
damit eng verwandte Theorie von der Tendenz, beim Sprechen die normale oder
tiberlieferte Morenlänge eines Wortes za wahren, für die Wrede, Z. f. d. A.
XXXIX, 257 ff. (s. n.) eintritt. Ich glaube allerdings, dass bei allen Fragen,
wo es sich um Dehnung, Zerdehnung kurzer Vokale und Kürzung langer handelt,
die Tendenz, die überlieferte Länge des Sprechtaktes zu wahren und die Gesamt-
Quantität der Sprechtakte innerhalb desselben Flexionsschemas auszugleichen,
eine grosse Rolle spielen kann; ich bin ebenso fest davon überzeugt, dass diese
Tendenz nicht die einzige quantitätsregulierende Macht in der Sprache ist.
17
B. Vokalkürzungen.
1. Vor Doppelkonsonanz.
§ 228. Es sind zwei Hauptfälle zu unterscheiden: 1) der lange
Vokal oder Diphthong stand vor primärer Doppelkonsonanz (bes. xt, ff)
oder Geminata, 2) der lange Vokal oder Diphthong stand innerhalb
desselben Flexionsschemas bald vor einfacher, bald vor Doppel-
konsonanz. Im letzteren Falle musste das Ergebnis Wechsel zwischen
Länge und Kürze sein. Dieser Wechsel ist erhalten geblieben inner-
halb der Konjugation: es kommt im Präsens vieler starker Ztw., im
Präsens, Prät. und Partiz. Prät. einiger schwacher Ztw. mit einem
b-Laut als Stammauslaut in Betracht; die Doppelkonsonanz ist
sekundär und durch Synkope des Endsilbenvokals entstanden. — Der
Wechsel ist aber ausgeglichen in der Deklination : es handelt sich um
Nomina auf Liquida und Nasal. Besonders die letzteren zeigen die
Wechselbeziehung auf, die zwischen dem vorigen und diesem Kapitel
besteht: värd Wetter hatte sein gelängtes ä erhalten aus dem as.
Nominativ wedar^ dund Donner hatte sein kurzes u aus einem obliquen
Kasus wie as. *]^unre8. Jetzt bewahren Wörter wie k&ky Küchelchen,
dM Teufel (aber ne. chicken, d^vill) ihren langen Vokal, weil sie auf
den as. Nominativen *kitJän^ diuhil beruhen ; Wörter wie buzn Busen,
bruml' Brom- erscheinen mit verkürztem Vokal, weil der Ausgleich
von den obliquen Kasus (wie as. bösmes^ *hramles) ausgegangen ist.
Anm. Wenn Luick in dem § 227 Anm. angeführten Aufsatze meint, die
Kärze von ue. devü stamme wohl aus den obliquen Kasus, erkläre sich dort aber
Dicht ans der Stellung des e vor Doppelkonsonanz, sondern aus der Dreisilbigkeit
der flektierten Form d^eles, indem bei dreisilbigen Wörtern kurzer Vokal in
offener Silbe das Normalmass ftlr die betonte erste Silbe sei, so kann ich ihm
nicht beistimmen. Wir können z. B. für das kurze u in unserem buzn keine
dreisilbige Form busemes < bösemes im As. verantwortlich machen. Die oblique
Form ist zweisilbig, z.B. bösmes^ und musste so sein, weil im As. nach langer
Silbe Synkope des Mittelvokals eintrat.
As. ä.
§ 229. As. ä > a. a) zaxt (as. säfto^ mnd. sachte) sacht; daxt
(as. ^ähta) dachte, gedacht; vctxt f. Deichselwage am zweispännigen
Wagen (mnd. wäge zu as. wagaVfage)] klaftd (mnd. klachter) Klafter
(Längenmass); b) jamd m. (as. jämar) Jammer; blarä f. (as. blädara)
Blatter; ard f. (as. nädra § 141 Anm. 1) Natter.
Anm. 1. Zu a wtlrde noch gehören paxt f. Pacht, wenn es auf lat.
puium beruht, waxi f. Welle (in der Lenzer Wische), wenn es zu as. wsig
Woge, und kwatä Unsinn, wenn es zu mnd. quä.t verdreht gehört.
Anm. 2. Über ö für a < ä in bröxt (as. brä,hta) brachte, gebracht vgl.
§ 404, Anm. & > u vor Nasal in bruml-beSi Brombeere (as. hrrnnal-busky mnd.
hrlrrij brummelbere).
Niedardeatsohes Jahrbuch XXXII. 2
18
Umlaut zu as. ä.
§ 230. Umlaut zu as. a l) > e, a) dext m. (mnd. dacht^ deckt
m. n., vgl. ahd. täht^ an. }^attr)\ b) letst^ let lässt (as. lätis^ lätiä)\
lexl n. (mnd. lechelen, vgl. ahd. lägilla < lat. lügend) kleines Fass.
Anm. 6 > ä vor Nasal (§ 51, 2) in j^mMix jämmerlich und auch in hnk
(mnd. emeke) Ameise, wenn in diesem Worte as ä neben a anzusetzen wäre
(vgl. ags. ^msUe und ämette).
2) ^ ö (jüngerer Umlaut § 77). a) bröxt s. § 229, Anm. 2.
b) gerätst^ gerät gerätst, gerät; slöpst^ slöpt schläfst, schläft; fröxst^
fröxt fragst, fragt vgl. § 380, § 383.
As. e {< ai).
§ 231. As. e > e, a) emä m. (as. embar, emmar^ mbr. einmer)
Eimer; ext (mnd. echte ehelich, rechtmässig) echt; gelstä üppig von
Pflanzen, das doch wohl zu as. gel geil, übermütig gehört; b) vetst^
vet weisst, weiss (1. P. vet^ Meckl. veist, veit)\ fet (mnd. vet^ vgl. anfrk.
feit^ ags. fäfed); lerä f. (mbr. ledder^ vgl. mnl. leeder^ ags. hläder)
Leiter.
Anm. 1. Schon in der as. Periode war das e wohl kurz in ellebhan>elm 11.
o
Anm. 2. e > i vor Nasal in twintix 20 (as. twentig, mnd. twentieh,
tvnntich, vgl. § 275) ; s. dagegen ens einst, einstmals (as. ene^, mnd. hns, eines,
ins), das halbhd. entslt einzeln (mnd. entelen) und rentlix reinlich. — e > i
vor l in dem jetzt durch das hd. hiilix verdrängte hillix heilig < as. hehg.
Noch Hindenberg verzeichnet Ausdrücke wie hillgenschüne, hillgenwische
Kirchenscheune, Kirchenwiese und das interessante det Hillge die Böse als
Krankheit (Erysipelas) : noch jetzt ist ja gerade die Kose der Gegenstand volks-
gläubischer Vorstellungen und des „Bötens^.
As. f.
§ 232. As. z > i. a) lixt (as. Izht^ mnd. licht) leicht; dixf
(mnd. dicht stark; treu) dicht; bixt f. (as. bi-gihto schra. m., mbr.
bichte) Beichte; vi^ f. (as. *wzska^ mnd. wische) Wiese; b) das Präs.
Sing, der st. Ztw. I, z. B. sriv, ärifst^ ärift schreibe, schreibst, schreibt;
Kn n. (as. Iznin^ vgl. Koeppel, Herrigs Archiv CIV, 52) Leinwand, leinen.
Anm. 1. Auffallend ist die Verkürzung des i > ^ in den Adjektiven vii
(as. hwlt) weiss vgl. § 343, kioit und kit (mnd. kwlt < frz. quitte) quitt (nur
prädik.) und dem Adv. nip (mnd. nlp\ der lange Laut hat sich in vielen ndd.
Dialekten, z. B. im Holsteinischen erhalten) genau, z. B. nip töuklkp genau
zusehen. Auffällig wäre auch i < l in rist f. die durch die Hechel zu ziehende
Handvoll Flachs, wenn Walther mit Eecht mnd. riste ansetzt: vor st ist ausser
bei müst musste keine Verkürzung eingetreten (§ 194 b). Könnte man nicht
an as. *wrist (vgl. ags. mrist) Handgelenk oder an eine alte -5^ -Ableitung von
ritan reissen als Grundlage denken? — §rin jucken, brennen (von der Haut)
wird vielfach mit §rin, das sich in anderen ndd. Maa. findet und dasselbe
o '
bedeutet, zusammengestellt, vgl. Ndd Korresp. I, 76 und ö. Ich wäre eher
geneigt, unser ä^'in vom mnd. schrinden einen Kiss bekommen, §rin aber vom
mnd. schnnen herzuleiten.
19
Anm. 2. Eine sehr interessante Verkürzung von i > i findet sich in
hintj das nur in der Redensart vorkommt: hei hkt nix hint ori kint er hat
keinerlei Angehörige, er steht allein in der Welt, hint ist sicherlich entstanden
ans as. hiumny Akk. zu hiwa Gattin; das mnd. hien hat sich allmählich bis
zam Reime dem kint angeglichen. Vgl. ne. hind Bauer < ags. hina < hiwnaj
Gen. zn hiwan Flur. Hausgesinde, Eoeppel, Herrigs Archiv CIV, 48.
k&, l > i > e > ä in fäft^ fdftäin, fdftix (as. ßße^ flftein^ /*/%>
mnd. mfte^ vefte U8w.) vgl. § 51, 2 b.
Anm. Meckl. sagt mit Labialisierung des e föfty föfth/n^ föftix. In der
Pri liegt labialisiertes i < i vor in drütix dreissig (as. thntig^ mnd. drittiXy
drüitixy vgl. drür dritte § 277 und drütkin 13 § 239 (Meckl. sagt dötUn, dötix).
As. ö (wo).
§ 233. As. ö > u. a) furman^ furvdrk Fuhrmann, Fuhrwerk
(mnd. vörman^ Vorwerk^ vgl. § 120 a); b) huzn m. (as. bösom^ mnd.
hösmi); furd n. (mnd. vöder^ vgl. ags. födor) Futter, Unterfutter;
furän futtern, futtern.
Anm. 1. In unbetonter Silbe erscheint «^ < ö in gunddx guten Tag.
Anm. 2. Neben fwK in der Bedeutung Nahrung existiert die Doppelform
{ourL Die alte, längst verschwundene Form für „Mutter'' ist mouri\ verkürzt
wäre daraus murSk geworden ; die jetzt gebräuchliche Form mitd^ ist vom Hochd.
beeinflnsst.
Anm. 3. ö muss, als es verkürzt wurde, einen i^-haltigen Beiklang gehabt
haben, sonst hätte kaum daraus u werden können, vgl. § 90 Yorbemerk.
Umlaut zu As. ö (uo),
§ 234. Umlaut zu as. ö. 1) > w. a) nilxddn (mnd. nüchtern)
nüchtern; müst (as. möst^ möstüy mbr. muste, tnoste) musste, gemusst;
der Umlaut stammt aus dem Konjunktiv mösti; die Verkürzung vor
st erklärt sich aus der relativen Unbetontheit des Wortes; vüs (as.
wöhs) wuchs; b) In den Verbalformen mit alter Synkope erscheint
der verkürzte Laut als ö, z. B. zöyk^ zöxt suche, sucht, suchte, gesucht;
höyr^ hat hüte, hütet, gehütet; bröyr^ bröt brüte, brütet, gebrütet;
np-föyrn -föt aufziehen (auffüttern); höyt^ bot böte, bötet, gebötet
(bespreche); hlour^ hlöt blute, blutet, geblutet. Alle diese Ztw. sind
schwach. Von den starken Zeitwörtern gehört nur hierher roiip^
mpst, röpt rufe, rufst, ruft Vgl. §§ 116. 118 a.
Anm. 1. Hd. ist rüsl Bussel. — Neben fürai. Fuder erscheint auch das
unverkürzte föyrL
Anm. 2. Warum einmal üj das andere Mal ö erscheint, ist mir nicht
klar geworden.
As. ö (< au).
§ 235. As. ö > 0. a) hoxtU Hochzeit; kropt^x n. Kropzeug
(< ndd. kröp^ vgl. Kluge Wb. und § 120a); horky (mnd. horken, vgl.
ahd. hörechön); b) kopl f. (mnd. koppel < vlat. cöj^la für cöpula);
stopl f. (mnd. Stoppel < vlat. stöpla < stüpula).
2*
20
Umlaut von as. ö.
§ 236. Umlaut aus as. ö > ö, z. B. höxt f. (mnd. hogede^ hockte,
as. *höhi^a) Höhe; gröt f. (mnd. grotede, grötte) Grösse; grötst grösste
(mnd grötteste, grötste)^ daher auch grötä neben grotä grösser; üU
löftix weitläufig; vgl. auch döxt taugte, getaugt; b) löp, löpst, löpt
laufe, läufst, läuft; kop, köft kaufe, kauft, kaufte, gekauft; stot^ stötst,
stöt stosse, stösst, gestossen (§§ 116. 118 a). Hierher ist auch zu
stellen 2^öpl f. (mnd. poppet < vlat. pöplo < lat. pöpultis,
As. ü,
§ 237. As. ü > u. a) ftixt (as. fühf) feucht, änfiixtn anfeuchten;
snüfdouk (mnd. snüvedök) Taschentuch, zu snüm schnauben; vgl. pulkdn
mit den Nägeln klauben, zu pülp. klauben; kuldn hinunterrollen (zu
mnd. küle Kugel); b) In OPri hört man statt lürä lauter Itidd.
Umlaut zu ü,
§ 238. Umlaut zu as. ü > ü. a) düxt (as. ^ühta) däucht,
gedäucht; b) züp, züpst^ züpt saufe, säufst, säuft und so alle st. Ztw.
IIb (§ 369).
As. iu.
§ 239. As. iu > ü. a) lüxtn (as. Uuhtian, mnd. lüchten)
1. leuchten, 2. blitzen; lUxt f. (mnd. lüchte) Laterne; lüxtä m. Leuchter;
frünt m. (as. friund) 1. Freund, 2. Verwandter; b) fred, früst, {riere,
frierst, friert; geit^ giltst^ gilt giesse, giessest, giesst und so alle st.
Ztw. IIa (§ 369, vgl. auch § 118a). Vor einfachem Konsonant
wäre iu verkürzt in drütein 13 (and. ^riutein, vgl. ags. ^reottyne neben
^rlotiene^ Sievers, Ags. Gram. § 230 Anm.); doch Hesse sich auch
Beeinflussung von Seiten drütix 30 (§ 232 Anm.) und drür (§ 277)
denken. Vgl. ferner § 120 a.
Anm. Schwierig ist das ü in düs^ düt dieser, diese, dieses, dies zn
erklären. Die mnd. mbr. Formen sind d^se^ desse, disse, düsse; dit, düt\ das e
in d%se ist als tonlang (as. these), d. h. als ä zu fassen. Dieses E könnte nun
nach § 241 verkürzt sein, infolge von Tonlosigkeit. Woher stammt aber i oder
gar üj da doch die Qaalität der umgebenden Konsonanten der Labialisiernng keinen
besonderen Vorschub leistet? Erklärt sich i im Stamme aus eingedrungenen
«'-haltigen Endungen, etwa iu? Und darf man nicht fttr die Formen mit ü die
as. Formen mit iu (Nom. Sing. Fem., Nom. Akk. Plnr. Neutr. piu^) verantwortlich
macheu, so dass ü eine Verkürzung von iu wäre? Vgl. Behaghel, PGr. I, S. 779.
As. io,
§ 240. As. io > i. a) lixt n. (as. Höht) Licht.
Anm. 1. Ans as. io-mer ist über inier durch Labialisiernng (§ 277 d)
ümai immer geworden.
Anm. 2. fixt f. könnte aus einem as. *fi>ohta (vgl. ahd. fi^hta) entstanden
sein; belegt ist fiuhiia.. Wahrscheinlicher ist mir, dass fixt hd. Ursprungs ist.
Die gangbare Tanne ist bei uns durchaus die Kiefer, und sie heisst kurzweg dan.
21
2. VokalkürzuDgen vor einfacher Konsonanz.
§ 241. Verkürzung vor einfacher Konsonanz findet sich nur in
einigen Partikeln, besonders Konjunktionen, und in einigen modalen
Hülfszeitwörtern. Die Ursache ist in der schwachen Betonung dieser
Wörter im Satzganzen zu suchen. Beispiele: f > t (§ 232) in zin sein
= esse (Meckl. zin); s. auch die Ableitungssilbe as. -Itk, die schon
im Mnd. zu -lik wird und jetzt durch das hd. -lix verdrängt ist (§121 c).
Hier ist auch wohl aufzuzählen das fast veraltete zor9 seit {zöra dei
tu seit dieser Zeit) < as. siäor, mnd. södder. Vgl. § 242, Anm. 3, § 277;
— 0 > ü in müt, mütn muss, müssen (as. möt^ *mötan^ mötun, mnd.
mötj müt); Einfluss des Hd. ist nicht unwahrscheinlich; — Ü > w in
bün (as. bitim^ hiun^ mnd. ftwn, hin) bin; — <^ (< au) > o in dox doch
(as. })öA), > u in uk (as. ök) auch; vgl. dun dann (mnd. rfön, don^ dim)^
das ich als Mischform von ^ö da und )^an dann anzusehen geneigt
bin. Doch könnte vor dem Nasal a vielleicht lautgesetzlich > ii
geworden sein, vgl. bruml-b^ (§ 229, Anm. 2). Ich erwähne noch
zön solch, solch ein < zö an so ein, s. § 354.
3. Jüngere Verkürzung.
§ 242. Ohne Zweifel ist die Verkürzung durch Doppelkonsonanz
zu verschiedenen Zeiten wirksam gewesen. Und so möchte auch ich
hier die Frage aufwerfen, die Paul schon PBBeitr. XX, 133 angeregt
hat, ob nicht in manchen Fällen Verkürzung früher gedehnter Vokale
anzunehmen sei, so dass Tondehnung durch nachträgliche Verkürzung
aufgehoben wäre. So, scheint mir, lassen sich am ungezwungesten
die Stammsilbenvokale in einer Reihe von Wörtern deuten, die die
Qualität der in offener Silbe gedehnten Vokale haben, dabei aber
kurz sind. As. miluk Milch, hwilik welch, *butura Butter, skutala
Schüssel, *fultn Füllen mussten ohne Tondehnung milk^ vilk > vik,
hitd, §ütl^ füln ergeben, mit Tondehnung aber mälk, välk > väk
(vgl. in der Soester Ma. vi9ke, Holthausen § 62 und § 134), bätä (vgl.
Soester Ma. bwta)^ §Ml (vgl. Soester Ma. sxydtl)^ fkln (vgl. mnd. volen^
Soester Ma. fy^ln^ Holthausen §§ 65 und 66) ergeben. Die Formen
unserer Ma. sind aber melk, vek, bodä, äötl, föln, also tonlange
Qualität des Vokals vereint mit Kürze. So Hessen sich auch erklären
zmnd Sommer (as. surnar) als verkürzt aus zämer (§ 191, Anm. 2,
Tgl. zumna, Holthausen § 65), kätln kitzeln als verkürzt aus kätelen
(as. kitilon, mnd. ketelen, Soester Ma. kiatln, Holthausen § 62), möl
Mühle als verkürzt aus tnhle, älter niklen § 337 (vgl. mbr. male, mölle,
meckl. wäZ, Soester Ma. mydh unt. § 64), el Elle (as. elina, mnd. efe,
meckl. al) als verkürzt aus äle, zöln sollen als verkürzt aus zMn
(§ 208). Und wenn man an Formen denkt wie westf. hidrmt (as. hemi^i)
Hemd, fry^mt (as. fremi^i, mnd. vrömede), heast (as. hebis, mnd. hevest,
hefst) hast, so bleibt immerhin zweifelhaft, ob die Formen unserer
22
Mundart härh^ frömt^ hast ihren kurzen Vokal wirklich dem Umstände
verdanken, dass der Mittelvokal schon vor der Zeit der Tondehnung
ausgefallen war, wie wir §§ 115, 224 angenommen hatten, oder aber,
ob nicht ein gelängter Vokal nachträglich gekürzt worden ist, nach-
träglich gekürzt wie doch sicher das e in mnd. getvBset^ gewest^ jetzt
vest gewesen. Und kann man den kurzen o-Laut in Formen der
Glückstadter Ma. wie homä Hammer, komä Kammer, stomän stottern,
die Bernhardt Ndd. Jb. 18, 95 aufzählt, nicht gut erklären als durch
Tondehnung mit nachheriger Verkürzung entstanden?
Anm 1. Fast für alle Formen bleibt eine andere Deutung möglich, die-
jenige nämlich, die wir § 197 Anm. 2 für die Formen smetf s&p Schmied, Schiff
gefunden haben, und die Heilig § 159 Anm. 1 für Beispiele wie fod^r Vater,
sodl Sattel der Mundart des Tanbergrundes aufgestellt hat: es handele sich um
Kompromissformen, in denen zwischen ursprünglichen Doppelformen eine quanti-
tative Angleichung stattgefunden hat. Darnach wäre z. B. sötl ein Eompromiss
aus *shil und *sütl. Zu zöln sollen vgl. § 208.
o o
Anm. 2. Wir haben § 114, 1 Anm. 2 an die Möglichkeit gedacht, dass
hod^ und sötl unter holländischem Einfluss entstanden wären. Dasselbe wäre
o
formell und sachlich auch bei melk Milch möglich, doch ist melk schon die mnd.
Form (vgl. mellek bei Valentin u. Namenlos, ed. Seelmann V. 255). Neben
hwilik existiert as. weWc, wobei zu bedenken ist, ob e nicht schon ein Zeichen
beginnender Tonlängung wäre ; xomh. könnte auch aus dem Hd. stammen, ebenso
el als Verkehrswort, und möl könnte von möl^ Müller beeinflusst sein (doch
schon mbr. m^lle).
Anm. 3. Hier mögen auch die drei Wörter i;ärä wieder, warn Nieder-,
piraik Mark der Bäume (bes. des Hollunders) ihre Stelle finden. In allen dreien
stammt ä < e (vor r < dd § bl), vgl. mnd. wedder, nedden^ nedder, peddik,
e aber < i, vgl. as. nndar, as. mdaVy nidana und ags. piia (ne. pith) Mark
der Bäume, von dessen as. Vertreter unser peddik eine Ableitung mit -ik ist
Wenn Sarrazin Herrigs Arch. CI, 68 fragt, ob vielleicht ags. pidäa anzusetzen
wäre, so ist von unserer Ma. aus zu sagen, dass ein solcher Ansatz nicht nötig
erscheint: wir sehen auch sonst mnd. -dd- dort, wo im As. d steht; man vgl.
as. feihera > mnd. vedder > ß,r^ Feder; as. *ledar > mnd. ledder > förä Leder;
as. Hedag > mnd. leddich > Ih-ix leer. Der kurze Vokal erklärt sich in den
letzteren Wörtern aus dem obliquen Kasus, und es bestehen mnd. Formen wie
ledichy leder daneben. Was nan wedder, nedden^ peddik anbetrifft, so kann ich
e nicht anders auffassen, als verkürzt aus E < t in offener Silbe (§ 188). Es
müssen Doppel formen mit i und §, nebeneinander bestanden haben, die zu einem
Kompromiss -e geführt hätten. Solche Doppelformen Hessen sich ja für peddik
denken und auch zur Not für nedden, wenn wir ein adjektivisches Wort wie as.
nideri der untere heranziehen; wie soll es aber für as. widar wieder, zurück
zu Doppelformen kommen? Ich will noch erwähnen, dass Meckl. veri sagt, und
dass in Pri eine Nebenform vd existiert, die ich mir aus v^r für vkri in der
Tonlosigkeit entstanden denke; ähnlich steht vielfach b^ii für bw beide, und
im südl. Teil von OPri nd nieder für *när, n^rL
C. Diphthongierungen.
§ 243. Die langen Vokale z, ü, Ü sind auf ndd. Gebiete erhalten
geblieben. Ganz uneingeschränkt gilt diese Regel auf ostelbischem
23
Gebiet von den mir aus eigener Anschauung bekannten Maa. nur für
Holstein und Mecklenburg -Vorpommern. Im Brandenburgischen da-
gegen, und somit in der Ma. der Prignitz, ist in einem Falle Diph-
thongierung von t und ü eingetreten: f und ü vor Vokal, d. h. in
Hiatusstellung, ursprünglicher oder geschichtlich entstandener, sind zu
äi und ou diphthongiert. Diese Diphthongierung ist eine der wich-
tigsten Unterschiede zwischen der Ma. der Pri und der von Meckl.
(§ 6). Es heisst also in Pri:
a) fräi (as. fri in ff^lfk freigeboren, vgl. fn Weib; mnd. t?n,
me, vrtge)\ fräi-an (as. frtehan lieben, mnd. vnen, vrlgen) heiraten;
sräi-dn (as. skrian st. Ztw., mnd. schrien^ schrigefi, selten schreien);
zäi'9n (mnd. stetig stgen) seihen; däi-9n (as. ^than^ mnd. dlen^ dlgen)
gedeihen, in dei dex däit der Teig geht auf; snäi-dn (mnd. sneew,
snlgen) schneien; in-väi-dn (as. ulhian^ man, mnd wten, wlgen) ein-
weihen; fläi'dn in sik an-, iVmfläian (mnd. vllen, vllgen ordnen, knüpfen;
ausstaffieren) sich an-, umhängen, um sich auszuputzen (in spöttischem
Sinne); kläi f. (mnd. klle, kltge) Kleie; släi m. (mnd. sli) Schlei; bläi n.
(mnd. bll, hlige) Blei; ndi, prädikativ ndit (§ 156, Anm. 3) (mnd. nl,
nie, ntge) neu; die betonte Substantivbildungssilbe -di (mnd. -le, -ige,
selten -eige) in Wörtern wie frätaräi f., ßsaräi f., ,Hp9räi f. (mnd.
freten(g)e, visch€rl(g)e, schepen(g)e) Fresserei, Fischerei, Schäferei ;
die Vornamen Mdräi < Mart*e, nur noch erhalten in der Zeitbestimmung
M9räi'9n (25. Febr.), früher häufig in Doppelvornamen wie Trlmmräi
(Katharine-Marie), Anrmräi (Anna-Marie) Namen, die in der 1. Hälfte
des 19. Jhdts. sehr beliebt waren, und Fei < SophVe, von Hindenberg
verzeichnet, jetzt ganz verschollen.
Anm. Ich bin geneigt, hierher das schwierige Mi-nöd^ Storch zu stellen.
Ich teile nämlich ab : hiin-0€& (vgl. § 300) und führe hUn- auf einen obliquen
Kasns des schon znr Erklärung von hint § 232, Anm. 2 herangezogenen as.
hiwa Gattin (vgl. mnd. hiBy heie Hofgehöriger) zurück.
b) botwn (as. büan wohnen, mbr. büen, bütven, bouwen) bauen;
hou m. (as. bü n. Wohnung, mnd. bü, büwe, bouwe) Bau; troxtan
(as. trüon, mnd. trüwen, trouwen) trauen ; brown (mbr. brüwen, brouwen)
brauen; frou (as. früa, mbr. frütce, frouwe)\ jou (as. eti, m, mnd. jü)
euch, und jou (as. euua, iüwa, mnd. jüwe) euer.
Anm. 1. Im Mecklenburgischen erscheint also in allen diesen Wörtern,
soweit sie vorhanden sind, i und ü, z. B. /n, /ri^a, snidn^ ni, /?^m; bü9n oder
hüguy /rü, j^x. In intwM entzwei und den Wörtern auf -IM wie a/ä/äi
mllH allerlei, einerlei erscheint auch im Mecklenburgischen -U.
Anm. 2. Man könnte nä^ als eine entlabialisierte Form von 7iöy (as.
nium) auffassen wollen; aber bei den § 98 Anm. angeführten Wörtern mit
äi < (yy stammt das öy aus aut + i, auch gelten diese Formen nur in einem
kleinen Teile der Pri, während rAi in der ganzen Pri gilt. Vor allem aber
weist das meckl. ni (mm. ni) darauf hin, dass wir auf ein as. nie zurückgehen
müssen, eine Form, die uns an die Hand gegeben wird durch NianhviS in der
Ess. Heberolle, durch nlgi^ nigemo der Freckenhorster Heberolle und durch
nigean im Monac. Y. 1430.
24
Anm. 3. Umlaut von ou < u + Vokal, d. h. Diphthongierung von mnd.
Ü -H Vokal würde vorliegen, wenn öy in gröygl Gespensterfnrcht, %ik gröygln
sich gruseln (mnd. grüwel^ grüwdn) nicht auf germ. euu (§ 105) zurückgeht,
sondern auf germ. üu.
§ 244. Die Frage ist nun: wie sind die brandenb. äi und ou
gegenüber den mecklenb. l und ü zu deuten? Es scheinen sich mehrere
Möglichkeiten darzubieten.
Man könnte auf den Gedanken kommen, dass zur Zeit der
Besiedlung die Ansiedler von Mecklenburg der Mehrzahl nach aus
solchen Gegenden gekommen seien, in denen sich l und ü überhaupt
erhalten hat, die Ansiedler der Prignitz aber vorwiegend aus einer
Gegend, in deren Mundart Diphthongierung von l und ü lautgesetzlich
ist, wie z. B. im Ripwarischen, Teilen des Westfälischen ; dass dann
bei der schliesslichen Ausgleichung zu einheitlichen Formen in den
nördlichen Gebieten die nicht diphthongierten, in den süd-
lichen die diphthongierten Formen den Sieg davon getragen
hätten. Wir haben Ndd. Jb. 31, 68 f. tatsächlich die Wahrscheinlichkeit
zugegeben, dass sich in der Pri auch Niederfranken angesiedelt haben,
sind aber zu dem Schlüsse gekommen, dass von einer namhaften
niederfränkischen Ansiedlung nur im südlichen Teile der Pri die Rede
sein kann. Wir müssten also annehmen, dass die diphthongischen
Formen vom Süden her bis an die meckl. Landes-Grenze vorgedrungen
seien. Wir müssten aber dann zuvörderst annehmen, dass die ersten
Ansiedler die diphthongischen Formen schon mitgebracht hätten.
Begnügten wir uns aber mit der Annahme, dass sie nur die
Disposition zu dieser Lautbewegung mitgebracht hätten, so w^ären
wir zu der weiteren Annahme genötigt, dass die Mundart eines vom
Mutterboden losgetrennten Volksstammes sich nach immanenten
Gesetzen nach der Art der Mundart der Zurückbleibenden w^eiter-
entwickle. Beide Annahmen halte ich für durchaus ausgeschlossen.
Es wäre ja nun noch die Möglichkeit vorhanden, dass einem späteren
Nachschub von Ansiedlern äi und ou eigentümlich gewesen sei, und
dass bei dem neu einsetzenden Nivellierungsprozesse diese Diphthonge
gesiegt hätten. Auch hier könnte nur das Niederfränkisch-Ripwarische
in Betracht kommen. Tatsächlich sind ja später zu verschiedenen
Zeiten, besonders zur Zeit des Grossen Kurfürsten, noch Holländer
ins Land gerufen worden. Aber ihre Zahl war doch so beschränkt,
dass sie auf die Sprache sicherlich keinen Einfluss ausgeübt haben.
So bin ich denn durchaus der Ansicht, dass sich in der Pri wie
in ganz Brandenburg und überhaupt im grössten Teile von Ostnieder-
deutschland l und ü in Hiatusstellung selbständig zu äi und ou
entwickelt haben.
Anm. In seinem scharfsinnigen Aufsatze „Die Entstehung der nhd.
Diphthonge''. Z. f. d. A. XXXIX, 257—301 behauptet Wrede unzweifelhaft mit
Becht, dass bei Diphthongierungen stets von zweisilbigen Formen ausgegangen
werden müsse. Das trifft auch für die beschränkte Diphthongierung von i und
ü in Pri zu: /ra^ frei z. B. verdankt sein äi sicherlich einer flektierten Form
25
dieses Wortes (z. B. vne)\ denn stets einsilbige Wörter wie ml, diy vi, gl, bl
mir, dir, wir, ihr, bei haben in unserer Mundart ihr i erhalten; so müssen anch
Mdrii, FH auf Marie, Sophie mit gesprochenem End-e beruhen, und jou ,euch^
mnss von jou < jüwe ,euer* beeinflnsst worden sein, wozu schön stimmt, dass
Meckl. und der grösste Teil von Pri jü sagt. Aber in einem entscheidenden
Punkte weiche ich durchaus von Wrede ab : nach meiner Ansicht ist die Diphthon-
gierung von i und ü yor Vokal nicht dadurch zustande gekommen, dass ein e
verloren gegangen ist, das vor seinem Verstummen seinen Nebeniktus noch mit
dem Hauptiktus vereinigt habe ; ich meine vielmehr, dass i und ü sich mit einem
Dachklappenden e oder u(o) zu einem Diphthongen vereinigt haben. Diese e
und 0 mögen z. T. auf den alten thematischen j und w {Ij, mv) beruhen, so
dass die Hiatusdiphthongierung ihren Ausgang hätte in Formen wie frije, büwen,
wie das Kräuter Z. f. d. A. XXI, 266 ff. für das Alemannische angenommen hat.
Dieser Ansicht entsprechend meine ich anch abweichend von Wrede, dass die
Diphthongierung von i und ü im Hiatus als ein- ftbr sich bestehender Vorgang
angesehen werden muss und nicht auf gleicher Stufe mit der sonstigen Diphthon-
gierung von i und ü behandelt werden darf.
Sehr lehrreich für die Beurteilung unserer Frage scheint mir
auch die Entstehung des Diphthongen ei aus i + Vokal zu sein,
s. den nächsten §.
§ 245. Nach § 107 hat sich im diphthongischen Gebiet
(§ 7,1) von Pri (und Meckl.) der as. Diphthong io zu ei entwickelt,
z. B. deif < as. ^iof^ hedreiff < as. driogan. Das Mittelglied ist ie.
In demselben Gebiete ist aber ei auch entstanden
1) aus ie < io < %w in knei (as. knio) Knie, feiä (neben feä)
(as. fior < fiiDur) 4 ;
2) aus ie < ij in drei (as. \irie < *^rijös) 3;
3) aus ie < i •+• Vokal, oder f -|- A -|- Vokal in hei (< as. hie^
nicht hB) er, dei (as. J)ia, J)m, ^ie) der, die ; zei (as. sia, siu, sie) sie ;
Eigenname Theis < (Matythlas^ Leis < Elias (letzterer von Hindenberg
verzeichnet) ; — fei n. (as. ßo < fehü) Vieh ; zein (as. sian < sehan)
sehen; ik zei (as. sihu) ich sehe. Für Meckl. und Pom. kommt noch
tein (as. tian < tiohan) ziehen hinzu.
Wie hier kurz i H- ö > ei geworden ist, so, meine ich, ist lang
i'\' e > di geworden, wobei wir dieselben drei Gruppen unterscheiden
könnten: 1) e 4- m? (z. B. bläi < as. bllo < bliw\ 2) t + j (z. B.
fräi9n < as. friehan, vgl. got. frijon), 3) f -+- A -f- Vokal {daian < as.
^ihan). Aus meiner Regel fällt nur täin 10 mit seinem weiten äi
heraus: as. tehan^ tian Hesse tein erwarten. Freilich ist bei diesem
Worte schon im As. die Stufe tein erreicht (Freckenhorster Hebe-
rolle); wichtig ist, dass auch das Meckl. täin sagt (schon mm. teyn)^
dass hier also dasselbe Verhältnis vorliegt wie bei intwäi entwei
(§ 243, Anm. 1), das ich § 84 zu westgerm. HwajjB gestellt habe.
Anm. Für gesen ,ge8chehenS das in der mittleren Periode parallel mit
jSehen* geht, sollte man geäein erwarten, wie ja die 3. Fers. Fräs. Sing, geä^t,
entsprechend xlit, heisst. Es ist sicherlich hd. Einflnss anzunehmen.
§ 246. Noch ist hier einer bemerkenswerten Diphthongierung
Erwähnung zu tun, die vielleicht geeignet ist, auf die Diphthongierungen
26
der vorigen §§ einiges Licht zu werfen, soweit für letztere altes -y, ?j
in Betracht kommt. Innerhalb des Gebietes, das für intervokales d
einen J-Laut zeigt (§ 7, 2 a, § 158, Anm. 1) hebt sich wieder ein
kleineres Gebiet ab, in welchem -ye-, -üj^- < -ide-^ -Me- zu äi und öy
diphthongiert sind: Mnd. smden schneiden, wtde Weide; IMe Leute,
l&den läuten u. s. f. heissen hier snäün^ väi; löy^ löydn u. s. f. Es
ist schwer, die Grenzen dieses Gebietes genau anzugeben, doch macht
es mir besondere Freude festzustellen, dass es in Wenkers Sprachatlas
recht genau umschrieben ist (in der Leute- Karte als ^^w-Gebiet).
Es mussten nur im Süden Breddin noch einbeschlossen, im Westen
Kletzke, im Norden Blumenthal ausgeschlossen werden. Die südliche
Grenze ist etwa die Verbindungslinie zwischen Havelberg und W^uster-
hausen, im Osten bildet die Seenplatte, die nördlich von Wusterhausen
beginnt, die Grenze, im Westen wird die Grenze gebildet von einer
Linie, die von Havelberg über Glöwen, Gross -Leppien, Gross-Welle,
Garz nach Tuchen geht. Tuchen und Christdorf sind die nördlichsten
Punkte, zwischen Tuchen und Christdorf, gerade südwärts von Pritz-
walk ist noch eine grosse, bis Dannenwalde nach Süden gehende Ein-
buchtung, die keine Diphthongierung zeigt, z. T. übrigens ja auch
nicht zum ^'-Gebiete gehört (§7, 2 a). Die beiden südlichsten Dörfer
der WPri, Jederitz und Vehlgart, gehören zum Diphthongierungs-
gebiet; sonst sind es, wie man sieht, in der Westprignitz nur noch
wenige Dörfer, die diphthongieren. Die Städte Kyritz und Havelberg
kennen die Diphthongierung nicht.
Anm. Bei Wusterhausen schliesst sich ein Gebiet derselben Diphthon-
gierungsart an, das ungefähr das Dreieck zwischen Wusterhausen, Fehrbellin
und Neu-Euppin umfasst.
§ 247. Über e^, äi als Umlaut zu e (< ai) s. § 82, 83; über
ei < as. e (germ. e^), ou < as. ö (germ. ö), öy (Umlaut dazu), vgl.
§ 79 Vorbem. und § 90 Vorbem.
D. Veränderungen der Vokale vor r und r-Verbindungen.
1. Die Vokale vor r und r 4- ursprünglich stimmhaften
Zahnlauten.
§ 248. r und r vor stimmhaften Zahnlauten dulden keine
kurzen Vokale, keine weiten Vokale und keine Diphthonge vor sich.
Es werden also kurze Vokale lang, weite eng, Diphthonge zu Monoph-
thongen, und zwar erscheinen e, i als e; o, w als ö; ö, w als o; im
diphthongischen Gebiet der Pri (§ 7, 1) erscheinen ei (< as. e =
ahd. ia und as. io) als e\ ou^ öy (< as. ö = ahd. uo und Umlaut
dazu) als ö, o; ausserdem werden a und ä > ö, der Umlaut von ä> e.
Vgl. § 136b; § 193.
27
As. a.
§ 249. As. a > ö, z. B. ploiix-äöä f. (mnd. plög-schar) Pflug-
schar, böä (as. bar nackt, oflfenbar) bar (von Geld), aber baift barfuss
(S 120 a); äpm-böä^ äpm-böän (as. baron entblössen) offenbar, offen-
baren; böä m. (mnd. bare, vgl. Behaghel PGr I, S. 753) Bär; vöd,
(jevöä gewahr; vöä-näm (as. wara neinan) wahrnehmen; up-vöän (as.
icaron beachten, wahren, hüten) aufwarten, np-tmrä Aufwärter; zik
vödn (as. waron oder wardon) sich hüten, bei Seite springen; vöän
(as. waron dauern) dauern (bes. von Obst); göän Garn; gö9rn (as.
(jardo) Garten ; spöän sparen ; up-föän (as. faran) auffahren ; zik fä-äöän
(zu me. darien in Furcht sein?) sich von einer Anstrengung, einem
Schrecken erholen; nöähaft nahrhaft; swöä (mnd. swarde) Speck-
schwarte; ö^rir (mnd. arrficA Art habend, vortrefflich) 1. artig, 2. sehr;
mmrix (mnd. unardich von schlechter Art) unartig; öät f. (mnd. art,
flekt. arde m. und f. Abstammung, Art) Art; föät f. (as. fard) Fahrt;
böät Bart; hdzn-äödt f. (vgl. as. skard zerhauen) Hasenscharte; mödt m.
(mnd. marte, mart, vgl. as. marprfn und ags. mear]^, meard) Marder;
Mödt'drükyt n. (mnd. mar, vgl. § 156) Alpdrücken; nöds m. (as. ars)
anus; böds m. (mnd. bars) Barsch; Ködrl, Köddl neben Kädl Karl;
köät Karte. Über nöd Narbe s. § 213, über göä gar § 214.
Anm. 1. ^äf Garde stammt aus dem Hd. und ist erst eutlebnt, nachdem
a> h> ä > b geworden war ; hd. sind auch aitix artig, hait^ hat hart ; as. ha7^d
hätte hökt ergeben.
Anm. 2. Über a vor mnd. rr s. § 135 n. Anm.
Anm. 3. Zu nöH^, böks vgl. § 165 Anm. 1.
As. e,
§ 250. As. € > e, z, B. bed f. (as. beri) Beere; nedn (as. nerian
erretten, ernähren) nähren; tMn zehren; swSdn (as. swerian) schwören;
peät {eLB, perid) Pferd, Mz. ped\ med f. (as. merie, mnd. merje) Mähre;
feä f. Fähre; h^ n. (as. heri Heer); hedriyk (as. hering) Häring;
veän wehren, beäedn (as. skerian bescheren) bescheren.
Anm. 1. über färix (mnd. verdick) fertig, hen-hafn (as. herdian stärken)
in einer Bewegung bis zum Ziele aushalten, nicht erlahmen, vgl. § 272. In den
Städten Havelberg und Perleberg sagt man pät statt peU. Über spkfliyk (mnd.
sperluik)^ Mfbdfx Herberge s. § 120 a.
Anm. 2. Sehr schwierig ist das Wort enkdrix in enkärix tipstän, d. h.
mit kleiner Bitze offenstehen, von der knarrenden, klaffenden Tür; mnd. enkarrSy
enkar. Skeat lässt in seinem Etymol. Dict. das gleichbedeutende ne. a-jar ver-
derbt sein ans a-char^ das er zurückführt auf me. on char, ags. on cyrre auf
der Wende, vgl. ags. cyrran^ cerran kehren, wenden, mhd. kerren. Dann wäre
m (= ein) volksetymologisch aus en umgedeutet, und -ix angetreter wie öfter,
vgl. § 413; über a s. § 272.
Anm. 3. Hd. ist giftniy gUtil Qärtner.
28
As. e.
§ 251. As. e > e, z. B. heä her; speä Speer; teä Teer; sweän
(rnnd. Hweren) eitern, schwären; be-geän begehren, upbegeän aufmucken;
geän gern; f^n fern; steän Stern (rnnd. stern(e)^ aber as. sterro\ ent-
weder gab es eine as. Nebenform *sterno = ahd. stetmo^ oder das
rnnd. Sterne hat sein n aus der Mehrzahl); eänst m. (as. ernust) Ernst;
k^n Kern; ea f. (as. er^d) Erde; Aed^ m. (as. h'erS) Herd; veät (as.
iv'cri) wert; Fea^ Familienname (as. w'erd Hausherr); tef/, Äre^rf/ m.
(mnd. Z:erfe) Kerl; über smeä Schmeer s. § 211, über dweä quer § 218.
Anm. 1. fkrs Vers ist hd.
Anm. 2. Über väin (as. werdan) werden vgl. § 272.
As. i.
§ 252. As. i > e, z. B. cd (as. ira, iro) ihr; ^w;edw m. (mnd.
twern(e)) Zwirn; steän (mnd. sterne) Stirn; smeän (mnd. smeren, vgl.
mhd. smirn) schmieren; ansmeän anführen. Als e ist auch das i der
französischen Verbalendung -ier behandelt, vgl. regedn regieren,
blameän blamieren, kwatedn quartieren ; I +- r hätte lä ergeben § 88.
Anm. 1. Hd. Lantgebung zeigen mar^*^n marschieren; oftsi^ Offizier;
regVdrui)k Begiernng.
Anm. 2. i vor r war schon im As. vielfach zu e getrübt, vgl. Holt-
hausen, As. El. § 84, Anm. 2. Darnm ist anch nicht zu erkennen, ob ^oa (für
*seä, s. § 277 c) Scherbe auf i oder e beruht (as. skerhin n., mnd. sckerm
(scirhe)), vgl. auch § 211 Anm. Dasselbe lässt sich sagen von shiii)k m. (mnd.
scherlingj aber mhd. schirlinc, scherlinc)^ dessen ä nach § 120 a zu beurteilen
ist. Bei 6ea f. Birne (mnd. bere) lässt sich kaum entscheiden, ob es auf lat.
2Ära oder erst auf roman. pera zurückgeht, wie ags. peru auf r'oman. pe7^ n.
Anm. 3. Über ndnix (mnd. neme < nergene) nirgend s. § 173b Anm. 1
und § 272.
Anm. 4. Über i 4- rr vgl. § 135 Anm.
As. 0.
§ 253. As. 0 > ö (Meckl. ü), z. B. döä n. (as. dor) Tor; döän
Dorn; köän n. (as. körn) Getreide auf dem Halm; smödn schmoren;
böän bohren; fä-löän verloren und ähnliche Partiz. Perf. (§ 369);
vöät Wort; öät m. (as. ord Spitze) Pfriemen, dazu wohl der Boberower
Flurname Spitsn-öät^ ein sich keilförmig in den See vorstreckendes
Stück Wiesen- und Schilfland; böät Bord; Brett an der Wand zum
Aufstellen von Töpfen; föät f. (as. ford) Furt; föäts^ födtsn (as. for^)
sofort. Über antvöät^ antvöatn (as. and-wordi, andwordian) Antwort,
antworten, ebenso über pödt Pforte vgl. § 164.
Anm. 1. Hd sind mort Mord für fast verschwundenes mhU m. (as. moiih\
wahrscheinlich auch bhdr% für *6öä (mnd. bor^ vgl. holstein. 6är) Bohrer und
fürt fort in viÜ. fürt will er fort; sonst wird der Begriff ,fort* mit vex ausgedruckt.
Anm. 2. o 4- rr s. § 135 Anm.
29
Umlaut zu o.
§ 254. Umlaut von o > 5, z. B. hodn n. (as. hörn) Hörn; vod^
vo9rd Wörter; moQrd m. in näff-mö^rä Neuntöter (Würger); Dodt
Dorothea ;
Anm. 1. ö ist kurz geblieben in ßrn (as. hiforan) Yorne, nud mit
Ansfall des r in e26'ns, veraltetes Wort f&r heizbares Zimmer^ s. § 263 Ende.
Anm. 2. Dem Hochdentschen ist mörd^ Mörder entlehnt.
As. u.
§ 255. Köät (Eigenname) Kurt. Wahrscheinlich gehört auch
spä f. (mnd. spar n.) hierher, vgl. as. spuri-helti Lahmen der Pferde ;
doch wäre auch ein as. *spor n. denkbar, entsprechend ahd. spor.
Dann würde das Wort zu § 253 gehören. Zu föä f. Furche vgl. § 217.
Anm. Hd. oder Halbhd. sind xLdxäk^ Ü9xach f. Ursache; gebü&t Geburt
{ia.ffiburd hätte geböit ergeben). Halbhd. ist auch torm Tnrm. As. tum (?),
mnd. torn (< afrz. töm? vgl. Baist, Oröbers Zs. XVUI, 280) hätte /öän ergeben
müssen. S. § 141, Anm. 2.
Umlaut zu u.
§ 256. Umlaut von as. u > o, z. B. fod (as. furi für und fora
vor) 1. für, 2. vor. spdän (as. spurian) spüren; böän (as. hurian)
tragen, heben, Geld einnehmen; zik fd-tddn (as. *tiirnian, mnd. t?or-
^öj-wßw, zu mnd. torn Unwille) sich erzürnen: död f. (as. rfwrw, rfwn)
Tür. Hierher gehört auch v5d f. (mnd. wurt, tcort, Mz. wörde) mit
Obstbäumen bestandene Hofstelle. Über mod mürbe vgl. § 214.
Anm. 1. Unklar ist, ob 8 in ^M n. Kind, bes. Mädchen anf o oder u
znrückgeht, vgl. ne. girl^ Schweiz, gurre und Braune^ Lanrembergs Scherzgedichte
S. 94. Derselbe Zweifel waltet auch bei stMn stören (s. § 97).
Anm. 2. Hd. sind geb^m Gebtthren und gütl Gürtel.
As. a,
§ 257. As. ä > ö^ z, B. höd Haar, dazu höän die Sense scharf
machen; ^'d4 n. Jahr; r>öd wahr, dazu twöds zwar; död (as. |)är) da;
^iföA (as. swär) schwer; geföd f. (zu as. fära Nachstellung) Gefahr;
röän (mnd. rüren) laut weinen; klöd (mnd. klar zu lat. clärus) klar;
röd rar (< hd. rar < frz. rare); habö9§ neben babafä furchtbar = sehr.
Hierher ist auch zu stellen öd f. (as. *ahar in aharin aus Ähren be-
stehend, vgl. ags. *ahur; mnd. ar^ äre^ am; aha > ä nach § 72) Ähre.
Anm. 1. Unklar ist, ob pöSi, Paar, paar, anf lat. J9är oder roman. jpär-
beruht; mnd. pÄr,
Anm. 2. Zn va-raftiz wahrhaftig s. § 120 a.
Anm. 3. ho^ schwer ist, wie vor allem 8 beweist, hd. Eindringling, doch
schon mbr. sw&r neben aw^r.
30
Umlaut zu ä.
§ 258. Umlaut von ä > e (vgl. § 75) z. B. hedn (as. gi-\
mnd. heren) sich gehaben ; fä-fe'än (zu as. fär^ fära Nachstellung,
mnd. vorveren, vgl. ags. färan schrecken) erschrecken; ä^ f. (as. skära^
afries. skSre) Scheere ; jedlix (mbr. jerlik^ järlik, jerlich^ järlich) jähr-
lich; veä (as. tvari^ mnd. were) wäre, war.
Anm. Der Umlaut von ä > e muss vollzogen gewesen sein, bevor a> a
> ö wurde; ö wäre sicherlich zu 3 umgelautet worden.
As. ö (uo),
§ 259. As ö (uo) > ö; z. B. möd n. Moor; snöd f. (mnd. snör
m., möre f.) Schnur; föd f. (mnd. vöre) Fuhre ;^öd m. Flur; hödn huren.
Anm. hüi (mnd. hö7'e) Hure stammt aus dem Hd. Hängt in dei /na,
in der ersten Aufwallung mit lat. färor zusammen?
Umlaut zu ö.
§ 260. Umlaut von as. ö (uo) > ö; z. B. fodn (as. förian führen,
fortschaffen) fahren ; snoän (mnd. snoren) schnüren ; jemand, der über
ein Feld, auf dem geerntet wird, geht, eine Braut, die durch ein Dorf
fährt, durch Spruch, Strohband, wehende Tücher zu einer Geldspende
veranlassen.
Anm. In Meckl. hört man vielfach föyin statt /"Bän.
As. io,
§ 261. As. io > e, z. B. bBd Bier; dedt n. (as. dior, mnd. rfer,
dert [§ 156]) Untier; dedn f. (as. ^iorna, mnd. derne) Mädchen; freän
(mnd. vresmi) frieren; fd-ledn (as. farliosan) verlieren; fed 4; featdin^
fedtix (as. fiertein^ fiertich^ mbr. verteirij verlieh^ mrtein^ mrtich) 14, 40;
fedt n. Viert (Vi Scheffel).
Anm. 1. Nehen /eä 4 hört man oft fe& (s. § 245).
Anm. 2. Hd. ist fiÜ Viertel.
2. Die Vokale vor r -h stimmlosen Zahnlauten.
§ 262. Vor stimmlosen Zahnlauten ist r gefallen (§ 136 c),
weil es unbequem ist, nach dem Zitterlaut fest und rasch einen
homorganen Fortis -Verschluss zu bilden. Das r muss verhältnismässig
früh geschwunden sein. Schon im Mnd. sind r-lose Formen belegt
(bost Brust, host Horst, s. Lübben § 32). Hätte ferner r noch
bestanden, als die Dehnung der Vokale vor stimmhaften Zahnlauten
begann, so hätten die Vokale vor r 4- stimmlosen Zahnlauten den-
selben Längungsprozess durchgemacht; sie sind aber kurz geblieben.
Wo r erhalten ist, wie in einigen Lehnwörtern, ist der Vokal auch
gedehnt worden: pödt^ Mz. pödtn (as. porta < Isit porta) Pforte; ködt^
31
Mz. ködtn (mnd. karte < frz. carte) Karte. Zu erwähnen ist noch,
dass in jüngeren Lehnwörtern r vor t noch jetzt wegfällt, wie z. B.
in kwat n. Quart (Mass), fitl Viertel, stuts < Sturz, in tipm stuts
plötzlich; gätj Gürtel, gätnä Gärtner. Zu vergleichen ist der Ausfall
des l vor k in vik will ich, zak soll ich, vek welche (§ 134) Aus
dem folgenden § ergeben sich übrigens einige weitere chronologische
Anhaltspunkte: r kann erst nach Vollzug der Umstellung von r (§ 279)
verstummt sein; es kann erst verstummt sein, nachdem durch dasselbe
e > ä^ u > 0, a > ö gewandelt war: hiist muss erst > burst > borst
geworden sein, bevor bost entstehen konnte (vgl. § 309).
§ 263. As. mnd. a, o (und der Umlaut ö) bleiben unverändert,
z. B. Staat (as. swart) schwarz; hosten Schornstein; föst f. First.
Weitere Beispiele s. § 136 c.
As. ^, e erscheinen als d, z. B. md§^ Flurname für Weide- und
Wiesenstrecken (mnd. mersch^ tnarsch Niederung, Marsch) ; gast, gästn
m. (as. gersta f) Gerste; bdstn (as. br'estan, mnd bersten) bersten;
hat Herz; stdt m. (mnd. stert) Sterz, wofür man jetzt gewöhnlich
swans sagt.
Anm. Über ö < e in dösn dreschen vgl. 277 a. In Bktl (Eigenname
= Bartel) kann a auf e und e beruhen (Grundwort Bartholomäus oder BSrht-),
Tgl. drhnb^tl Schwätzer. In unbetonter Silbe ist r geschwunden in fÖrvSits,
trüxvits vorwärts, rückwärts; im Mnd. erscheint meistens -werty selten -wetis,
für trüxvkts sagt die heutige Ma meistens trüxnö'ks. So ist denn hd. Einflnss
nicht ausgeschlossen.
As. i erscheint als ä (vgl. § 268) in kdsbdn (mnd. kersebere,
kasbere) Kirschen, im n. Teil der Pri ganz, im s. Teile fast verdrängt
durch das hd. kirä. Vielleicht ist das Wort nach § 120 a zu beurteilen.
Hd. scheint auch zu sein friä frisch. Die gewöhnliche mnd. Form
heisst versk\ doch kommt schon im Mnd. frisch neben versch vor.
Sicher hd. sind hirs Hirsch, vitäaft Wirtschaft.
As. u erscheint (meist schon. im Mnd.) als o, z. B. bost f. (as.
"^hiist, im Ablautsverhältnis zu briost, mnd. borst, bost, mbr. fast immer
hrust, brost) Brust; vost (mnd. wost) Wurst; swlns-bostn (as. bursta,
mnd. barste) Schweinsborsten; bost f. (as. brüst in erth -brüst Erdriss
Werd. GL, mnd. borst, bost) Borste, Sprung, Riss; kot (as. kurt, mnd.
kort < lat. curtus) kurz, inkot entzwei.
Anm. Hd. ist burs Bursche.
Umlaut von as. u > ö, z. B. vost Würste, kötd kürzer; vötl f.
(mnd. wartete) Wurzel; döst f. (as. \)urst, vgl. ags. ^yrst) Durst; döstn
dursten, bost f, (mnd. börste) Bürste, ftös^w bürsten, eilig laufen; kost f,
(mnd. korste, kost < lat. crusta) Kruste; .^öt f. (mnd schärte < mlat.
excurttis) Schürze. $
Anm. 1. Hierher zu stellen ist auch wohl das jetzt veraltete (/öns heiz-
bares Zimmer des alten sächsischen Hauses: vgl. mnd. domitxe, dömse, mhd.
(lümitz. Die Herleitnng aus dem Slavischen scheint mir schwach begründet.
Vgl. § 254 Anm. 1.
Anm. 2. Hd. sind gemirts Gewttrz, fürst Fürst.
32
3. Die Vokale vor r -|- Lippen- und Gaumenlauten.
§ 264. Wir haben schon § 136 darauf hingewiesen, dass mnd.
0 und ö vor r 4- Lippen- und Gaumenlauten fast ganz unverändert
bleiben, ebenso wie der r-Laut ein vollkommener Zitterlaut bleibt.
Sie hätten daher schon in den §§ 59 und 62 behandelt werden können.
Nach den anderen Vokalen wird der r-Laut mehr oder weniger
reduziert gebildet. Je unvollkommener aber r gebildet wird, desto
länger wird der Vokal, und zwar ist er vor Gaumenlauten etwas
länger als vor Lippenlauten. Doch geht die Längung nur dann über
halbe Länge hinaus, wenn ein End-e verstummt ist.
As. a,
§ 265. As. ar > öf, z. B. arm Arm; afm arm; vafm warm;
stvärm Schwärm; gäfd Garbe; däfm darben; ääfp scharf; Mrp m.
(as. warp n. Aufzug des Gewebes) Warp; hafk Harke; stark stark;
kwäfk m. nichtige Kleinigkeit. Zu farv Farbe vgl. § 212, zu narv
Narbe § 213.
Anm. 1. a > 0 in borx m. (as. barugy aber mnd. borch) verschnittenes
Schwein.
Anm. 2. Hd. ist xarx Sarg (as. sark),
Umlaut zu a,
§ 266. Umlaut zu a > d, z. B. dhnl Ärmel; dfmä ärmer;
ddfm (as. ^arm) Darm; dfv m. n. (as. erbt) der, das Erbe; hdfvst
(mnd. h&fvest) Herbst; ädfpm schärfen; ädfprixtä (mnd. scherpenrichter)
Scharfrichter; mdfgl^ mdrvl m. Mergel; drgän (mnd. ergeren schlechter
machen) ärgern; stdik f. (mnd. sterke) Stärke, junge Kuh, die noch
nicht gekalbt hat; mdfky merken; mdfk n. (as. gi-merki m.) Kenn-
zeichen ; fdfky (mnd. verk^ verken) Ferkel. Über täm den Hund reizen
(man sagt trrr,..), s. § 173b, Anm. 1, über fdfm, gdvm färben,
gerben § 215, über dHt Erbse § 212.
Anm. Hierher gehört auch ndn-ix für nkrtirix nirgends ans as. ni
hwergin (s. § 173 b Anm. 1 und § 272). Für die Altmark wird ein r&mich
noch für das 18. Jahrh. bezeugt von Bratring.
As.
e.
§ 267. As. 6 > dy z. B. vdim (as. hw'erhan hin und hergehen)
werben; dazu gevdrv (jnnd. werf n.) Gewerbe, Geschäft, Vorwand
(hd. ?) ; kdfv f. (mnd. kilrf n., kerve f.) Kerbe ; stdfm sterben (der
übliche Ausdruck ist döt hlim)\ fä-ddirft verderben; wdrk Werk (zur
Bildung kollektivischer Begriffe benutzt, wie husvdik^ bakvdfk, vgl.
Latendorf, Ndd. Korrespondenzblatt IV, 5); bäfx Berg, Mz. bdf§. Fast
ausgestorben ist swdfk n. (as. gi-swerk) schwarze Wolkenmassen.
33
As. ?'.
§ 268. As. i (mnd. e) > a, z. B. bdfk f. (mnd. berke^ vgl. ags.
Urce) Birke ; käfkhof in «?^w.^ kdrkhof wendischer Kirchhof (Flurname) ;
kdfk Kirche selbst (mnd. kerke < as. kirika) ist jetzt ganz durch das
hd. kirx verdrängt.
Anm. Hochdeutsch sind (ausser kh'x) .mm Schirm, vh'k>; wirken.
As. 0.
As. o > Oy z. B. stonn m. (as. storm) Sturm; stofm ge-
storben; korf m. (mnd. korf, as. korhilin Körblein < lat. corbem); bory
borgen; zory sorgen; zor^g Sorge; mory Morgen; bork f. (mnd. borke)
Rinde; horky horchen, vgl. § 235; snorky (mnd. snorken) schnarchen;
sfork (mnd. stork) Storch (nur in der Havelberger Gegend).
Anm. Hd. sind furxtf furxin Furcht, fürchten (as. forhia, forhtian).
Umlaut zu as. o.
§ 269. Umlaut zu as. o > o, z. B. störm stürmen, dörp n. (as.
)orp) Dorf; örgl f. (mnd. orgel n.; das weibl. orgele stammt aus dem
läufigen Plural) Orgel. Zu dem unorganischen ö für o in dörp und
örgl vgl. § 62, Anm.
As. ti.
§ 270. As. u (mnd. o) > o, z. B. vorm m. (as. wurm st. m.,
vgl. u'ormo schw. m.) Wurm; vorp m. (mnd. i/^'orjp, vgl. ags. wyrp)
Wurf; /brÄ- f. (as. furka, mnd. t?oriß < lat. furcä) Forke.
Anm 1. Zuweilen ist nicht zu entscheiden, oh u oder o zu Grunde liegt,
z. B. hei sorf m. (mnd. scharf, vgl. ags. scearf setirf) Schorf, Grind ; torf m.
(as. turf Rasen, vgl. as. torf Torf) Torf.
Anm. 2. Über torm Turm vgl. § 255, Anm.
Umlaut zu as. u.
§ 271. Umlaut zu as. u > ö, z. B. vörmd Würmer; dorm (as.
\inrhan) dürfen; vörpm Korn gegen den Wind werfen; vörpl m. (mnd.
u'örpel) Würfel; börgä Bürger; böry bürgen; vöry (as. wurgian) würgen;
(iörx (as. ^urh, mnd. dorch) durch; görgl f. (vgl. mnd. görgeln gurgeln
< lat. gurgulio) Gurgel; körbs m. (mnd. körbitze, körvese^ körvisch
< ahd. kurbi'^ < mlat. *curbita < Cucurbita) Kürbis.
Anm. Sehr schwer zu beurteilen ist bör'g f. Totenbahre, das zu as.
hurkn tragen, heben gehören rouss. Zu erwarten wäre &5a, oder bÖA, vgl. mnd.
h^re (höre?). Liegt vielleicht ein mnd. borie zu Grunde, so dass sich g < j
verdichtet hätte (vgl. merie Mähre, das aber w?eä ergeben hat) ? Oder darf man
an ein dem ags. byrgan, ne. bury begraben entsprechendes *burgian denken?
Ist femer das k in störky < mnd. störten (ndl. störten) stürzen durch
Dissimilation entstanden? Da dann diese Dissimilation aber schon stattgefunden
haben müsste, bevor r vor t fiel (§ 262), so werden wir wohl an eine selbständige
A'- Ableitung denken müssen. Auffallig ist ü in Jürn < mnd. Jürgen (§ 173 b
Niederdeutsches Jahrbuch XXXII. 3
34
Anm, 1); man würde Jörn erwarten. In stürv starb, fMürv verdarb erklärt
sich ü aus Systemzwang oder als Eiuflass des Hd. stürbe, verdürbe (vgl.
§ 373 Anm. 1).
Schlussbemerkung.
§ 272. Wir sind noch eine Antwort auf die Frage schuldig,
wie die Dehnung der Vokale vor r und vor r -(- stimmhaften Zahn-
lauten zu erklären ist. Es läge ja am nächsten, auch hier an „Ton-
dehnung^ zu denken (§ 183). Bei Wörtern wie foä < furi für,
peät < perid Pferd, vöän < waron dauern läge ja wirklich Vokal in
freier Silbe vor, bei Wörtern wie döä < dor Tor, speä < sper Speer
könnte die Länge sehr wohl aus den flektierten Kasus stammen, und
auch bei Wörtern wie gödn (mnd. garn)^ Icöän (as. körn) Korn, ja
selbst bei Wörtern wie vöät (as. ivord) Wort, höäs (mnd. hars) Barsch
könnte man an Vokaleinschub (Svarabhakti) zwischen r und den
folgenden Konsonanten denken und so zu oiFener Stammsilbe gelangen:
mnd. Schreibungen wie karel^ toren Turm beweisen, dass solcher
Vokaleinschub tatsächlich stattgefunden hat (vgl. Lübben § 14). Aber
hier erhebt sich ein wichtiger Einwand: Vokaleinschub fand, wenigstens
in der as. Periode, hauptsächlich zwischen r -{- Lippen- oder Gaumen-
lauten statt (vgl. Holthausen, As. El. § 144), und gerade vor diesen
Lauten unterbleibt die volle Dehnung. Dagegen haben wir gesehen,
dass eine halbe Längung dann eintritt, wenn das r nur schwach
gebildet wird, und dass mit Zunahme der Schwächung des r auch
die Längung zunimmt. Diese Erscheinung kann uns m. E. den Weg
zeigen zu einer befriedigenderen AuiFassung der Dehnung der Vokale
vor r -h Zahnlauten, d. h. homorganen Lauten. Vor den stimm-
losen Zahnlauten war r ja früh ganz gefallen; vor den stimmhaften
Zahnlauten ging r allerdings nicht spurlos verloren, aber es wurde
immer reduzierter gebildet, und es blieb von ihm schliesslich nur ein
unbestimmter vokalischer Laut a(^) übrig. Zum Ersatz aber wurde
der voraufgehende Vokal lang. Wir haben schon mehrfach (§ 227
Anm., § 244 Anm.) von dem Prinzip des Morenersatzes innerhalb mehr-
silbiger Wörter gesprochen. Wir hätten nunmehr hier eine mecha-
nische Quantitätsregulierung, d. h. die Tendenz, die überlieferte
Morenlänge des Wortes zu erhalten, innerhalb ein- und derselben Silbe.
Auch über die Zeit des Eintritts der Dehnung lässt sich noch
einiges sagen. Nerger weist §§ 12, 22, 28 nach, dass in Mecklenburg
a, ß, 0 vor auslautendem r schon um 1500 lang waren {dar dort,
dör Tor, hßr Heer), und dass ebenso a, e, und o vor rd und rn schon
im 15. Jahrh. lang waren, beweisen Schreibungen wie baert^ eerde,
veerne, moerden Bart, Erde, ferne, morden (s. Nerger § 13 Anm. 2,
§ 20 Anm. 2 und § 22 Anm. 2), entsprechend der heutigen Aussprache.
Auf frühzeitige Längung von e vor rd lässt sich noch aus einem
anderen Grunde schliessen. Da, wo in Pri heute ä vor r gesprochen
wird (§§ 263, 266, 267, 268) sagt der Mecklenburger a, also gast
Gerste, ärgän ärgern, väik Werk, härk Birke, vgl. § 6, 3. Dieses a
35
muss aus ä entstanden sein und lässt auf Kürze des Vokals vor r
schliessen. Es findet sich schon in Urkunden des 16. Jahrh. (wie in
Nord Westdeutschland, s. Lübben § 19). Nie aber findet sich dort
ar für er vor d: e -\- rd muss im 16. Jahrh. also anders gelautet
haben als er vor den übrigen Konsonanten. Wir dürfen sagen: e -|-
rd war schon gedehnt, als er vor den übrigen Konsonanten > a, in
Meckl. > a wurde. Nur in 3 Wörtern scheint e vor rd zunächst kurz
geblieben zu sein: mnd. herden durchhalten, verdick fertig, werden
werden heissen jetzt hävn^ fdrix^ vdfn, in Meckl. Aöfw, färix^ vafn.
Ich denke mir die Entwickelung der drei Wörter folgendermassen.
Mnd. herden, verdick, werden wurden zunächst > kdrden, färdick, würden.
Nun lässt sich ein zwiefacher Weg der Weiterentwickelung denken.
a) r ist ausgefallen unter Ersatzdehnuug von d ; d, nunmehr zwischen
Vokalen stehend, ist in der gewöhnlichen Weise > r geworden (§ 158),
also : hdden, fddick, wdden > kdin, fdrix, vdfn. Ein ähnlicher Ausfall
eines r vor n mit Ersatzdehnung liegt vor in ndnix nirgend < ndrn-ick
< iieme, /lergene (§ 266, Anm.). Oder b) -rd- hat sich zu rr assimiliert,
(irr > dr entwickelt, also : karren, färrick, wdrren > kdfn, fdrick, vdrn,
Dass ärr > dr werden konnte, zeigt enkdrix (§ 250 Anm. 2), vgl.
här < karre < kadde hatte. Die Frage, oh d > r oder rd > rr > r
geworden ist, wird bei der Assimilation von rd > r (§ 284) erörtert
werden.
Eine andere Frage ist, warum gerade diese drei Wörter sich
der regelmässigen Entwickelung entzogen haben, wie sie z. B. vorliegt
in gö9hi (as. gardo) Garten, vod (mnd. worde) eä (as. erda) Erde.
Es ist zu bedenken, dass vdrn werden als Hülfsverbum oft unbetont
ist; fdrix kann nach § 120a beurteilt werden, und kdfn kam, wie
heutzutage, vielleicht schon in der mnd. Umgangssprache nur mit
starkbetonten Präfixen verbunden vor, wodurch die Stammsilbe selbst
in den Nebenton gedrängt wurde. Heutzutage sagt man nur : Mnkdin,
anhäfn,
E. Einwirkung von l -}- Kons, auf vorhergehendes a.
§ 273. As. a -f- Id, It ist (schon in der mnd. Periode) > o
geworden, z. B. olt (as. ald) alt; kolt (as. kald) kalt; koln (as kaldan)
halten, kolt halt ; Bolt Eigenname (as. bald kühn) ; zolt (as. salt) Salz ;
nioU n. (as. inalt) Malz; smolt (mnd. sinalt, smolt) Schmalz.
Anm. 1. Für dei kkn foln (mnd. foldeUj as. faMan) die Hände falten
sagt man: dei hl/n foly (folgen).
Anm. 2. AU hd. erweisen sich durch ihr a: halt\i9\^\ valt Wald; gevalty
gecdtix Gewalt, gewaltig; gestalt Gestalt; fk-valtn^ fk-valtk verwalten, Ver-
walter; falt f. Falte, fcdtn falten. Für valt sagt man übrigens gewöhnlich liolt
Holz oder dan Tannen.
§ 274. Als Umlaut "erscheint das jüngere ö (vgl. § 77), z. B.
olä älter, köld kälter; köht, költ (as. heldis, kehlid) hältst, hält; öldn
(as. eldiron, mbr. öldefi'en) Eltern.
3*
36
F. Einwirkung der Nasale (und /) auf vorhergellendes
e und 0.
§ 275. Weit weniger als in westlichen ndd. Mundarten (vgl.
Maurmann § 174), ja, weniger als in anderen ostelbischen Mundarten,
z. B. im Holsteinischen (vgl. Bernhardt, Ndd. Jb. XVIII, 94, Prien,
Korrbl. XV, 93) ist in unserer Ma. e, e vor n, y -(- Kons. > /
geworden. Ich kenne nur die Wörter: min.^ (as. mennisko^ mbr. mensch.
minsche) Mensch; ttvintix (as. twentich^ mbr. twintich^ selten twentieh)
20; hiyst (mbr. hingest^ hengest) Hengst.
Anm. Für Meckl. kommt noch fiiist^ Fenster hinza: unser feiistd mag
vom Hd beeinflnsst worden sein.
§ 276. Demgegenüber hat sich nicht selten i -h Nasenlaut -f-
Kons. > e gewandelt, z. B spen f. (mnd. spinne) Spinne (aber spin
spinnen); bleykt^ bleykän (mnd. hlenkeren) Feuerschein, blinken; hlenU
liyk m. Blindschleiche; swem (mnd. swemmen) schwimmen; veyky (mnd.
wenken) winken. Vgl. auch fien hin, eyfeä Ingwer (mbr. engever) und
zu swem und veyky § 373 Anm. 2.
Anm. In einigen Wörtern ist i vor / H- Kons. > e geworden: kamcln
Kamillen; selp n. (as. *skilp < lat. scirpus) Schilf. Für melk (as. miluk) ist
§ 242 eine andere Erklärung versucht worden.
§ 272. Die lat. Vorsilbe con- und französisches o +■ Nasal
erscheinen in unserer Ma. gewöhnlich als uy^ un^ z. B. uykl Onkel;
kuntöd < comptoir; kuntrakt Kontrakt; kuntähant (< contrehandt)
Schmuggelware.
G. Labialisierung.
§ 277. Unter der Einwirkung gerundeter Nachbarlaute, also
namentlich unter Einfluss von Lippenlauten, von s < sk^ das ja mit
starker Vorstülpung der Lippen gesprochen wird (§ 13), dann aber
auch von l und r, die früher Hartgaumenlaute waren und als solche
dazu geeignet waren, einen verdumpfenden Einfluss auszuüben, und
schliesslich auch, was mehr auffällt, in der Nachbarschaft von s, sind
vielfach 6, e > ö^ ä > h, e > ö, i > ü gerundet worden.
a) e, e > ö, z. B. äöpm (as. skepino^ mbr. schepen, vgl. aber das
häufige schöpper Schöpfer) Schöflfe; twölv^ twölm (as. twelif, mnd.
ttvelfe, twölfe) 12; äröpm (mnd. schrepen striegeln) schröpfen; frömt
(as. freimii) fremd; fröfii f. (mbr. vrmnde, vrömde) Fremde; völtän
(mnd. weitem^ wölteren) wälzen; smöltn (mnd. smelten) schmelzen; völm
(as. hwelbian) wölben; löän (as. leskian) löschen; dö§n (mnd. derschen^
dorschen, vgl. ags. ^erskan) dreschen; rön (as. rennian^ mnd. rennen^
rönneti) rennen; bölky (mnd. belken^ hölketi) blöken, laut schreien;
vörmt (§ 120) Wermut; stvövl m. (mnd. swevel) Schwefel; göps i, (mnd.
gepse) Hohlraum der zusammengelegten Hände; zös (as. sehs^ mbr.
ses, sös) 6; zör9 (§ 241, 242 Anm. 3) seit; jüöts m. (mnd. pleze) Plötz,
37
Rotfeder (Fisch); vök welche (so in den Eibdörfern, sonst vek). Von
dumi)f sprechenden Leuten hört man auch löt für let lässt und Ähnliches.
Anm. 1. Für Meckl. kommen uoch föftein^ föftix 15, 50 und Verbal-
fonnen wie fölt fällt hinzu (Pri sagt fkftein, fUt)\ für OPri geht ab iwdilv 12.
Hinzu würde für Pri noch kommen spi'ök dürres Leseholz {sprök-^mk grosse
Waldameise), wenn es von einem *sprek käme, vgl. westf. sprik nnü digs, sprec;
aber mnd. sprok.
Anm. 2. hol Hölle ist hd ; vgl. helis =■ sehr (§ 119).
b) a > ä, z. B. fi^^gl m. (as. flegil^ mnd. vleyel^ vlogel < lat.
flagellum) Dreschflegel; fkl (as. fiUi^ mnd. vele^ vole) viel; zkm (as.
sihun^ mnd. seven^ soven) 7; spkln (as. s^pilon sich körperlich bewegen,
mnd. speien^ spölen) spielen (zu spöl Spiel vgl. § 197 Anm. 2); swklk
Schwalbe (§ 211), wenn es fiir swäleke steht; ä könnte aber auch
jüngerer Umlaut zu a. sein, vgl. mnd. siväleke und § 186.
Anm. Meckl. sagt /*ä/, spailn. Vgl. zu /*ä/, ^äm, sjmln Jellinghaus,
zur Einteil, der ndd. Maa. S. 13 f. — Auch klktkn rasseln und Ikxix kraftlos,
die wir § 185 Anm. 2 mit me. clateren und ags. leswe zusammengestellt haben,
könnten hierher gehören.
c) e > o in soä Scherbe (s § 211, Anm.).
d) i > w, z. B. väst (mnd. wiste^ wüste; gewist^ gewäst) wusste,
gewusst; büst bist (as. bist, mnd. bist^ biist), Beeinflussung durch bün
bin (§ 241) wird anzunehmen sein; zmit (as. sindim) sind, seid; ziilvä
(as. siluhar, mbr. silcei^ stiller) Silber; müt (as. m/rf, mbr. mit; die
Nebenform as. med, mbr. ?net hätte möt ergeben) mit; ülk f. (mnd
illeke, ilke) Iltis; ümä (as io-mer, mbr. immer, ümmer) immer; drür
(as. ^riddia, mbr. dridde, drüdde) dritte; drütix (as. \irttig, mnd. drittich
drüttich) 30 [driitein < }^riutein § 239 mag eingewirkt haben). Hierzu
tritt noch das aus dem Hd. stammende zülv f. Silbe.
Anm. 1. Auffällig ist ü < d in zülm^ zühix seihst, selbige (as. sctbo,
mnd. selve, sölve, sülve), — Über düs dieser, diese, düi dieses, dies vgl. § 239, Anm.
Anm. 2. Über tüsn zwischen, xül Schwelle und andere s. § 128, Anm. 2.
Anm. 3. Meckl. sagt dötMn 13, dötix 30.
e) ^' (< e, § 81 Vorbom.) > öy in löy^ f. Geleise (Danneil: leis),
(Für waganliasa in den Werden. Prudentiusglossen setzt Wadstein
in. E. mit Recht waganlesa an.)
§ 278. Der entgegengesetzte Vorgang, Entlabialisierung, findet
statt, wenn öy, Umlaut zu germ. awü, in der nordwestl. Ecke der
WPri zu äi Avird, z. B. hög > hai Heu, s. § 98 nebst Anm. 1 und 2.
^il als Umlaut zu as. ö (uo) wird > äi nur in morn frdi morgen früh
und wahrscheinlich in dem Bachnamen Main; vgl. § 92, Anm. 2.
H. Metathesis.
a) von r.
§ 279. Bei Kons. -H r vor Vokal + st, sk ist r schon in der
ersten Zeit der mnd. Periode hinter den Vokal, d. h. vor st, sk
38
getreten. Nach § 262 ist dann weiter r vor st gefallen, aber erst,
nachdem e>ä^u>o^ü>ö gewandelt war. Beispiele: hästn (as.
brestan, mnd. bersten) bersten, bost Riss, Sprung ; bost (as. brust^ mnd.
brost^ borst^ bost) Brust; kost f. (mnd, korste, koste < lat. crusta) Kruste
des Brotes; dösn (mnd. derschen, dörschen) dreschen.
Anm. Für Meckl. kommen abweichend von der Pri hinzu: döth/n, dötix
13, 30 (Pri drütUriy drütix § 277 d); börn Kälber grossziehen, für das wir
vMkn wässern sagen und das zum alten bom Brunnen gehört (jetzt %öt und
pütn). Dem mnd. bernen brennen steht jetzt briji gegenüber.
Umgekehrt heisst es in unserer Ma. vrat f. (mnd wratte^ vgl.
ags. wearte^ ahd. warzd) Warze, wohl in Anlehnung an den häufigen
Anlaut wr ^ 127. Die Umstellung muss schon eingetreten sein, bevor
r vor t geschwunden war (§ 136 c). Auch hört man nicht selten
trümtn für tärrnm Termin.
b) von l.
§ 280. Wie im Ags. (s. Sievers, Ags. Gramm. * § 183,2), ist
in unserer Ma. die as. neutrale Bildungssilbe -isli (gurdisli Gürtel)
durch Umspringen des l > Is < eis geworden, z. B. häkls Häcksel,
sträidls Streu. Vgl. ags. Tyt/rdels^ yjrdisl und ahd. amsaki neben
amasla. Weitere Beispiele § 408.
I. Konsonantenassimilation.
1. Progressive Assimilation.
§ 281. As. mb, mnd. Id, nd, md, yg, rd werden inlautend
zwischen Vokalen > mm, 11, nn, mm, yy, rr > m, l, n, m, y, r (ä).
Im Auslaut entsprechen m^ It, nt, m (m), yk, rt, so dass wir folgende
Paare erhalten: lam — lämä Lamm — Lämmer, olt — ölä alt — älter,
laut — Idnä Land — Länder, layk — lay lang — lange, peät — j^ea
Pferd — Pferde. S. auch Heilig, § 273 f.
§ 282. mb > m, z. B. lam (as. Zam&, mnd. lam^ lammes) Lamm;
kam (as. kamb^ mnd. ka7n) Kamm; kern (as. kemJnan) kämmen; dum
(as. dumb^ mnd. dum^ dummes) dumm; krum (as. krumb) krumm; imi
(mnd. imme^ vgl. ags. ymbe Bienenschwarm) Biene; imrump Bienenkorb;
Um (as. umbi) um; emä (as. embar^ emmar) Eimer.
Anm. mm < mb kommt vereinzelt schon im As. vor; im Mnd. ist keine
Spur mehr von mb erhalten.
§ 283. a) Id > 7, z. B. mein (as. meldon) melden; sein, sül, suln
(as. skeldan) schelten, schalt, gescholten; goln golden; suld (rnnd.
schulder) Schulter; bulän (mnd. bulderen) dumpf rollen; sülix (as.
skuldig) schuldig.
ß) nd > w, z. B. hanin (as. handlon behandeln) handeln; hän
Bände, Bänder; ven (as. wendian) wenden; lin f. (as. lindia Linde;
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Jana Kinder; sinä (vgl. as. bi-skindiun abrinden) Schinder, Abdecker;
rinl f. (as. ivindila) Windel; bin^ bün, bun (as bindan) binden, band,
gebunden; vun f. (as. wunda) Wunde; lunä n. (as. wundar) Wunder;
un (mnd. unde) und; stim f. (as. stunda Zeitpunkt) Stunde; kiil f.
(mnd. kiilde) Kälte; zun (as. siindia) Sünde; münix mündig.
Y) nid > m (oder m?), z. B. häm n. (mnd. heniede) Hemd; fröni f.
(mbr. vrömde) Fremde
Anm. 1. Der unter [:^ fallende, schou mnd. Wandel der Endung -ende
des Partizipiums Präs. > ennc > en musste der Verwechselung und Vermischung
mit dem Infinitiv nnd seiner Flexion (en^ eniie: Gerundium) den grössten Vor-
schub leisten.
Anm. 2. In thi Zahn, Zähne (mmeckl. lan^ tmc) muss d schon vor
Eintritt der Tondehnung geschwunden sein, vgl. § 203. — In iVmundüm um
nnd um, Kvkund^vd, über und über hat sich das d von und gehalten, und zwar
dadurch, dass es zum folgenden Vokal gezogen, also anlautend wurde.
Anm. 3. Für den Übergang von Id, nd > llj nn lassen sich in Namen
schon um das Jahr 1000 herum Beispiele beibringen. Vgl. vor allem Seelmann,
Ndd. Jb. XII, 91. In anderen Wörtern beginnen die Beispiele mit dem 14. Jahrb.;
8. dazu Tümpel, Ndd. Studien, S. 56 ff.
^) V9 ^ y^ z. B. dray (mnd. dränge) gedrängt voll, beengt, fest;
tmj (as. tangd) Zange; stay (as. ntanga) Stange; prayl m. {xnndi. jirange
Plahl) dicker Knüppel ; kriyl (mnd. kringel) Kringel, Bretzel ; ziyy^ zily^
zuyy (as. singan) singen, sang, gesungen; tuy (as. tungd) Zunge; hiiyä
(as. hungar) Hunger. Vgl. behaghel, PGr. I, S. 732.
§ 284. rd > r, f, rf, z. B. swöä f. (mnd. swarde) Schwarte;
gödvn m. (as. gardo) Garten; öorix (mnd. ardicii) artig, Adv. sehr
(§ 249 und Anm.), Yinödrix unartig; fdrix (mnd. verdick) fertig; härn
(as. herdian, mnd. herden) aushalten (§ 250 Anm.); väin werden; eä f.
(as. er^ä) Erde; peä (mnd. perde) Pferde; voä (mnd. worde) Worte;
roa f. (mnd. Mz. wörde) Hofstelle (§ 256); näy-mo9rä Neuntöter. Es
kommen noch hinzu das hd. gär Garde und das franz. orä (< ordre)
Nachricht, während in dem ebenfalls hd. mördä Mörder d erhalten ist.
Über das t in antvöatn antworten, fö9tn Fahrten, öatn Arten s. § 164.
Anm. Für die Ma. von Mülheim a. d. Buhr verzeichnet Manrmann
(§§ 138, 139) die Formen xäde Garten, vMe werden, fM9x fertig, a.:t Erde,
<!• b. r ist vor d ausgefallen. Man könnte nun annehmen, r sei auch in unserer
Ma. vor d ausgefallen, und das nunmehr intervokal gewordene d hahe sich
in der gewohnten Weise zu r gewandelt (§ 7,2 a, § 158). Hiergegen spricht
vor allem, dass auch in dem Teil der Pri, wo intervokales d > j gewandelt ist,
iu den oben aufgezählten Wörtern r gesprochen wird, dann auch, dass aus d
entstandenesjin den Auslaut getretenes r erhalten bleibt und nicht mehr zu ä wird ;
vgl. z. B. sär Schade, fr^r Friede, 7nöf/r müde mit eä Erde, vok Worte. Der
Grnnd, dass r < d weite lange Vokale und Diphthonge vor sich dulde, während
die oben aufgezählten Beispiele dem in § 248 über die Vokale vor r -f stimm-
haften Zahnlauten aufgestelltem Gesetze gemäss lange enge Vokale vor sich
baben, darf nicht ins Feld geführt werden. Wir müssen unter allen Umständen
annehmen, dass mit Ausnahme von fdrix^ hähiy vürn^ worüber § 272 zu ver-
gleichen ist, sich der Vokal schou gedehnt hatte und auch eng geworden war.
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als -rd' noch intakt war. Denn das setzt auch meine Annahme der Assimilation
voraus, da sich vor rr < rd ebenfalls nicht lange enge Vokale entwickelt hätten
(vgl. § 135). Wohl aber ist es berechtigt anzunehmen, dass nach langem
Vokale rr ohne weiteres > r wurde, und dass dieses r zugleich mit dem gewöhn-
lichen r im primären und sekundären Auslaut > ^ reduziert wurde (§ 137). In
der Frage also, ob für das heutige gödfn Garten, jpeä Pferde, v^k Worte von
*gödrenj *pGdre^ *v^dre oder gö9den, p^dde^ v^dde auszugehen ist, entscheide ich
mich durchaus für die erste |leihe, mit der stillschweigenden Voraussetzung, dass
das r dieser Beihe für ?r < rd steht. Über Schreibungen im Mnd. wie peei'de,
gaerden vgl. noch § 272 am Ende.
§ 285. Über Adjektive wie eyk enge, mit wild < as. engi^ mikli
vgl. § 342. Substantive wie bilt Bild (s. § 188 Anm. 1.) sind wohl
aus dem Hd. entlehnt.
§ 286. 'tk' > t in lilt klein (as. luttik^ mnd. liittik\ auszugehen
ist von flektierten Formen wie lütke) ; hätn ( < bätken, zu as. biti, mnd.
bete Biss) bischen. Für Meckl. kommt noch mätn Mädchen hinzu
(mnd. megedekln^ mBgdeken^ medeken)\ die Pri lagt fast ausschliesslich
deän^ selten mäky. Ob auch mätnzomä Altweibersommer hierhergehört?
Kluge verzeichnet unter 'Altweibersommer' ein pommersches
mettkensamet^ ohne das erste Glied zu erklären. Soll dies mettken
zu mnd. medeke Regenwurm gehören, also als Madensommer zu
deuten sein? Das mätri der Pri würde sehr gut zu Martin (mnd.
Merten) stimmen, so dass dann das Wort Martinssommer, d. h.,
wegen des späten Tages dieses Heiligen, Spätsommer bedeuten würde.
Der S. Mertendach bezeichnete früher das Ende des Sommers.
Anm. Die Assimilation von tk > /, oder, wenn man lieber will, der
Verlust des k nach t ist wohl erst jüngeren Datums. Für Hamburg ist betiken
bischen aus dem Jahre 1774 belegt, s. Zs. f. d Phil. XVIII, S. 382; etwa um
dieselbe Zeit verzeichnet Bratring für die Altmark bätken. Derselbe Bratring
gibt lütte oder lüttke an, und in vollständiger Übereinstimmung damit schreibt
Hindenberg neben lüt als Beispiel lüt oder lütke diern. Die Dörfer Lütkendorf
bei Putlitz, Lütkenwisch bei Lenzen heissen im Volksmunde Lütndörp und
Ijütnmä.
o
§ 287. st -\-' l > sl in dlsl m. (as. }^istil) Distel; man liört auch
faslämt für das häufigere fastlämt (mnd. vastelavend) Fastnacht.
2. Regressive Assimilation.
§ 288. hs > SS > s, s. § 180.
§ 289. Mnd. -ggen und -bben nach kurzem Vokal werden im
nördl. Teile der WPri (vgl. § 7,2 c) durch vorzeitiges Senken des
Gaumensegels > yy und m, z. B. a) zeyy (as. seggian, mnd. seggen)
sagen, aber ik zex ich sage; leyy (as. leggian^ mnd. leggen) legen,
aber ik lex ich lege; liyy (as. liggian) liegen, aber ik lix ich liege;
^VV ßggen, Eggen, aber ik ex, dei ex ich egge, die Egge; j^^^PV pfl^g^D?
gewohnt sein {2l^, plegan verantwortlich sein, verbürgen; im Mnd. muss
ein pleggen entstanden sein, und zwar wahrscheinlich unter Einwirkung
41
von Seggen, leggen^ ausgehend von der 3. Pers. Sing. Präs., sext : seggen
= plext : pleggm)^ aber ik plex ich pflege; royy neben rox (as. roggo)
Roggen; poyy Frösche, Mz. von pox (mnd. pogge)\ niüyy Mücken,
Mz. von müx (as. miiggia); hrüyy Brücken, Mz. von hräx (as. hruggia)^
rüyy (as. hruggi) Rücken; sniyy Schnecken, Mz. zu snik (mnd. snigge).
Dieselbe Erscheinung liegt vor bei den Zeitw. auf -igen^ z. B. kiiniyy
kündigen, beläidiyy beleidigen, und den schv^rach flektierten Formen
der Eigenschaftswörter auf -ix, z. B. düxdiyy tüchtigen, rixtiyy
richtigen. — ß) Ä:rm Krippen, Mz. zu knf (as. kribbia); rim Rippen,
Mz. zu rif (as. ribbi)\ hem (as. hebbian^ mnd. hebben) haben.
Anm. In der Bedeutung ^verpflegen* heisst as. plegan jM-y^ 3. Pers.
Präs. Sing, plagt, daza töuplä-y den Manrem Steine nnd Kalk zutragen. Zu
rim < ribm vgl. man as. stemna < *stehna, mnd. stempfie, stemme Stimme;
die bentige Form stim ist hd.
§ 290. Einzelne Formen : har hatte < mnd. hadde < as. habda,
kidda\ hat gehabt < mnd. (ge)hat < as. gihabd^ gihad; bäsböm (§ 188)
< wäsböm Wiesenbaum, Heubaum; dr > rr > r in häräk (mnd. hederik)
Hederich, das sich wohl an märäk < mnd. merredik Meerrettich
angelehnt hat, wie umgekehrt märäk an häräk,
§ 291. Vielfach nimmt ein Nasal die Aitikulationsstelle des
folgenden Konsonanten au. z. B. in zämp Senf, hämp Hanf, umbevust
(hd.) unbewusst; tiyglilk Unglück, höyykn Hühnchen, kayk (< kau ik,
s. § 298) kann ich.
§ 291a. Eine sehr interessante Assimilation, schon deshalb, weil
zugleich vorschreitende und rückschreitende Angleichung vorliegt, ist
die von as. neuan ausser > *neman > man > man nur. Vgl. Woeste,
Zs. f. d. Phil. XVII, S. 432 ff. und Behaghel, P. Gf. I, S. 732.
K. Dissimilation.
§ 292. Von zwei in einem Worte vorkommenden benachbarten
r und l geht leicht das eine verloren oder in eine andere Liquida über.
a) Ausfall eines r und /, z. B. födlst vorderste (mnd. vorderste
das zweite r ist späterhin nach § 344 Anm. 2 in Z übergegangen);
forän (mnd. vorderen fördern; vorfordern, forderen (vor -rd- hätte
sich nach § 284 der Vokal längen müssen, die Kürze des ö erklärt
sich am besten durch die Annahme frühzeitigen Ausfalles des r, so
dass als Grundlage unseres Wortes mnd. voddern anzusetzen wäre.
Aus mhd. vödern neben vordem stammt födän^ das der Prignitzer
gebraucht, wenn er hochdeutsch spricht); Tätä Zigeuner < Tartar
(die Akzentversetzung und die Tondehnung deuten auf frühen Schwund
des ersten r); qtmte'ä (schon mnd. qiiater) Quartier; sane'ä Scharnier;
Wxläm < Wilhelm. S. auch § 136 Anm.
b) Veränderung eines r und l, z. B. balbe'än barbieren, marml-
den = Marmorstein, Klicker; knilpl (mnd. klüppel) Knittel, zik äfmathi
sich abquälen (zu martyrium s. § 136 c).
42
L. Konsonantengemination und Konsonantendehnung.
§ 293. Ebenso wie alte Geminata stets vereinfacht ist (z. B.
Wa Keller; ^7w wollen; .9wr^^ schurren ; stirem schwimmen ; brän brennen;
laxn lachen; akä Acker; pötä Töpfer; höpä Frosch; kiisn küssen), so
auch im allgemeinen die Gemination, die in älterer oder jüngerer Zeit
durch Konsonantenangleichung (§§ 281 — 288) entstanden ist, z. B.
emä Eimer, mesn misten (§ 180), sülix schuldig, mil Windel, hmß
Hunger, färix fertig, käräk Hederich. Dass im letzteren Falle
ursprünglich Doppellaute entstanden sind, ist nicht zweifelhaft. Sie
haben sich bei mm < md und nn < nd z. T. bis auf unsere Zeit
gerettet und kennzeichnen sich jetzt als lange rh oder n (oder w, »V)
in den drei Wörtern härh Hemde, fröm Fremde, htm Hunde. Für n
ist abgesehen von hufi jetzt fast regelmässig n eingetreten ; man hört
aber noch z. B. san neben §an Schande, hän neben häfi Hände, eii
neben en Ende, die ersteren Formen bei emphatischer Betonung.
Vgl. § 18, 2.
§ 294. Es ist schon § 18, 1 hervorgehoben worden, dass Ij m,
Uj r dann lang gesprochen werden (oder als /; m, n, r?), wenn nach
darauf folgendem, ursprünglich stimmhaftem Reibelaut ein e verstummt
ist. Die Dehnung der Konsonanten tritt also unter denselben Bedin-
gungen ein, unter denen bei Abwesenheit solcher Konsonanten der
voraufgehende Vokal überlang wird (§ 17, § 227). Reduziertes f
überträgt seine Länge auf den vorhergehenden Vokal. Beispiele:
zaVv Salbe; el'^ Eller; feVg Felge; häV^ Hälse, Mz. zu hals\ vilFv
Wölfe, Mz. zu vulf'^ hart halbe, flektierte Form zu half; lüm Lünse
(Achsnagel); däm Tänze, Mz. zu dans\ kräns Kränze, Mz. zu krans;
stvdm Schwänze, Mz zu swans; swemt schwimmt; zorg Sorge; borg
Totenbahre; körv^ Mz. zu korfKorh. Aber bei reduziertem f halblanger
bis langer Vokal: (/äfd Garbe, äfvt Erbe, bdfg Berge, Mz. zu bärx.
M. Grammatischer Wechsel.
i:^ 21)5. Der nach dem Vernerschen Gesetze ursprünglich statt-
findende Wechsel zwischen stimmhaften und stimmlosen Konsonanten
ist stark verwischt, besonders dadurch, dass altes b und f im Inlaut
> f\ im Auslaut zu f zusammengefallen sind, altes d > d geworden
ist. Diese und andere Verwischungen gehen bis in die as. Zeit zurück,
vgl. Holthausen, As. El. § 257. In anderen Fällen ist der alte Wechsel
durch Ausgleichung beseitigt worden. Doch sind immerhin noch
Spuren des alten Verhältnisses bewahrt.
a) Wechsel von s(z) — r(ä), fä-leän (as farliosan)^ fäled ver-
lieren, verliere — fä-liist verlierst, verliert; freän (mnd. vresen)^ frea
frieren, friere — fräst frierst, friert; ced. redn war, waren — r&»,
vest sein, gewesen.
43
b) Wechsel von h — g: slän (as. slahan), slä, sleit schlagen'
schlage, schlägt — ^löyg^ slöy-y schlug, schlugen ; zein^ zei, z&t sehen,
sehe, sieht — zez§, zei-y sah, sahen ; nä nahe — negä^_ näxst^ n%,gt
näher, nächste, Nähe ; däi9n gedeihen — dd^g Gedeihen, dägän tüchtig,
stark (§ 188).
c) Wechsel von hw — w könnte einen Reflex in dem unter b
angeführten zelg^ zei-p sah, sahen und in te-y Zehe haben, wenn man
annehmen will, dass der § 130 besprochene Übergang von w > g auch
nach hellen Vokalen eintreten kann; vgl. as. säivim^ säwi und mnd.
tewe. Auf alle Fälle steht te-y mit hochdeutschem Zehe in gramma-
tischem Wechsel. Einem w^ das ursprünglich mit hw wechselte, scheint
auch rüx^ rü-y rauh sein g zu verdanken (vgl. as. f'ügi, rüwi rauhes
Fell, mnd. rw, rüch^ mnl. mw).
Anm. Wechsel von h-g ist zu gansten von // ausgeglichen in hoch (as.
ÄöÄ, mnd. Äö, höcii) hoch — Ä8^ä höher, höxt Höhe, wohl auch in tax (mnd. ^ä) zähe.
N. Sat^doppelformen und Sandhierscheinungen.
§ 296. In der lebendigen Rede erleidet die Normalform der
einzelnen Wörter oft grosse Veränderungen, hauptsächlich dadurch,
dass sie im Satzzusammenhang weniger betont werden, oder dass sie
sich eng an die Wörter anlehnen, mit denen sie dem Sinne nach
zusammengehören und häufig zusammenstehen. Solche Satzdoppel-
formen sind uns im Laufe der Untersuchung schon öfter entgegen-
getreten. Wir haben § 233, Anm. 1 auf gundax (für gourn däx)
guten Tag hingewiesen; § 179, Anm. 2 für dox^ nox eine verkürzte
Form do in dönix^ nönix doch nicht, noch nicht, für zö so, vö wo
ein zö^ vö in zövl soviel (§ 120 a), zön so ein, solch, vövl wieviel
(^ 120 a) kennen gelernt. Besonders die Behandlung der Komposita
(§ 120 und 120 a) hat uns eine Reihe solcher Doppelformen, wie sie
durch schwache Betonung oder enge Verbindung mit anderen Worten
entstehen können, kennen gelehrt. Es sollen hier noch einige besonders
häutige und wichtige Satzdoppelformen im Zusammenhange behandelt
werden, die besonders das Geschlechtswort und die persönlichen Für-
wörter betreffen.
§ 297. Inklination des Artikels und des hinzeigenden
Fürworts. Proklitische Anlehnung des bestimmten Artikels findet
sich in einigen versteinerten Genetiven : säms des Abends, smorns des
Morgens. Enklitisch lehnen sich der bestimmte und unbestimmte
Artikel gerne an Präpositionen. Dabei werden ddn (mnd. dmie^ dene)
> n, nach w, t > w, nach Lippenlauten > m, dei > t, dät (mnd. dat)
> t^ nach t > ft (§ 154), z. B. ndn gödin nach dem Garten; toim
man zum Manne; btn smet beim Schmied; in zäl im Saal, in den Saal;
m stävl am Stiefel; mütn grävä mit dem Gräber; üt)i stal aus dem
Stalle; upm dis auf dem Tische, auf den Tisch; nät soiU nach der
Schule; bit smär bei der Schmiede; int sün in der Scheune, in die
44
Scheune; ant kirx an der Kirche; npt strät auf der Strasse, auf die
Strasse; üift sVifi aus der Scheune; mäft sflp mit der Schuppe; npt
dak auf dem Dache, auf das Dach ; foat hüs vor dem Hause, vor das
Haus; bU häwn beim Heuen. Der unbestimmte Artikel wird > n, n,
m, z. B. foan punt für ein Pfund ; nän krankhäit nach einer Krankheit;
ifi bouk in einem Buche, in ein Buch; mütn dan mit einer Tanne:
upm hörn auf einem Baume, auf einen Baum u. s. f.
Dieselben Formen entstehen, wenn sich die Geschlechtswörter
an ein Zeitwort anlehnen, nur dass hier ft>t wird, z. B. ddt ist
preistä^ ^Qn, hüs das ist der Prediger, die Scheune, das Haus ; Uiftn
man^ frou^ kint döt stirbt ein Mann, eine Frau, ein Kind; döä löpt
ha^, koUf pedt da läuft der Hase, die Kuh, das Pferd.
§ 298. Inklination der persönlichen Fürwörter. Bei dieser
Inklination haben sich das fast ganz durch ddt verdrängte it, et es als
^, der durch den Dativ am (mnd. eme) verdrängte Akkusativ rnnd.
etie als n, n erhalten. Es werden die nachgestellten Nominative Ik
> k, hei > a, zei > s, *et > ^, vi > v^ zei > s, du fällt ganz weg;
z. B. zeik sehe ich, kanst nix kzky kannst du nicht sehen; vilä will er;
däits tut sie; z^ft nix äön üt? siehts nicht schön aus? makyv machen
wir; löpm^ laufen sie.
Anm. Bei dieser Enklise erleidet oft auch das Zeitwort Einbusse durch
Wegfall des Endkonsonanten. Auf den Schwnnd des / in %ak soll ich, vik will ich
und a m. ist schon § 134 hingewiesen worden. Aber es werden auch gtmk >
g^vk > g%,k gebe ich, knxik > krixk > krik kriege ich, vetik > vetk > v^k
weiss ich d^i vek nix das weiss ich nicht ist gang und gäbe, ebenso röps,
ruft sie für röpiSj kayk für kanik kann ich. Vgl auch § 149, Anm. 3 nnd 4.
Es werden die nachgestellten obliquen Kasus en (< mnd. ene)
ihn > n, n (geht nach Nasenlauten ganz verloren; am ihm, ihn ver-
schmilzt nicht), zei > ^^ *et > t; z. B. ik zein, zeis^ zeit nix ich sehe
ihn, sie, es nicht; zei hem al sie haben ihn schon; aber dät säfdm nie
das schadet ihm nicht. Ähnlich wird der Akk. en ,einen' in der
Verschleifung zu w, m, z. B. ik liefn dälä kräy ich habe einen Taler
gekriegt; giväm hätn gib ihm ein bischen.
Zahlreich sind auch die Verschleifungen zweier persönlicher
Fürwörter miteinander, wobei die Veränderungen der Normalform
dieselben sind wie vorher; z. B. ät < Im *et (vilät dann? will er es
tun ? härät man dän hätte er es nur getan) ; wlt^ jlt < vi *et, jl "^ä
(vi In Vit? wollen wir es? hem jlt zein? habt ihr es gesehen?); n < dun
< du en {hästun zein^ hästn zein? hast du ihn gesehen?); Äeiw, zein
= er ihn, sie ihn; datky dass ich ihn; viks will ich sie u. s. f.
Anm. Auch bei der Verschmelzung mit den obliquen Kasus geht öfter
der Endkonsonant des Zeitworts verloren, z. B. giml < gif ml gib mir. Die
Formen hAi < hebbe jiy v^i < wille ji habt ihr, wollt ihr waren früher häufig,
werden aber jetzt nur noch von ganz alten Leuten gebraucht. Vgl. Richey,
Idiot. Hamb. S. 339. Auch im Freimüthigen Abendblatt Jahrg. 7 (Schwerin
1824), Sp. 150 wird als Beispiel bänrischer Sprachentstellung Hej ji de Fi' cdl
börnt ? angeführt. Seelmanu hat also nicht ganz recht, wenn er diese Formen
schlechthin hamburgisch nennt. (Ndd. Schauspiele aus älterer Zeit S. 158.)
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In derselben Verkürzung lehnen sich die persönlichen Fürwörter
auch an hinzeigende und zurückbezügliche Fürwörter an, z. B. (lata
das er, (leit der es, dünv den wir; ferner an Bindewörter und
Umstandswörter, z. B. ast wie es, eä, e^s, eat ehe er, ehe sie, ehe es,
(Jätä dass er u. s. f.
§ 299. Einzelheiten: ddt is das ist > (kis; döä dort > ä:
hästä vek kräy? hast du dort welche gekriegt?; mm läm mein Leben
> mllä in almllä mein Lebelang; gör tou gar zu > gö*9r9.
Vergleiche zu dem ganzen Kapitel Lübben § 46, Tümpel, Ndd.
Stud. S. 124 f., welche zeigen, dass diese Verschleifungen grossenteils
schon im Mnd. sehr gebräuchlich waren, und Bernhardt, Glück-
städter Ma. § 46.
§ 300. Doppelformen entstehen auch dadurch, dass bei
zusammengesetzten oder dem Sinne nach eng zusammengehörigen
Wörtern der Endkonsonant des einen Wortes an das folgende Wort
oder die folgende Silbe tritt, wenn diese mit einem Vokal oder einem
// beginnt (das seinerseits verloren geht). Zu va-raftix wahrhaftig,
färe'ät Feuerherd vgl. § 120a, zu ümun-düm um und um § 283, y
Anm. 2. Andere Beispiele dieser Art sind: vö9-räit Wahrheit; svl-
nägl Schweinigel; a-len allein; zä-rä sagte er; dä-rä tat er; a-lant
< al hant inzwischen, immerhin, das aber nur in OPri und in der
südl. WTri bekannt ist. Vgl. auch nämt < gunämt guten Abend und
nöäs anus (§ 141, Anm. 1).
0. Lehnwörter und Fremdwörter.
§ 301. Die Lehn- und Fremdwörter im Ndd. im einzelnen nach
ihren kulturhistorischen und lautlichen Beziehungen zu behandeln,
fällt aus dem Bahmen dieser Arbeit und würde eine besondere Abhand-
lung ausmachen. Die ältesten Lehnwörter stammen aus der Berührung
mit der römischen Kultur und aus der Zeit der Bekehrung zum
Christentume. Sie sind von den Ansiedlern in die neue Heimat
mitgebracht worden. Wir haben sie vom Standpunkt der heutigen
Ma. aus als altes Sprachgut ansehen dürfen und sie in der Lautlehre
mit dem altgerman. Erbgute zusammen behandelt. Wir haben im Laufe
der Untersuchung auch die Lehnwörter aus dem Hochdeutschen
nach lautlichen Kriterien ausgesondert. Es erübrigt noch, einige
allgemeine Gesichtspunkte für die Zeit und die Art ihrer Entlehnung
aufzustellen. Auch zahlreiche moderne Fremdwörter sind schon zur
Sprache gebracht worden, soweit die lautliche Behandlung, die sie
erfahren haben, für die Entwickelung der Laute in unserer Ma. von
Interesse sein konnte. Wir können im Folgenden uns begnügen,
fehlende nachzutragen.
§ 302. Hochdeutsche Lehnwörter sind seit der ahd. Zeit in
das Niederdeutsche eingesickert, erst langsam, dann schneller. Aus
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dem Einsickern wird ein Einströmen seit dem 10. Jhd., d. h. von der
Zeit an, wo das Hd. Eingang auf niederdeutschen Boden fand,
allmählich die Sprache der Gebildeten in den Städten und auf gewissen
Gebieten auch auf dem Lande die herrschende wurde. ;,Seit 1600
ist das Hd. die Sprache der Kanzel, der Schule, des Gerichts, der
Kanzleien, der Briefe^ (Kluge, von Luther bis Lessing S. 92). Für
die Altersbestimmung der Entlehnung ist wichtig ihr erstes Auftreten
in der Literatur. Wir haben gesehen, dass eine ganze Reihe hd.
Lehnwörter schon in mnd. Texten belegt sind (z. B. krtch Krieg,
gantz ganz, slren zieren, sitteren zittern u. s. w.). Eine weitere Alters-
bestimmung wird durch lautliche Kriterien ermöglicht auf grund der
Frage, welche Lautwandlungen ein Wort schon durchgemacht hatte,
als es entlehnt wurde, welchen Wandlungen es nach der Zeit der
Aufnahme in der neuen Heimat noch unterliegt. Ein Wort wie tsQ,g
Ziege < ahd. ziga muss aufgenommen sein nach Eintritt der hd.
Lautverschiebung; es muss aufgenommen sein vor der Zeit der nd.
;, Tondehnung ^, die i in freier Silbe > a wandelt (§ 188); tmän
trauern (mnd. trüren) kann erst ins Ndd. gedrungen sein nach der
Zeit der hd. Lautverschiebung, muss aber auf ndd. Boden heimisch
geworden sein, bevor mhd. ü > au diphthongiert war. Man darf jedoch
dieser Art von chronologischer Bestimmung unbedingtes Zutrauen nur
dann schenken, wenn es sich um eine Entlehnung aus einer fremden
Sprache handelt. Bei der Übernahme eines Wortes aus einer ver-
wandten Sprache aber, und das ist das Hd. für das Ndd., hat sie
nur bedingte Geltung. In vielen Fällen ist das Bewusstsein der
sprachlichen Entsprechungen so lebendig, dass das Lehnwort sich
ohne weiteres in die ndd. Lautgebung einfügt, ins Ndd. übersetzt
wird. Es wäre ein verhängnisvoller Irrtum, wollte man z. B. sagen,
das r in jür Jude zeige, dass das Wort entlehnt sei, bevor inlautendes
d > r geworden sei (§ 158 und Anm.): die hd. Endungen 'de, -he
werden ohne weiteres in unserer Ma. > r, v (vgl. loüv Laube, stüt
Stube), wie überhaupt inlautendes h leicht > v wird (§ 148 Anm.).
W^enn grär gerade aus dem Hd. stammt, so braucht man nicht an-
zunehmen, es sei schon entlehnt, als mnd. ä noch erhalten war, weil
es doch die Lautwandlung von ä > ä mitgemacht habe : hd. ä würde
auch in heutigen Lehnwörtern ä gesprochen werden. Liesse sich
in einem unserer Dörfer ein Mann namens Knabe nieder, er würde
sofort KnB,v heissen. Regelrecht hochdeutsche Namen wie Müller,
Schulze, Schmidt, Krüger sind wir immer geneigt, ohne Umstände in
Mola, ISuU, Smet, Kröygä (Krögä) umzutaufen. Die Endung -ieren
wird auch in ganz jungen Entlehnungen meistens durch -eän ersetzt
(§ 252), z. B. fötografe'än, tebgrafe'än, tebfone'än.
Das heimische Sprachgefühl zeigt sich auch in der Art lebendig,
dass die Eindringlinge die ererbte Wortform nicht ganz verdrängen,
wie es z. B. jür, stüv < hd. jüde, stübe gegenüber *jär, *stäv < mnd.
jode, stöve getan haben, sondern mit ihnen zu einem Mischwort ver-
schmelzen, das halb hd., halb ndd. ist. Solche Mischformen sind
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z. B. doment (§ 100, Anm. 1) tausend; döyvl Teufel (§ 104, Anm. 2);
hednix (§ 60, Anm. 2) Betrug; düyt (§ 191, Anm. 2) Tugend; tiret
(§ 158, Anm. 3) zweite; ensix einzig, mit Verkürzung enslt einzeln
(mnd. entelen); torm Turm, mnd. toni (§ 140, Anm.); ^^ri/iyA: Zwilling ;
zö*nämt^ zö*ndax (§ 60 b), vielleicht auch steif brourd Stiefbruder (§ 153,
Anm. 1) u. s. f.
Anm. 1. Es scheint, als ob man mit der Möglichkeit rechnen mnss, dass
ein Wort der hd. Gemeinsprache nicht direkt, sozusagen von Ohr zu Ohr, in
die Ma. aufgenommen wird, sondern dass es als eine Art Wanderwort von
Sprecheinheit zu Sprecheinheit zieht, und dass die eine Sprecheinheit es von
der anderen annimmt und sich mit der Lautform abzufinden hat, die es etwa
iu einer benachbarten Sprecheinheit angenommen hat. Wir haben § 173, Anm. 2
vermutet, dass das Wort jurk Gurke (natürlich mit der Sache) von Stldosten
vorgedrungen sei, dass es auf diesem Wege sein g > j gewandelt habe (der
südl. Pri und den angrenzenden Landstrichen steht ja j lautgesetzlich zu,
s. § 7, 4 a) und dass es mit diesem j in die nördl. Pri und Meckl. eingedrungen
sei. Das ou in mour Mode lässt sich bei einem erst so spät eingedrungenen
Worte (17. Jahrb.) schlechterdings nicht aus dem Hd. erklären, denn dem ndd.
ou des diphthongischen Gebiets entspricht ein hd. ü, hlmä ein hl^d, sou ein ^ü
(§ 90). Wir haben dementsprechend hvivl als eine hyperhochdeutsche Neubildung
von hobel zu deuten versucht (§ 191, Anm. 3). Es könnte also wohl ein hd.
*nmde in mour übersetzt werden; wie aber möde'^ Wir denken aber daran,
dass dem ou der Nordprignitz auf dem monophthongischen Gebiet ein ö
entspricht (§ 7, 1 a), dass die südl. WPri, die ganze OPri und die südl. und östl.
daran stosseuden Maa. durchaus dem monophthongischen Gebiet angehören. Wie
sich in den beiden Gebieten blout und blötj sou und ^ö gegenüberstehen, so
könnte ein vom ö-Gebiet des Ndd. herkommendes möde im ou-Gebiet in mou7'
übersetzt werden. Dieselben Betrachtungen würden für xous f. < frz. saure
Sauce passen.
Anm. 2. Es ist also nicht geboten, in Wörtern wie spö&xäm sparsam,
njcthö^ achtbar, möyxäm mühsam trotz der ndd. Lautgebung echte ndd. Wörter
zn sehen. Es können auch Übersetzungen aus dem Hd. sein.
§ 303. Konnten wir eben eine Art von Einplattdeutschung und
damit einen gewissen Grad der Widerstandsfähigkeit der Ma. gegen-
über der hochdeutschen Gemeinsprache feststellen, so müssen wir
schon in Formen wie mänt Mond, hämt Hemd, duriäsdax Donnerstag,
die neben den ererbten män^ häm^ dunädax aufkommen, ein Unter-
liegen unter der Gemeinsprache erkennen. In der übergrossen Mehr-
zahl der Fälle aber ist der Sieg des Hd. noch viel vollständiger: die
alten Wörter sind einfach durch die neuen hochdeutschen verdrängt
worden. Es erscheint einem im ersten Augenblick fast rätselhaft, dass
Wörter wie *floukyj *iäk\ Hovän, *däm, *sepm^ Hevark u. s. f. einfach
durch die hd. Formen flüxn fluchen, vox Woche, tsoubän zaubern,
töm toben, äafn schaffen, lärx Lerche ersetzt worden sind. Das
Rätsel lichtet sich, wenn wir wahrnehmen, dass die meisten Lehnwörter
aus dem Hd. den Lebensgebieten entnommen sind, in denen das Hd.
die herrschende Sprache geworden war. Handelt es sich doch dabei
um die Gebiete, die das Leben des einzelnen am meisten regeln und
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beeinflussen, die Behörde, die Kirche, die Schule, das Gericht,
das Heerwesen: Das Land war zweisprachig geworden, und die
neue Sprache wurde von den führenden Kreisen, den oberen Gesellschafts-
klassen geübt. Die neue Sprache galt bald für vornehmer und feiner.
So wandte sich ihr auch der bessere Bürgerstand in der Stadt zu,
und damit wurde auch die Geschäftssprache immer mehr hochdeutsch.
Der Prediger, der Lehrer, der Richter, der Advokat, der Arzt und
vielfach auch der Kaufmann sprachen hochdeutsch.
Durch die Schule musste die Sprache des privaten schriftlichen
Verkehrs auch auf dem Lande hochdeutsch werden; denn nur in
dieser Sprache lernte man lesen und schreiben. Dann waren das
Dienstmädchen in der Stadt, der Soldat gehalten hochdeutsch zu
sprechen. Wenn schon einem fremden Lande gegenüber, das Einfluss
gewinnt auf die kulturelle Entwickelung eines Nachbarlandes, sprach-
liche Entlehnungen immer hauptsächlich aus den Gebieten des öffent-
lichen Verkehrs im weitesten Sinne, d. h. des Staats-, des Kirchen-,
des Rechts-, des Heeres- und des Handelswesens stattfinden, wieviel
mehr musste das hier geschehen, wo beide Sprachen nebeneinander
erklangen. Unbewusst, durch die mechanische Gewohnheit des Hörens,
sickern da neue Wörter ein. Aber auch bewusst werden sie an-
genommen: das einheimische Wort erschien in vielen Fällen nicht
mehr fein und angemessen genug, um bestimmte Vorstellungen, die
in Kirche und Schule, vor Gericht u. s. anders ausgedrückt wurden,
wiederzugeben, etwa, wie jetzt preistä anfängt, etwas unfein zu
erscheinen, und allmählich dem prädigd Platz macht. Es muss aber
daran festgehalten werden, dass das Hochdeutsche nicht, wie es
gewöhnlich bei Wortentlehnungen der Fall ist, mit neuen Kultur-
begriffen neue Kulturwörter einführt; es verdrängt meistens nur ein-
heimische, schon vorhandene. Wo die Gemeinsprache die Ma. um'
neue Begriffe und neue Ausdrücke bereichert, da sind es gewöhnlich
Wörter, die sich das Hochdeutsche selbst erst aus der Fremde geholt
hat. Es ist ein Märchen, das dadurch nicht wahrer wird, dass es
oft wiederholt wird, dass die Sprache der Landleute wortarm sei.
Sie ist auf den Gebieten des gegenständlichen, sinnfälligen Lebens,
der natürlichen Empfindungswelt nicht selten reicher als die Schrift-
sprache, und was mein berühmter Dorfgenosse Fr. Gedike vor mehr
als 100 Jahren in seinem schon öfter erwähnten Aufsatz über deutsche
Dialekte S. 320 (s. Einl. § 10) gesagt hat, hat teilweise auch heute
noch Geltung: „Das Plattdeutsche hat einen unerschöpflichen Reichtum
an zärtlichen, muntern, launigen, naiven, leidenschaftlichen Ausdrücken
und Wendungen.^
Nur auf zwei Gebieten hat das Hochdeutsche wirklich sprach-
bereichernd eingewirkt, auf dem Gebiet des abstrakten Denkens und
der verfeinerten Lebensführung. Dass sogar die Ableitungssilben, mit
denen vornehmlich abgezogene Begriffe gebildet werden, vom Hd.
herübergenommen sind, ist schon § 119, e und § 121 ausgeführt
worden. Dass Ausdrücke der verfeinerten Lebensweise dem Hd. ent-
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nommen sind, kann nicht auffallen, da es ja hauptsächlich die geistig
und gesellschaftlich hochstehenden, in den Städten wohnenden Klassen
sind, die das Hochdeutsche zuerst und seit langem angenommen haben.
Ich stelle nun eine Reihe der wichtigsten hd. Lehnwörter
zusammen nach den Gebieten, aus denen sie entlehnt sind. Es kommen
vor allem in Betracht:
a) Kirche und Schule. (Kirche): Got Gott; här Herr; himl
Himmel; hol Hölle (döyvl Teufel); reit Welt; äöpfä Schöpfer; äafn
schaffen; gäist Geist, gäistlix^ geisflir geistlich, blass; häilix heilig;
(jnädia^ gnädig; zälix selig; evix ewig(?); kirx Kirche; kelx Kelch;
(/ehö*t Gebot ; frotn fromm ; andextix andächtig ; rSxtäafn rechtschaffen ;
(lürjt Tugend; flixt Pflicht; hofn hoffen; hofnuyk Hoffnung; ßüxn
fluchen; hasn hassen; tsayky zanken; tsoubdn zaubern; bS^sn büssen;
r(tx Rache; tsorn Zorn; trots Trotz; tsayk Zank; tr^pzäl Trübsal;
(jebfäät Geburt. (Schule): spi'ux Spruch; gezayk Kirchenlied; täfl
Tafel; §ifä Schiefer; grifl Griffel; bldistift Bleistift; brnx Bruch;
arhäitn arbeiten; töm toben; prügln prügeln; straf n strafen; kreis
Kreis; kügl Kugel; stim Stimme; t(yn Ton. Auch die hd Namen
vieler Tiere sind wohl dem Einfluss der Schule zuzuschreiben: tlä
Tier; Ibv Löwe; hirs Hirsch; luks Luchs; daks Dachs; püdl Pudel;
lärx Lerche. Es scheint, als ob jetzt storx und ämäi^ (Storch, Ameise)
heinodä und äfnk zu verdrängen beginnen.
b) Staats- und Rechtswesen: kdizä Kaiser; konix König;
fürst Fürst (ebenso gräf Graf, barön Baron, älos Schloss) ; räix Reich,
räixsdax Reichstag ; länträt Landrat ; ämtsfdräteä Amtsvorsteher ;
stimsamt Standesamt; gezets Gesetz; fd-f&guyk Verfügung, fä-füy
verfugen; afäätsn abschätzen; rixtä Richter; äUsrixtä Schiedsrichter;
gerixt Gericht; urtäil Urteil, fä-ürtäiln verurteilen; dit^ mäindit Eid,
Meineid; dn^^dij; anzeigen; mort, mördd ^orA^ Mörder; royJ^d Räuber ;
hedrux Betrug ; gestdnix geständig ; gefeynis Gefängnis ; gebMn Gebühren ;
ouflasuyk Auflassung u. s. f.
c) Heilkunde: krankhdit, gezüntdit Krankheit, Gesundheit;
frlzln Frieseln; irikzdn Masern; raxnbröyn Rachenbräune; äwintzuxt
Schwindsucht; üts^ruyk Auszehrung; kremf Krämpfe; drfis Drüse;
rös Rose; flus Fluss; fenxl Fenchel; rots Rotz (Pferdekrankheit) u. s. f.
Auch Wörter wie ktn Atem, gilt Glied, raxn Rachen gehören wohl hierher.
d) Kriegswesen: krtx Krieg; älaxt Schlacht; gefext Gefecht;
ke)nfn kämpfen; s^x, zt-y Sieg, siegen; dä-y Degen; gev^*d Gewehr;
Imts Lanze; aus Schuss; ^eiw^s Geschütz; A;%/ Kugel; halt, ätilgeätan,
vorväts halt, stillgestanden, vorwärts; äritu, trit (mnd. schrede, trede u. s.f.)
e) Verkehrs- u. Geschäftswesen: geSeft Geschäft; t;ir^; virts-
hüs, vitäaft Wirt, Wirtshaus, Wirtschaft; tsex Zeche; dkld, grö^ti, zeksd
Taler, Groschen, Sechser; fant Pfand; arbdit, arbditd Arbeit, Arbeiter;
(jezel, ledburä Geselle, Lehrbursch; zatld, bötood, gdtnd, föstd, jäga (?)
Sattler, Böttcher, Gärtner, Förster, Jäger; zlgl Siegel; {t)sdituyk
Zeitung; {t)siix Zug; Hn Schiene. — Zahlen u. Zahl begriffe wie
V4, axsix 80, ensixj enslt einzig, einzeln (dovzent 1000, tw^t zweite).
Niederdeatsohes Jahrbuch XXXII. 4
50
— Auch die Monatsnamen u. die Wochentage, soweit letztere
vom Hd. beeinflusst sind {rnitvox, danäsdax, zö^nhntj zö'ndax) dürfen
wohl hierher gerechnet werden (oder unter Schule?)
Anm. Am meisten Gefahr droht jetzt den Zahlwörtern in ihrer Ge-
samtheit. Man hört schon gelegentlich fufsen, swansix, xexsix 15, 20, 60
u. s. w. ; im Süden und Osten der Prignitz sind die ndd. Zahlwörter schon fast
durch die hochdeutschen verdrängt.
f) Der verfeinerten Lebensführung der hochdeutsch spre-
chenden, sozial höher stehenden Gesellschaftsklassen verdankt die
Ma. etwa folgende Ausdrücke: tsuxt Zucht; vits Witz; stüv Stube;
ääitl Scheitel; snöutsböät Schnurrbart; viks Wichse; sirm Schirm;
gr^sn grüssen; smeixln schmeicheln; begläitn begleiten; bezüx Besuch;
hößix höflich; dnstenix anständig; stolts stolz; fdin fein; ontlix
ordentlich; artix artig; hüp§ hübsch; zouhä sauber; loüv Laube;
strüs Strauss; vgl. aber auch Wörter wie lldrix liederlich, hüä scor-
tum. — Kleidung: slöyf Schleife; släiä Schleier; kitl Kittel; gü(r)tl
Gürtel; äös Hose; hezäts Besatz; äfzats Absatz u. s. f. Küche: o/
Öl, esix Essig, gevürts Gewürz u. s. f. Spiel und Unterhaltung:
kröyts Kreuz; hä(r)tsn Herzen; stix (alle drei beim Kartenspiel);
fägnüff Vergnügen; sütsnfest Schützenfest. Hundenamen: ström
Strom, vasä Wasser, feltman, valtman Feldmann, Waldmann. —
Verwandschaftsnamen (z. T. nur hd. beeinflusst): mvdä Mutter;
fadä Vater; smgämudd Schwiegermutter; fetä Vetter; vitnmn, vitfrou
Witwer, Witwe; twiliyk Zwilling.
Moderne Fremdwörter.
§ 304. Einzelne Lehnwörter aus dem Französischen finden sich
schon in den ältesten mnd. Urkunden, z. B. ftn fein, prls Preis, forse
Kraft, Stärke. Sie sind wohl von Ober- und Mitteldeutschland nach
Norden gewandert und spiegeln den Einfluss wieder, den Frankreich
auf das Rittertum und das höfische Leben in Deutschland geübt hat.
Das Vermittlungsglied zwischen Frankreich, Italien und Deutschland
waren vor allem die Niederlande, das alte Kulturgebiet am Nieder-
rhein, gewesen. Für Norddeutschland wurden sie ein direktes
Vermittlungsgebiet zur Zeit der Hanse. Über die Niederlande sind
den Niederdeutschen wohl Wörter wie kontor, profit, hanckrott, respit
Aufschub, Bedenkzeit zugewandert, die im 15. und 16. Jhdt. auftauchen.
Nichts hindert anzunehmen, dass auch ein Wort wie tdlä Teller von
Holland her zu uns gekommen ist. Chytraeus gibt in seinem Nomen-
clator latino-saxon. die Form tellör an, und diese erinnert sehr an
die niederländische Form teljoor. — Durch den 30jährigen Krieg
wurden dann eine Reihe weiterer französischer Ausdrücke, hauptsäch-
lich Kriegs- und Spielerausdrücke, eingebürgert.
Was bedeuten aber die französischen Wörter, die vor der Fest-
setzung des Hochdeutschen in Niedersachsen heimisch wurden, der
Zahl nach im Vergleich mit den französischen Ausdrücken, die eben
51
durch diese hd. Gemeinsprache ins Land getragen wurden und all-
mähHch bis zu den untersten Volksschichten durchsickerten? Es
war verhängnisvoll für das Niederdeutsche, das das Hochdeutsche zu
der Zeit, als es unter seinen Einfluss geriet, verwelscht war und
immer mehr verwelscht wurde. Hatte im XV. und XVI. Jhd. das
Lateinische als Sprache der Gelehrten und Gebildeten in Deutschland
eine herrschende Stellung eingenommen, so war im XVIL Jhdt , zu-
erst bei den Fürsten und an den Höfen, dann beim Adel und den
Beamten und schliesslich bei den „bessern^ Bürgern das Französische
die Modesprache geworden und erhielt sich als solche noch das ganze
XVni. Jhdt. hindurch. Mit der Zeit sickerten viele von diesen fremden
Brocken, mit denen die Vornehmen und Feinen ihre Rede spickten,
bis zum Volke durch und sind dort z. T. bis auf den heutigen Tag
geblieben. Dabei ist Mecklenburg nach meinen Wahrnehmungen
mehr durchseucht worden als Brandenburg oder gar als Holstein.
Es hatten eben in Mecklenburg Fürst, Adel und Beamtentum mehr
unmittelbaren Einfluss. So ist es gewiss kein Zufall, dass ein Meck-
lenburger, Lauremberg, am eifrigsten gegen die alamodische Sprache
geeifert hat. Vgl. zu der ganzen Frage die beiden lehrreichen Pro-
grammabhandlungen von Mentz , Französisches im Mecklenburger
Platt und den Nachbardialekten, Delitsch 1897 und 1898, und C. F.
Müller, Zur Sprache Fritz Reuters, Leipzig 1902.
Mentz und Müller treten mit Recht der landläufigen Ansicht
entgegen, dass die grosse Masse dieser Fremdwörter unmittelbar
aus dem Französischen, etwa in der „ Franzosenzeit ^, entlehnt sei.
Sie haben sich aber ein wichtiges Beweismittel für ihre Ansicht, dass
der grösste Teil weit früher durch das verwelschte Hochdeutsch des
17. und 18. Jhdts. hindurch eingeführt sei, entgehen lassen. Ich
habe in der Festschrift für A. Tobler, Braunschweig 1905, S. 266 iF.
den Nachweis geführt, dass die ausländischen Fremdwörter, soweit
hierbei das Französische in Betracht kommen kann, genau den-
selben Begriffssphären und Ideenkreisen entlehnt sind, wie die
gleichzeitig aufgenommenen hochdeutschen Lehnwörter. Ich verweise
auf diesen Aufsatz und trage hier nur die jüngeren Fremdwörter aus
den Gebieten nach, die dem Französischen fast ganz verschlossen
waren: Kirche, Schule, Verwaltung, Gericht, Heilkunde fahren
fort, soweit ihr Bedürfnis nicht schon gedeckt ist, aus der griechisch-
lateinischen Quelle zu schöpfen.
Kirche und Schule: pastd Pastor, blbl Bibel (wozu auf ndd.
Boden im 15. Jhdt. ftbl gebildet wurde, s. Kluge, Wb.); katedä
Katheder, färs Vers, regl Regel; gepätä (doch wohl < paternoster)
sinnloses Geplapper, das an die Zeit vor der Reformation erinnern
würde. Staats- und Rechtswesen: stät Staat; regwruyk Regierung;
pobtsäi Polizei; dktum Datum; opsdr^w^sw Observanzen; ^rö^s^s Prozess;
tamtny trümin Termin; afkät Advokat; akäön Auktion; patsdleän par-
zellieren; sepdreän das Gemeindeland aufteilen, trennen; bömdeän die
Güte der einzelnen Äcker bestimmen u. s. f. — Heilkunde: arzt
4*
52
(dagegen mnd. arste) Arzt, gewöhnlich dokfä; afteh Apotheke, meletsln
Medizin; imUent Patient; köreän kurieren; imfn impfen; lyil Pille
(mnd. pille) u. s. f.
Mit dieser und der in der Festschrift für Tobler S. 272 auf-
gestellten Liste ist die Zahl der fremden Eindringlinge bei weitem
noch nicht erschöpft. Von denen, die sich nicht in bestimmte Vor-
stellungskreise einreihen lassen, führe ich als von einigem Interesse
folgende an:
a) lateinische Wörter: entspektä Inspektor; stant^pe* (stantepede)
stehenden Fusses; rezolve*ät entschlossen; iJözitüä Positur; primlp
Prinzip; ekstra besonders; vat eksträs etwas Besonderes; kurjö's kurios;
pröst Prosit ; pröstn niesen ; fide^l heiter ; krepeän ( < it. crepare) ver-
enden. — b) französische: iös Sache (Mz. sözn Dummheiten); afe'an
Angelegenheiten; tsötn (< frz sot) Dummheiten; maloä Malheur:
maloän schlecht auslaufen; räzoy Vernunft; räzoneän schimpfen;
grumln (< frz. grommeler) brummen; apö{f)tndrägd Zuträger von
Nachrichten; krh. (< frz. courage) Kraft; hätän (< frz. hattre) mit
viel Geräusch laufen; kumpäbl (< frz. capable) imstande; kuniplet
(< frz. complet) vollständig; hlflrmrant (< frz. bleumourant) schwindelig;
egal gleich; eksprh^ ekspre ausdrücklich, eigens; toum tort doun zum
Verdruss tun; partü\ partV (< frz. partout) durchaus; swltje* (zu frz.
suite) flotter, leichtsinniger Mensch; hlay% blayze*än (< frz. halance
halancer) Gleichgewicht (halten) ; kv^ ( < frz. c<Mche-toi) ; alöy vorwärts ;
aport hol herbei, alle drei Zurufe an den Hund ; Partizipien wie r^tire*
(< frz. re^ir^) zurückhaltend; kuäe* (< frz. couchS) kleinlaut; pdrdVi'
verloren; Zwitterbildungen wie zik fä-galope^dn, fä-defnde*än sich ver-
galoppieren, verteidigen; zik äf-travaly, äf-ekstän (zu frz. travailler^
exciter) sich abquälen; kledy^ paght (Vermischung von Pack und frz.
hagage)^ futorki für furki Pferdefutter; hantedn, fiiydreän hantieren,
fingerieren ; kapnedn entzwei machen (Vermengung von kapm abhauen
und kapüt?); zik rin meydledn sich hineinmischen, sandedn beschimpfen
u. s. f., vgl. Müller a. a. 0. und Festschrift für Tobler S. 269.
Anm. dkts Kopf (in verächtlichem Sinne), pädln schwatzen stammen
wohl von frz. tete^ parier] sakkment, sapimenty adjektivisch sakhnents leite ich
gegen Müller S. 34 von sacre nom de Dieu (von ganz alten Lenten hört man
noch sakhnündij^)] petüntix kleinlich, das Mentz zn lat patent stellt, möchte
ich von jpedantisch^ ableiten; töu-santsn zuwenden wird wohl zu frz. cha7iee
zu stellen sein. Oehört tsül schmutziges, liederliches Frauenzimmer zu frz. softle
betrunken (in der männlichen Form soül ist l bekanntlich stumm)?
III. Relative Zeitfolge der Lautgesetze.
§ 305. Die synkopierten Formen im Präsens der starken Zeit-
wörter, d. h. die 2. und 3. Pers. Sg. zeigen Umlaut; z. B. Mm, kiimsf^
kmnt komme, kommst, kommt; grKv, gröfst, gröft (für ^grefst, *(/reft
§ 230, 2) grabe, gräbst, gräbt; lät, letst, let lasse, lässt, lässt. Die
53
Synkope des i der Endungen -is, -id kann also erst stattgefunden
haben, nachdem das i Umlaut bewirkt hatte.
Bei den Zeitwörtern mit kurzem Präsensvokal ist in den beiden
synkopierten Formen der Vokal kurz geblieben, während in den vier
anderen Personen Tondehnung eingetreten ist, vgl. kam, grKv mit kilmt,
gröft. Die Tondehnung, die ins 12. Jahrh. gesetzt wird, kann also
erst eingetreten sein, nachdem die Synkope vollzogen war; vgl. § 183,
Anm. 1. Es folgen also aufeinander: 1) t-Umlaut. 2) Synkope.
3) Tondehnung. Vgl. Schlüter bei Dieter S. 102 Anm.
§ 306. Als die Verkürzung vor -xt eintrat, muss ä noch ä
gewesen sein, as. tu sich aber schon zu fl entwickelt haben: daher
(hixt < ^ahta dachte (§ 229), liixtn < liuhüan leuchten (§ 239).
As. iu muss ferner > ü geworden sein, bevor die Synkope des
Flexionsvokals i in der 2. und 3. Fers. Sg. der st. Ztw. eintrat, daher
giltst^ gilt < as. giutis, giiitid giessest, giesst.
Also: 1. as. iu > ü. 2. Verkürzung vor xt und in der Synkope.
3. ä > (J.
§ 307. Als ä die o-Färbung annahm (§ 71), muss a in offener
Silbe (§ 184) und aha (§ 72) schon a gewesen sein, denn auch diese
jüngeren ä werden > ä.
Also 1. Verkürzung des a vor xt (§ 306). 2. Tondehnung des
ä > ä und Wandel von aha > a, 3. a > d.
§ 308. Als a (d. i. as. d und as. a in offener Silbe) > ä wurden,
muss a vor r und r -|- stimmhaften Zahnlauten (§ 248 f.) schon zu
ä gedehnt gewesen sein, so dass es zugleich mit ursprünglichen ä -f- r
(§ 257) an der Bewegung nach ä teilnehmen konnte, die vor r bei ö
endigte.
Also 1. a H- r^ rd, rn > ar^ z. B. as. har nackt > här, 2. ^,
är > ä, är, z. B. rät (< as. räd) Rat, lät (< as. lato) spät; *jär
(< as. jär) Jahr, *bdr (< as. bar) bar. 3. jöd, böd.
Desgleichen müssen i und u vor r und r -|- stimmhaften Zahn-
lauten (§ 252 und Anm., § 255) schon zu einem e- und o-Laut getrübt
gewesen sein, als 6, e und o vor r und r -\- stimmhaften Zahnlauten
> e und ö gedehnt wurden (§ 250, 251, 253); denn auch i und u in
besagter Stellung haben sich > S und ö gewandelt ; vgl. beä (as. beri)
Beere, sped (as. sper) und twedn Zwirn; döän Dorn und spöd Spur.
e, e vor r und r -h stimmhaften Zahnlauten müssen schon
zue gedehnt gewesen sein, als e, e vor Lippen- und Gaumenlauten
> «, in Meckl. > a wurden (§ 272).
Also 1. Trübung von i und u vor Zahnlauten > e und o.
2. Dehnung von «, e vor Zahnlauten zu e. 3. Wandel von e und e
vor Lippenlauten > ff, Meckl. a.
Anm. Für yjr und bdr als Zwischenstufe zwischen dem mnd. jkr und
iär ( < as. yär und bar) und dem heutigen ^öä, feöa Jahr, har spricht auch eine
bemerkenswerte Erscheinung im benachbarten Mecklenburgischen. Während
uämlich ä und a '\- r, rn, rd, rs jetzt wie in der Pri ö lauten (;oä, feöä), ist
54
altes ö, ö in gleicher Stellung > ü yorgerückt, dühi Dorn, px&t Pforte, rmi Moor,
während die Pri in letzterem Falle hei ö stehen gehliehen ist (§ 253). Das
Mecklenhurgische zeigt, dass jö^ nnd döSin nicht gleichgelautet hahen, als döhi
> dü^n wnrde, oder, was dasselhe ist, dass damals mnd. ^är noch nicht ^öä gelautet
hat, da es sonst die Lauthewegnng nach ü hätte mitmachen müssen. Es ist also
mit weitem d gesprochen worden, nnd ä ist ja anch die natnrgemässe Zwischen-
stufe zwischen ä und ö.
§ 309. r vor stimmlosen Zahnlauten war schon ausgefallen
(§ 262), als die Vokale vor r -f- Zahnlauten gedehnt wurden, denn
sie bleiben vor stimmlosen Zahnlauten kurz, z. B. äösten Schornstein;
kot kurz. Es kann aber erst ausgefallen sein, nachdem e > a, u > o,
ü > ö gewandelt war : die Vokale in gästn Gerste, kot kurz, vöst Würste
erklären sich nur durch r-Einfluss (§ 263, 270, 271). Noch früher
als der durch r bewirkte Wandel von e>ä^u>o^ü>ö muss aber
die § 279 besprochene Metathesis des r stattgefunden haben, da ja
auch Wörter wie hästn, host, kost bersten, Brust, Kruste diesen Wandel
teilen. Es ergibt sich ferner, dass auslautendes rd noch nicht rt
gesprochen worden sein kann, d. h. dass End-rf noch stimmhaft
war, als r vor t wegfiel.
Also 1. Metathesis des r (§ 279): hrust > hurst, 2. Wandel von
üj ti, ü > ä, 0, ö durch r: hörst, 3. Wegfall des r vor stimmlosen
Zahnlauten: host, 4. Dehnung der Vokale vor r 4- stimmhaften
Zahnlauten: wörd Wort. 5. Wandel des auslautenden d > t: das
heutige vöät (vgl. § 284, Anm.).
§ 310. Als End-e schwand (§ 117), muss die Tondehnung
(§ 183 flf.) vollzogen gewesen sein, da diese freie Silbe voraussetzt;
muss inlautendes Id, nd, md, yg, rd > II, nn, mm, yy, rr assimiliert
gewesen sein (§ 281 ff.), muss inlautendes d > r oder j gewandelt
gewesen sein (§ 158 und Anm.).
Also 1. Tondehnung; Assimilation von inlautenden Id, nd, mdj
ng, rd > II, nn, mm, yy, rr\ Wandel von d > r oder J. 2. Apokope
des End-ö.
Als rd > rr wurde (§ 284), waren die Vokale vor rd schon gedehnt;
also auch die Dehnung der Vokale vor stimmhaften Zahnlauten hat
stattgefunden vor der Apokope des End-e.
STEGLITZ bei Berlin. E. Maekel.
55
Kinderspiele und Kinderreime
vom Niederrhein.
„Ein spielendes Kind ist ein frohes Kind,
ein spielendes Kind ist ein gesundes Kind!**
In diesem Ausspruche liegt die Bedeutung des Spieles für die
Jugend. Das Spiel bringt Heiterkeit und gewährt Erholung; es übt
den Geist und stählt den Körper! Kurz — es ist ein wahres
Erziehungsmittel. Doch das ist meine Aufgabe nicht, darüber zu
schreiben. Das ist hinlänglich geschehen; aber ein ganz kleiner
Beitrag zur Geschichte des Kinderspieles und -reimes will diese
Sammlung sein. Meine Stellung am Königlichen Lehrerseminar zu
Kempen, dessen Zöglinge zumeist im niederrheinischen Gebiete gebürtig
sind, veranlasste mich, jenes Gebiet hinsichtlich der Spiele und Reime
zu durchforschen. So komme ich gleichzeitig einem Wunsche Linnigs
(Vorschule der Poetik) nach: »Der Lehrer möge alles, was er an
Spielen und Reimen vorfinde, hegen und pflegen, damit nicht der alles
nivellierende Geist der Zeit auch noch diese letzten Reste urwüch-
sigen Volkstums austilge.^ An dieser Stelle sei meinen lieben Schülern
des Kursus 1905/08 und des Nebenkursus 1904/07 für ihr eifriges
Sammeln der herzlichste Dank ausgesprochen.
L Abz&Ureime.
[Einige Beime erscheinen absichtlich doppelt, um auch die Mundart und die
Veränderungen zur Geltung kommen zu lassen.]
1.) Eins, zwei, drei, 5.) Es ging ein Männchen über die Brückt
Bische, rasche, rei. Hat ein Bäckelchen auf dem Bttck^
Bische, rasche. Schlägt es wider den Pfosten.
Plaudertasche, Pfosten kracht,
Eins, zwei, drei. Männchen lacht.
Dipp, dapp,
2.) ü, muh, Kuh, Du bist ab!
Schneck, Dreck, weg. n\ r. j tt u
' ' ^ 6.) Oen, doen Hahn,
3.) Öppke, Döppke, Knolleköppke, ^^ ^^» ^^^^j
Öppke, Döppke, Knoll. Ö«"» ^^^^ ^^»s,
Do bös druss!
4.) Ein, zwei, Polizei, 7.) Hockle, Mockle,
Drei, vier, Offizier, Mukelemei, Domenei,
Fünf, sechs, alte Hex\ Ecken Brot,
Sieben, acht, gute Nacht. Sonder Not,
Neun, zehn, lass mich geh'n. A, be, ba,
Elf, zwölf, kommen die Wolf. Eck segg, do bös dran!
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8.) Ein, zwei, 3, 4, 5, 6, 7, 8,
Die Kirche kracht,
Das Hans fällt ein,
Und du musst sein!
9.) 1, 2, 3,
Da bist frei!
10.) Ich und dn, Müllers Kuh,
Müllers Esel, das bist da,
Müllers Haus, da bist draas,
Müllers Hahn, da bist dran —
11.) 1, 2, 3, 4,
In anserem Klavier,
Da sitzt eine Maas,
Und da masst heraas.
12.) 10 gebrannte Kaffeebohnen,
Wieviel Kinder sind geboren?
(Jetzt, wird von einem Kinde
eine Zahl genannt.)
13.) 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7,
Eine Fraa, die kochte Rüben,
Eine Fraa, die kochte Speck,
I, 2, 3, and da bist weg!
14.) Wei weile kenn lange Komplemente
make, on do bess dran!
[Hei Word uet lang Knönglei gemäkt
Ondoamoass ganz inf ach sein. 1,2,3.]
15.) 1, 2, 3, da liegt ein Ei,
Wer daraaf tritt.
Der tat nicht mehr mit.
16.) 1, 2, Polizei!
3, 4, Offizier!
5, 6, alte Hex!
7, 8, gate Nacht!
9, 10, lasst ans geh'n!
II, 12, kriegst' gegölf (gehaaen)!
13, 14, zerrissene Schürzen!
15, 16, alte Hexen!
17, 18, nimm in acht dich!
19, 20, geht nach Dauzig,
Um zn holen.
Einen Brief nach Berlin;
Der soll holen
3 Pistolen,
Ein(e) für mich, ein(e) für dich
Ein(e) für Brader Heinerich.
17.) Baaer, bind' dein Hündchen an,
Dass es mich nicht beissen kann,
Beisst es mich, verklag' ich dich,
100 Taler kost' es dich.
18.) 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7,
Wo sind die Franzosen geblieben?
Za Moskaa in dem tiefen Schnee,
Da riefen sie alle : 0 weh, o weh !
Wer hilft ans aas dem tiefen Schnee ?
19.) Pitter, Patter, Ickenstrick,
Sieben Katzen schlagen sich.
In der danklen Kammer,
Mit 'nem blanken Hammer.
Eine kriegt 'nen harten Schlag,
Dass sie hinter der Türe lag.
Piff, paff, ab.
20.) Ich ging einmal nach Engelland,
Begegnet mir ein Elefant.
Elefant mir Gras gab.
Gras ich der Kah gab,
Kah mir Milch gab,
Milch ich der Matter gab.
Matter mir 'nen Dreier gab^
Dreier ich dem Bäcker gab,
Bäcker mir ein Brötchen gab,
Brötchen ich dem Metzger gab,
Metzger mir ein Würstchen gab,
Würstchen ich dem Hand gab,
Hand mir ein Pfötchen gab,
Pfötchen ich der Magd gab,
Magd mir eine Schelle gab,
Oene, doene, daas.
Da bist draas.
21.) Achter onsen Gahrden,
Do log en Engelsschepp,
Franzmann wor gekommen.
He wor noch gecker als eck.
He drag en Hat met Plümmen,
Met schwärt Fisellenlent.
Tien welle we teilen
Bös hondert an dat Ent.
22.) 3, 6, 9e,
Im Hof steht eine Scheane,
Im Garten steht ein Hinterhaus.
Da schaaen 3 goldne Jangfem rans.
Die eine spinnt die Seide,
Die andre reibt die Kreide (flicht
die Weide),
Die dritte schliesst den Himmel auf,
Da schaat die Matter Maria raus.
23.) Ene, bene, danke, fanke,
Babe schnabe dippe dappe,
Käse knappe,
. Ulle balle ros,
57
Jb ab aus.
Du liegst draus!
24.) Euichen, DenicheD, Korb voll
StenicbeDi
Kribbelte, krabbelte, Puff!
25.) Ene, dene, Bobneblatt,
Unsere Küh* sind alle satt,
Mädel hast' gemolken?
Sieben Geiss nnd eine Kuh:
Peter scfaliess die Türe zu,
Wirf den Schlüssel über'n Rhein,
Morgen solPs gut Wetter sein.
26.) Ene, dene, Dintenfass,
Geh* in Schur und lerne was.
Wenn du was gelernet hast,
Steck' die Feder in die Tasch'.
Bauer, Bauer, lass' mich geh'n!
Ich will in die Schule geh'n,
Ich hab' Feder nnd Papier
Allezeit bei mir.
27.) Ich und mein Bruder wollen wetten
Um zwei gold'ne Ketten,
Um eine Flasche Wein,
Ich oder Du musst sein.
28.) Min Yader liet en alt Ratt beschloon,
Rot ÖS, bouYoel Nägel dat door tau
goon?
Tien.
En, twe, dri, fijer, fiv, säs, sewe,
aach, nege, tien.
29.) Enge, denge, ditge, datge,
Siferde, biferde, hone, knadge,
Siferde, biferde, buff.
30.) Auf dem Klavier
Da steht ein Glas Bier,
Wer daraus trinkt.
Der stinkt.
31.) Auf dem Berge, Hottentotten,
Wohnen Leute, Hottentotten,
Diese Leute, Hottentotten,
Haben Kinder, Hottentotten,
Diese Kinder, Hottentotten,
Haben Puppen, Hottentotten,
Diese Puppen, Hottentotten,
Essen jeden Abend süssen Brei,
Eins, zwei, drei, und Du bist frei !
32.) Engele, Bengele, Reptizar,
Bepti, repti, Knoll.
33.) Ich zähle aus, und Du bist draus,
Ich zähle ein, und Du musst sein.
34.) Hänke, mänke, türke, tanke,
Vili, vali, Dobleltali,
Golde min, dicke trin.
Nomer sesstin.
35.) An dat Water, an da Rhin
Solle fief Kaningkes sien,
Fief Kaningkes bocken Brut
Schlagen sech op emol duet.
Ix, ax, krommen Dax,
Ösen Honk hett Max.
36.) 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7,
Meine Mutter kochte Rüben,
Meine Mutter kochte Speck,
Ich nahm davon weck.
Da kam die Magd,
Die hat mich verklagt,
Da kam der Knecht,
Der gab mir kein Recht,
Da kam der Herr Pastor,
Der gab mir einen Klatsch vor
Das linke Ohr.
37.) Eck enn gej,
Enn de decke Mrej,
Enn Jann van Lier,
Dat sinn der vier.
38.) Op da Woig nach Engelaud
Begägnende mech ene Elefant,
Elefant mech Groes goef,
Groes eck de Kuh goef,
Kuh mech Melk goef,
Melk eck et Kätzke goef,
Kätzken mech en Pötche goef,
Pötche eck de Maid goef,
Maid mech en Uhrflätsch goef,
Uhrflätsch eck war turückgoef.
39.) Auf dem Berge Sinai,
Da wohnt ein Schneider Kikriki,
Auf dem Stuhl, die Grete, (da krähte)
Seine Frau, die nähte,
Fiel herab, fiel herab.
Fiel das. linke Bein ab.
Da kam der Doktor Hampelmann,
Klebt das Bein mit Spucke an,
A, b, c, das Bein tut nicht mehr weh.
40.) Ein, zwei, drei,
In der Dechanei,
Steht ein Teller auf dem Tisch,
58
Kommt die Eatz* und frisst den Fisch,
Kommt der Jäger mit der Gabel,
Schlägt die Katze auf den Schnabel,
Schreit die Katz': Miaan,
Wiirs nicht wieder taun.
41.) Eins, zwei u. s. w. sieben,
Jeder muss sein Brüderchen lieben,
Es mag sein gross oder klein,
Jeder muss zufrieden sein.
42.) Ich ging mal auf das Feld,
Da spielten sie mit Geld.
Da fragt ich, ob ich mit könnt' tan,
Da sagten sie : „0, nein.''
Da fragte ich noch einmal.
Da sagten sie: „0, ja.''
Da kam ein weisses Schimmelchen,
Das lief mir immer nach,
Bis unten an den Rhein,
Da schlug die Feuerflamme ein.
Fitte, fitte, Tante,
Fitte, fitte, bamm.
43.) Hier und da stehen viele Knaben,
Wollen einen König haben.
Und sie zählen.
Und sie wählen
Nicht die Grossen,
Weil sie stossen.
Nicht die Kleinen,
Weil sie weinen.
Nein und ja,
Ja und nein,
König soll der Letzte sein.
44.) Schib, schab, scheibele.
Min Moder ös en Weibele,
Min Vader ös en Bronnenmaker,
Wenn hä kloppt, dann knackt et.
Bem, bam, bom,
Karlche, dräj dech om.
Hör, wat eck dech seggen well,
Den Letzte mot dat Häske jagen,
Jagen över Stock on Steen.
Häske hat gawe Been,
Husch, husch, husch,
Springt es über den Busch,
Springt über's Haus,
Du bist draus.
45.) Fränzke woU sech en Mörke
schroppe,
Schnie sech an den Dumm,
Kreeg en decke Prumm (geschwol-
lener Daumen).
Tien welle we teile,
Onder os Gesölle.
10. 20. 30. u. s. w. 100, 1000 aus,
Wer den letzten Schlag bekommt,
ist dran oder draus.
II. Spiele mit Spielsteiaen.
(„Kölsche", „Mörmels", „Kneckere", »Merwele*.)
1.) ,,Stackeii^^, gespielt von zwei Spielern (meistens Knaben) abwechselnd.
Der eine gibt dem andern eine bestimmte Anzahl „Kölschen", gewöhnlich vier.
Der Spieler tut die gleiche Anzahl dabei und „stuckt" sie in eine kleine Ver-
tiefung, „Küss", „Küsske" genannt. Bleibt eine ungrade Anzahl von Spielsteinen
in der „Küss" liegen, so hat der Spieler gewonnen und behält die Spielsteine
des andern. Kommt kein Spielstein in die „Küss" oder aber alle, so wird von
neuem „gestuckt".
2.) „Perk", „Perksse" oder „Trempeln" wird folgendes Spiel genannt.
In einen Kreis setzt jeder Spieler (meistens Knaben) gleich viel „Kölschen" ein.
Von einem Male, Striche, aus beginnt es. Wer zuerst „aan" sagt beginnt. Der
zweite sagt „mies", der dritte „dritt" u. s. w. Nun werden die eingesetzten
Spielsteine herausgeschossen. Trifft einer den Spielstein 'des andern („den Kölsch
tetschen"), so scheidet der Getroffene aus und muss die Spielsteine herausgeben,
die er vorher aus dem „Perk" herausgeschossen hat. Sind nur zwei Spieler
da, so ist damit das Spiel geendet, und der Gewinner erhält die im „Perk"
gebliebenen Spielsteine.
3 ) Omp öff Paar. Zwei Spieler. Der eine hält in der geschlossenen
Hand eine unbestimmte Anzahl von Spielsteinen und lässt den andern raten:
„Omp öff Paar?" Sagt dieser nun „Omp" (bedeutend ungrade Anzahl, etwa
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1, 3, 5, 7 u. s. w.) und der erste hat eine ungrade Anzahl Spielsteine in der
Hand, so hat er die Spielsteine des ersten gewonnen. Hätte er „Paar*' gesagt,
nicht, sondern er hätte dann dem ersten so viele Spielsteine geben müssen, als
dieser in der Hand hatte.
4.) Keeksteren. Ein Klickerspiel, das von zwei Knaben gespielt wird.
Es werden Klicker gegen eine Maner geworfen, diese bleiben auf dem Boden
liegen. Die Spieler spielen nacheinander, indem der eine den am weitesten von
der Mauer entfernten Klicker nimmt, ihn so gegen die Wand wirft, dass er
wenn möglich einen von den daliegenden Klickern trifft. Die Ton dem geworfenen
Klickern getroffenen gehören dem Spieler zu. — Häufig braucht der geworfene
Elicker nicht einen daliegenden zu treffen. Er braucht nur eine Spanne (vom
Danmen bis zur Spitze des kleinen Fingers der ausgestreckten Hand) von einem
daliegenden entfernt zu sein, damit dieser dem Spieler gehört. — Er wird von
keinem Spieler mehreremale hintereinander gespielt.
5.) „Trenoipeleii.^^ Tempeln? Die Knaben, meist vier, sind mit einem
dicken Spielsteine versehen, dem sogenannten „Dommel''. In der Mitte des
Spielplatzes etwa steht ein Stein mit glatter Oberfläche (Spielstein, Fliese). Dieser
heisst „Trempelspöttchen^. Auf dieses legt jeder Spieler 1 Pfg. und zwar mit
der Ziffer nach oben. In einiger Entfernung vom Trempelspöttchen befindet sich
die Grenze, an der die Spieler Aufstellung nehmen. Zuerst wird gelost, wer
der erste sein soll. Jeder sucht seinen „Dommel'' in die Nähe des Trempels-
pöttchen zu bringen. Deijenige, welcher am nächsten dabei liegt, sagt: „Eck
hab den Heck'' (geschlossenes e) und er beginnt das Spiel. Er wirft seinen
„Dommel" an irgend eine Stelle des Platzes, aber möglichst in die Nähe des
Geldsteines, und zwar so, dass er von den andern nicht getroffen werden kann.
Falls er von einem andern, etwa vom zweiten, getroffen wird, so muss er aus-
treten. Sie brauchen aber nicht am Anfang zu zielen, sondern sie können (sich)
irgend einen Platz wählen und (sich) dort hin werfen. Ist der erste wieder am
spielen, so kann er auch auf einen der Mitspieler werfen. Gelingt es ihm, alle
„Dommels*' der Mitspielenden zu treffen, so hat er gewonnen. Er kann aber
auch, falls er mit den Fingerspitzen das „Pöttchen " noch berühren kann, an
dasselbe herantreten und auf das Geld werfen. Gelingt es ihm, das Geld so zu
treffen, dass es mit der Adlerseite nach oben zu liegen kommt, so ist das Spiel
ebenfalls aus. Angenommen, es gelingt ihm, drei Pfennige umzuwerfen (um-
zntrempeln), den andern also, den letzten, nicht, dann wird der folgende Spieler
auch auf dessen „Dommel" zielen. Trifft er ihn, so muss der Getroffene aus-
treten und Pfennige wieder einsetzen. Wer auf das Geld wirft, kann es auch
folgendermassen machen. Er wirft auf das Geld und sucht zugleich in die Nähe
eines andern zu kommen. Wenn das Geld umfällt, so ist er noch einmal
am werfen. Da er jetzt nahe bei dem andern liegt, so kann er diesen leichter
treffen. Das nennt man „Entrempeln". Das ganze Spiel geht also dahin, den
Gegner zu treffen oder das Geld umzuwerfen.
6.) „Haeke^^, das auf dem Trottoir am meisten
gespielt wird. In der nebenstehenden Figur sind c, d die
Rinnsteine. Die Spielsteine werden folgendermassen auf-
gestellt: Gegen die Mauer a, b werden die ersten gesetzt,
aber nur ein Spielstein bei a. Ist dieser durch einen
grossen, dicken Spielstein, den „Hackmervel", getroffen,
so wird auch auf den Spielstein e gezielt, ist dieser
Flg. 1
a
e
f
g
h
"E
Fig. 2.
•
•
c
i
d
•
•
k
•
•
1
•
m
n
getroffen, dann auf f, g u. s. w. Bei xx steht der Mit- xx
spielende und sucht den Spielstein bei a zu treffen. Ist dies der Fall, so hat
60
er diesen „Mervel'' gewonnen. Im andern Falle ist der ihm noch folgende am
werfen. Es kommt aber aach vor, dass der „Hackmervel'' den Spielstein bei a
trifft und in die Beihe e, f, g, h etc. hineinläuft; dann gehören dem Werfer
alle die Spielsteiue an, die vom „Hackmervel'' berührt oder von den andern
getroffen worden sind. Ist der Spielstein bei a nicht getroffen und er länft in
die Kinne hinein, so mnss er soviel beisetzen, als er angerührt bezw. getroffen
hat. Hat er den ersten und letzten getroffen, so gehört ihm alles an. Hat er
e und i getroffen, so muss er soviel beisetzen, als die Anzahl vom e und i
beträgt, also hier e, f, g, h, i (5). Die beizusetzenden können zwischen die
andern Spielsteine gesetzt werden, also zwischen c und f, f und g, h und i,
oder sie können auch zusammen in einer Vertiefung oder hinter einen Stein
versteckt werden und zwar so, dass sie schwer zu erlangen sind. Sind zum
Beispiel vier „beigemack" worden, so können sie zu allerletzt „gepackt" werden,
wenn sie mit den Worten hingesetzt werden: „Achter alles''. Derjenige Spieler,
der den oder die letzten Spielsteine des Spieles getroffen hat, ist beim folgenden
Spiele der erste; der unmittelbar vor ihm geworfen hat, ist der letzte; der vor
diesem geworfen hat ist der Zweitletzte u. s. w. Es können beliebig viele
Kinder mitspielen. Bei Figur 2 ist fast dasselbe, wie bei Figur 1.
7.) ,^o(a)ehseli]iiiete^S Nohjage (Nachwerfen), wird besonders von Mädchen
gespielt. Trifft eines den Spielstein des anderen, so hat es ihn gewonnen.
8.) ,,Kttsskeschareii^^ Eine bestimmte Anzahl Spielsteine wird in eine
„Küss'' „gestuckt''. Die Spielsteine, die auswärts fallen, werden mit der Hand
oder dem Zeigefinger in die „Küss" gestossen. Damit beginnt der, der „gestuckt''
hat. Misslingt es ihm, einen Spielstein „hiueinzuscharren'', so ist der andere
Spieler an der Beihe. Gelingt es diesem, die Spielsteine hineinzustossen, so hat
er gewonnen, andernfalls spielt wieder der erste und so fort. Deijenige gewinnt,
der den letzten Spielstein in die „Eüss" „scharrt". (Knaben.)
9.) Ansette (ansetzen) wird viel von Mädchen, weniger von Knaben gespielt.
Abwechselnd „setzt jeder der beiden Spieler gegen eine Mauer an", d. h. jeder
wirft abwechselnd einen Spielstein gegen die Mauer, sodass diese auf der Erde
zwischen den Steinen liegen bleiben. Trifft nun ein „angesetzter" Spielstein
einen der auf der Erde liegenden, so bekommt der betreffende Spieler alle Spiel-
steine, die auf der Erde liegen, wenn die Spieler vorher bestimmt haben:
„Opprapes", sonst nur eine bestimmte Anzahl.
10.) Bei mehreren Spielen mit Spielsteinen wird auch um Geld gespielt,
z. B. „Penuingske ömsehiete^^ (Pfennig umschiessen). In einer Linie auf dem
Erdboden werden Pfennigstücke aufgestellt, die dann umgeschossen werden. Trifft
ein Spielstein ein Geldstück, dass es umfällt, so erhält der Spieler dasselbe.
11.) ,,Penningske ($mhaue^^ Dieses Spiel wird besonders auf den Strassen
Kempens gespielt, die mit den kleinen unregelmässigen Steinen gepflastert sind.
Die Spieler legen jeder ein bestimmtes Geldstück auf einen glatten Stein, und
ein jeder legt eine Fingerspanne davon seinen Spielstein in eine Oeffnung zwischen
den Steinen. Jeder wirft nun mit dem Spielsteiu ein Geldstück nm. Gelingt
ihm dies, so hat er es gewonnen, muss aber auch den Spielstein des andern treffen.
12.) „Onger de Fut" (unter d. Fuss). Einer legt ein Geldstück unter
den Fuss und der andere schleudert ein Geldstück durch die Luft, sodass es auf
die Erde fällt. Haben beide „Adler" bezw. „Zeichen", so hat der zweite
gewonnen, anderenfalls der erste. (Diese Spiele mit Geld werden nur von
Knaben [älteren] gespielt.)
61
IB.) Höpkessehieten (Häafchenschiessen). Das ist Spiel Diit Spielsteinen,
Knicker genannt. Einer übernimmt das Spiel. Er setzt vier Knicker zu einem
Häufchen zusammen. Die anderen Mitspielenden stellen sich in einer Entfernung
von etwa 3 m auf und stehend suchen sie mit Knickern das Häufchen zu treffen,
sie „hacken op det Höpken". Alle Knicker, die nicht treffen, gehen in den
Besitz des Knaben, dem das Häufchen gehört. Trifft einer das Häufchen, so
gelangt er in den Besitz des Häufchens, und das Spiel fährt fort.
14.) Brettkessehieten (Brettchenschiessen). Auch bei diesem Knickerspiel
übernimmt einer das Spiel Er hat ein Brettchen mit mehreren Einschnitten,
über denen die Zahlen stehen. Diese Zahlen gehen
I meistens nur bis 6. Nun stellt sich der Besitzer
12 3 4 5 6 des Brettchens in einer Entfernung von etwa 2 m
-TLnLnLrLnjTJ auf, indem er das Brettchen auf die Erde stellt.
Nun schiessen die Mitspieler auf das Brettcheu.
Läuft ein Knicker etwa durch Oeffnung 5, so muss der Besitzer des Brettchens
dem Glücklichen 5 Spielsteine geben. Aber alle Spielsteine, die durch keine
Oeffnung gehen, gehen in den Besitz des Brettchenbesitzers über. Die Löcher
mit den höheren Nummern werden natürlich immer kleiner. Das ganze Brettchen
ist yielleicbt 40 cm lang und 10 cm hoch. Diejenigen Brettchenbesitzer, die
die meisten Nummern haben, haben auch den meisten Zulauf.
III. Ballspiele.
1.) Kttleckes- Rolle. Etwa fünf Kinder können an diesem O
Spiele teilnehmen. Die Kinder stellen sich an den Strich (AB) O
und rollen einen Ball in irgend eins von den Löchern. Jedes Kind O
ist aber Besitzer eines dieser Löcher. Läuft der Ball nun in eins o
von den Löchern, so hat der Besitzer desselben den Ball zu nehmen. o
Er wirft ihn in die Luft, währenddessen laufen die andern fort.
Dann wirft das Kind nach einem von den Spielteiluehniern. Trifft
es denselben, so muss der Getroffene austreten. Fehlt es aber, so a b
muss der Werfer austreten.
2.) ,^alandere^^ (Ballschlagen) Ein Teil der Mitspieler ist im „Himmel"
(Himöl) ; ein anderer Teil in der . Hölle '^ (en dö Höll). Die im Himmel schlagen
den Ball, die in der Hölle fangen ihn auf und suchen den Werfer, der in der
Hölle an einen Stein klopft, mit dem Balle zu treffen. Wird er getroffen, so
wird er in die Hölle gebracht. Der im Himmel allein Uebrigbleibende kommt
nachher allein in die Hölle, und das Spiel beginnt von neuem. (Im Geldernschen
nennt man dieses Spiel „Plackballe^^ von „plack" = Platz)
3.) „Hipp^^ In einem Viereck steht auf jeder Ecke ein Spieler. Vier
Knaben stehen in dem Viereck. Der Ball wird von einer Ecke zur andern
geworfen. Derjenige, der den Ball auf die im Viereck stehenden Spieler werfen
will, ruft: „Hipp''; die Innenstehenden rufen darauf: „Gass". Der Getroffene
nimmt den Ball und wirft damit einen der „ Eckensteher '', die vorher davon
gehiufen sind. Will einer von diesen auf seinem Platze stehen bleiben, so ruft
er: „Kugel'', darf aber bis zum Wurfe sich nicht mehr rühren; wird einer
getroffen, so sind die früheren „Eckensteher" von der Ecke ab, und die andern
kommen auf die Ecken.
4.) Kappenball. a) Die Spieler legen ihre Mützen an eine Wand. Von
einem Striche aus, dem sog. „Ahn", wirft nun ein Spieler einen Ball in eine
der Mützen. (Hat der Spieler in drei Würfen den Ball nicht in eine Mütze
geworfen, so folgt ein anderer Spieler.) Alle Spieler laufen nun so schnell wie
62
möglich fort. Der Eigentümer der Mütze ergreift den Ball und ruft: „Halt!"
Sogleich haben alle Läufer zu stehen. Der Ball wird geworfen. Trifft er einen
Läufer, so verliert dieser ein „Leben*. (Jeder Spieler hat drei „Leben".) Wird
kein Läufer getroffen, so hat der Schleuderer des Balles ein „Leben'' verwirkt.
Das Spiel wird solange fortgesetzt, bis alle Spieler ihre drei „Leben'' verloren haben.
b) „Kappeballen^^, auch „Eäppke schmitte" — „Luse" = lausen. Die
Spieler legen ihre Mützen an die Wand. Dann wirft derjenige, dessen Kappe
am Anfange liegt, mit einem Balle nach den Kappen. Ist der Ball in eine Kappe
gelangt, so ergreift der Besitzer derselben den Ball, ruft: „Halt", und versucht
nun, einen der inzwischen davongelaufenen Mitspieler zu treffen. Trifft er, so
bekommt der Getroffene einen Stein (Laus) in die Kappe; trifft er nicht, so
bekommt er selbst einen Stein in die Mütze. Hat jemand drei oder fünf Steine
(wie es vorher abgemacht ist), so muss er aufhören. Das Spiel dauert so lange,
bis alle bis auf einen die bestimmte Anzahl von Steinen (Läusen) in der Kappe
haben. Der zuerst Ausgetretene muss sich nun gebückt an die Wand stellen,
und der nach ihm Ausgetretene hat das Becht, dreimal aus einer bestimmten
Entfernung auf ihn zu werfen. So geht das weiter, bis zum Letzten. [In anderer
Gegend wird bei Fehlwürfen die betreffende Mütze an das Ende der Reihe gelegt.]
5.) ,,Mauerball^^, auch „Stand^^ (Stillstand) oder „Stutz". Es wirft jemand
den Ball an die Mauer und ruft den Namen eines Mitspielers, der den Ball dann
fangen muss, während die andern davonlaufen. Fängt der Gerufene den Ball,
so wirft e r den Ball und ruft den Namen eines andern. Fängt er den Ball nicht,
so erhascht er schnell den Ball und ruft sein „Halt", worauf er zu treffen ver-
sucht. Hat er dreimal nicht getroffen, so tritt er aus, auch der, der dreimal
getroffen wurde. Im übrigen nimmt dann das Spiel denselben Verlauf, wie das vorige.
6.) „Ecke haue!" Dieses Spiel kann von 4, 6, 8 Knaben gespielt werden.
In einer Entfernung von 30 Schritten werden zwei lange Striche gezogen. Vor
dem Spiele teilen sich die Knaben in zwei Gruppen, zu gleichen Teilen. Dann
losen sie, wer zuerst „am haue es". Auf einen Strich stellen sich nun die
„Schläger" mit einem von der andern Gruppe, der das „Einschenken" des Balles
besorgen muss. Dieser Knabe führt den Namen „Mitzemann", nach dem Strich,
auf dem er steht. Derselbe heisst nämlich „die Mitz". (Mitte?) Die andern
Knaben von der Gruppe des „Mitzemanns" stehen nun in kleinerer oder grösserer
Entfernung von dem anderen Strich. Sie suchen den Ball aufzufangen, den ein
„Schläger" von der „Mitz" aus schlägt. Ergreifen sie den Ball sofort aus der
Luft, oder nachdem er einmal den Boden berührt hat, so treten sie an die Stelle
der „Schläger". Im andern Falle müssen sie suchen, den „Schläger" zu treffen,
der unterdessen von der „Mitz" zu dem andern Striche läuft. Von hier aus
läuft er wieder zur „Mitz" zurück. Dann suchen ihn die obenstehenden Spieler
zu treffen. Treffen diese ihn, so treten sie an die Stelle der „Schläger". Im
andern Falle wird das Spiel in derselben Anordnung fortgesetzt. Trifft auf der
„Mitz" ein „Schläger" den Ball nicht, so darf der „Mitzemann" den schnell
davoneilenden „Schläger" werfen. Dann gelten dieselben Regeln, die oben schon
angegeben sind.
7 ) „Kuhle muhle!" Es kann von beliebig viel Kindern gespielt werden.
Die Spieler zerfallen in zwei Gruppen. Zur ersten Gruppe gehören mit einer
Ausnahme alle andern. Dieser eine bildet die zweite Gruppe. Die erste Gruppe
legt sich Zahlen bei, und zwar jeder eine Zahl. Dabei muss die fortlaufende
Zahlenreihe gebraucht werden. Diese Zahlen dürfen dem einen Mitspieler nicht
bekannt sein. Die Spieler treten nun an einen Hut, der auf dem Boden liegt.
In den Hut wird ein Ball gelegt. Alle drehen dem Hut den Rücken, und der
63
eine Spieler (dieser hat Nr. 1) ruft nun: „Kuhle, mnhie'' Nr irgend eine,
im Bereiche der Zahlen als auch Mitglieder da sind. Angenommen er ruft Nr. 3.
Der Spieler, der diese Nummer hat, ergreift den Ball und ruft dann: „Halt!*
Bei diesem Kufe müssen alle stehen. Dieser wirft nun nach einem mit dem
Bali. Wird er getroffen, so tritt er aus. Fehlt der Wurf, dann tritt der aus,
der geworfen hat. Derjenige, der Nr. 1 hat, muss auch austreten, wenn er
getroffen wird, oder wenn er eine Nr. ruft, die nicht mehr am Spiel heteiligt
ist. An seine Stelle tritt der, der die folgende Nr. hat, sofern er noch am Spiel
beteiligt ist. Ist Nr. 2 ausgetreten und muss jetzt Nr. 1 austreten, so tritt an
Stelle von Nr. 1 Nr. 3.
8.) Königsball (auch für Mädchen). Ein Spieler, der König, der durch
Abzählen erkoren ist, steht in einiger Entfernung von den übrigen Spielern.
Er wirft. Er wirft in grossen Bogen, möglichst hoch, den Ball seinen Mitspielern
zn. Wer den Ball fängt, d. h. aus der Luft aufgreift, der ist König. Auch
der wird König, der den Ball fängt, wenn dieser einmal » getippt" hat, d. h.
wenn der Ball nur einmal die Erde berührt hat.
9.) Das Tnrelnrespiel, auch ,,KttssebäI^^. An dem Spiele können sich
beliebig viele Kinder beteiligen. Sind fünf Mitspieler da, so werden sechs „KuUen"
(kleine runde Vertiefungen in den Erdboden) in einer Linie gemacht. Jeder
bekommt ein Loch, das letzte Loch heisst „Turelure". Etwa drei bis vier Schritte
vor der ersten Kuli wird ein Strich, der Ansatzstrich gezogen. Von hier aus
bemüht sich jeder, einen Ball in die Kulle eines seiner Gegner zu rollen. Hat
jemand den Ball in ein Loch geworfen, so springt der Besitzer sofort herzu und
greift den Ball, um von seinem Loche aus einen seiner Mitspieler, die sich
nnterdessen entfernt haben, zu werfen. Trifft er diesen nicht, so bekommt er
,en Stengke en de Kuli*'. Trifft er ihn doch, so muss der Getroffene von seinem
Loche aus einen seiner Gespielen werfen. Derjenige bekommt also einen Stein
in sein Loch geworfen, der nicht trifft. Dann setzt sich das Spiel fort, bis
einer eine bestimmte Anzahl Steinchen bekommen hat. Hat einer die vor dem
Spiele bestimmte Zahl Steinchen in seinem Loch, so muss er sich mit dem Gesicht
gegen die Mauer stellen und jeder wirft ihm „fief op da Puckel möt da Bäl".
Trifft einer z. B. drei mal nicht, so darf der Schuldigt dem, der vorbeigeworfen
hat, drei Würfe wiedergeben. Wirft einer den Ball in das sechste Loch, in
Tnrelnre, so rufen alle „Turelure** und jeder stellt sich an sein Loch und zwar
mit dem Kücken der Kuli zugekehrt. Dann legt derjenige, der den Ball in das
letzte Loch geworfen hat, einem andern denselben in die KuU. Er ruft dessen
Namen und alle andern entfernen sich. Der greift den Ball und trifft entweder
einen, oder er bekommt „en Stengke en de KulP.
10.) Uimmel und HSlle. Es ist dies ein Ballspiel, welches in der Begel
von Knaben gespielt wird. Es werden in einiger Entfernung voneinander zwei
Plätze, Himmel und Hölle, durch Striche bezeichnet. Einer der Knaben ist in
der Hölle, die übrigen im Himmel. In der Mitte zwischen beiden Partien liegt
ein Stein. Einer der Knaben, die im Himmel sind, schlägt nun einen Ball mit
einem Stock zur anderen Partie hinüber, läuft gleich darauf zu dem Stein, den
er mit dem Stock berühren muss, und wieder zurück zu seiner Partie. Unter-
dessen nimmt der, welcher in der Hölle ist, den Ball und wirft ihn nach dem
Schläger. Trifft er ihn, so muss dieser zu seiner Partei übertreten. Gelingt
es dem ersteren, den Ball aufzufangen ehe er die Erde berührt, so muss der
Schläger an seine Stelle treten und er kann zu der anderen Partei übertreten.
Sonst setzt sich das Spiel in der angegebenen Weise fort, bis alle Knaben bis
anf einen in der Hölle sind (die dann Himmel wird).
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11.) Rojeii Hahn. Die Kinder stellen sich in einem Kreise auf, etwa
zwei Schritte von einander entfernt. Jedes Kind steht in einem viereckigen
Häuschen. Jetzt geht ein Kind mit einem Balle um den Kreis Es singt dabei:
„Bojen Hahn, wat hed gej an, twee paar Strämp en twee paar Schnhn, Dat bed
den rojen Hahn vandun'^ (nötig). Dabei legt es den Ball hinter eins der Kinder
und läuft dann schnell weiter. Bemerkt das Kind den Ball, so eilt es dem
Läufer nach, um ihn mit dem Balle zu treffen. Erreicht der Läufer vor dem
Kinde dessen Platz, ohne geworfen worden zu sein, so läuft er weiter, während
das andere Kind austreten muss. Wird jedoch der „roje Hahn'' geworfen, so
muss er austreten und das andere Kind vertritt seine Stelle. So nimmt das
Spiel seinen Fortgang, bis nur noch ein Kind übrig bleibt. Mit diesem geht
der „roje Hahn'' hin und verbirgt den Ball. Die anderen Kinder kommen herbei
und suchen denselben. Dasjenige Kind, das den Ball findet, ist jetzt „rojen Habn^
12.) Alle Balle Kulle. Die Knaben, etwa fünf oder sechs, graben sich
jeder eine Vertiefung in den Boden (KuU genannt), in die eine Faust hiuein-
passt. Sodann stellt sich der erste (a) auf einen vier Schritt ent-
^ fernten Strich und rollt einen Gummiball vorsichtig über den Boden,
^ ^ sodass er in eines der Löcher hineinfällt. Der Knabe, dem das
O ^ Loch angehört, etwa c, stellt den Fuss auf den Ball und ruft :
Oc ^AUe Balle Kulle!" Darauf erwidern die anderen: „Schmeks,
Ob Schmacks, Schmnlle!" „Koukle Kaud?" (auch Kautabak) fragte
O a darauf, und jene erwidern: „Welche Haud?" [In anderen Gegenden
hört man auch „Habakuck, schnick schnack schnuck; in noch
anderen Gegenden heissen Ruf und Gegenruf: „Habakuck" —
„Schnudel" — „Konvermant" — „in wem sin Hand?** „in Tei!"
g = Theodor (oder ein anderer Name.)] Jetzt nennt c einen der
Mitspieler, auch wohl seinen eigenen Namen. Der Genannte ergreift
den Ball und sucht von dem Striche aus einen der Mitspieler, die nach allen
Seiten auseinandergestoben sind, mit dem Balle zu treffen. Gelingt ihm das,
so muss der Getroffene seine Vertiefung mit dem Sand zudecken; gelingt es ihm
nicht, so muss er selbst vom Spiel zurücktreten und seine Vertiefung ausfüllen.
So nimmt das Spiel seinen Fortgang, bis nur noch einer übrig bleibt.
IV. Lanfspiele.
1.) Räuber und Gendarm (bekannt).
2.) 9,Nohlopes^^ (Nachlaufen). Es wird abgezählt.
3.) ,,Ecke Iure" (sehr beliebt). Die Kinder wählen ein Häuserviereck
und laufen um dasselbe herum. Einer lauert an einer Ecke, um einen anderen
zu sehen. Der Gesehene wird „angeklopft" (an die Wand) und muss jetzt lauern.
4.) „Kriege spi$le^^ (= spielen) ist Nachlaufen.
5.) ,,Bömmke wit lope^^ = Bäumchen weiter laufen (Bäumchen Wechsel
dich !). Gewöhnlich fünf Spieler, vier an den Bäumchen, einer im Spiel. Während
die vier durch gegenseitiges Zurufen „Bömmke, Wechsel dich!" ihre Bäumchen
vertauschen, ist der fünfte Spieler darauf bedacht, einen nicht besetzten Baam
zu erhaschen. Gelingt ihm dies, so findet sich der sog. „Fünfte" von selbst wieder.
6.) „Acere^^ (akkreditieren = bevollmächtigen) Das Spiel wird meistens
von Knaben ausgeführt. Eine beliebige Anzahl Spieler kann sich zugleich
beteiligen. Ein Kind wird gewählt, das sich an eine Mauer stellt und die Augen
schliesst. Die andern Kinder verstecken sich. Das durch einen Buf zum Suchen
aufgeforderte Kind muss nun den ganzen Körper, eines andern Kindes sehen,
65
um es zum Fänger machen zu können. Hat das Kind einen Arm oder ein Bein
hinter einem Baume versteckt, so ist es noch geschützt. Ist endlich ein Kind
ganz gesehen worden, so läuft er zu dem Platze, an dem vorher der Fänger
stand, schlägt mit der Hand drei mal gegen die Mauer und ruft dabei: „Akkre,
Akkre för mich!'' Das fangende Kind folgt ihm und macht es ebenso. Wer
nun zuletzt am Platze ist und die Worte vollendet hat, muss Jagd auf die tlbrigen
Spieler machen. Ist ein Kind, das vom Fänger verfolgt wird, in Gefahr, so
darf ein anderes, das schon am Platze ist, für das kommende die Losungsworte
sagen und es so schützen. (Für ein noch im Versteck verbleibendes Kind kann
nicht eingetreten werden.) Sind alle Kinder am Platze, so muss das zuerst
gefangene Kind zurückbleiben, während die andern sich wieder verstecken.
7.) „Yerbergen affkloppen.^^ Um zu ermitteln, wer der Suchende sein
soll, läuft die Spielerschar auf ein bestimmtes Zeichen (Zählen) nach einer vorher
bestimmten Stelle (Baum, Tür). Wer zuletzt an der Stelle anlangt, hält seine
Hände vor die Augen (oder lehnt sich mit dem Gesichte gegen den Baum oder
die Tür) und zählt: „10, — 20, — 30, — 40, — 50, — 60 bis 100, wer
sich noch nicht verborgen (versteckt) hat, der ist.*' Die andern haben sich
indessen ein günstiges Versteck aufgesucht. Der Suchende entfernt sich vom
Baume und ist darauf bedacht, die andern zu suchen (zu sehen). Gelingt es
ihm, einen zu sehen, so ruft er denselben beim Namen, läuft zum Baume zurück
und berührt diesen mit der Hand. Der Gesehene sucht den Suchenden (besonders
auf weiteren Strecken) beim Laufen einzuholen und eher den Baum zu berühren.
Gelingt es ihm, so darf er sich wieder verstecken, während der andere mit ver-
schlossenen Augen wie eben gesagt abzählt. Gelingt es ihm nun, alle Versteckten
zu sehen und rechtzeitig „affzukloppen'' (also mit der Hand bei jedem, den er
gesehen, den Baum zu berühren), so ist derjenige der Suchende, der zuerst
gesehen worden ist.
8.) Wieviel Uhr ist es? Es können beliebig viele Kinder mitspielen.
Ein Kind ist die Uhr. Die Uhr steht in einiger Entfernung von den andern.
Za ihr kommt ein zweites Kind und fragt dann: „Wieviel Uhr ist es?'' Die
„Uhr" nennt irgend eine Zeit (7*6). Dann begibt sich das zweite Kind wieder
zu den andern Spielern und fragt sie der Reihe nach: „Wieviel Uhr ist es?*^
V^ Errät nun ein Kind die Zahl, so muss es fortlaufen, da es sonst von
dem Frager mit einem Taschentuch, in dem ein Knoten ist, Schläge erhält. Wer
die Zahl erraten hat, begibt sich nun zur „Uhr" und erfragt hier eine andere Zeit.
9.) ,,]>e grise KlU.^^ Kinder ziehen in einer breiten Beihe über die
Strasse, bis an eine Ecke, wo sich ein Kind verborgen hält. Sie singen dabei:
„Wele wej es gau no Kevele gohn
On hale Piptabak,
On wenn de grise Käi ons kregt,
Da steckt ons in de Sack
Öm en Ür nit, öm twe Ür nit,
Öm trij Ür nit — u. s. w., öm twelf Ür well."
Haben die Kinder soweit gesungen, so sind sie gewöhnlich schon an der Strassen-
ecke vorbei Dann kommt das Kind hinter der Ecke hervor und sucht eines
der Kinder, die schnell wieder an den Strassenanfang zurücklaufen, zu fangen.
Die Gefangenen werden mit hinter die Ecke genommen. Das Spiel wird fort-
gesetzt, bis alle gefangen sind.
10.) KllSekske, wu lät? Die Kinder stellen sich in eine Beihe an eine
Wand. Zwei gehen hin und erdenken sich eine Zeit, etwa V^12 Uhr. Derjenige
von beiden, der ein Taschentuch mit einem Knoten in der Hand hält, geht an
Niederdeatsches Jahrbuch XXXII. 5
66
der Reihe vorbei und stellt die Frage: „Klöckske, wu lät?" Dabei gibt er an,
ob die Stunde ganz oder halb oder nur zum vierten Teile geraten werden soll.
Er sagt: ganze Üre (ganze Stunden), hälfe Üre (halbe Stunden) oder verdle Üre
(viertel Stunden). Derjenige, der das Rechte rät, muss bis zu einem bestimmten
Orte, etwa einem Baume, laufen, verfolgt von dem „ Frager ", der ihn mit dem
Taschentuch zu schlagen bemüht ist, bis er an seinen Platz zurückgekehrt ist.
Sodann bekommt der zweite der Frager den Schläger, derjenige, der geraten hat,
begleitet ihn, während sein Platz von dem ersten Frager eingenommen wird.
Sodann erfolgt auf dieselbe Art und Weise der Fortgang des Spieles.
11.) Mösse verkoope! Vögel verkaufen! Die Kinder stellen sich in einer
Reihe auf. Sodann treten drei von ihnen vor. Der eine von ihnen ist der
Besitzer der Vögel, der andere Engel, der letzte Teufel. Die beiden Käufer
(Teufel und Engel) entfernen sich nun, bis der Besitzer jedem der Kinder einen
Vogelnamen gegeben, hat. Sodann tritt der Engel hinzu, klopft dem Verkäufer
auf den Rücken und spricht: „Klopp, klopp an ou Dör!'' Darauf fragt dieser:
„Wi es an de Dör?" „Den Engel." Sodann tritt der Engel vor und fragt:
„Heje enne schwarte M611?'' (Amsel) u. s. w. bis er einen Namen geraten hat.
Der Knabe, der diesen Namen trägt, tritt vor. Nachdem der Engel dem Ver-
käufer so viele Schläge in die Hand gegeben hat, als dieser Mark für den Vogel
fordert, läuft dieser bis zu einem bestimmten Punkte, verfolgt von dem Engel.
Holt der Engel den Vogel ein, ehe dieser an seinen Platz zurückgekehrt ist, so
begleitet der Gefangene den Engel zu einem Orte, wo er bleiben muss; wird er
nicht eingeholt, so kehrt er an seinen Platz zurück. Hierauf kommt der Teufel,
um einen Vogel zu kaufen. So geht das fort, bis alle Vögel verkauft sind.
Hierauf fassen sich die vom Teufel gefangenen Vögel an, die vom Engel
gefangenen ebenfalls, und nun stellen sich die Parteien zu beiden Seiten eines
Striches auf. Die ersten jeder Partei fassen sich jetzt gegenseitig an die Hand
und beginnen zu ziehen. Werden die Engel über den Strich gezogen, so werden
sie zu Teufeln, andernfalls die Teufel zu Engeln werden. ^
12.) „Tögelverkaufen", auch »Vogel flieg aus''. — Vügel gelle. Dieses
ist für kleine Kinder ein höchst spannendes Spiel. Einer ist Vogelhändler und
ein anderer der Käufer. Der Vogelhändler stellt die andern Spieler ider Reihe
nach auf. Jeder erhält einen Vogelnamen : Sperling, Drossel, Rotkehlchen a. s. w.
Die Namen können die Vögel sich selbst wählen, doch dürfen nicht zwei gleiche
Namen darunter sein. Der Käufer hat sein Mal etwa 20 Schritte von den
Spielern entfernt. Wenn der Vogelhändler mit der Verteilung der Namen fertig
ist, gibt er dem Käufer einen Wink zu kommen. Etwa 6 Schritte von den
Vögeln entfernt fragt er den Vogel händler : „Hast Du Vögel zu verkaufen?" —
„Ja, welchen willst Du?" — „Hast Du einen Zeisig?" — „Nein!" — „Denn
ein Rotkehlchen?" — „Ja, es kostet 5 Mark." Nun läuft der betreffende Vogel
so schnell als möglich zum Male des Käufers und zurück. Der Käufer zahlt
erst den Preis und zwar durch soviele Schläge auf die vorgestreckte Hand, als
der Preis beträgt, doch darf dieser nicht über 10 betragen. Hat er so bezahlt,
dann sucht er den Vogel zu fangen. Vogel wie Käufer müssen das Mal des
Käufers berühren. Gelingt es dem Käufer nicht, den Vogel zu fangen, so tritt
der flinke Vogel beim Händler ein und erhält einen anderen Namen. Das Spiel
ist beendet, wenn der Käufer sämtliche Vögel eingefangen hat.
13.) „Kinderehen, Kinderehen, kommt herbei !^^ (Auch „UOlegänsehen
kommt naeh Haus.^^) An diesem Spiele nehmen Kinder jeden Alters teil. Aach
wird dieses Spiel von Knaben und Mädchen gespielt. Die Zahl kann beliebig
gross sein, doch nicht unter 6. Ein älteres Mädchen ist die Grossmutter, ein
67
Brück
en
Wasser
Brücken
WftBser
kräftiger Knabe der Wolf, die Spielerschar stellt sich in einer Beihe auf. Der Wolf
hält sich hinter einem Baume oder Türmcheu versteckt. Die Grossmatter steht
etwas Ton der Schar entfernt und ruft : „Kinderchen, Kinderchen, kommt herbei!'
— jWir kommen nicht!'' — ,, Warum denn nicht?* — »Der Wolf ist da!* —
jWas will er denn?" — , Steinchen suchen!" — «Was will er mit dem Steinchen?*
— ^Messer schleifen!* — »Was will er mit dem Messer?* — ,Hals abschneiden!*
— , Kinderchen, Kinderchen, kommt nach Haus!* Die Kinder laufen alle schnell
zur Grossmutter. Der Wolf sucht ein Kind zu fangen und nimmt es mit.
Darauf beginnt das Spiel von neuem. Die gefangenen Kinder unterstützen nun
den Wolf. Das Spiel ist beendet, wenn der Wolf sämtliche Kinder gefangen hat.
14.) Richter and Dieb. An diesem Spiele nehmen mindestens 6 Knaben
teil. Auf Papierstreifen stehen die Namen : Kaiser, Richter, Scharfrichter, Zeuge,
Baner, Dieb. Die Briefchen werden zusammengefalten und von einem Knaben
iu die Höhe geworfen. Dann sucht jeder ein Briefchen zu bekommen. Derjenige,
anf dessen Zettelchen „Dieb* steht, flieht. Er wird von dem Zeugen und Bauer
verfolgt und eingefangen und zum Kichter gebracht. Der Bauer klagt ihn wegen
einer Tat an. Der Zeuge bestätigt die Angabe des Bauers. Nun wird er ver-
urteilt zu 10 — 20 Faustschlägen. Er kann aber auch beim Kaiser um Qnade
bitten. Erlässt der die Strafe, so wird er freigelassen, sonst aber übt der Scharf-
richter die angesetzte Strafe aus.
15.) „Brökke-lu-epe." „Wa-
terlope.* (Brückenlaufen.) Zu diesem
Spiele wählen die Spieler einen mög-
lichst rechteckigen Platz. Dieser wird
durch Striche auf der Erde eingeteilt
in Brücken und Wasser. Siehe Figur.
Nachdem nun einer durch das Auszählen
,nbttelle* zum Nachlaufen bestimmt
worden ist, nimmt das Spiel seinen Anfang. Jeder Spieler muss darauf achten,
dass er nicht die Brücken verlässt und ins Wasser tritt; denn sonst ist er
geschlagen. Den einmal angefangenen Weg muss der Spieler bis zur folgenden
Ecke vollenden. Dort kann er einen verschiedenen Weg einschlagen. Dagegen
darf der durch das Auszählen bestimmte Spieler seinen Lauf innerhalb der
Brücken ändern. Das Spiel wird weitergespielt wie das gewöhnliche Nachlaufen.
16.) ,,E>;kepieiiaa>^ Durch das Abzählen ist einer zum Läufer bestimmt
worden. Die übrigen Spieler suchen die nächste Ecke zu gewinnen, wo sie von
dem Läufer, der noch auf seinem alten Platze steht, nicht gesehen werden
können. Auf den Ruf der Spieler „Halua* verlässt der Läufer seinen Platz und
sncht einen an der Ecke zu Gesicht zu bekommen, er ruft ihn beim Namen und
läuft zum Auszählplatze, wo er „ankleckt* an die Wand schlägt und den Namen
des Gesehenen nennt. Die anderen Spieler kommen herbei und „klecken sich
selbst an*. Wer zuletzt kommt, ist Läufer für das folgende Spiel.
17.) Eier stehlen. (Eier klauen.) Die Spieler teilen sich in zwei Parteien
Ton beliebiger aber gleicher Anzahl und nehmen an einem Strich, der „Grenze*,
Anfstellnng. In gleicher Entfernung vom Strich hat jede Partei einen Kreis, in
dem sich die Eier (Steine) befinden. Jeder Spieler einer Partei sucht die Eier
der andern zu holen, ohne geschlagen zu werden. Wird er geschlagen, so ist
er Gefangener und muss am Kreise (^dem Neste) des Gegners Aufstellung nehmen.
Er kann jedoch durch Anschlag von einem Spieler seiner Partei erlöst werden.
Selbstverständlich darf diesdr nicht bereits, ehe er schlägt, geschlagen worden
sein. Die Partei, deren Nest zuerst leer wird, hat verloren.
Wasser
Brücken
Wasser
68
18.) Kätzke op et Stttbbke. Spielerzahl beliebig. Der Spielplatz ist das
Trottoir (die Stnbb vor einem Haase). Ein Spieler ist Kätzchen; er steht auf
dem Fusssteig und muss einen der Spieler, der sein Keich betritt, anschlagen.
Gelingt es ihm, so wird der Geschlagene Kätzchen. Dient ein Hügel als Spiel-
platz, so ist der Zaraf der Spieler: „Ich bin auf deinem goldnen Berg!^
19 ) Für folgendes Spiel ist mir kein besonderer Name bekannt: Die Spieler
(Zahl beliebig) nehmen in einigen Schritten Abstand voneinander in einem Kreise
Aufstellang. Jeder macht vor sich nun einen Kreis von etwa einem Schritt
Durchmesser. Mit einer flachen Scheibe suchen sie nacheinander in den Kreis
des linken Nachbars zu werfen. Wem es gelingt, der läuft (vom Besitzer des
Kreises, der vorwärts läuft, verfolgt) rückwärts fort. Der Einholende muss
den Eingeholten bis zu seinem Kreise als Keiter tragen.
•20) Alle meine Lämmlein kommt nach Haas! Ein Mädchen ist die
Mutter, die andern sind die Kinder. Die Mutter schickt die Kinder zum Spiel.
^achher ruft sie dieselben zurück mit den Worten: „Alle meine Lämmlein kommt
nach Haas!'' Die Kinder antworten : „Wir können nicht!*' Die Mutter: „Waium
denn nicht?" Die Kinder: „Der Wolf isl; da." Die Mutter: „Was frisst er denn?"
Die Kinder: „Lämmleinfleisch." Die Mutter: „Was trinkt er denn?" Die
Kinder: „Lämmleinblut." Die Mutter: „Alle meine Lämnilein kommt nach Haus!"
Jetzt laufen alle Kinder der Mutter zu. Ein anderes Kind, das Wolf ist, läuft
nun von der Seite her zwischen die Kinder und sucht eins zu erhaschen. Das
Kind, das von ihm gefangen wird, muss nun mit Wolf sein tind das Spiel beginnt
nun wieder von neuem und wird so lange fortgesetzt, bis alle Lämmlein
gefangen sind.
21.) ömstohn (Umstehen). Ein Kind stellt sich mit dem Gesichte gegen
die Wand (auf der Strasse). Alle übrigen Mitspieler stehen an der entgegen-
gesetzten Wand. Diese suchen jetzt zu dem Umstehenden zu kommen, ohne
von dem gesehen zu werden. Da jener aber von Zeit zu Zeit umsieht, können
die andern immer nur um kleine Strecken voran kommen. Wer weitergeht,
sodass der Umstehende es sieht, muss seinen Lauf von neuem beginnen. Erreicht
einer den Umstehenden, so tritt er an dessen Stelle.
22.) Hömplenbur („Henkele Bott", Hinkender Bote). Ein Kind wird
gewählt und in den sog. Kessel getrieben, wo es vor der Verfolgung der Mit-
spieler gesichert ist. Es wird Hömplenbur genannt (von hinken, hömplen). Der
Hömplenbur darf nur in Hüpfgang sein Reich verlassen. In der Hand hat er,
wie auch alle anderen Spieler, ein fest geknotetes Taschentuch. Triift er einen
hiermit, so sucht er, wie auch der Geschlagene, möglichst schnell den Kessel
wieder auf, um sich vor den Schlägen der andern zu schützen. Ebenso muss
der Hömplenbur wieder in den Kessel zurück, wenn er statt des Hüpfganges
gegangen ist, oder wenn er sich nicht vor dem Herauskommen angemeldet hat.
Hat er so mehrere gefangen, so schickt er diese nach Belieben aus: „Hömplenbur
scheckt twie Gesellen ut," oder: „H. scheckt sin Gesellen ut, hä kömmt nitenohe"
u. s. w. Natürlich müssen die Gesellen auch den Hüpfgang annehmen. Das
Einfangen geschieht so lange, bis alle eingefangen sind. Der letzte ist im
folgenden Spiele wieder „Hömplenbur".
23.) Strassenmämicheii. An diesem Spiel kann eine beliebige Anzahl
Kinder teilnehmen. Ein bestimmter Teil des Trottoirs wird als Spielraum
abgegrenzt; nun wird einer der Spieler durch das Los zum „Strassenmänncheu"
gewählt; dieser hat seinen Platz auf dem abgegrenzten Teil der Strasse und
darf diesen Baum nicht verlassen. Die übrigen Spieler laufen nun auf das
Gebiet des „Strassenmännchens" und singen dabei: „Strassenmänncben, Strassen-
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männcheD, ich bin auf deiner Strasse.'' Der zum „Strassenmänncben*' bestimmt
ist, sacht jetzt einen Spieler zu schlagen; gelingt ihm dies, so ist er frei und
der Geschlagene „Strassenmännchen''. Dann geht das Spiel in der beschriebenen
Weise weiter.
24.) ,,Matter, darf ieh^^ auch „Herr, Herr, darf ieh?^^ Ein Kind stellt
sich mit dem Gesichte gegen die Mauer und hält die Augen zu. Die andern
Kinder stellen sich mit dem Rücken gegen eine gegenüberliegende Wand. Nach
der Eeihe sagt nun jedes einzelne Kind: »Mutter, darf ich? Wieviel Schritt?''
Das Kind an der anderen Mauer hat nun darüber zu bestimmen, wieviel Schritte
von jedem Fragenden gemacht werden. Während das Kind vorangeht, sieht das
andere Kind, welches an der anderen Mauer steht, plötzlich um. Hat es das
Gehen nicht bemerkt, so bleibt das Kind an der neuen Stelle stehen, im andern
Falle muss es eine bestimmte Anzahl Schritte zurückgehen. Dasjenige Kind,
das auf diese Weise zuerst die Wand erreicht hat, darf sich allein an die
Wand stellen.
25.) Taschenttteher stritzen. Die Mitspieler bilden zwei Parteien. Es
wird die Stellung wie beim Barlauf eingenommen, nur ist nicht soviel Platz
nötig. Diese Partei legt das Taschentuch eines jeden in gewissen Abständen
etwa an dieser Mauer entlang, jene Partei an der anderen Mauer entlang Genau
in der Mitte wird ein Strich gezogen. Jetzt muss jede Partei sorgen, möglichst
viele Tücher zu erhalten, ohne bevor geschlagen worden zu sein. Von beiden
Parteien müssen daher die Grenze und Tücher bewacht werden. Jeder Geschlagene
muss direkt über die Grenze zurückgehen. Es dürfen im anderen Falle soviel
Tücher mitgenommen werden, als man bekommen kann, bis man geschlagen wird
Die gestohlenen Tücher werden zu den andern auf die Seite des Siegers gelegt.
Wenn einer Partei alle Tücher genommen sind, hat sie verloren.
V. Boekspringen.
1.) Bock, Bock, wieviel Höres (Hörner). Die Spieler zählen nach einem
Reime ab; so wird der Bock bestimmt. Dieser beugt seinen Rücken und hält
sich an einer Mauer fest. Ein Knabe springt nun auf den Rücken des Bocks
and hält einige Finger in die Höhe, aber so, dass es der Bock nicht sieht.
Dann ruft er: „Bock, Bock, wieviel Höres!" Gibt der Bock nicht die rechte
Zahl der emporgestreckten Finger an, so springt der folgende Spieler auf den
Röcken des Bockes. Der Bock muss nun solange anhalten, bis er die Anzahl
der emporgestreckten Finger errät. Darauf wird der letzte Reiter Bock.
2.) Strich -Bock. Zuerst wird der Bock bestimmt. Dies geschieht
folgendermassen : Die Spieler werfen jeder einen Stein gegen einen Strich, der,
dessen Stein am weitesten von dem Strich („Ahn") liegt, ist Bock. ^
Nun werden eine Reihe paralleler Striche auf die Erde gezogen, e
etwa wie nebenstehend. Diese Striche sind je etwa 10 cm von- ^ ""^
einander entfernt. Der Bock tritt nun anf den zweiten Strich 3
und beugt seinen Rücken. Die anderen Spieler springen über ^
den Bock und zwar so, dass sie den ersten Strich, den «Ahn"
mit ihren Füssen, wenigstens mit dem Absätze eines Fusses berühren. Gelingt
dies allen Spielern, so geht der Bock einen Strich weiter. Dies wird solange
fortgesetzt, bis ein Spieler nicht von dem „Ahn" abspringt. Dieser wird nun Bock.
3.) Boelupringeii mit Taschentuchanflegen, Ein besonderer Name für
dieses Spiel ist nicht bekannt. Der Bock wird auf dieselbe Weise bestimmt wie
beim Strichbock. Die übrigen Spieler springen der Reihe nach über den Bock
und legen dabei ihre Taschentücher (mit beiden Händen werden sie zuerst auf-
70
gelegt) auf seinen Rücken. Dann werden sie beim nochmaligen Überspringen
wieder fortgenommen. Sodann werden die Tücher mit der linken Hand, dann
mit der rechten Hand, dann mit dem Mande n. s. w. aufgelegt. Das Spiel wird
solange fortgesetzt, bis ein Spieler sein Taschentuch beim Auflegen fallen lässt,
oder, wenn er beim Abnehmen sein Taschentuch nicht abnimmt, oder, wenn er
ein falsches Tuch fortnimmt, oder, wenn er ein anderes Taschentuch herunter-
stösst. Dieser Spieler wird Bock.
VI. Verschiedenes.
1.) 99B1U*, pass op", auch „Bur of ", »^Bur de Plum (Mütze) af&chmiete".
Es beteiligen sich etwa fünf Spieler. Jeder Spieler hat einen dicken Stein
au einer bestimmten Stelle liegen. Derjenige, welcher „Bur'^ sein soll, legt
seinen Stein auf zwei andere und stellt sich in die Nähe desselben auf. Einer
von den andern fängt an, mit seinem Stein den kleinen Steinhaufen umzuwerfen,
er spricht dabei: „Bur, pass op!'' Hat derselbe den Steinhaufen auseinander-
geworfen, so müssen die Steine von dem Bur wieder aufeinandergesetzt werden.
Währenddessen läuft der, welcher geworfen hat, zu seinem Stein und berührt
denselben mit meinem Fuss. Er kann, sobald er über die Grenze ist, von dem
Bur, wenn er den Steinhaufen aufgesetzt hat, geschlagen werden. Berührt er
aber den Stein mit dem Fusse, so kann er ihm nichts machen. Hat er Aussicht,
eher seine frühere Stelle zu erreichen, so fasst er alsdann den Stein mit beiden
Händen an und läuft fort; bis der Bur seine Steine aufgesetzt hat, kann
er dies. Anderenfalls wartet er solange, bis ein zweiter mit seinem Steine den
Steinhaufen umwirft. Ein jeder, der nach seinem Wurfe den Stein mit der Hand
berührt, kann von dem »Bur" verfolgt werden. Jedoch wird der „Bur" diesem
nicht länger nachlaufen, da er befürchten muss, dass sein Haufen von dem Dritten
umgeworfen wird. Wird einer vom »Bur* gefangen, wird er Bur. Der „gewesene
Bur", nimmt seinen Stein von dem Häufchen und klopft dann drei mal auf den-
selben und entfernt sich schnell, damit er nicht, da er den Stein mit der Hand
berührt hat, von dem neuen „Bur" wieder geschlagen wird.
2.) Namengeben (Himmel und Hölle). Dieses Spiel wird von vielen Kindern
gespielt Ein Kind ist der Teufel, ein anderes der Engel. Ein drittes Kind
gibt den übrigen einen Namen. Engel und Teufel raten nun abwechselnd den
Namen eines Kindes. Derjenige, der den Namen rät, bekommt das Kind zu sich.
Wenn alle geraten sind, so stellen sich die, welche zum Teufel gehören, auf
eine Seite. Darauf stellen sich die Kinder der einzelnen Partei hintereinander
und fassen sich mit den Händen um den Leib. Die ersten jeder Gruppe stellen
sich mit dem linken Fusse an einen Strich und reichen sich die Hände. Es gilt
nun, einen über den Strich zu ziehen. Diejenige Gruppe, die über den Strich
gezogen ist, muss durchs „Spitzloch" (Klopfgasse).
3.) Richter, Richter, ich verklage dich. (Wird namentlich im Winter
gespielt.) An diesem Spiele können vier Personen teilnehmen. Man schneidet
vier Blättchen Papier. Auf dem ersten steht: „Bürgermeister", auf dem zweiten:
„Dieb", auf dem dritten: „Kläger", auf dem vierten: „Richter" geschrieben. Nach-
dem die Blättchen zusammengefaltet worden sind, wirft einer sie auf den Tisch.
Hat jeder ein Blättchen gegriffen, so sagt derjenige, der Kläger ist: „Richter,
Richter, ich verklage dich." Darauf antwortet der Richter: „Warum verklagst
du mich?" Kläger: „Der Dieb hat all mein Geld gestohlen." Richter: „Wer ist
der Dieb?" Kläger: „Der und der." Richter: „Wieviel Schläge soU er haben?"
Kläger: „20 derbe." Hat nun der Kläger den rechten Dieb gefunden, so muss
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der Bürgermeister dem Diebe die genannten Schläge austeilen. Hat der Kläger
aber den falschen geraten (also den Bürgermeister als Dieb angesehen), so erhält
der Kläger die Schläge selbst vom Bürgermeister.
4.) Plünderspiel. „Eck sin en Frau nt Pommerland, mine ganze Kröm
es afgebrannt. Mot gej Melk hebbe?" — „Wat von höje dann?" — „Süte,
sure, gehotelde en gebrodelde." (Süssei sanre, geschüttelte [Buttermilch] und
gekochte.) Dann wird der Frau eine Bestellung gemacht, worauf diese antwortet :
„Märje frng, w^nn dön Hahn kräjt, komm eck dat Gäld hole." (Morgen früh,
wenn der Hahn kräht, komme ich das Geld holen.) Nachdem die Beihe auf
diese Weise durchgangen ist, fängt die Frau bei dem Ersten wieder an, um das
Geld zu holen. Der Käufer hat nun allerlei Einwendungen gegen die Güte der
Milch Vergeht er sich gegen die üblichen Bedingungen des Spieles (nicht ja
und nicht nein sagen, nicht weinen oder lachen), so muss er ein Pfand geben.
— Das bekannte „Ich bin ein Kaufmann aus Paris" wird auch hier viel gespielt.
5.) Metzerstttkeu (Messerstechen). Metzke steke. Das Messerstechen ist
ein beliebtes Spiel zur Sommerzeit. Zum Zwecke des Spieles wird ein kleiner
Haufen Sand zusammengelegt. Bund um auf dem Boden sitzen die Mitspielenden,
die in beliebiger Zahl vorhanden sein können. Das Spiel besteht in der Haupt-
sache darin, dass ein geöffnetes Messer so in die Höhe geworfen wird, dass es
mit der Spitze in dem Sand stecken bleibt. Die Lage des Messers ist zunächst
einfach wagerecht in der flachen Hand und zwar mit der Spitze nach den Fingern
zu. Bei der folgenden Lage ist die Spitze des Messers zum Arme hingerichtet.
Diese beiden Lagen finden auch auf der Oberfläche der Hand statt. Dann nimmt
man die Spitze des Messers zwischen zwei Finger und schleudert dann das Messer.
Bei der folgenden Lage nimmt man die Spitze vielleicht in den Mund. Dann
nimmt man das Messer in die rechte Hand und legt den rechten Arm um den
Nacken, um das Messer dann an dem linken Ohre vorbei in den Sand zu schleudern.
Umgekehrt macht man dieses auch mit der linken Hand. Die verschiedenen
Lagen können dadurch noch vielseitiger werden, indem man das Messer in der
Luft herumschleudert, ehe es auf dem Boden anlangt. Dem Erfindungsgeiste
der Mitspieler bleibt es nun vorbehalten, die Lage und den Wurf des Messers
zu verändern, oder mehrere Würfe zu kombinieren. Die Reihenfolge der Lagen
ist aber vorher ausgemacht. Wenn einer einen Fehlwurf macht, so muss er
aufboren, im anderen Falle kann er die weiteren Würfe machen. Wer zuerst
alle bezeichneten Würfe gemacht hat, hat gewonnen.
6.) Das Blekeln. Ein beliebtes Ballspiel bei den Mädchen ist das Bickeln.
Unter Bickel versteht man die kleinen Gelenkknöchelchen eines Hammels. Das
Spiel wird an einem Tisch ausgeführt. Dazu sind vier solcher Bickeln notwendig.
Dieselben werden auf den Tisch geworfen und zwar regellos. Dann wird von
dem Mädchen, das an der Reihe ist, der Ball mit leichtem Nachdruck auf den
Tisch geworfen. Er wird natürlich wieder in die Höhe fliegen, er „steutzt".
Während der Ball sich noch in der Luft befindet, muss das Mädchen den ersten
Bickel mit derselben Hand, mit der es den Ball geworfen hat, auf die Seite,
wo die Vertiefung (Külleken) ist, zu bringen versuchen Gelingt es ihm, so
bringt es die anderen Bickel in derselben Weise auf dieselbe Seite. Man sagt:
„De Bickel leggen op das Külleken''. (Die Bickel liegen auf der Vertiefung.)
Dasselbe wiederholt sich jedoch mit der Veränderung, dass die Knöchelchen auf
den Rücken, wo die Erhöhung (Roggen) ist, zu liegen kommen. Man sagt dann :
„De Bickel leggen op den Roggen". (Die Bickel liegen auf dem Rücken.)
Dann folgt dasselbe aber so, dass die Bickel auf der schmalen Hochseite stehen.
„De Bickel stöhn' (stehen). Damit ist der erste Teil zu Ende. Beim zweiten
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Teile müssen sofort zwei Bickel statt eines Bickels gewendet werden. Beim dritten
Teile müssen sofort drei und beim vierten Teile immer vier Bickel sofort gewendet
werden. Anch bei diesem Spiel kann der Erfindangsgeist der Mitspieler tätig
sein, indem verschiedene Stellangeu und Kombinationen vorgenommen werden.
Wer zuerst aus ist, hat gewonnen.
7.) „Eek kenn en Deng>^ (Ich kenne ein Ding.) Das ist ein beliebtes
Spiel für die Kinder im Winter und in der Dämmerung im Sommer. Ein Kind:
„Eck kenn en Deng dat met „0'' anfängt.'' Nun raten die andern Kinder.
Rät nun ein Kind einen Gegenstand, der sich in der Nähe des zu erratenden
Gegenstandes befindet, so sagt das erste Kind vielleicht „het'' (heiss) oder „don
verbrennst dich jo''. Es will damit die Nähe des Gegenstandes ausdrücken. Im
entgegengesetzten Falle sagt es „kolt" (kalt). Wenn ein Kind den richtigen
Gegenstand, in diesem Falle „Ofen'', erraten hat, so gibt dasselbe eine neue
Aufgabe. Vorher wird aber ausgemacht, auf wieweit sich das Fragen erstrecken
darf, etwa auf das Zimmer, in dem sich die Mitratenden befinden.
8.) Ein ähnliches Spiel ist das „Stöekskensöken^^ (Stöckchensuchen),
„Stöpke versteäke^,. Alle Spieler müssen sich entfernen bis auf einen, der das
Holzstöckchen oder einen sonstigen Gegenstand versteckt. Wenn er „nau" (nnn)
ruft, kommen die anderen herbei, um den Gegenstand zu suchen. Der Finder
ist jetzt an der Eeihe, zu verstecken. Bei diesem Spiele kommen auch die
Bemerkungen „het" („heiss") und „kolt" vor, jenachdem sich der Sucher in der
geringeren oder grösseren Entfernung von dem Gegenstand befindet.
9.) Die Weisen aus dem Morgenland (auch Stummes Handwerk). Die
Spieler zerfallen in zwei Gruppen. Eine beginnt das Spiel. Sie geht um eine Ecke
und spricht sich dort ein Handwerk ab, d. h. sie suchen sich irgend ein Hand-
werk aus und machen die Bewegungen dieses Handwerkers nach, z. B. das
Ziegelbäcker -Handwerk. Einer tut, als wenn er Steine forttrüge, ein anderer,
als wenn er Lehm grübe u. s. w. Alles dies geht stumm vor sich. Jetzt gehen
sie zu der anderen Gruppe und sagen: „Es kamen drei Weisen aus dem Morgen-
land." Darauf fragen die anderen: .Können sie auch arbeiten?" Mit der
Antwort „ja" beginnen diese ihre Übungen. Aus diesen Übungen muss die
zweite Gruppe erkennen, was für ein Handwerk sie betreiben. Errät sie es, so
ist sie an der Reihe. Im anderen Falle ist die erste Gruppe noch einmal daran.
VII. Reigenspiele.
(Knaben und Mädchen, vornehmlich die letzteren, spielen diese Spiele.)
1.) Die Kette (aÜbeliebt). Die Kinder bilden einen Kreis, fassen einander
die Hände, ziehen rund und singen dabei:
„Wir treten auf die Kette, dass die Kette klingt.
Wir haben einen Vogel, der so schön singt.
Vogel singt bei Tag und Nacht,
(Vogel der heisst Nachtigall,)
Hat gesungen sieben Jahr,
Sieben Jahre sind nun um,
Liebe N. dreh' dich um."
Das aufgeforderte Kind dreht sich herum und geht, das Gesicht nach aussen
gekehrt, mit rund. Nun singen alle anderen:
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N. hat sich herumgedreht,
Hat den ganzen Kreis verdreht.
Einmai herum, zweimal herum,
(Das Kind nimmt die frühere Stellung ein)
Liehe(r) N. dreht sich hemm.
So wird das Spiel fortgesetzt, his alle an der Reihe waren.
2.) „Tömniermann, mak die goldne Port op^^ (im Clevischen Appele,
pättele, tntn). Zwei Kinder reichen sich beide Häude nnd bezeichnen sich, ohne
Mitwissen der andern Kinder, entweder als goldnes Buch bezw. goldnen Schlüssel
oder als Appel bezw. Bier (Birne). Die übrigen Kinder reihen hintereinander
and ziehen durch die ein Tor bildenden gefassten Hände der beiden ersten Kinder.
Dabei wird gesungen :
:,: „Tömmermann, Tömmermann, mak die goldne Port op'' :,:
(Appele, pättele, tutu).
:,: Nun kriech dadurch :,:
Der letzte muss bezahlen."
Der letzte wird festgehalten and gefragt:
„Wat wellste liewer häwwe, Äppel oder Biere?"
Je nachdem er sich entscheidet, stellt er sich hinter das betreifende Kind.
Wenu keines mehr übrig ist, wiid, ähnlich wie beim Tauziehen, von den beiden
Parteien „getrocke" und das Spiel beginnt von neuem.
3.) „Krunekrane^^ („Kroune Krahne'^). Mädchen bilden einen Kreis,
fasseu sich au und ziehen herum, indem sie singen:
„Kroune Krahne, Wanneer welle we en nöje kriege?
Witte (wickele) Schwane, Wenn de Pöppkes danze,
Wä wöll möt noh Engelland fahren? Op die leäre Schanze.
Engelland 5s geschloote, :,: Hopp Marjäuke danze!
De Schlöttel ös gebrooke. Hu, hopp Marjänke hu!" :,:
Bei den letzten Worten springen die Kinder lustig in die Höhe und setzen
sich auf die Hacken. (In anderer Gegend heisst es: „Engelland es afgebrannt,
Do blewe wej mer hie int Land.")
4.) „Der verlorene Schatz/^ Die Kinder ziehen im Kreise, ein Kind
steht in der Mitte. Alle singen:
„Hier und da ist Gras Hab' verloren meinen Schatz,
Und Gras unter meinen Füssen, Den werd ich suchen müssen."
Das Kind in der Mitte :
„Dieser mit dem blauen (roten) Kleid, Kann mir sehr gefallen."
(Das aufgeforderte Kind geht zu dem andern.) Dieses singt:
„Dreh dich herum, ich kenn* dich nicht, Bist es oder bist es nicht."
Je nachdem das erste Kind sich zufrieden gibt oder necken will, singt es:
Nein, ach nein, du bist es nicht! Scher dich hinaus, ich kenn dich nicht !
oder:
Ja, ach ja, du bist es wohl. Komm zu mir und tanze.
Je nach dieser Entwickelung beginnt das Spiel von neuem oder es setzt bei den
Worten ein: „Dieser mit dem roten Kleid etc."
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ö.) Seiklienspriiigreii. Hierbei gebrauchen die Mädchen häufig folgenden Vers:
„N. N. heiss ich, schön bin ich, das weiss ich,
Blonde Locken hab* ich, schwarze Strümpfe trag' ich.
Ein Mädchen aus der „X"-Kla8s'
Regiert die ganze Pstrass'/'
6.) ,,Kreisspielen.^^ Die Kinder fassen einander bei den Händen und
ziehen fortwährend im Kreise und singen dabei:
a.) „Eingla'(6) Ringla(e) Kose, Morgen wollen wir fasten,
Zucker in der Dose, Übermorgen Lämmlein schlachten,
Schmalz in dem Kasten, Das soll rufen: ^mäh'/'
Bei 'mäh' hocken alle Kinder nieder. Sodann beginnt das Spiel von neuem.
b.) L Trauer, Trauer über Trauer, hab' verloren meinen Ring,
Will mal, will mal, will mal sehen, ob ich ihn nicht finden kann!
IL Freude, Freude über Freude, hab' gefunden meinen Ring,
Will mal, will mal, will mal sehen, ob ich ihn verschenken kann.
c.) Häschen (Lampe, auch Lambert) in der Grube (Kuhle) sass und schlief.
„Armes Häschen, bist du krank, dass du nicht mehr hüpfen kannst?"
Has' hüpf! Has' hüpf!
(Bei den letzten Worten hüpfen die Kinder zusammen.)
d.) Dreimal, dreimal um das Tor,
Das Tor, das ist geschlossen.
Wer hat's getan? wer hat's getan
Dem König seine Tochter.
Nun kriech^ hindurch, nun kriech' hindurch.
Der letzte soll bezahlen.
(Weiter s. S. 73 Nr. 2.)
Diese Kreisspiele werden vorzugsweise von Mädchen gespielt. Doch lässt
mau auch kleinere Knaben daran teilnehmen.
7.) „Es regnet auf der Brücke und ich werde nass.^^
„Es regnet auf der Brücke und ich werde nass,
Ich hab noch was vergessen und weiss nicht was?
Komm her, mein Kind! komm her, mein Kind!
Und sieh, was hier verweilet.
Ja, ja freilich.
Wo ich bin, da bleib ich.
Bleib ich, wo ich bin.
Adieu, mein Kind."
Ein Kind steht einem andern gegenüber. Beide singen: „Es regnet u. s. w."
Wenn sie singen: „Komm her", gehen sie aufeinander zu, umfassen sich,
tanzen in der Runde und singen weiter. Bei „Adieu" bleiben sie stehen, uiul
machen einander eine Verbeugung, gehen ein paar Schritte rückwärts und
wiederholen das Spiel.
8.) Adam hatte sieben 8öhn\
„Adam hatte sieben Söhn',
Sieben Söhn' hat Adam!
Sie assen nichts,
Sie tranken nichts,
ue taten alle so:
75
Mit dem Köpfchen nick, nick, nick,
Mit den Fingerchen tipp, tipp, tipp,
Mit den Händchen klatsch, klatsch, klatsch,
Mit den Füsschen patsch, patsch, patsch/^
Die Kinder bilden einen geschlossenen Kreis nm Adam, der in die Mitte kommt,
gehen rnnd herum nnd singen: „Adam hatte" u. s. w. Wenn sie gesungen:
„Sie taten alle so", bleiben sie stehen und machen dann bei den folgenden
Versen die entsprechenden Bewegungen.
1. Sie nicken dreimal mit den Köpfen.
2. Tippen dreimal mit den Fingern.
3. Klatschen dreimal in die Hände.
4. Stampfen dreimal mit den Fassen.
9.) Zwischen C91u und Paris.
Zwischen Cöln und Paris,
Wo die neuste Mode ist,
So machens die Herren,
So machens die Herreu, •
So machens die Herren.
Das erste wird wiederholt und statt des letzteren gesungen: „So machens die
Damen, die Schneider, die Waschfrauen, die Bauern", u. s. w., wobei jedesmal
die entsprechende Geberde gemacht wird
10.) Grttne, grrttne Seide. Die Kinder machen einen Kreis und singen:
„Grüne, grtlne Seide, N. N. hat sich herumgedreht,
Grüne Seide sieben Jahr, Das hat ihn Vater und Mutter gelehrt.
Sieben Jahr sind um. Grttne, grüne Seide,
Wer der allerjüngste ist, Grüne Seide sieben Jahr, u. s. w."
Dreh' sich mal herum.
Bei den Worten: „Dreh' dich herum" muss die Jüngste des Kreises sich drehen
und bei N. N. wird ihr Name gesungen. Beim nächsten Mal muss die Nächst-
jüngste sich drehen.
11.) Blinde Kuh. Die Kinder bilden einen Kreis. Einssteht mit verbundenen
Angen in der Mitte und ist die blinde Kuh. Ein Kind führt die blinde Kuh
im Kreise herum, und sagt : „Blende koh, ick lei dech." Dann lässt sie sie los,
die Kinder gehen rund um sie herum. Nun fasst sie ein Kind an, die übrigen
bleiben dann alle stehen.
Die blinde Kuh spricht: „Ick rück, ick rück."
Alle sagen: „Wat rückst dou denn?"
Die blinde Kuh: „Menschenfleesch."
Alle: „Wenn ös et denn?"
Kuh : N. N. Nennt den Namen des gefassten Kindes.
Ist dieser richtig geraten, so ist dieses Kind fürs nächste Spiel die blinde Kuh,
iat der Name unrichtig, so muss das erste Kiud die blinde Kuh bleiben.
12.) Ich armer Mann.
„Ich armer Mann, Und alle, die im Kreise sind.
Was fang ich au? Die machen's so wie ich.
Ich will mich lustig machen. Mein Singen hat gefallen
So lang ich kann. Im ganzeu Kreise dir;
Habt Acht auf mich! Es soll dir auch gefallen,
Machts so wie ich! Weuu du nur wärest hier."
76
Die Kinder bilden einen Kreia, in der Mitte steht ein Kind (der arme Manu) und
singt obiges. Wenn es singt: „Machte so wie ich'', macht es auch etwas be-
stimmtes nach z. B. das Waschen. Das wird von den andern Kindern nach-
gemacht. Bei den Worten: „Und alle, die im Kreise sind" wendet es sich
ganz am, und klatscht in die Hände. Dies machen die andern Kinder ebenfalls
zu gleicher Zeit nach. Bei der dritten Strophe zieht es ein anderes Kind ans
der Eeihe in den Kreis für das neue Spiel.
13.) Zaunspiel. Die Kinder machen einen Kreis, gehen rund und singen:
„Wä sali ons helpen tünnen, Dat sali N. N. dun,
Jo, tünnen onsen Tünn? Die sali ons helpen tünnen.''
Wenn es heisst, „Dat sali N. N. dun," legt das mit Namen genannte Kind die
Arme quer übereinander. Das nebenstehende Kind an der linken Seite fasst
sofort die rechte Hand, und das zur rechten Seite steht, die linke Hand des
genannten Kindes, so dass der Kreis geschlossen bleibt. Dann singen sie weiter:
„Wä sali ons" u. s. w. und bei „N. N." legt der rechte Nachbar des erstge-
nannten Kindes die Arme übereinander. So fährt man fort, bis alle Kinder ge-
nannt sind. Ist der Zaun endlich fertig, so wird er wieder abgebrochen, wobei
die Kinder rund gehen und singen:
„Wä sali uns helpen brecken, Dat sali N. N. dun,
Jo, brecken onsen Tünn? Die (da) sali ons helpen breckeu."
Wenn sie singen: „Dat sali N. N. dun," tut das vorhin zuerst genannte Kiud
die Arme wieder aus der kreuzweisen Lage und fasst mit der linken Hand die
linke Hand des Nachbars zur Linken, mit der Rechten die rechte Hand des
Nachbars zur Rechten Die Worte: „Wä sali" u. s. w. werden dann wiederholt
und bei N. N. macht das vorhin als zweitgeuannte seine Arme auseinander.
Das geht bei den folgenden so fort, bis alle die Arme auseinander haben und
wie im Anfange des Spieles dastehen.
14.) Jakob wo bist da? aach 8ehmudel and Jakob. Die Mitspielenden
bilden einen Kreis, einer vom andern etwas entfernt. Mitten im Kreise stehen
zwei Kinder mit verbundenen Augen (Schmudel und Jakob). Schmudel sucht den
Jakob zu fangen. Dann ruft er: „Jakob, wo bist du?" Jakob (möglichst
leise): „Hier." Nun sucht Schmundel den Jakob zu erwischen und läuft ihm
nach; dann fragt Schmudel wieder, wie oben. Läuft einer von Beiden aus dem
Kreise, so rufen die Herumstehenden: Jakob oder Schmudel, du brennst dich,
worauf er wieder in den Kreis zurück kommt. Wenn einer den andern gefangen
hat, so tanzen beide im Kreise herum und wählen für's nächste Spiel wieder
einen andern Schmudel und Jakob.
15.) MartinspieL Am Vorabend des Martinsfestes versammeln sich die
Kinder an einem vorher bestimmten Orte mit Fackeln und Kerzen und machen
einen Eundgang durch den Ort, indem sie folgendes singen:
„Martin, Santin, Wo de decke, fette Ferken sin.
Dat Kärzken möt verbrannt sin, Klötzke hat een Kuh geschlacht.
De Bare moten gegeten sin, Dat Fell wor fett, die Kuh wor mager,
De Win, de mot gedronken sin, Klötzke mot die Schenken knagen.
All over de ßhyn, al over de Rhyu, Martin, Santin u. s. w.
Nachdem der Zug durch alle Strassen gezogen ist, machen sie auf dem Markt-
platze Halt. Es erhebt sich ein vielstimmiges Geschrei:
„Allärum, Allärum,
Die Kocken sind warum"
und alles läuft nach Hause, wo die Mutter bereits einen Haufen Kuchen gebacken
77
hat. Im Haasgang wird ein brennendes Licht aufgestellt. Die Kinder und
Erwachsenen springen nacheinander darüber; wer so nahe darüber springt, dass
darch den Luftzug die Kerze ausgelöscht wird, bekommt ein Stück Kuchen.
16.) ,,Kiek dech niet Sm, de Plompsack geht heröm/^ Die Kinder stellen
sich im Kreise auf, ohne umzusehen, halten die Hände auf dem Rücken. Eins
geht hinter dem Kreise rund [mit dem Plumpsack (Taschentuch) in der Hand,]
um den Kreis herum und sagt dabei:
„Kiek dech niet 5m, de Plompsack geht heröm,
Et Hennecke wol leggen, Ick dörf ou nicks seggen."
Hat eins der Kinder die Hände nicht auf dem Rücken, so sagt es:
„Fleesch op den Deesch'^ (Fleisch auf den lisch)
und schlägt dabei das betreffende Kind mit dem Plumpsack auf den Rücken. Wenn
es einige Mal um den Kreis gegangen ist, so gibt es einem beliebigen Kinde
den Plumpsack in die Hand und ruft: „Plompsack los, den öm hätt!'' Das
Kind schlägt nun seinen Nachbar zur Rechten damit. Dieser muss dann einige
Mal rund um den Kreis laufen, wobei ihm der andere nachläuft und mit dem
Plumpsack schlägt. Dann wird das Spiel wiederholt und geht das Kind, welches
zuletzt den Plumpsack bekommen hat, mit demselben um den Kreis.
17.) 9,Eek wor so lang eenen armen Moan.^^ Die Mitspielenden stehen
im Kreise. Eins sagt nun die erste Zeile, und alle sprechen sie nach. Dasselbe ge-
schieht mit den andern Zeilen. Derjenige, welcher sich verspricht, muss ein Pfand geben.
1. Eck wor so lang eenen armen Moan, bis mech Gott een Hönnke gooy.
Tris hett min Hönnke.
2. Eck wor so lang eenen armen Moan, bis mech Gott een Hähnke gooy.
Kückerükü hett minen Hahn, Tris hett min Hönnke.
3. Eck wor so lang eenen armen Moan, bis mech Gott een Koh goov.
Kommartu hett mine Koh, Kükerükü hett minen Hahn, Tris hett min Hönnke.
4. Eck wor so lang eenen armen Moan, bis mech Gott een Goos goov.
Lonkhols hett mine Goos, Kommartu hett mine Koh, Kükerükü hett mine
Hahn, Tris hett min Hönnke.
5. Eck wor so lang eenen armen Moan, bis mech Gott een Ent goov.
Schnatterent hett min Ent, Lonkhols hett mine Goos, Kommartu hett mine
Koh, Kükerükü hett mine Hahn, Tris hett min Hönnke.
6. Eck wor so lang eenen armen Moan, bis mech Gott een Geet goov.
Spreng över de Heck hett mine Geet, Schnatterent hett min Ent, Lonkhols
hett mine Goos, Kommartu hett mine Koh, Kükerükü hett minen Hahn,
Tris hett min Hönnke.
18) „leh bin der Herr von Stelfen.^^ Verschiedene Kinder, welche alle
den Namen eines Tieres haben, sitzen in einer Reihe, ein Kind der Herr von
Steffen steht vor ihnen und singt:
„Ich bin der Herr von Steffen, Ein Pfand gebricht.
Verbiete Lachen und Sprechen. Die Kuh lässt sich hören.''
Wer lacht und spricht, Kuh: muh, muh, muh.
Nach den Worten, Die Kuh lässt sich hören, erhebt sich das mit Kuh benannte
Kind und ahmt das „Muhen'' der Kuh nach. Bei der Wiederholung muss ein
anderes Tier seine Stimme erheben, es heisst dann : „Der Esel, die Ziege, der
Hahn u. s. w. lässt sich hören." Wer dann nicht sofort oder öfter als dreimal
die Laute nachahmt, muss ein Pfand geben.
DÜREN. Karl Caro.
78
Ein niederdeutscher Katechismus-
Auszug des 16. Jahrhunderts.
Herr Buchhändler Robert Lübcke in Lübeck hat kürzlich einen
kleinen niedersächsischen Schulkatechismus des 16. Jahrhunderts
erworben, der bislang noch in keinem Exemplar bekannt geworden
ist. Die äusserst knappe Form, die hier der Kleine Lutherische
Katechismus bekommen hat, kennzeichnet das Bändchen als Schulbuch;
und alle Schulbücher werden ja viel schneller verschleisst und auf-
gebraucht als andere Bücher. So kommt es, dass sie leicht vollständig
verschwinden und in späteren Jahrhunderten zur grössten Rarität
werden können. Durch die Freundlichkeit des augenblicklichen
Besitzers bin ich in den Stand gesetzt, eine nähere Beschreibung des
Büchelchens zu geben.
Es umfasst nur eine einzige, als 21 signierte, Lage von 8 Blättern
aus derbem, starkem Papier in Oktavformat. Die ursprüngliche Höhe
der Blätter betrug 16,2 cm, ihre Breite 10,5 cm. Das ist nur noch
an wenigen Stellen zu erkennen, denn die Blattränder sind jetzt sehr
stark durch Mäuse- und Wurmfrass beschädigt. Das Buch hat nämlich
lange, lange Zeit zwischen den Balken eines alten Lübecker Hauses
eingekeilt gesteckt und ist erst kürzlich beim Abbruche dieses Hauses
ans Tageslicht gezogen worden. Glücklicherweise ist jedoch der Text
des Buches nirgends erheblich verletzt, sondern es haben nur die
äusseren Ränder gelitten. Der Einband ist recht primitiv, aber solide;
ich erinnere mich, einen ganz ähnlichen Einband an einem alten Donat-
drucke der Ebstorfer Klosterbibliothek, der nachweislich am Anfange
des 16. Jahrhunderts beim lateinischen Unterricht im Kloster benutzt
worden ist, angetroffen zu haben. Zwei alte Holzdeckel von je
16,8x11,3 cm Umfang sind im Rücken mit einem schmalen Leder-
streifen zusammengeklebt, der aus einer gepressten Einbandsdecke
des 16. Jahrhunderts herausgeschnitten ist. In den Lederrücken ist
der Druck kunstlos geheftet. Die Holzdeckel sind im Übrigen aussen
völlig unbezogen ; innen sind sie mit Papier ausgeklebt, das zu einem
Briefe des 16. Jahrhunderts gehört hat. Wenigstens lesen wir auf der
Innenseite des Vorderdeckels folgende (jetzt über Kopf stehende)
Adresse : Dem Erfamenn Her jBr(ristoff ?) | grümenfagenn Kercher (tho)
Sunte Lambers Kercken \ tho handefi. ffj. gj. Lederrücken und
Beklebpapier zeigen gleichfalls starke Beschädigungen durch Wurm-
frass, dagegen sind die Holzdeckel selbst so gut wie gar nicht an-
gefressen. In der Mitte des äusseren Randes haben die Deckel ein
kleines Loch für das Band, mit dem das Buch zugeknüpft wurde; in
dem einen Loche steckt noch ein Stückchen groben Bindfadens.
79
Bl. S"" findet sich, am Schlüsse des Katechismus, die Unterschrift
des Druckers: „Gedrücket tho Magde=^)\ horch / dorch Hmis
Walther, ^ Darunter ein schwarzes Blättchen mit Ranke. P]ine Jahres-
zahl fehlt. Hans Walther druckte in Magdeburg seit 1530 und wird 1561
als verstorben angeführt. 2) Unter den zahlreichen, fast ausschliesslich
theologischen, Werken seiner Officin, die Hülfse aufzählt, findet sich
unser Band nicht. So kann nur eine genaue Typenvergleichung mit
datierten Drucken Walthers nähere Auskunft darüber geben, in welche
Periode seiner Druckertätigkeit der vorliegende Druck gehört. Mir
fehlt hier leider das Material dazu. Eine Vergleichung mit den beiden
Bibeldrucken Hans Walthers, die auf der hiesigen Kgl. Universitäts-
bibliothek vorhanden sind, zeigt, dass der Katechismusdruck in engster
Verbindung mit der niederdeutschen Foliobibel von 1545 steht, während
die Oktavbibel von 1553 sich in Ausstattung und Typenwahl wesentlich
unterscheidet. Das Göttinger Exemplar der Foliobibel ist nicht die
von Hülfse beschriebene Ausgabe, sondern eine zweite, im gleichen
Jahre 1545 erschienene, die M. Goeze, Geschichte der niederfächsischen
Bibeln, S. 272 nach einem Wolfenbüttler Exemplar verzeichnet, vgl.
Hülfse a. a. 0., Jg. 17 (1882), S. 45 f. Der gesamte biblische Text
dieser Ausgabe ist nun in der kleinen Schwabacher Type gedruckt,
die wir auf den letzten beiden Blättern des Katechismusdruckes finden.
Auch die übrigen drei Typensorten des kleinen Bandes kehren in der
Bibel wieder: es fehlt allein die zweite Schwabacher Type der roten
Überschriften. Dagegen ist die Texttype der ersten 6 Blätter des
Katechismus eine kräftige Fraktur, in der Bibel sehr häufig in Über-
schriften, vgl. den vorderen Titel des ganzen Bandes, Z. 3. 4. 6 — 1 1 ;
im gleichen Titel, Z. 1. 2 5, erscheint die auch im Katechismus nur
als Auszeichnungsschrift verwandte sehr grosse Fraktur wieder. Das
erste 5 in Z. 1 Biblia ist noch etwas grösser und gehört zu dem
Alphabete roh geschnittener Initialen, deren sechs in dem kleinen
Drucke vorkommen ; die Bibel verwendet diöse Initialen überaus häufig.
Endlich gehört auch die hübsche Holzschnitt-Initiale von Bl. 1' des
Katechismus zu dem Typenmaterial der Foliobibel : mit ganz ähnlichen
Holzschnitten beginnen dort die einzelnen biblischen Bücher. Das Ä
selbst kehrt auf Bl. CCXXXII' am Anfange des 1. Buches der Chronika
wieder ; ein zweites Mal habe ich es nicht gefunden, die übrigen Ä der
Bibel haben eine andere Zeichnung als Unterlage.
Der Auszug aus dem Kleinen Katechismus D. Martin
Luthers, der uns aus dem vorliegenden Bändchen bekannt wird, ist
sehr summarisch, er enthält nur den Text der 5 Hauptstücke, ohne
Luthers Erklärungen, und als Anhang ein paar kurze Andachten.
Die freibleibenden Seiten 1' und S'^ (z. T. auch 8') sind mit praktischen
Anweisungen für den Schulunterricht (Alphabeten und Ziffern) aus-
^) Die gesperrten Worte bedeuten rote Schrift des Druckes.
2) Vgl. Fr. Hülfse, Beiträge zur Geschichte der Buchdruckerkunst in
Magdeburg (= Geschichtsblätter f. Stadt u. Land Magdeburg, Jg. 15, 1880), S. 164 ff.
80
gefüllt, wie ja noch heute dem Katechismus das Einmaleins angehängt
zu werden pflegt. Ein eigentliches Titelblatt ist nicht vorhandeo.
Ein Exemplar dieses nd. Katechismusauszuges ist auch Schauenburg,
dem wir die beste Zusammenstellung der niederdeutschen theologischen
Litteratur des 16. Jahrhunderts verdanken, noch nicht bekannt. i)
Im einzelnen zerfällt unser Band in folgende Abschnitte, deren
Überschriften sämtlich rot gedruckt sind:
1) Bl. Ir enthält in einem rechteckigen Rahmen (?on 13,2X8,1 cm), dessen
Seiten halb rot, halb schwarz gezeichnet sind, das deutsche Alphabet in abwechselnd
roten und schwarzen Buchstaben (Type 3), als ersten den oben erwähnten Holz-
schnitt. Dann folgen Z. 7 die Vokale und die Konsonanten mit den Überschriften
De Ludtbockf tauen und De metftemmende bock flauen ; die Buchstaben selbst in
schwarzer Schrift.
2) Bl. U: Dat bedt efft Vader vnfe l\ dat vns Chriftus geleret hefft.
3) Bl. !▼, Z. 2 V. u. : De h^iiet Artikel vnfes \ Gelouens.
4) Bl. 3', Z. 3: De Tein Gebade, mit dem Schlüsse Luthers.
5) Bl. 4', Z. 2 V. u. : Van dem Sacramente \ der hilb'gen Dope. Nur ein
Absatz: GAhet hen yn alle werlt \ prediget dat Euange* \ lion etc. bis: de wert
vord^)met wer\den.
6) Bl. 4^, Z. 12: Van dem Sacramen» | te des Altars, die Einsetzungsworte.
7) Bl. 5v, Z. 5: Dat Benedicite. \ Pfalmo CXLV, Ganz wie bei Luther.
8) BL 6', Z. 7: Dat Gratias. Ganz wie bei Luther.
9) Bl. 6^, Z. 15: De Mftrgen Segen. Anfang Bl 7', Z 1: Des morgens
wen du upfteift I fchaltu dy \ fegenen mit dem hilligen Crntze \ vnde fprekcn. \
etc. bis: vnde darby ein \ Chriftlick ledt gefangen. Angehängt ist Bl. 7^, Z. 1:
Ein Gebedt vor de yun- \ gen Kinder.
10) Bl. 7v, Z. 12: De Auendt Segen. \ Des Auendes wenn du iho bedde
gheift \ fchaltu dy fegenen mit dem hilligen \ Crntze I vnde fpreken. \ etc. bis:
Vnde darna frhlick iho gefchlapen.
11) Bl. 8r, Z. 13: Verfal, d. h. die grossen Anfangsbuchstaben, nur A rot,
alle übrigen schwarz
12) Z. 17: Die Unterschrift des Druckers, s. o.
13) Bl. Sy. De Dudefche vnde Latinifche tall. \ Die Zahlen von 1—100,
nebst 500 und 1000; die lateinischen Ziffern schwarz, unter jeder die entsprechende
deutsche Ziifer in roter Schrift.
GÖTTINGEN. Conrad Borehling.
^) L. Schauenburg, Hundert Jahre Oldenburgischer Kirch engeschiebte,
Bd. 2 (1897) S. 35 ff.
81
Zur Entstehungsgeschichte einiger
Läuschen Reuters.
In meiner im Verlage des Bibliographischen Instituts in Leipzig
erschienenen Reuter-Ausgabe sind für eine grosse Anzahl der Läuschen
und Rimels die literarischen Quellen nachgewiesen, denen Reuter den
Inhalt oder doch die Pointe der Erzählung entnommen hat. Es ist
wohl anzunehmen, dass es der Forschung allmählich gelingen wird,
die Zahl dieser Nachweise zu vermehren.
Aber nicht alle Läuschen gehen auf literarische Vorgänger
zurück. Einem Teile liegen Geschichtchen zu gründe, welche, ohne
vorher von irgend wem aufgezeichnet zu sein, aus dem Volksmunde
zu Reuters Kenntnis gelangten; einer kleinen Anzahl auch wirkliche
Begebenheiten aus Reuters Zeit. Der Nachweis dieses Ursprunges
wird für die Läuschen immer schwieriger, je kleiner die Zahl derjenigen
Zeit- und Heimatgenossen Reuters wird, welche aus eigener Erinnerung
Auskunft geben können. Bisher war man im Wesentlichen nur auf
das angewiesen, was Gustav Raatz in den 1880er Jahren noch
erkunden konnte und in seinem sehr verdienstvollen Buche „Wahrheit
und Dichtung in Fritz Reuters Werken*' S. 162 ff. mitgeteilt hat.
Neue Mitteilungen dieser Art verspricht ein längerer Aufsatz
der Sonntagsbeilage Nr. 31 der Vossischen Zeitung vom vergangenen
Jahre (30. Juli 1905). Er hat die Überschrift ;,Der Ursprung einzelner
Läuschen un Rimels von Fritz Reuter, nachgewiesen von K. Th.
Gädertz.** In den einleitenden Worten heisst es „Von solchen
Läuschen un Rimels soll hier die Rede sein, deren Originalfiguren
und tatsächliches Geschehnis ich auf Grund authentischer
Quellenforschung ermittelt habe und nachweisen kann.**
Die Überschrift und die angeführten Worte stellen also Nachweise
in Aussicht, welche zugleich neu und authentisch sind. Die Nach-
prüfung dessen, was Gädertz in seinem Aufsatze vorgebracht und
darnach auch in seine Ausgabe der Läuschen übernommen hat, erweist
leider die Unwahrheit seiner Worte. Die Mehrzahl seiner Nachweise,
wenigstens nach ihrem wesentlichen Inhalt, findet man bereits in dem
Buche von Raatz auf S. 163—166, S. 32 und S. 92, zwei Einzel-
heiten sind A. Römers ;, Fritz Reuter in seinem Leben und Schaffen*
entnommen, eine dritte ist schliesslich den Anmerkungen zu meiner
Ileuter- Ausgabe (Bd. 1, S. 405, zu Läuschen II Nr. 21) entlehnt.
Trotzdem ist Raatz^ und Römers Name auch nicht ein einziges mal
genannt oder ihre Vorarbeit auch nur angedeutet.
NiederdeatBches Jahrbuch XXXII. Q
82
In Gädertz' Werke ;,Aus Reuters jungen und alten Tagen*^,
welches auf dem Titelblatte ;, Neues über des Dichters Leben und
Werden '^ verhiess, war bereits nicht weniges enthalten, was nicht Den
war, was wenigstens diejenigen, denen die Reuterliteratur genauer
bekannt ist, längst vorher anderswo gelesen hatten; aber es war
doch vieles neu. In seinem neuen Aufsatze verhält es sich umgekehrt.
Das bei weitem Meiste darin war längst bekannt, und das wenige
Neue hält einer gründlichen Prüfung nicht stand. Was er authentisch
nennt, wird sich meist leicht als Erdichtung oder grundloses Gerede
erweisen lassen. Damit die künftige Reuterforschung auf das, was
Gädertz in seinem Aufsatze und in den Anmerkungen zu seiner Ausgabe
berichtet, nicht wie auf sichere Tatsachen baut und daraus weitere
Folgerungen zieht, erscheint es mir geboten, die Ergebnisse meiner
Nachprüfung hier vorzulegen. Ich werde mit der Ausführung zu einer
Stelle der Stromtid beginnen, welche Gädertz in seinen Aufsatz ein-
geflochten hat, und dann auf die einzelnen Läuschen eingehen.
In der Stromtid Kap. 21 (Bd. 2 S. 339 ff. meiner Ausgabe)
wird erzählt, dass Pomuchelskopp nach Malchin kommt, um am
Landtage teilzunehmen. Unbekannt mit den Förmlichkeiten, welche
zu erfüllen sind, wendet er sich an einen freundlichen Herrn, den
Bürgermeister Brückner aus Neubrandenburg, mit der Frage, wie er
sich hier ^zu haben habe*. — ^Sie haben sich hier weiter gar nicht
zu haben," antwortet Brückner, „Ihre notwendigen Visiten haben Sie
ja wohl schon gemacht?* Gemeint sind hier die Besuche bei dem
Kommissar der Regierung, dem Landesmarschall und dem Landrat,
denen jeder seine Aufwartung zu machen hatte, welcher zu den auf
Regierungskosten veranstalteten Prunkmählern, den sogenannten
Landtagstafeln, Einladungen zu erhalten wünschte.
Es war herkömmlich, diese Besuche*am Vorabend der Landtags-
eröffnung zu machen. Als Pomuchelskopp antwortet, dass er jene
Herren noch nicht besucht habe, empfängt er von Brückner den Rat,
immer hinter dem Güstrower Bürgermeister Langfeldt herzugehen,
der gerade mit einer Laterne sich aufmachte und ;,de ollen dämlichen
Visiten afmaken" wollte. Pomuchelskopp trabt nun immer hinter der
Laterne und Langfeldt her, der, um ihn loszuwerden, möglichst schnell
seine Besuche beendet. Aus Angst, die Besuche zu verfehlen, folgt
ihm stets sogleich Pomuchelskopp und gerät schliesslich so, nachdem
Langfeldt alle Besuche beendet hatte, in Langfeldts eigene Wohnung.
Auf die Frage, was er hier zu suchen habe, antwortet dann Pomuchels-
kopp »Herr, ich bin ebensogut en Fasan^ (er meinte Vasall) »von
dem Grossherzog wie Sie.^
Die Frage nach dem Ursprung dieser Erzählung weiss Gädertz
in seinem »auf Grund authentischer Quellenforschung" geschriebenem
Aufsatze zu beantworten. Er hält die Geschichte ohne Bedenken für
wahr und sagt »Natürlich erzählten Langfeldt und Brückner diese
83
köstliche Geschichte von dem Vasall, wollte sagen: Fasan, auch an
Reuter, und so lebt sie weiter und weckt stets neue Lachlust. '^
Si tacuisses! Der Leser, welchem Gädertz in seinen Büchern
hier und da erzählt hat, dass er von Brückners Bruder Auskunft über
Reuter empfangen hat, muss annehmen, dass Gädertz auch hier auf
Grund einer von Brückner erhaltenen Mitteilung berichte. Das kann
nicht der Fall sein. Als Raatz schon vor Jahren bei dem Sanitätsrat
Brückner in Neubrandenburg anfragte, ob die Visitengeschichte auf
Wahrheit beruhe, erhielt er die Auskunft „Hier liegt eine Verwechs-
lung vor. Nach der Dichtung soll mein Bruder den Pomuchelskopp
dem Bürgermeister Langfeldt nachgeschickt haben. Die ganze Szene
ist, wenigstens soweit sie meinen Bruder betrifift, ganz sicher Dichtung.
Dies weiss ich von meinem Bruder selbst Reuter liebte es, ihm
bekannte Personen in seinen Dichtungen mitspielen zu lassen.^
In der Tat verdankt Reuter nicht Brückner, sondern — wie ich
bereits in meiner Reuter -Ausgabe Bd. 2, S. 471 angemerkt habe —
einem Briefe von Julius Wiggers in Rostock die Anregung zu der
Visiten geschichte. ^Lässt es sich nicht veranstalten,^ schrieb Wiggers
nach dem Erscheinen des ersten Bandes der Stromtid an Reuter,
„dass Pomuchelskopp einmal auf dem Landtage zu Malchin oder
Sternberg auftaucht, um seine legislatorischen Fähigkeiten zu ver-
werten? So ein Pomuchelskopp auf dem Landtage wäre gewiss dem
Dichter nicht von Schaden und dem Politiker von grösstem Nutzen.
Wie, wenn er dort, wie weiland ein Standesgenosse von ihm, zu einem
rotröckigen Landmarschall, der seine Stimmzettel zurückweist, bei
irgend einem Wahlakt, das vernichtende W^ort spräche : ich bin ebenso
gut des Grossherzogs Fasan wie Sie!^
Ich kann daran erinnern, dass ich schon einmal (vgl. meine
Reuter-Ausgabe Bd. 2, S. 17) Gelegenheit hatte, eine auf die Stromtid
bezügliche, von Gädertz als ^verbürgt^ ausgegebene Mitteilung als
Erfindung nachzuweisen. Die von Gädertz zuerst in einer Zeitschrift
veröffentlichte Nachricht ist jetzt auch in sein Buch „Im Reiche
Reuters*^ S. 128 aufgenommen. Reuter solle ursprünglich nicht die
Absicht gehabt haben, aus Franz von Rambow und Luise Hawermann
ein Paar werden zu lassen, aber in Eisenach hätten die Damen
förmlich darum gefleht. Reuter habe sich mit allen möglichen
Argumenten dagegen gesträubt, aber schliesslich den schmeichelnden,
geradezu rührenden Bitten nicht zu widerstehen vermocht und ein-
gewilligt, doch in einer Art und Weise, die deutlich genug erkennen
liess, wie wenig er damit innerlich einverstanden war. „Denn mit
starker Betonung äusserte er fast ärgerlich : Wat en richtigen meckeln-
borgschen Eddelmann is, de friegt nich de Dochter von sin' Entspekter^
Das klingt alles so sicher, dass man eigentlich denken sollte,
es sei an der Wahrheit der Erzählung gar nicht zu rütteln, und da
sie in die äusserst wichtige Frage des Aufbaues des bedeutendsten
Werkes Reuters in entscheidender Weise eingreift, so würde sie von
6*
84
allen künftigen Biographen übernommen werden müssen, wenn sie nicht
als erfunden sich hätte nachweisen lassen. Dass dieser Nachweis über-
haupt möglich war, dankt man eigentlich nur dem glücklichen Walten
eines Zufalls, nämlich der zufälligen Tatsache, dass Reuter Kapitel 10
der Stromtid (Bd. 2, S. 188, Z. 2) gesagt hat: „Ick heww in dit
Bank noch uterdem drei junge Mätens tau verfrigen, . . . Lowise
Hawermann möt doch en Mann hewwen.^
Lauschen II, Nr. 1. De swarten Pocken.
„Auch die drastische Geschichte 'De swarten Pocken'^, sagt
Raatz, „beruht auf Wirklichkeit; sie ist in Anklam etwa 1855 passiert.
Der Patient war in Wirklichkeit der frühere Ziegeleibesitzer Halter
aus Rosenhagen. Wegen eines kranken Fingers musste er einen Arzt
holen lassen, wollte sich jedoch vor Ankunft desselben rasieren lassen.
Der Barbier Sass schmierte in dem halbdunkeln Zimmer dem Patienten
das Gesicht mit Stiefelwichse ein, die dessen Frau ihm irrtüinlicher-
weise statt der Seifenkruke hingestellt hatte. Der später dazu
gekommene Dr. Fischer erklärte dann die dunklen Spuren im Gesicht
des Kranken für schwarze Pocken, worauf sofort die Polizei den
Ausbruch der Seuche konstatierte und das Haus mit einer Warnungs-
tafel versah.''
Einige bemerkenswerte Abweichungen weisen die Worte auf,
welche Gädertz dem Läuschen in seinem Aufsatze und in seiner Ausgabe
der „Läuschen'' widmet. „Dieser fast unglaubliche Vorfall hat sich,
nach Ausweis der ersten Niederschrift Reuters, sowie nach persön-
licher Mitteilung des Sanitätsrats Dr. Michel Markus in Anklam
zugetragen, und zwar hiess der Patient Haltermann, der Barbier
Sass, der behandelnde Arzt Schmidt . . . Der Retter in der Not
war Dr. Michel Markus.'' ;,Der Reim lässt (V. 109 und 122) den
Namen 'Fischer' erraten; in der Urschrift reimt derselbe sich aber auf
'sitt' und 'mit', wonach der Doktor 'Schmidt' geheissen haben muss/
Während also bei Raatz der Patient Halter, der die falsche
Diagnose stellende Arzt Fischer heisst, bietet Gädertz die Namen
Haltermann und Schmidt und bestätigt ausserdem die Angabe des
Läuschens, dass der diagnostische Irrtum in der Tat durch Dr. Markus
aufgeklärt sei.
Ist sich Gädertz nicht bewusst geworden, dass er mit seiner
Behauptung, der Arzt habe in Wirklichkeit „Schmidt" geheissen,
Reuter einer — man darf wohl sagen — Niedertracht zeiht? Es
hat damals in Anklam einen Arzt namens Fischer, einen anderen
namens Schmidt gegeben. Dem letzteren ist nach Gädertz das böse
Versehen begegnet, und Reuter hat in der ersten handschriftlichen
Fassung des Läuschens den Namen Schmidt durch den Reim erraten
lassen. Reuter müsste also gegen besseres Wissen gehandelt haben,
wenn er in der gedruckten Fassung so änderte, dass das Versehen
einem anderen, daran unschuldigen Arzte derselben Stadt zugeschrieben
85
wurde. Dieser Verstoss gegen die Wahrheit hätte deshalb die Grenze
der poetischen Freiheit überschritten, weil Reuter darauf rechnen
musste, das8 seine Anspielung in Anklam und Umgegend verstanden
und somit das ärztliche Ansehen eines Unschuldigen mehr oder weniger
gefährdet würde, während sein schuldiger Konkurrent sich ins
Fäustchen lachen konnte. Schon diese Erwägung muss gegen die
Richtigkeit der von Gädertz gemachten Angaben Misstrauen erwecken,
und die nachfolgende Untersuchung wird in der Tat den Beweis erbringen,
dass Gädertz falsch berichtet. Reuter hatte, wie Raatz weiss, von
dem Vorfall zuerst durch einen herumziehenden Scheerenschleifer,
namens Wentzel, erfahren. Möglich, dass dieser einen falschen Namen
genannt hat. Wahrscheinlich hat dann Reuter Freunden, welche die
Vorgänge kannten, sein Läuschen vorgelesen, den richtigen Namen
erfahren und nicht verfehlt seine erste, noch nicht gedruckte Fassung
zu ändern. Einen ganz analogen Fall, nur dass es sich um eine
spätere Auflage handelte, konnte ich im Texte des Schurr-Murr nach-
weisen, vgl. Reuter Bd. 4, S. 485 (Anm. zu S. 186).
Gädertz hat auch in den übrigen Punkten, in denen er von
Raatz abweicht, falsche Angaben gebracht. Mit Hilfe des Preussischen
Medizinalkalenders, des Wohnungs- Anzeigers für die Stadt Anklam
auf das Jahr 1868 und des Gedichtes „Vergriep di nich, Stäwelwichs
is keen Boartseep" von dem Anklamer Arzte Dr. Berlingi) Jässt
sich der Tatbestand leicht feststellen.
Nach Ausweis des Medizinalkalenders gab es in Anklam Mitte
der 1850er Jahre folgende Ärzte: Ernst Wilhelm Fischer, approbiert
1840, Stabsarzt beim 2. Landwehr-Regiment; Ernst Schmidt, appr.
1838; Franz Glasewald^), appr. 1845; Georg Berling, appr. 1843;
Michael Marcus (nicht Michel Markus), appr, 1840. Von den Ärzten
ist also nur Fischer Militärarzt gewesen.
Im Wohnungsauzeiger ist kein Holtermann oder Haltermann
zu finden, wohl aber Johann Halter, Ackerbürger, Leipziger Allee
756, Hauseigentümer. Sein Vorname und seine Wohnung werden für
seine Identifizierung mit dem Patienten des Läuschens von Belang
sein. Nebenbei sei berichtigt, dass er nicht wie Raatz und Gädertz
angehen Eigentümer einer Ziegelei gewesen war, sondern die grosse
100 Morgen Acker umfassende Anklamsche Stadtziegelei in Rosenhagen
gepachtet hatte.
1) Berling, Lustig un Trurig, Heft 1, Anklam 1860, S. 19—39.
2j A.uf Dr. Franz Glasewald bezieht sich ohne Zweifel der letzte der nur
in Reuters erster Niederschrift hinter V. 27 sich findenden Verse
un Fiken drop
Sogar bi Böhmern un bi Schmidten,
Wo sei doch süs tauwilen sitten,
Nich einen von de Herrn Doktoren;
Sülwst Franz, mein Sohn, war ausgefohren.
Die erwähnten Gastwirtschaften sind Böhmers Hotel und Schmidts Brauerei.
86
Als Barbier und Heilgehilfe ist Friedrich Sass, als Heilgehilfe
Wilhelm Ludwig verzeichnet.
Die voranstehenden Angaben sind nötig zur Erläuterung der
nachfolgenden Inhaltsangabe des umfangreichen Berlingschen Gedichtes,
dessen vollständiger Abdruck zu viel Raum erfordern würde. Als
Dichtung wertlos, ist es wertvoll als treuer Tatsachenbericht.
In der pommerschen Stadt Klemstädt [Anklami] an der Peene
lebte vor einem halben Dutzend Jahren [vor 1860] ein Rentner, der
vordem eine Ziegelei gepachtet, sich viel Geld erworben und in der
langen [Leipziger] Allee ein eigenes Haus erstanden hatte. Ich will
ihn Johann [Johann Halter] nennen. Eines Tages fing einer seiner
Finger, an dem sich ein Geschwür (Adel, Panaritium) entwickelt hatte,
so furchtbar an zu schmerzen, dass er ihn am liebsten abgebissen
hätte. Zu geizig um einen Arzt zu beraten, Hess er den Chirurgus
Satt [Barbier Sass] aus der Judenstrasse [Burgstrasse I, in der mehrere
jüdische Händler wohnten, Eppenstein, Goldfeder, Löwenthal, Levi]
kommen. Dieser will keinen chirurgischen Eingriff machen, weil ihm
sonst die Ärzte wegen Kurpfuscherei üngelegenheiten machen würden,
vielleicht helfe ein Breiumschlag aus Leinsamen und Milch. Als er
dann den Patienten noch rasieren soll, erklärt er, das jetzt nicht zu
können, weil er seinen Barbierbeutel mit dem Rasierzeug nicht bei
sich habe. Johann meint aber, er solle nur ein Messer nehmen,
welches er nebenan in der Kammer finden würde, auch ein Näpfchen
mit Rasierseife stünde dort. Da es schon ziemlich dunkel ist, vergreift
sich Satt, erfasst ein Näpfchen mit Stiefelwichse und schmiert bei
einer qualmenden, kaum etwas Licht gebenden Lampe Johann mit
Wichse, statt mit Seifenschaum ein. Als später Johanns Frau mit
einer Lampe das Zimmer betritt, erschrickt sie. Ihr Mann ist schwarz
im Gesicht wie ein Mohr, und sie glaubt, es sei der Brand (Gangrän)
hinzugetreten. Ein Nachbarskind wird ausgesandt einen Arzt zu holen,
es findet auf der Landstrasse den Dr. Storch, dieser macht sich auf
den Weg zur Leipziger Allee und verordnet sofort einen Aderlass.
„Schnell schicken Sie nach Louis [Heilgehilfe Ludwig] hin,
Der macht es ganz nach meinem Sinn!
Er stand wie ich [also Fischer, siehe oben] beim Militär,
Un da kommt alle Weisheit her!"
Johann meint aber
„Den Doktor Luter [Lude, Ludwig] laten's fürt,
Son Kirl güng jüst ut mine Purt."
Dr. Storch erfährt nun, dass vor ihm Heilgehilfe Satt um Rat gefragt
sei, er erklärt, dieser habe Schuld, dass Johanns Zustand so schlimm
geworden sei. Er lässt Johanns Frau die Lampe näher bringen, um
Zunge und Farbe zu beschauen, erblickt so sein schwarzes Gesicht
und erklärt, Johann habe den schwarzen Tot, die Pest. Dieser ist
87
ganz erschreckt und schnaubt aus. Seine Frau, welche glaubt, dass
ihm die Nase blute, wischt diese mit der Schürze ab und wird so
gewahr, dass das Gesicht durch Stiefelwichse schwarz geworden ist.
Sie ahnt sofort die Ursache und zeigt dem Doktor das Wichsnäpfchen,
aus dem Satt den Bart eingeschmiert hatte. Dr. Storch verlässt das
Haus und trägt überall in der Stadt herum, was Satt getan habe.
Satt wird nun aufs Bathaus geladen, um sich zu verantworten, dass
er Wichse statt Seife genommen und ausserdem sich mit Kurpfuscherei
abgegeben habe. Durch das Verhör, dem er unterzogen wird, kommen
alle Vorgänge an das Tageslicht : die falsche Diagnose des Dr. Storch
und die Unschuld Satts. Johann muss zehn Taler an die Armenkasse
zahlen, und Satt ist glänzend gerechtfertigt.
Das lange Gedicht Berlings zeugt Seite für Seite von dem Streben
des Verfassers, seinen Kollegen Fischer dem Spott und der Lächerlich-
keit preiszugeben, und er hat sicherlich nichts verschwiegen, was
dieser Absicht förderlich war. Wenn er trotzdem nichts davon weiss,
dass durch die falsche Diagnose auf Pocken die Polizei veranlasst
worden sei, eine Warnungstafel an dem Hause zu befestigen, und
erst ein anderer Arzt das richtige erkannt habe, so wird dadurch
bewiesen, dass diese beiden Züge Erfindungen Beuters sind.
In Wirklichkeit hatte Fischer in dem schlecht erleuchteten
Zimmer zwar nicht erkannt, dass die schwarzen Flecken im Gesichte
Halters Stiefelwichse waren, war aber von seinem Irrtum überführt,
ehe er noch das Haus verlassen hatte. Er konnte hoffen, dass das
Gerede über seine falsche Diagnose nicht ewig dauern würde. Vier
oder fünf Jahre waren seitdem vergangen, als Beuters Läuschen
erschienen. Die drastische Darstellung, gegen deren Komik er waffenlos
war, musste seinen Buf als Arzt in Anklam vernichten. Im Herbst 1858
war die neue Folge der Läuschen erschienen. Schon im nächsten
Jahre verliess er Anklam. Er fand eine neue Wirkungsstätte in Kös-
lin, als Bataillonsarzt des 7. pommerschen Infanterie-Begiments Nr. 54.
Lauschen I, Nr. 19. De Wedd.
Nach Gädertz soll auch der ;,Wedd", einem der gerühmtesten
Läuschen Beuters, eine wahre Begebenheit zu Grunde liegen. Zwei
Städte, deren Gymnasium Beuter besucht hat, meint er, Friedland
(— dieses ist Bömers „Beuter" S. 28 entlehnt — ) und Parchim
streiten sich um das Erstgeburtsrecht der Geschichte, „doch scheint
der hübsche Gaunerstreich in Parchim und zwar in dem jetzigen
Gasthaus zur Börse sich abgespielt zu haben. Dieses war zu Beuters
Schülerzeit im Besitze des Bäckermeisters und Gastwirts W. Hanck.
Dieser wird allgemein für Bäcker Swenn gehalten. In dem ehemaligen
Bäckerladen befindet sich heute noch das Zifferblatt der Uhr, vor
welchem Swenn gesessen haben soll; an jeder Seite steht in grossen
Buchstaben auf dem Balken zu lesen : Hier geiht hei hen, dor geiht hei hen. "
88
In dem Büchelchen „Fritz Reuter, von Marx Möller^ (Leipzig
1905) S. 21 ff. wird in Bezug auf diese Parchimer Lokalisation der
„Wedd^ launig erzählt, dass sie einem Reuter- Forscher, der durch
ungeschickte Fragen dazu reizte, von einer Wirtsfrau geradezu auf-
gebunden sei. Ich kann dahingestellt sein lassen, ob Gädertz wirklich
so zu seiner ;,auf Grund authentischer Quellenforschung*' ermittelten
Nachricht gekommen ist. Jedesfalls muss seine Angabe, dass ;,de Wedd"
einer wirklichen Begebenheit nacherzählt sei, als grundlose Erfindung
erklärt werden. Damit die viel erörterte Frage nach der Herkunft
dieses viel belachten Läuschens endlich zum Abschluss gebracht wird,
werde ich hier ausführlich darlegen, was bereits in meiner Ausgabe
Reuters Bd. 1, S. 394 durch Gitate kurz angedeutet ist.
Schon 1879 hatte der Rostocker Anglist Professor F. Lindner
im Ndd. Korrespondenzblatte Bd. 4, S. 72 bemerkt: „Beim Durchlesen
von Captain Marryafs Narrative of the travels and adventures of
Monsieur Violet, Leipzig, Tauchnitz 1843, fiel mir auf, dass pag.
240 — 244 sich die Geschichte findet, welche Reuter in seinem
*Hier geiht he hen, dor geiht he hen' so hübsch erzählt. Wahr-
scheinlich hat Reuter seinen Stoff hieraus entnommen.^ Als dann
R. Sprenger 1897 (Ndd. Korr.-Bl. 19, S. 19) eine andere Fassung
derselben Geschichte in einem englischen Lesebuche nachwies, unterzog
C. Walt her (Ndd. Korr.-Bl. 19, S. 58) die Frage der Abhängigkeit
Reuters von einer englischen Quelle einer genaueren Untersuchung.
In seinen ebenso scharfsinnigen wie fein durchdachten Erwägungen
kommt er zu folgendem Ergebnis: ;,Bei Reuter wird der Wirt von
seiner Leidenschaft für Wetten dadurch kuriert, dass der Doktor
ihm als einem Schwerkranken und Verrückten so lange zusetzt, bis
er kein Wort mehr von der Wette, die man für eine blosse Ein-
bildung seines kranken Gehirns hält, zu sagen wagt. Dieser Schluss
des Gedichtes, der länger ausgefallen ist als die Schilderung der Wette
selbst, wird von Reuter ersonnen sein; den Stoff zum ersten Teil,
den Schwank von der Wette, hat er entlehnt, ohne Zweifel aus einer
englischen Quelle. Denn nur in einem Lande, in welchem das Wetten
eine so verbreitete Leidenschaft ist wie in England, kann die Geschichte
ersonnen oder, was sehr wohl möglich ist, wirklich passiert sein.
Ausser England liesse sich noch an Nordamerika denken . . . Dass Reuter
aus Marryat entlehnt habe, will ich nicht behaupten. Auffallend ist
zwar die Übereinstimmung in dem Sitzen vor der Uhr; aber der
Abweichungen sind so viele, dass Reuter eine andere englische Vorlage
gehabt haben wird."
Walther hat das richtige erkannt. Reuter hat in der Tat seinen
Stoff nicht Marryat, sondern einem anderen amerikanischen Schrift-
steller entlehnt. Seine Quelle war The old dock des taubstummen
Amerikaners James Nack^ dessen Gedichte 1852 in New York
erschienen sind. Den englischen Text des Gedichtes The old dock
findet man auch in Elzes ;, Englischem Liederschatz^ 5. Aufl. S. 448
89
und bei G. Haller ^Humoristische Dichtungen^ (Halle 1868) Bd. 1
S. 149. Bemerkenswert ist, dass schon an letzterer Stelle, also noch
zu Reuters Lebzeiten, zur Vergleichung auch Reuters De Wedd mit
abgedruckt ist.
Zum Beweis der Abhängigkeit Reuters von Nack genügt eine
Inhaltsangabe. Ausschlag gebend ist vor Allem, dass nur Nack die
Erzählung mit der ärztlichen Behandlung des Wettenden schliessen lässt.
Tom und William, zwei Yankees, kehrten an einem Sommertage
in einer Gastwirtschaft ein, assen und tranken gut zu abend, gingen
dann zur Ruhe und Hessen sich am nächsten Tage das beste Frühstück
vorsetzen. Als sie ihre Zeche bezahlen wollten, rief der eine ganz
erstaunt aus „Was Wunder sehe ich? Tom, diese Überraschung!
die Uhr, die Uhr!'' Der Wirt fragt neugierig, was ihn an seiner
alten Uhr so in Erstaunen setze.
„Tom, donH you recollect,*' said Will,
„The dock ai Jersey near the mill,
The very image of thia present,
With which I won the wager pleasant 1^" '
Will ended with a knowing wink —
Tom scratched his head and tried to think.
Neugierig geworden fragt der W^irt, was für eine Wette das gewesen sei.
„You remember,
It happened, Tom, in last December,
In sport I bet a Jersey Blue
That it was more than he could doy
To make his finget go and come
In keeping tcith the pendulum ;
Eepeating tül one hour would dose.
Still, Here she goes — and there she goes —
He lost the bet in half a minute/^
Der Wirt rief aus, das müsse mit dem Teufel zugehen, wenn
er das nicht könne. Sie möchten es mit ihm versuchen, er wette
fünfzig Dollar. Die beiden Yankees sind einverstanden, behalten sich
aber vor, ihm durch ihre Kniffe (we will play some trick) den Handel
zu verleiden. ,;/'m up to that!^' meinte jedoch der Wirt und begann,
je nachdem der Pendel sich bewegte, den Zeigefinger der rechten
Hand nach rechts und links zu bewegen und dazu Here she goes —
and there she goes zu sagen. ^Halt,*' wurde ihm zugerufen, ;,erst den
Einsatz^! Ohne die Bewegung seines rechten Zeigefingers zu unter-
brechen, lieferte der Wirt mit der linken Hand seine Börse aus und
liess sich nicht stören, als mit ihr seine Gäste das Zimmer verliessen.
Die Narren ! dachte er, solche Witze sollten bei ihm nicht verfangen,
und er liess nur um so lauter seine Worte Here she goes etc. ertönen.
Auch als seine Mutter und Frau kommen, lässt er sieh nicht unter-
90
brechen. Seine Frau glaubt, er sei verrückt geworden, und ruft, man
solle einen Arzt holen
Bun for a doctor — run — run — run
For Doctor Brown and Doctor Dun,
And Doctor Black and Doctor White
And Doctor Grey, with all your might.
Die Ärzte kommen, jeder von ihnen bringt ein anderes Mittel
in Vorschlag. Der eine will zur Ader lassen^ der andere Blutegel,
der dritte Schröpfköpfe, der vierte spanische Fliegen, der fünfte eine
Purganz, der sechste ein Brechmittel, der siebente Pillen verordnen,
einer sogar trepanieren. Der Mutter scheint das beste, einen Barbier
holen zu lassen, der ihrem Sohne den Kopf kahl rasieren soll. Dieser
vermutet in Allem listige Veranstaltungen seiner beiden Gäste, damit
er die Wette verliere, und wiederholt ohne Unterlass Here she goes etc.,
bis die festgesetzte Stunde verflossen ist. Mit Siegesbewusstsein springt
er dann auf, um sogleich darauf inne zu werden, dass er das Opfer
eines Betruges geworden war, und auszurufen — mit diesen Worten
schliesst Nacks Gedicht —
„Oh! purge me! blister! shave and bleed!
For, hang the knaves, Tm mad indeed!^^
Nacks Gedicht wird als unmittelbare Quelle Reuters zu gelten
haben, solange nicht eine Bearbeitung des Gedichtes, etwa eine Prosa-
erzählung, nachgewiesen wird, welche Reuter benutzt haben kann.
Nacks Poems sind 1852, Reuters Läuschen 1853 erschienen. Eine
zwischen beiden vermittelnde dritte Bearbeitung ist bei dieser kurzen
Zwischenzeit allerdings kaum wahrscheinlich.
Offen bleibt die Frage, woher Reuters Kenntnis des englischen
Originals stammt. Wir wissen, dass Reuter gelegentlich deutsch-
amerikanische Zeitungen zu Gesicht bekommen hat, die von einem
oder dem anderen der vielen in den 1840er Jahren ausgewanderten
Mecklenburger in die alte Heimat geschickt wurden. Es lässt sich
vermuten, dass eine solche Zeitung ihm die Kenntnis des Gedichts
Nacks vermittelt hat.
Läaschen I, Nr. 23. Dat Sösslingsmetz.
Ein Vorgänger Reuters auf dem Gebiete der plattdeutschen
Läuschendichtung, Ferdinand Zumbroock aus Münster, liess 1847 ein
Bändchen ^Poetische Versuche in Westfälischer Mundart" drucken.
Von diesem Büchelchen sind bis 1851, also vor dem Erscheinen von
Reuters Läuschen, vier Auflagen erschienen, und es ist wohl möglich,
dass ein Exemplar desselben auch Reuter zu Gesicht gekommen ist.
Das erste Stück des Buches, auf das mich Herr Professor Grimme in
Freiburg aufmerksam gemacht hat, „Dat billige Raseeren* legt diesen
Gedanken nahe. Sein Inhalt sei hier kurz erzählt.
91
Melcherd, ein Bauer, kam einst zu einem Barbier, um sich den
Bart abnehmen zu lassen, fragte aber vorher, was das kosten würde.
Der Barbier antwortet:
Dat kümp, min junge Mann,
Blaut (bloss) up dat Messer an; —
En Sülvergrosken kostet et,
Niäm' ick dat, wat so blindrig lät.
En halven man (nur) kostet et met dat,
Wat dao (dort) lät so blank und glatt.
Dat andre, wat dao tüsken iss,
Dao doh'k et met umsüss." —
^Was? umsonst? ganz ohne Geld!* ruft der Bauer aus und verlangt
mit diesem Messer rasiert zu werden. Es geschieht, ohne dass der
Barbier Seife nimmt, in einer Weise, dass dem Bauern Hören und
Sehen vergeht, und er vor Schmerz aufspringen möchte. Nie will er
sich wieder umsonst rasieren lassen. Als er am nächsten Morgen
mit einem Freunde vor dem Hause des Barbiers vorüberkam, vernimmt
er ein mächtig Schreien.
„0 Jees's" — sagg Melcherd — „kum man to,
Höär ess (hör einmal)! well (wer) schrait dao soV
Dao raseert se ganz gewiss
Wier en'n Mensk umsüss!"
Zumbroock hat für sein Gedicht eine recht alte Erzählung
benutzt, die sich schon — ich verdanke die Nachweise meinem Freunde
Professor Johannes Bolte — in den f,Facetie, motu & hurle, raccolte per
Lodovico Domenichi, Venetia 1581^, S. 282 findet. „Der kurtz-
weilige Polyhistor, von Hilario Sempiterno. Cosmopoli 1719^ S. 113
bringt sie in folgender Gestalt:
Der um Gotteswillen geputzte Arme.
Ein armer Mann kam in eine Stadt zum Barbierer, bat, weil er kein Geld
bätte, er möchte ihn um Gotteswillen den Bart abscheeren. Der Barbier nahm
eiü sehr stumpfes und schartiges Scheermesser, schür ihn dass ihm die Augen über-
giogen. Unterdessen kam ein frembder Hund in des Barbierers Küchen, bei den
Fleischtopf, die Magd prügelte ihn desswegen weidlich ab: Der Hund kam darauf
schreyend in die Stube gelauffen, da ihn denn der arme Mann mit tränenden Augen
fragte : Ob er auch um Gotteswillen geputzet wäre, weilen er so jämmerlich schreie.
Dieselbe Erzählung kehrt dann im ;,Vade Mecum für lustige Leute, ^
Th. 3 (1767), S. 16 mit der Änderung wieder, dass das Gesicht des
Armen (gerade so wie das des Bauern bei Zumbroock) mit Wasser
ohne Seife nass gemacht wird, zu Schluss eine Katze in der Küche
schreit, und als der Barbier nach der Ursache fragt, der Arme meint :
vielleicht barbieret man sie um Gottes -Willen.
92
Die Fassung im ^Blauen Buch zum Lachen" (5. Aufl. Halle
0. J.) weicht von dem Vademecum nur dadurch ab, dass aus dem
Armen ein armer Priester geworden ist.
Schliesslich bietet auch Hebel in den ^Erzählungen des rhei-
nischen Hausfreundes" Abt. 1 (Wie man aus Barmherzigkeit rasiert
wird) eine Bearbeitung, welche zu der Fassung des Kurtzweiligen
Polyhistors stimmt.
Reuters Läuschen „Dat Sösslingsmetz" bietet dieselbe Erzählung
wie Zumbroocks Gedicht, nur sind die Einzelheiten anders ausgemalt,
und die Begebenheit ist nach Stavenhagen verlegt. Bemerkenswerte
Übereinstimmungen sind z. B., dass der Bauer, den Zumbroock schildert,
ausserhalb des Dorfes auf abgelegenem Gehöft wohnt, und der Bauer
des Läuschens ein Hanschendörfer ist, also nach alter Stavenhagener
Ausdrucksweise ein Bauer aus einem abseits gelegenen, von allem
Verkehr abgeschnittenem Dorfe oder auch Gehöfte. Ferner ist in
beiden Gedichten die Verschiedenheit des Barbierlohnes von der Wahl
des Messers abhängig. Besonders fällt aber der gleiche Ausgang
beider Gedichte ins Auge. Auch der Hanschendörfer Bauer kommt
später wieder an der Barbierstube vorüber, hört ein mächtiges Geschrei
aus dem Hause — es wird gerade ein Schwein geschlachtet —
„Haha!'' seggt hei, „nu is hei weder bi,
Nu lett sick weder ein halbieren."
Sollte trotzdem Zumbroocks Gedicht Reuters Quelle nicht gewesen
sein und die besonderen Übereinstimmungen zwischen beiden Dichtern
durch die Benutzung einer unbekannten altern Fassung sich erklären,
so ist doch in jedem Falle ausser Zweifel gestellt, dass die dem
Läuschen zugrunde liegende Erzählung von Reuter weder erfunden
noch einer Begebenheit, welche in seiner Vaterstadt sich zugetragen
hat, nacherzählt sein kann.
Von Gädertz erhalten wir freilich eine andere Belehrung:
„Chirurgus Metz (in Stavenhagen) soll die grausame Prozedur an einem
Bauern wirklich vollzogen haben.*'
Die Wahrscheinlichkeit der Benutzung Zumbroocks durch Reuter
würde noch grösser sein, wenn noch ein anderer Läuschenstoff sich
auf Zumbroock zurückführen Hesse. Dieser erzählt in seinem Gedicht
;,De Austern", dass ein Bauer von seinem Schlossherren zur Stadt
geschickt war, um für ein Gesellschaftsessen auf dem Schlosse einen
Korb Austern zu holen. Der Korb war recht schwer, und der Bauer
verzweifelt fast daran, mit ihm den langen Weg zum Schlosse zurück-
legen zu können. Einem jungen Burschen, der ihm begegnet und
ihn fragt, klagt er seine Not. Als der Bursche die Austern erblickt,
ruft er aus: ;,Ja, mit so einem Bauersmann erlaubt man sich doch
alles! Die Austern sind ja nicht ausgenommen, der Koch wird Euch
93
schön fegen, wenn Ihr heimkommt.^ Der Bauer will die Austern
dem Kaufmann zurückbringen, der Bursche weiss aber anders Rat.
Er holt einen Napf, tut den Inhalt der Austern hinein und heisst mit den
leeren und somit leichteren Austernschalen den Bauer zum Schlosse gehen.
Diese Schnurre hatte Reuter im Sinne, als er in einem 1858
hergestellten Verzeichnis von Lausch enstoflfen notierte: „Das Aus-
brechen der Austern und Ausnehmen derselben; Pastor Berg, nach
Bützow und Rostock zu verlegen." — Der Zusatz , Pastor Berg** kann
bedeuten, dass dieser ihm die Geschichte erzählt hat, es kann aber
auch sein, dass Berg in der Erzählung eine Rolle spielen sollte.
\VirkIich hat es zu derselben Zeit, als Reuter in Rostock studierte,
hier einen stud. theol. G. Berg gegeben, der später Pastor in Westen-
briigge wurde und schon 1838 starb. So ist es wohl möglich, dass
Reuter die Austerngeschichte als Studentenstreich erzählen und als
Modell des Studenten den späteren Westenbrügger Pastor sich vor-
stellte. Wenn dagegen mit „Pastor Berg* Reuters Gewährsmann
gemeint sein sollte, würde man wohl an den Präpositus Christian
Berg zu denken haben, welcher in dem südlich vom Müritzsee gelegenen
Dorfe Alt-Gaarz 1843 — 1859 Pfarrer war. Wenn Alt-Gaarz auch von
Neubrandenburg, wo Reuter wohnte, weitab liegt, so gehören doch
beide Orte zu Mecklenburg- Strelitz, und Berg kann Veranlassung
gehabt haben, gelegentlich die Hauptstadt des Ländchens oder auch
Xeubrandenburg selbst zu besuchen und ist dabei mit Reuter bekannt
geworden.
Lauschen I, 1. De Obserwanz.
Die neue Folge der Läuschen wird durch ^De swarten Pocken^
eröffnet. W^er Reuter-Vorleser öfter gehört hat, weiss, welches Lachen
jenes so oft vorgetragene Läuschen stets auslöst, und begreift, dass
es, als eins der packendsten, an die Spitze der Sammlung von seinem
Verfasser gestellt ist.
Die alte Folge der Läuschen bietet als erstes „Die Obserwanz*'.
Es wird erzählt, dass die Bauern ihrem Pastor einmal zu Weihnacht
einen prächtigen Kuchen gebracht hatten und am folgenden Weihnachts-
feste das Geschenk wiederholen wollen. Erfreut will ihn der Pastor
wieder in Empfang nehmen, macht aber vorher einen schriftlichen
Vermerk „die Bauern waren heute hier und brachten mir wieder
einen Kuchen zu Weihnachten^. Diesen Vermerk mache er, antwortet
er dem fragenden Dorfschulzen, nur um die Observanz. „Hm!*'
brummte darauf der Schulze, „oh, denn schriwen S' man dor achter
noch dit: die Bauern brachten ihn mir woll, doch nahmen sie ihn
wieder mit", packt den Kuchen wieder ein und will mit ihm das
Pfarrhaus verlassen. Auf die verwunderte Frage des Pfarrers, was
das bedeute, wird ihm lachend erwidert „dat is man um de Obserwanz!"
Es liegt die Frage nahe, warum Reuter nicht ein ähnlich wir-
kungsvolles Läuschen wie das erste der neuen Folge an den Anfang
seiner älteren Sammlung, also etwa „De Wedd", gestellt hat? Ich
94
konnte in meiner Ausgabe Reuters nur eine Vermutung aussprechen,
die an eine vor mir noch nicht verwertete Nachricht anknüpfte, welche
wir einem Sohne von Fritz Peters verdanken.
Dieser hat in der Deutschen Rundschau Bd. 54, S. 448 (1888)
die bekannten Verse Reuters „Mein Freund, ich bin ein armer Schlucker"
abdrucken lassen als „das Gedicht, mit welchem er Weihnachten 1852
sein Erstlingswerk überreichte." Da die ;,Läuschen" damals
noch ungedruckt waren, kann nur das Manuskript eines Teiles der-
selben gejneint sein. In meiner Ausgabe merkte ich zu dem Lauschen
an: „Es hat seinen besonderen Grund, dass gerade dieses Lauschen
an die Spitze gestellt ist. Reuter hatte seinem Freunde Peters Weih-
nacht 1852 Julklappverse, welche die Dedikation seines ersten Werkes
verhiessen, nebst dem Manuskript einer Anzahl fertiger Läuschen
überreicht. Das Manuskript wird er, wie man annehmen darf, yor-
gelesen und dann wieder mit sich genommen haben. Es ist deshalb
von schalkhafter Anzüglichkeit, wenn in dem Läuschen von einer
Weihnachtsgabe die Rede ist, die gebracht und sofort wieder zurück-
genommen wird.'' — Dass Reuter sein Manuskript wieder an sich
nahm, erklärt sich ungezwungen. Er wollte sich die Mühe sparen,
eine neue Reinschrift anzufertigen.
Was ich als Vermutung ausgesprochen habe, finde ich in einem
— im Wesentlichen gegen mich gerichteten — Aufsatze „Reuters
Läuschen un Rimels, von K. Th. Gädertz'' (National-Zeitung, Sonntags-
beilage, 25. Juni 1905) und später in Gädertz' Ausgabe der Läuschen
als Tatsache berichtet. Nachdem Gädertz erzählt hat, dass Reuter
eine Anzahl Läuschen im Manuskript als Julklapp für Fritz Peters
geworfen hatte, fährt er fort: ;,Das als Geschenk dargebrachte kleine
Konvolut hatte er aber nachher wieder in seine Tasche gesteckt,
ähnlich wie im ersten Läuschen ,De Obserwanz' die Bauern dem
Herrn Pastor den Weihnachtskuchen mit der einen Hand geben, mit
der anderen zurücknehmen, eine scherzhafte Entschuldigung für sein
Gebahren. Denn er brauchte notwendig gerade jetzt die Kinder
seines Humors um sie in seiner Vaterstadt Stavenhagen der Familie
zu zeigen, falls sich dazu die Gelegenheit und Stimmung finden sollte.
Führte ihn doch eine traurige Pflicht in der Weihnachtswoche dort-
hin: seinem Oheim Ernst Reuter, der ihn nach der Festungszeit
liebevoll aufgenommen hatte, die letzte Ehre zu erweisen.* (Der
hierauf folgende Absatz ist wörtlich Franz Engel ;, Briefe von Fritz
Reuter* Bd. 2, S. 266 nacherzählt).
Indem Gädertz weder mich als Gewährsmann nennt noch über-
haupt eine Andeutung macht, dass die Darstellung auf Vermutung
beruht, erweckt er den Anschein, aus eigener Kenntnis des Vorganges
auf grund schriftlicher oder mündlicher Nachrichten zu berichten.
Um so eher muss man so schliessen, weil er den Grund kennt, wes-
halb Reuter sein Manuskript zurückfordert: er musste nach Staven-
hagen zur Bestattung seines Oheims und wollte bei dieser Gelegenheit
seine Läuschen vorlesen.
95
Gerade aus diesem Zusatz, den Gädertz meiner Darstellung an-
hängt, lässt sich erweisen, dass er wieder einmal blosse Vermutung
— und er vermutet meist falsch — als Tatsache berichtet hat.
Wenn das, was Gädertz erzählt, wahr wäre, müsste Fritz Reuter
am 24. Dezember 1852, als er bei Fritz Peters in Thalberg Weih-
nachtsabend feierte, bereits die Nachricht vom Tode seines Oheims
empfangen haben. Es lässt sich zeigen, dass das nicht der Fall
gewesen sein kann.
Reuters Oheim ist am 24. Dezember 1852 in Stavenhagen ge-
storben. Die Stunde seines Todes ist unbekannt. Selbst wenn man
annimmt, dass sie eine frühe Morgenstunde war, konnten die Eilbriefe,
welche die Todesnachricht seinen vielen Kindern, Schwiegersöhnen
und Neffen zutragen sollten, erst Nachmittags zur Beförderung kommen.
Depeschen kommen nicht in Betracht, da Stavenhagen damals weder
Eisenbahn noch telegraphische Verbindung hatte.
Nach Ausweis des Mecklenburg-Schwerinschen Staatskalenders
und des Preussischen Kursbuches ging jeden Freitag um 2 Uhr Nach-
mittags von Stavenhagen eine Post nach Demmin, wo sie um 4^2
Uhr eintraf und nach Anklam weiterfuhr, eine andere um 5 Uhr 40
Min. nach Neubrandenburg, das sie Abends 9 Uhr 5 Min. erreichte.
Sowohl Demmin als Neubrandenburg hatten Anschluss nach Treptow
a. d. Tollense, beide aber erst Nachts bzw. am nächsten Morgen.
Es ist also ausgeschlossen, dass Fritz Reuter vor Weihnacht-Vormittag
(Sonnabend) den Trauerbrief erhalten hat. Reuter kann also nicht
schon einen Tag vorher von dem Sterbefall gewusst haben.
Länschen I, Nr. 5. De Ballenwisch, nnd Lauschen II, Nr. 42.
En Prozess will hei nich hewwen.
Wie wir gesehen haben, hat die blosse Existenz zweier alter
Wand- oder Standuhren in Bäckereien der Städte, deren Gymnasium
Reuter als Schüler besucht hat, zur Bildung der lügenhaften Tradition
genügt, dass vor jenen Uhren der wettende Bäcker Swenn sein ^Hier
geiht hei hen, dor geiht he hen" gesprochen habe, die Wette also
historisch sei. Wieviel leichter konnte nicht, zunächst eine Vermutung,
dann durch gläubige Weiterrede eine lokale Tradition entstehen, dass
irgend eine in Reuters Dichtungen erzählte Begebenheit sich wirklich
in dem Orte ereignet habe, wenn von Reuter Namen genannt wurden,
welche auf einen bestimmten Ort oder auf eine bestimmte Person
hinzuweisen schienen.
Es gibt bei Wendisch -Warnow an der Berlin -Hamburger Bahn
ein mecklenburgisches Gut namens Hühnerland, plattdeutsch Häuner-
land. Hier lebte in den 1850er Jahren ein alter, vielleicht auch
missingsch redender Inspektor. Als Reuters Stromtid erschien und
man darin las, dass Bräsig in Haunerwiem wohnte, entstand in der
Gegend von Wendisch -Warnow das Gerücht, jener alte Inspektor sei
Reuters Bräsig, allein und einzig nur auf die Namensähnlichkeit hin.
96
Reuter nennt den Bürgermeister, welcher im Läuschen I Nr. 3
die Bullenwiese pachtet, ;,Lisch^. Nun gab es in der mecklenburgischen
Salinenstadt Sülze einen Bürgermeister Liss. Wie mir Herr Kirchenrat
Dr. Weiss in Sülze mitgeteilt hat, glaubt man hier und hat schon
zu Lebzeiten des Bürgermeisters Liss ernsthaft geglaubt, dass dieser
in der von Reuter geschilderten Weise sich die Pacht der Bullenwiese
des Ortes zugesprochen habe.
Liss ist von Oktober 1841 — 1859 Bürgermeister gewesen und
1879 in Sülze gestorben. Die ihm nachgesagte Wiesenpacht müsste
in die Jahre 1842 — 1852 fallen. Aus eigener Erinnerung soll in Sülze
heute Niemand mehr über Wahrheit oder Unwahrheit der Nachsage
Auskunft geben können.
In Stavenhagen wurde Glagau, dem Biographen Reuters, erzählt,
dass der Vater Fritz Reuters der betreffende Bürgermeister gewesen
sei. Drei alte Bürger Stavenhagens, deren Gedächtnis bis in die
1820er Jahre reicht, konnten jenes Gerücht nicht aus eigener Erinne-
rung bestätigen, zwei von ihnen hielten die Tradition allerdings für
glaubhaft, dem alten Bürgermeister sei so etwas wohl zuzutrauen
gewesen.
Schliesslich ist, wie ich im Ndd. Jahrbuche 29, S. 59 nach-
gewiesen habe, dieselbe Geschichte schon vor 1854 von Daniel Sanders
erzählt und einem Bürgermeister von Friedland zugeschoben.
Diese dreifache Tradition ist lehrreich. Sie muss warnen,
unverbürgtem Gerede, das durch die Namensähnlichkeit entstanden
sein kann, Glauben zu schenken.
Wenn Reuter den Bürgermeister des Läuschens ;,Lisch^ genannt
hat, so war es vielleicht gar nicht seine Absicht, auf den Sülzer Bürger-
meister ;,Liss^ anzuspielen, denn Lisch ist in Mecklenburg kein seltener
Name, und der zu ;, Bullenwisch ^ gesuchte Reim führte auf ihn. In
anderen Fällen hat allerdings Reuter mit bewusster Absichtlichkeit
erfundene Namen so geformt, dass sie an die Namen wirklicher
Personen anklangen und dem Leser die Vermutung kommen musste,
wirkliche Begebenheiten aus dem Leben jener Personen zu vernehmen.
Durch die Vorführung einer Menge bekannter, nur durchsichtig
maskierter Persönlichkeiten wurde das lokale Interesse in Mecklenburg
durch und für die Läuschen bei ihrem Erscheinen an vielen Orten
wachgerufen, und die ausserordentlich schnelle Verbreitung des ersten
Werkes Reuters erklärt sich hierdurch nicht zum mindesten. Freilich
war, wie ich bereits in meiner Ausgabe Bd. 1 S. 39 bemerkt habe,
die Eigentümlichkeit der „Lauschen^, das Erzählte zu lokalisieren
und bekannten Personen zuzuschreiben, eigentlich ein die Wirkung
der Erzählung fördernder Kunstgriff. Die Teilnahme am Gehörten
wächst, wenn es als wahres Erlebnis durch Angabe von Ort und
Person erwiesen wird. Nur das Kindermärchen mit seinem ;,Es war
einmal ein^ verzichtet gänzlich auf diesen Kunstgriff.
97
In dem Läuschen „En Prozess will hei nich hewwen^ wird er-
zählt, dass ein Herr Lüttmann, welcher von einem Kandidaten ver-
klagt war, dem Gerichte schrieb, er wolle keinen Prozess, nicht zum
Termin ei*schien und dann entrüstet war, weil er verurteilt wurde,
trotzdem er keinen Prozess hatte haben wollen und der Gerichts-
direktor sein guter Freund sei.
In Reuters StofFverzeichnis v. J. 1853 bezieht sich nach Gädert^
auf dieses Läuschen die Einzeichnung ;,Der Handel des Herrn von
Dilten". Reuter muss also schon vor 1853 die zugrunde liegende
Anekdote gehört und die Absicht gehabt haben, sie von einem Herrn
von Ditten zu erzählen.
Zu dem Läuschen bemerkt Gädertz: ;,Gern trank Reuter bei
Schleuder, dem früheren Besitzer des Hotel de Russie zu Rostock,
[in den in Betracht kommenden Jahren war Witwe Schleuder die
Besitzerin] einen D.ämmerschoppen und hörte von der Tafelrunde
heitere Anekdoten, u. a. auch eine, die er in dem Läuschen ungemein
lebendig wiedergegeben hat. Der Held dieser von einer kindlichen,
wenn nicht kindischen Auffassung des Rechtes zeugenden Geschichte
war kein .geringerer als der frühere Stadtkommandant in Rostock
V. Sittmann, der 1853 seinen Abschied nahm und starb. Reuter hat
zartfühlend die zu einer humoristischen Behandlung herausfordernde Er-
zählung für den zweiten Band seiner Läuschen un Rimels, der erst 1858
erschien, zurückgelegt.*' Von allen diesen Einzelheiten ist richtig, dass
Reuters Namensbildung v. Lüttmann auf den Stadtkommandanten
V. Sittmann zielt und dass die Rostocker, welche von altersher von
ihren Stadtkommandanten gern Allerlei erzählten, auch Sittmann in
dieser Beziehung nicht verschonten. Alles Übrige, was Gädertz zur
Einrahmung dieser Einzelheiten beibringt, habe ich Grund für blosse
Vermutung zu halten, besonders auch, dass die Geschichte schon
zu Sittmanns Lebzeiten Reuter im Hotel de Russie beim ;,Dämmer-
schoppen** von den Stammgästen erzählt sei. Es wird an Gädertz
sein, Zeugnisse für seine Angaben beizubringen. Wie ich von einem
Rostocker Herrn, bei dem und mit dem Reuter manche Flasche Wein
in Rostock getrunken hat, gehört habe, ist dieser zeitweise, um 1858,
öfter nach Rostock gekommen, in Zwischenräumen von etwa acht
Wochen. Dass er in dem Jahrzehnt vorher ;,gern seinen Dämmer-
schoppen bei Schleuder" trank, habe ich nicht erkunden können.
Dass man nach 1858 in Rostock das Läuschen auf Sittmann deutete
und als bare Münze nahm, beweist nicht, dass dieser selbst früher Ähn-
liches erzählt hatte. Gädertz hat angemerkt, wann Sittmann Gefreiter,
Leutnant, Kapitain usw. geworden ist. Er hat aber versäumt anzu-
führen, dass Sittmann 1834 in das Militär-Collegium zu Schwerin
als einer der zwei Räte, die es zählte, berufen worden und als solcher
bis 1840 tätig gewesen war, ja zuletzt in Vertretung demselben vor-
gestanden hatte. Die mehrjährige Mitgliedschaft an dieser militärischen
Verwaltungsbehörde schliesst wohl aus, dass er jene „kindliche, wenn
nicht kindische Auffassung des Rechtes^ gehabt und betätigt hat.
Niederdeutsches Jahrbuch XXXIT. 7
98
Die Möglichkeit, dass ihm trotzdem etwas Ähnliches schon zu
Lebzeiten nachgeredet wurde, lässt sich zwar nicht durchaus läugnen,
doch bedarf es besser bezeugter Angaben, wenn man ein solches
Gerede als Quelle des Läuschens annehmen soll.
Längchen I, Nr. 6. De Ihr nn de Frend.
In diesem Läuschen erzählt Reuter, dass Fiken Bull, die Tochter
eines alten Schuhmachers, wider den Willen ihres Vaters Schauspielerin
geworden war. Die Truppe, der sie angehörte, kam später in ihre
Heimatstadt Waren und führte hier ein Stück auf, zu Schluss dessen
Fiken nieder zuknieen und zu rufen hatte „Vater, vergieb mir!" Ihr
anwesender Vater bezog diese Worte auf sich, sprang auf die Bühne
und rief: ;,Min Döchting! nicks hir von Vergewen! An Di kann ick
blot Ihr un Freud' erlewen!
Dem Läuschen liegt ein wirklicher Vorgang, der sich in Reuters
Vaterstadt abspielte, zu Grunde, den Reuter selbst in „Meine Vater-
stadt Stavenhagen*' (Reuter, Bd. 4, S. 216 u. 486, vgl. E. Brandes,
Aus Reuters Leben S. 21) schildert. Darnach hiess die Schauspielerin
Kläre Saalfeld. „Sie beschloss mit dieser Szene,* sagt Reuter, „ihre
dramatische Laufbahn, sie trat ins bürgerliche Leben zurück und
heiratete einen geistesverwandten Torschreiber. Sie blieb bis an ihr
Ende die erste Autorität Stavenhagens in dramatischen Dingen.'^
Nach Reuters Schilderung muss jene Szene vor der Ankunft des
späteren Postmeisters Stürmer in Stavenhagen, also vor dem Jahre
1816 stattgefunden haben.
Die 1809 geborene, allen alten Stavenhägern wohlbekannte
„Tanten LöwenthaP, geb. Meyer, konnte mir aus ihren Jugend-
erinnerungen mitteilen, dass der Torschreiber Ruthenick, die Schau-
spielerin Klara Mahnfeld, nicht Saalfeld, geheissen habe. Das die
Neubrandenburger Strasse abschliessende Torschreiberhäuschen, das
Meyersche Kaufmannshaus und das Haus, aus dem Klärchen Mahn-
feld stammte und in welchem ihr Verwandter (Schwager?), der kinder-
reiche Schlossermeister Tröpfner wohnte, waren Nachbarhäuser.
Welcher Schauspielertruppe Clara Mahnfeld zugehörte, liess sich aus
Bärensprungs „Geschichte des Theaters in Meklenburg^ S. 227
ersehen. Nach seiner Angabe findet sich ihr Name als Dem. Mann-
feldt auf Güstrower Theaterzetteln der Reitzensteinschen Truppe v.
J. 1809.
Gädertz hat wohl an denselben Stellen wie ich Nachrichten über
Clara Mahnfeld erhalten. Wenn trotzdem seine Angaben von den
meinen abweichen, so hat er entweder die ihm gegebene Auskunft
missverstanden oder aber Vermutungen ausgesprochen. Er sagt
;,Sie war das zwölfte [?] Kind eines Stavenhäger Schlossermeisters,
wurde eine nicht unbedeutende [?] Schauspielerin, trat mit der Truppe
des Direktor? Reitzenstein auf und nach obigem Triumph von der
99
Bühne zurück, um die häuslich sorgende Gattin des Tor- und Mühlen-
schreibers Christian Ruthenick zu werden^.
Dass Clara Mahnfeld nicht nach obigem Triumph, sondern erst
eine Anzahl Jahre später die zweite Frau Kuthenicks geworden ist,
lässt sich leicht erweisen. Wie oben bemerkt ist, hat jenes Theater-
ereignis sich vor dem Jahre 1816 begeben. Aus der auch Gädertz
bekannten Stavenhäger Einwohnerliste von 1819 ist aber zu ersehen,
dass in diesem Jahre 1) Rutenicks erste Frau, Friderike geb. Reuss,
noch lebte, 2) dass das ehemals Mahnfeldsche Haus im Besitze des
Schlossermeisters Tröpfner sich befand, dessen Frau eine geborene
Mahnfeld war, vermutlich eine Schwester Klaras, 3) dass ferner der
Vater der Schwestern nicht verzeichnet ist, also wohl verstorben war.
Lauschen I, Nr. 21. De Sehapknr.
Auf Jahrmärkten pflegten früher Drehorgelspieler sich mit grossen,
fast zwei Meter hohen und etwa dreiviertel Meter breiten Leinwand-
tableaux einzufinden, auf die eine Anzahl Bilder gemalt waren, welche
den Verlauf irgend eines Raub- oder anderen Mordes darstellten,
zuerst etwa den Anschlag des Mörders, dann den räuberischen Überfall,
die Leiche des Ermordeten, das Ergreifen des Mörders durch Gens-
darmen, den Mörder im Gefängnis und schliesslich am Galgen. Die
;,Mordsgeschichte* war in ein Lied gebracht und wurde zur Drehorgel
gesungen. Zwischen den einzelnen Strophen wies der Drehorgelspieler
mit einem Stabe auf das zugehörige Bild und erläuterte es durch
einige gesprochene Worte.
Die Verse 34 — 137 der ^Schapkur^ bieten augenscheinlich die
parodistische Nachahmung eines solchen Leierkastenliedes. Die den
vierzeiligen Strophen einigemal vorgefügten Verspaare in Kurzzeilen
V. 106 f., 118 f., 124 f. sind ursprünglich als zwischen den gesungenen
Versen gesprochene Hinweise des Leierkastenmannes gedacht. Nur
Verspaar V. 112 113 fügt sich dieser Auffassung nicht.
Das parodistische Leierkastenlied ist wohl nicht ursprünglich
in der Absicht verfasst, Teil eines erzählenden Läuschens zu sein.
In recht äusserlicher Weise ist es zu einem solchen offenbar erst
nachträglich durch Vorfiigung einer nicht-strophischen Einleitung und
einige angehängte Schlussstrophen zurechtgemacht.
Löst man das Lied aus dem Rahmen, den es so erhalten hat,
so erhält man eine Art Gegenstück zu Reuters Bänkelsängerlied auf
den feierlichen Einzug der gräflich Hahnschen Familie in Basedow
am 20. Oktober 1849. (Reuter Bd. 7 S. 239.)
Beide Dichtungen begegnen sich in der Tendenz, durch die
gewählte parodistisch- volkstümliche Gedichtform die geschilderte
Begebenheit und die handelnden Personen, hier die Gräfin, dort den
Rittergutsbesitzer, lächerlich erscheinen zu lassen.
Gädertz merkt in seiner Ausgabe zu dem Läuschen an: ;,Der
Rittergutsbesitzer Karbatschky heisst im Manuskript: Drowalsky, in
100
Wirklichkeit — nach Mitteilung einer Mecklenburgerin — Kowalsky
auf Porstorf." Gemeint ist Rud. Cowalsky, der Alt-Poorstorf bis
1847 inne hatte, in welchem Jahre der Kammerherr Carl v. Örtzen
das Gut übernahm.
Hat die Mecklenburgerin nur Auskunft auf die Frage gegeben,
wer mit „Drowalsky*^ gemeint sein kann oder erinnert sie sich wirklich,
dass Cowalsky durch den Axthieb seines Schäfers zeitlebens schwach-
sinnig geworden ist?
Ich habe Grund zu bezweifeln, dass die Begebenheit so, wie sie
Reuter darstellt, verlaufen ist. Wenn Cowalsky der Gutsbesitzer war,
müsste sie spätestens 1847 geschehen sein. Beiden Annahmen scheint
eine von mir in dem Rostocker Wochenblatt Nr. 51 vom 23. Dezember
1850 aufgefundene, mit zwei Holzschnitten illustrierte Darstellung der
Begebenheit zu widersprechen. Es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass
die Zeitung erst drei oder mehr Jahre nach dem Ereignis eine Schilde-
rung derselben brachte, und es ist ganz unwahrscheinlich, dass die
tendenzlose Schilderung der Zeitung, wenn in Wirklichkeit der Guts-
besitzer den Schlag empfangen, der Schäfer ihn verschuldet, gerade
umgekehrt den Verlauf dargestellt hätte. Dagegen ist es wohl ver-
ständlich, wenn Reuter durch seine gegen die Rittergutsbesitzer
gekehrte, oft betätigte Tendenz einen von diesen als geistesschwach
hinstellt.
Die Heilung der Drehkrankheit.
Schäfer -Idylle in 2 Bildern.
Erstes Bild : Die Arznei.
Schäfer. Herr, ick bring hier nu den naarschen Hamel, wur ick gistem
von seggt heff. Den möten Se wol man slachten laten; he is all gor to wiet to.
He geht ümme rund um, as in de Bottermähl.
Der Herr. Nee, dat Schlachten hett noch Tiet ; ick will em man noch ihrst
eens wat bruken. — Bring em na de Schüündehl un maak de Döhr hinner Di to
un denn hüll em mit'n Kopp fast gegen de Schüündöhr. Ick will denn von buten
mit de Holtäx gegen de Döhr hoogen. Von de Drähnung springt den Hamcl de
Blas' in'n Kopp un denn is he kurirt. Giif man eens de Äx ut'n Holtstall her un
denn holl em den Kopp man fast gegen de Schüündöhr.
Schäfer. Na, dat sali mi denn doch verlangen, wur ml dat wundem wardt.
Zweites Bild: Die Wirkung.
Der Herr (nach vollführtem- Schlage in die Scheure blickend). Na? Hett't
hulpen? Hotts schwer Ack! dor liggt jo Scheeper un Hamel een äwer't
anner! Grüttmöller! Daul Kumm äwer End', besinn Di! — — Schweer
Leed ! dat wier jo woll ball to veel worden ?
Schäfer. Ja, Herr, dat Mittel helpt to dull. Dat soll man den Hamel
kurirn und dat kurirt uns fuhrts beejg [mundartlich statt beide] ! — Herre du
meenes Läbens! dat dunsH denn doch äwer ook liederlich in'n Kopp!
101
Der Herr. Na, wur Dunnerweder best Du Dienen Kopp ook mit an de
Döhr hellen?
Schäfer. Je, dat hew ick jo woll! Ick künn dat jo ook nich weeten,
wurans dot [lies dat] weea!
Der Herr. Herre Jesus, wat'n Ossenmüller! Büst Du denn reeden dwalsch?
Schäfer. Je, west bün ick't, äwer nu nich mihrer. Mi hebben Se kurirt;
ick hoU den Kopp up de Oart seen Leder nich werte hen.
Länscben II, Nr. 21. Dat smeckt dor äwerst ok nah!
Zu diesem Läuschen ist in meiner Reuter- Ausgabe angemerkt,
dass mit dem Pastor Säger tau Salaten j welchem von Reuter die
Geschichte zugeschrieben wird, Friedrich Hager, 1832 — 73 Pastor
in dem Dorfe Slate, gemeint sei. Diese Angabe verdanke ich keiner
Auskunft, sondern sie ist das Ergebnis einer rein philologischen, an
meinem Schreibtische gewonnenen Folgerung. Im mecklenburgischen
Platt kann der kurze Vokal unbetonter erster Wortsilben schwinden,
wenn die konsonantischen Anlaute der beiden ersten Wortsilben ver-
einigt eine der üblichen Konsonantverbindungen ergeben. Es konnte
also Salaten = Slaten sein. Die Predigerverzeichnisse bestätigten
dann, dass es in diesem Dorfe einen Pastor Hager gegeben hat.
Ich habe aber nicht gemeint, dass der Pastor Hager die erzählte
Begebenheit wirklich erlebt hat, sondern habe ausdrücklich angemerkt,
dass Reuters Quelle eine Anekdote war, welche in Raabes Allgemeinem
plattdeutschen Volksbuche, Wismar 1854, S. 142 und vorher in den
Fliegenden Blättern Nr. 356 (1852) sich gedruckt fand.
Über dieses Läuschen handelt auch Gädertz in seinem Aufsatze,
in welchem ;,von solchen Läuschen die Rede sein soll, deren Original-
figuren und tatsächliches Geschehnis^ er ;,auf Grund authentischer
Quellenforschung ermittelt habe und nachweisen kann.* Er weiss
gleichfalls, dass der Pastor Hager in Slate gemeint ist, nennt mich
aber weder als Gewährsmann noch gibt er an, woher er sein authen-
tisches Wissen über ;,Originalfigur'' und „tatsächliches Geschehnis*
hat, er führt nur an, dass ihm der jetzige Pfarrer von Slate seine
[meine?] Angabe mit den Worten bestätigt habe, ;, Hager ist wohl
unzweifelhaft mit dem Pastor Säger tau Salaten gemeint, zumal da
ungebildete Leute noch jetzt oft Salate für Slate sagen.*
Über das „tatsächliche Geschehnis* bringt Gädertz keinen Nach-
weis. Jedesfalls berichtet Reuter kein Erlebnis Hägers, sondern
dichtet ihm nur an, was ihm die oben genannten Quellen aus den
Jahren 1852 und 1854 boten. Da diese immerhin die denkbare
Möglichkeit nicht widerlegen, dass in ihnen eine Begebenheit aus
Hägers Leben erzählt sei, bringe ich hier eine Variation derselben
Geschichte aus dem schon vor Hägers Zeit gedruckten, schon oben
angeführten „Blauen Buch*. Das Alter dieser Fassung schliesst die
von Gädertz angenommene Möglichkeit aus, dass die Geschichte von
102
Mecklenburg aus sich verbreitet und so in die Fliegenden Blätter
gelangt sei.
Ein Bürger kaufte von einem Bauer ein Fuder Holz. Wie nun der Bauer
das Holz abgeladen, nötigte jener ihn herein zu kommen, da er ihm dann, nebst
Butter und Brot, einen holländischen Käse vorsetzte. Wie nun der Bauer solchen
gekostet, merkte er, dass er gut sei: schnitt derohalben weidlich hinein, und ass
mit grösster Begierde. Der Bürger hätte den Käse gern verschont gesehen, sagte
dahero: Mein Freund, es ist Eidammer Käse. — Dieser versetzte: das schmeck
ich wohl. — Man kann auch leicht zu viel davon essen, dass man wohl gar davon
stirbt. — Ei, sagte der Bauer, indem er sich noch ein grosses Stück abschnitt
und einsteckte, ich will dieses meiner Frau zu essen geben ; denn ich möchte doch
das alte Fell gern los sein.
Lauschen H, Nr. 2. En gand Geäehäft
Zur Erntezeit, erzählt Beuter, goss es vor langen Jahren einmal
mit Mulden von Himmel, Tag für Tag, das Getreide wollte nicht
trocken werden und begann bereits auf dem Halm auszuwachsen.
Am Sonntag Hess endlich der Regen nach. Um seine Ernte zu retten,
beschloss der Bürgermeister, sich an kein Verbot zu kehren und ein-
zufahren. Als die Bürger seine Erntewagen fahren sahen, taten sie
sofort, wie er. Ergrimmt über die Sonntagsarbeit verlangt der Pfarrer
des Ortes Bestrafung der Schuldigen. Der Bürgermeister setzt Termin
an und legt Jedem fünf Taler Strafe auf. ;,Wo, Dunner l'^, rief da
einer der Bestraften aus, ^Sei, Herr Burmeister führten ok!" —
^Ja, und als der erste!" fügte der anwesende Pfarrer hinzu. — Der
Bürgermeister kann das nicht läugnen ;,das weiss ich wohl! Ich fuhr
zuerst, und drum bezahle ich heute auch zuerst mein Geld!" Als er
sein und der Übrigen Geld zusammen hat, fragte der Pastor: ;,Wo
bleibt das Geld". — ;,Das Geld," entgegnet der Bürgermeister, „fällt
in unsere städtische Sportelkasse." — ;5Und wo bleibts dann?" —
^Je, Herr Pastur, denn flüt't in mine Tasch herin, wil ik up Sportein
wesen bün."
Die von Reuter in den Druck gegebene Fassung des Läuschens
nennt den Ort, wo sich die erzählte Geschichte begeben habe, Grimmen.
In seiner ersten Niederschrift heisst der Ort Crivitz. In einem Ver-
zeichnis seiner Läuschenstoffe notierte Reuter „Der Bürgermeister
in Mölln zahlt an sich selbst fünf Taler Strafe für's Einfahren am
Sonntag". Übereinstimmend hiermit schrieb er an den Bürgermeister
Kirchhoff in Grimmen, die Geschichte solle in dem Geburtsorte Euleu-
spiegels, in Mölln, passiert sein.
Der Wechsel des Ortsnamen zeigt eigentlich allein schon, dass
die in den Läuschen genannten Namen an und für sich gar nichts
beweisen. Aber auch die briefliche Mitteilung Reuters, der Ort des
Begebnisses ^ei die Eulenspiegelstadt Mölln, ist selbst eine Eulen-
spiegelei. In Wirklichkeit war der Schauplatz der Geschichte Staven-
103
liageD, und der ^selir strenge und sehr gerechte Bürgermeister^ —
wie ihn der Dichter nennt — Fritz Reuters eigener Vater.
Schon bei meinem ersten Aufenthalt in Stavenhagen hörte ich:
eine ähnliche Geschichte, wie die in dem Läuschen erzählte, sage
man dem Bürgermeister Reuter nach. Misstrauisch gegen die so oft
irrende Ortsüberlieferung legte ich der Nachricht zunächst keine
Bedeutung bei, beschloss aber, da sie sehr bestimmt auftrat, später
weiter zu forschen, sobald ich über das Mass des Glaubens, das man
den einzeln Gewährsleuten schenken dürfe, ein Urteil gewonnen hätte.
Zu den Leuten, welche zu unterscheiden verstehen, was sie aus
eigener Erinnerung und was sie vom Hörensagen wissen, gehörten
der alte Bäckermeister Mohrmann und der frühere Sattler und
Tapezierer Karl Isack, dieser ist über achtzig, jener über siebzig Jahre.
Beide sind in Stavenbagen geboren. Mohrmann, der in den 1840er
Jahren seine Lehrzeit in Malchin verlebte, wusste sich nicht zu erinnern,
in welchem Jahre er die Geschichte gehört habe, er versicherte aber
entschieden und wiederholt, sie sei ihm schon vor 1850 bekannt
gewesen. Isack konnte sich mit Bestimmtheit darauf besinnen, dass
die Sache in seiner Jugend vorgefallen sei. In dem Jahre, als der
grosse Hamburger Brand [Mai 1842J war, habe er sich auf die
Wanderschaft begeben, nicht lange vorher müsse es gewesen sein. p]r
kenne Leute, deren Eltern bei der Gelegenheit hätten Strafe zahlen
müssen, er glaube, zwei Taler. Vielleicht erinnerten sich diese auch
der Sache aus ihrer Kindheit oder aus Erzählungen ihrer Eltern.
Bald erhielt ich folgenden Bescheid: Die Sabbatschänder waren der
Herr Burgemeister selbst, dann der Stellmacher Schulz, Schmied
Schlüter, Ackerbürger Strübing, und Posthalter Allmer. (Anderer
erinnert sich der Gefragte nicht mehr.) Dabei soll Schlüter gefragt
haben ;,Herr Burmeister, wur blift nu dat Geld^ — ^Das kömmt in
die Sportelkasse** — ;,Und denn?" — ^In min Tasch". — Das ge-
zahlte Strafgeld habe nur einen Taler betragen.
Ich habe nicht in Erfahrung bringen können, welches Getreide
damals eingefahren wurde. Handelte es sich um die Roggenernte,
so Hesse sich der betreflfende Sonntag mit Hilfe der Witterungs-
aufzeichnungen des Mecklenburg- Seh werinschen Staatskalenders
bestimmen. Die Roggenernte begann in Stavenhagen herkömmlich
am Jacobitag, also, am 25. Juli. Dieser Tag fiel im Jahre 1841 auf
einen Sonntag, in der folgenden Woche ist Tag für Tag massiger
Regen verzeichnet, erst beim nächsten Sonntag ist nur Gewitter, aber
kein Regen angegeben. Dieser Sonntag war der 1. August. Die
vorangehenden Jahre 1839 und 1840 können, vorausgesetzt dass es
sich um Roggen handelte; nicht in Betracht kommen.
BERLIN. W. Seelmann.
104
Die Fliegenden Blätter nnd andere literariscbe QnelleD
der Länsclien Renters.
Den von mir im Niederdeutschen Jahrbuche Bd. 29, S. 52 ff.
und von C. Walther im Korrespondenzblatt Bd. 24, S. 71 f. gegebenen
Nachweisen der Benutzung der Fliegenden Blätter und anderer Quellen
durch Fritz Reuter lasse ich hier eine neue Reihe folgen.
Lauschen I, Nr. 56, „Dat Ogenverblenncn", V. 33 fif. erzählt,
dass. ein Taschenspieler das Junge von einem Kaninchen und einem
Hahn, die sich gepaart hätten, zu zeigen versprochen habe. Schliess-
lich erklärt aber V. 116 ff. der Taschenspieler:
„Ich gab heut middag mir die Ehre,
Ein schönes Stück Sie zu versprechen.
Jetzt muss mein Wort ich leider brechen:
Das Junge von Earninken un von Hahn
Is leider mich mit Dod afgahn;
Doch sollen Sie zu kort nich schiessen,
Ich will Sie gleich was anners wisen.
Ich will dafür die beiden Öllem zeigen,
Die solVn Sie gleich zu sehn kreigen."
Un dormit wis't hei mi un Hanne Wienken
En schönen Hahn un en Earninken!
Reuters Quelle war ein angeblicher Auszug aus einer Reise-
beschreibung, welcher in den Fliegenden Blättern Bd. 12, Nr. 271,
(1850) folgenden Wortlaut hat:
„Gross sind die Wunder der Natur und viel unerf erschlich ihre Gänge
und Irrgänge. Nachdem ich so viel des Merkwürdigen gesehen und bewundert,
war es mir vorbehalten, das Wunderbarste und Seltsamste in der guten Stadt
Leyden zu erblicken. Allda hat ein Mynheer Yanderkeeren bekannt gemacht,
dass eine sonderbare Missgeburt entstanden sei, nämlicb ein Junges von einem
Karpfen und einem Affenpinscher, welche beide öfters an einem Bassin im Garten
zusammengetroffen. Das Junge ist zwar alsobald gestorben und verscharrt
worden, aber die Eltern habe ich Beide selbst gesehen ; würde sonst gewiss nicht
diese wunderbare Thatsache hier mittheilen."
Aus dem Holländischen des Van Fleetenkieker.
In demselben Läuschen V. 121 flf. wird erzählt, dass einer der
jungen Bauernburschen einen Affen sieht und in die Worte ausbricht:
„Ne, kik, de Ap! Wo'st mäglich in de Welt!
Wat makt de Minsch doch all för't Geld!«
105
Ich glaube mich zu erinnern eine ähnliche Stelle, in der von
einem Bauern auf der Leipziger Messe die Rede war, gleichfalls in
den Fliegenden Blättern gelesen zu haben. Es ist mir nicht gelungen,
diese Stelle wiederzufinden, ich bringe deshalb hier eine in der Ein-
kleidung allerdings sehr abweichende Fassung zum Abdruck, welche
das bald nach 1800 in Halle erschienene ^blaue Buch zum Todtlachen.
Fünfte Auflage, o. 0. n. J.^ S. 57 bietet:
Ein Deutscher brachte einen Affen nach Schweden und Hess ihn für Geld
sehen. Ein schwedischer Bauer fragte den andern, was ist das für ein Ding?
der andere sagte: Es ist ein Affe, der aus Deutschland gekommen ist. Hm,
sagte der erste, was macht doch der Deutsche nicht fürs Geld.
Lauschen II, Nr. 48. „'Ne gande Utred.^* Den Inhalt dieses
Läuschen hat Reuter den Fliegenden Blättern Nr. 476, Bd. 20, S. 157
(1854) entnommen. Die Geschichte ist hier nach Kiel verlegt.
Dazu stimmt, dass die Mundart Holsteinische Wortformen bietet.
In der W&sche. Eine Geschichte in drei Scenen. Ort der Handlung :
Eine Jacht, die von Kiel nach Christiania fährt.
Erste Scene.
Schiffskapitän. „Sehr angenehm, mein lieber Herr Schmid, Sie hier 'mal
an Bord zu seh'n, goddam ! Sie frühstücken mit mir ; Hannes (zum Küchenjungen),
krieg' gau de Serviett' her un' deck' den Tisch l'*
Der KajätenjaDge schweigt verlegen.
Schiffskapitän. „WuUt Du Döskopp wuU de Serviett' herkriegen V^
Der Knabe Hannes schweigt noch eine Zeitlang und sagt dann „Wi hävt
je gar keen Serviett', Kap'tän!^
Zweite Scene. Fünf Minuten später in der Küche.
[Bild: Der Kapitän prügelt den Jungen mit einem Tauende.]
Kapitän. „Wo kannst Du Oos säggen, dat wi keen Serviett' an Bord
büvt — Du Snakenkopp! Kannst Du nich säggen: De Serviettn sin just in de
Wasch' ! — Ik will Di verfluchtiges Kröt feine Manieren biebögen, dam your eyes !"
Dritte Scene. Eine Stunde später beim Dessert.
Kapitän. „My dear Sir, kann ich Sie mit etwas englischen Käse dienen?
Uauues, mien Jong, hol' 'mal den englischen Käs her!''
Hannes. „De inglische Käs — Kap'tän — de is in de Wasch', Kap'täu."
Lauschen II, Nr. 60. „En Rock möt dorbi äwrig sId.'^ Reuters
Läuschen bietet eine Umgestaltung des nachfolgenden Stückes in
Nr. 557, Bd. 24, S. 35 (1856) der Fliegenden Blätter:
Der Hat in der GemeinderechnuDg.
Amtmann (deutet mit dem Finger auf eine Stelle in der Gemeinderechnung).
„Was soll das hier?"
Schttltheiss (setzt die Brille auf die Nase und guckt dem Amtmann über
die Schulter nach der bezeichneten Stelle). „Ah seh^s nun schon, Herr Amtmann.
106
Ja, sehen Sie, Herr Amtmann, bei der letzten von Ihnen befohlenen Besichtigung
des Werra- Ufers wehte mir der Wind den Hut in den Fluss; alle Mühe, ihu
wieder aufzufischen, war vergebens. Und da ich im Dienste der Gemeinde war,
als ich den Hut verlor, so fand ich es in der Ordnung, dass diese mir einen
neuen bezähle. Deshalb, Herr Amtmann, steht nun der Hut hier mit auf der
Rechnung."
Amtmann (nimmt Feder und Tinte und streicht den Posten). „Kann
nicht passiren."
Ein Jahr später.
Amtmann (mit der neuen Gemeinderechnung vor sich, lächelnd zum
Schulzheissen). „Nun, wie steht's mit dem Hute, habt Ihr ihn wieder mit
aufgestellt?«
Sehnltheiss (pfiffig). „Ja wohl, Herr Amtmann, der steckt wieder mit drin,
aber dasmal sieht man ihn nicht."
Läuschen II, Nr. 61, „De Hanptsak^S "^^^^ erzählt, dass der
jüdische Kaufmann Moritz Gimpel in der Wasserheilanstalt Stuer
seine Frau Blümchen besuchen will, um ihr den Tod ihres Bruders
Moses zu melden. Der Arzt bittet ihn, seine Frau erst vorzubereiten,
ehe er ihr die Trauernachricht mitteilt, der Schreck über dieselbe
könnte sonst die ganze Kur gefährden. Als Blümchen ihren Mann
plötzlich erblickt, fährt sie auf (Vers 32 ff.):
„Nu, Gimpelche, wos isV
Zu Haus' is wos pessiert gewiss." —
„Wos Süll da gepassiert denn sain? —
Pessieren? — Nu, pessieren tut's
Ja alle Tag', bald Schlimm's, bald Gut's.
Doch halt mol still! Da fällt mer ain.
Der Borsch, der Itzig Rosenstain,
Der hat gewoltsam Schlag' gekrigt." —
„Wo vor denn?" — „Nu, vor's Kathaus von's Gericht." —
„Das frag' ich ja nicht, Gimpelleben!
Worüber hob'n sie ihm die viele
Grausame Prügel denn gegeben?" —
„Worüber? — Über die Machile." —
„Ih, Gimpel, hör' mich doch mal ahn!
Ich frage jo, wos hot er denn getan,
Dass sie so grausam schlugen ihn?" —
„Getan? Getan? — Au waih hat er geschrien." —
„Ich, Moritz, hör' doch nur, ich main . . . ." —
„Ich hob' genug. Loss sain! Loss sain!
Genung vor dich, dass er sie hot!
Ich hob zum Schmusen kaine Zait,
Du bist nu prächtig vorbereit't,
Verschreck Dir nich : Der Mauses, der is tot " —
107
Reuter hat an dieser Stelle die nachstehend abgedruckte Anek-
dote benutzt und nachgeahmt, welche die Fliegenden Blätter in der
Sommer 1858 erschienenen Nro. 684 (Bd. 29, S. 47) gebracht hatten.
Nielits Ncaes«
Schmul. „Willkommen Itzig! Wie lange bist Du schon hier?"
Itzig. „Seit gestern."
Schmal. „Was gibt's Neues zu Haus?"
Itzig. „Neues ? — Gar nix "
Schmul. „Was doch?"
Itzig. „Wenn Du's schon wissen willst, Dein Bruder hat gekriegt fünf
und zwanzig Stockstreich."
Schmal. „I fer woos?"
Itzig. „Fer woos? fer alle Leut." —
Schmal. „Nein, ich mein af woos?"
Itzig. „Af woos? af de Bank."
Schmal. „Versteh' mich, ich mein über woos?"
Itzig. „lieber woos ? Du weisst doch über woos man Stockstreich kriegt."
Schmal. „Aber nein, ich mein, was hat er denn angestellt?"
Itzig. „Er hat gestohlen deih Amtmann ein' Wagen mit zwei Ferd."
Schmal. „I! das hat er doch schon öfter gethan?"
Itzig. „Ich hab' Dir doch gesagt, es giebt nix Neues zu Haus!"
Läuschen II, Nr. 67. „Dat ward all' slichter in de Welt.^^
In diesem Läuschen wird erzählt, dass 011 Mutter Schultsch auf den
Tod darnieder liegt und der Pastor sie damit tröstet, dass es im
Himmel besser als auf Erden sei.
„Drum hoffet auf den Himmel nur,
Der Himmel nur gibt uns Gewinn." —
„Ja," seggt de Ollsch, „dat säd ick ümmer.
Doch segg'n sei all' jo, Herr Pastur,
Dat sali dor ok nich mihr so sin."
Reuters Quelle war Nr. 567, Bd. 24, S. 118 (185G) der Flie-
genden Blätter, in der sich folgende aus Thüringen oder Sachsen
stcammende Einsendung findet.
Aacli droben aoders«
Pastor. „Tröste Sie sich, liebe Frau, auch dieses Leiden wird vorüber-
gelien! Hier ist ja nur der Ort der Sa^t, droben aber wird uns die Ernte er-
warten, und die Freude und das ewige Leben!"
Frau. „Ach, härnse, Herr Pastor, sinse mer stille damit, es sollse jetzt
droben ooch nich mehr so sin!" —
Lansclieii II, Nr. 68 „Up wat?" heisst es:
„Fik" seggt de Ollsch „dat is vörbi.
Du lettst nahgrad de Treckeri!
Ick heww den ganzen Rummel satt;
108
Taum Frigen, Dirn, dort hürt ok wat,
Un du best nicks, un hei hett nicks ; ....
Up wat denn wulFn ji jug woU frigen?" —
„TJp Pingsten, Mutting, dacht' wi so."
Die Quelle des kleinen Läuschens findet sich in Nr. 630 der
Fliegenden Blätter (Bd. 27, S. 28; 1857):
Hütterliclie ErmahnuDg.
Matter : „Lisi, Lisi ! Die Liebschaft mit dem Hans nimmt kein gat's End' !
Du hast nix und er bat nix ; auf was will er Dich denn beiratben ?"
Liese: „Auf Pfingsten, Frau Mutter!"
Länschen T, Nr. 53. Dat ännert de Sak. Ein Vater will seinem
Sohne, der sich vor dem Heiraten fürchtet, Mut machen und weist
auf sein eigenes Beispiel hin, sein Vater hahe ihm bloss einen Wink
zu geben brauchen. Der Sohn entgegnet:
„Ja, Yader, dat was ok en anner Ding,
Hei ded ja ok uns' Mudder frigen."
Es ist mir nicht gelungen, für diese später oft erzählte Anekdote
eine ältere Quelle zu finden, als die auch sonst von Reuter benutzten
;,Schnurren^. S. 7 lautet sie hier:
Ein böhmischer Bauernbusch sollte beiraten £r fürchtete sich aber ganz
entsetzlich und weinte bitterlich. Der Vater sprach ihm Mut zu und sagte:
„Ale Dummkupp ! was is e zuferchten? was machste fer Dalkereien ? Mi, schau
me an, hob i nie auch heirat?" »Jba" schluchzte der Junge: „Pantato hat e
heirat Pani Mamo, abe i muss nemmen ani ganz fremde Perschon!'^
Lauschen I, Nr. 40. De Stadtreis'. Ein Bauer und sein Sohn
haben den geernteten Weizen zur Stadt gefahren, hier verkauft und
dabei tüchtig getrunken. Der alte Bauer wird bei der Heimfahrt
langhin auf den Wagen gelegt, sein Sohn setzt sich auf das Sattel-
pferd und jagt mit den Pferden dahin, dass der Alte hoch und nieder
fliegt. Als sie zu Hause angekommen sind, sagte der Alte:
„Hadd ick dat minen Vader baden.
Hei wir mi kamen up de Siden." —
„Na," seggt de Jung, „Ji mägt ok woll
En säubern Vader bewwen hatt!" —
„Hä?" fröggt de Oil. „Min Vader? Wat?
Min Vader, de was beter woll as Diu."
Reuters Quelle war eine Anekdote, welche ^Das blaue Buch zum
Todtlachen. Fünfte Auflage^ S. 17 in folgender, von Reuters unmittel-
barer Quelle wahrscheinlich kaum abweichender Fassung bot:
Ein Bauer fuhr mit seinem Sohne nach der Stadt; als nun dieser etwas
viel getrunken hatte, liieb er bei der Rückreise durch die Stadt die Pferde so
unbarmherzig au, dass dem armen Vater auf dem Wagen alle Kibben im Leibe
109
weh taten. Wie sie aufs Feld kamen und der junge Kerl nachliess, sagte der
Vater: Ach! das Gott erbarm, so hätt' ichs meinen Eltern nicht machen mögen.
— Ey ! versetzte der Sohn : ihr mögt auch wohl die rechten Eltern gehabt
baben. — Ganz aufgebracht schrie der Alte : Wohl bessere, als du, Schurke !
Fiken, deon frieg! Die neue Folge der Lauschen umfasst G9
Nummern. Wie aus einem in Reuters Nachlass vorgefundenen Blatte
mit einem plattdeutschen Dialoge und der Bezeichnutig Nr. 70 zu
schliessen ist, hatte er ursprünglich die Absicht, den Dialog in poe-
tischer Umgestaltung seinen Läuschen un Rimels beizufügen. Vorher
hatte er die erhaltene Prosafassung bereits in seinem ;, Unterhaltungs-
blatt'' Nr. 23, S. 92 (2. Sept. 1855) abdrucken lassen. Sie lautet:
„Gun Morgen, mien leiw Herr Pastur ; ick kam tau Sei, seihn S\ ick bün
nii ok all in dei Joahren, dat ick mi giern vefriegen mücht. Wat meinen Sei
woll doatau?"
„„Ih, Fieken, denn frieg!'*"
„Je, dat is woll so; äwersten Hei is man junge as ick."
„„Je, denn frieg leiwerst nich.""
„Je, ick dacht nu äwerst so: ick kehm denn doch in betern Ümstäne,
wenn ick friegen dehr."
„„Je, denn frieg.""
„Je, Herr Pastur, dat is ok man so. Dägen deiht Hei nich; wenn Hei
man mi nich schleiht."
„„Denn frieg nich.""
„Je äwerst so allein in dei Welt — doa ward so mit Einem rümmestött."
„„Denn frieg.""
„Je, dat dehr ick denn nu ok woll, wenn ick man wüsst, dat Hei mi
truu blew un dat Hei 't nich mit oll Krämerschen ehr olle szackermentsche
Diem höU.«
„„Denn frieg jo nich.""
„Je, äwerst ick mügt doch goa tau giern friegen."
„„Na denn frieg.""
Gädertz bemerkt zu diesem Stück: „Es ist ein drastisches,
recht aus dem Volksleben gegriffenes und characteristisches Gespräch.**
— Jedenfalls ist das Gespräch nicht von Reuter selbst „aus dem
Volksleben^ gegriffen. In dem als Hauptquelle Hebels für seine Er-
zählungen aus dem Rheinischen Hausfreunde bekannten „Vade Mecum
für lustige Leute. Vierter Theil. Berlin 1777«, S. 92 f. findet sich
folgendes Stück:
Eine Witwe wollte ihren Knecht Hans heiraten und fragte den Pfarrer
des Dorfs um Rat. Sie sagte: ich bin noch in den Jahren, dass ich ans Hei-
raten denken kann. — Nun so heiratet, antwortete der Geistliche. — Man wird
aber sagen, dass er viel jünger sei als ich. — Nun so heiratet nicht. — Er
würde mir mein Pachtgut zwar gut in den Stand setzen helfen. — Nun so
heiratet. — Aber ich fürchte nur, dass er meiner überdrüssig werden möchte.
— Nun so heiratet nicht. — Aber auf der andern Seite verachtet man doch
110
eine arme Witwe und betrügt sie wo man nur kann« — Nun so heiratet. —
Ich besorge nur, dass er es mit den Mädchen halten möchte. — Nun so heiratet
nicht. — ... (Der Pfarrer verweist die schwankende Frau schliesslich auf das,
was ihr die Glocken raten würden. Als sie geläutet werden, hörte sie zuerst:
nimm den Knecht Hans, später : nimm den Hans nicht.)
Peter von Kastner: Petrus, du hast deinen Herrn verlengnet.
Diese Numinei? in Reuters Verzeichnisse von LäuschenstoiFen bezieht
sich auf folgende Anekdote, die in Raabes Jahrbuche für 1847 S. Ufi
gedruckt und vermutlich von Reuter selbst (vgl. Ndd. Jahrb. 29, S. Gl)
ebenso wie die folgende eingesandt war.
Wie Petras den Heiland Terlängnet,
Ein Prediger hatte sich in der Kirche an einem unhussfertigen Sünder
tätlich vergriffen. Er entschuldigte sich wegen dieses Skandals vor dem Consi-
storium zu Rostock unter Anderm damit, dass unser Heiland das nämliche getan
hahe, denn als derselbe die Wechsler aus dem Tempel getrieben, sei es gewiss
auch nicht ohne Püffe abgegangen. Der alte Baron Peter von Forstner, damaliger
Consistorial- Direktor, verliert in seinem Ärger über diese unziemliche Anführung
die Besonnenheit und ruft im vollsten Amtseifer: „Herr Pastor! richten Sie sich
hinführe nach den guten Taten unseres Heilandes und nicht nach denen, wo er
unrecht hatte." Das war natürlich unserm Pastor ein gefunden Fressen. Sich
über das Gehörte höchst entrüstend stellend, schlägt er die Hände über den
Kopf zusammen und schreit : „Wo bin ich ? ! Was muss ich hören ? ! Stehe ich
vor Pontio Pilato oder vor einem christlichen Consistorium ? ! Unser Heiland
was Unrechtes getan! Ich schüttle den Staub von meinen Füssen und gehe
von dannen.'^ Sprach's und Hess ein hochwürdiges Consistorium verblüfft sitzen.
Unser Friedrich Franz I. kam aber jedesmal, wenn er den Forstner sah, auf die
Geschichte zurück und pflegte ihm dann neckend zuzurufen : „Aber Petrus,
Petrus, wie konntest Du so Deinen Heiland verleugnen?!''
Das Kircbengehn zu Basedow ('n Pegel Bramwin) ist eine der
Nummern in Reuters Verzeichnis von Läuschenstoffen betitelt. Ge-
meint ist folgende in Raabes Meklenburgischem Jahrbuche für 1847,
S. 139 gedruckte Anekdote:
Die Klrelienfiroline.
„0, Herr Inspecter, ich wuU Sei baden hebben, ob ich hüt nich^n bäten
na mien'n Ollen gähn künn?" so bat ein zu einer früher sehr weltlichen, aber
neuerdings sehr fromm gewordenen „Begüterung" gehöriger Hofknecht seinen
Inspector. „Den Düvel ok ! an di is jo hüt dei Reig^ : du müst nare Kirch ** 4autet
der Bescheid. „Herr Inspecter, ich heff einen föa mi: Jochen geiht fda mi hin,
ick hefF eim*n Pegel Brannwien vespraken," erwidert der Knecht. „Na, denn
lop,^ entscheidet darauf endschliesslich der Inspektor.
* *
Es sei mir gestattet, hier noch einmal die Frage zu erörtern,
ob Fritz Reuter Stoffe zu seinen Läuschen un Rimels aus literarischen
lU
Quellen und insbesondere den Münchener Fliegenden Blättern ge-
schöpft habe.
Gädertz hatte die Behauptung aufgestellt, dass Fritz Reuter
die ersten Anregungen im Dialekt zu dichten schon 1840, während
er in Heidelberg studierte, durch die damals erschienenen Possen
Niebergalls in Darmstädter Mundart empfangen habe. Diese ent-
hielten Scenen, meinte Gädertz, welche an Reuters Lustspiele und
an Episoden der Stromtid „frappant« erinnerten.
In Band 29 dieses Jahrbuches unterzog ich Gädertz' Begrün-
dung seiner Behauptung einer Nachprüfung. Es ergab sich, dass
1) Niebergalls Possen 1840 noch gar nicht erschienen waren und*
erst Ostern 1841 als künftig erscheinend angekündigt wurden, 2) dass
zwischen den Darmstädter Possen und Reuters Stromtidepisoden und
Lustspielen weder eine frappante noch überhaupt eine besondere
Ähnlichkeit bestehe. Gemeinsam sei beiden nur der eine Zug, dass
aus der Zeitung etwas vorgelesen wird.
Meinerseits wies ich dann andere Druckwerke nach, welche
1) augenscheinliche, zum teil frappante Ähnlichkeiten mit den Läuschen
Reuters boten, 2) nicht allzulange vor diesen im Buchhandel er-
schienen waren: Ich zog hieraus die Folgerung, dass Reuter jenen
Druckwerken den StofiF zu einer Anzahl Läuschen entnommen habe.
Als Quellen Reuters hatte ich zunächst mehrere Jahrgänge der
Fliegenden Blätter und zwei Bände von Raabes Mecklenburgischem
Jahrbuche ermittelt.
Gädertz Hess zwar seine eigenen, von mir widerlegten Behaup-
tungen stillschweigend fallen, bekämpfte aber desto heftiger und zwar
mit Ausdrücken der Entrüstung und Überlegenheit die von mir —
ich kann wohl sagen — erwiesene Tatsache, dass Reuter den Stotf
zu einer Anzahl seiner Läuschen aus literarischen Quellen geschöpft
hat. Die zuerst in der Sonntagsbeilage der National-Zeitung (1905,
Nr. 26 f.) gedruckten Ausführungen hat Gädertz auch in seiner
ßeclam-Ausgabe der Läuschen Reuters wiederholt.
Eine dritte, für eine verhältnismässig grosse Anzahl Läuschen
verwertete Quelle, auf welche mich Professor Bolte aufmerksam ge-
macht hatte, wurde in den von diesem und mir bearbeiteten Schluss-
anmerkungen des ersten Bandes meiner Reuter- Ausgabe nachgewiesen :
ein kleines, 1842 erschienenes Heft von 84 Seiten, das den Titel hat:
„Schnurren. Volksbücher 27. Herausgegeben von G. 0. Marbach.
Leipzig, 0. Wigand, o. J.^ Der Bearbeiter dieser Anekdotensammlung
hat sich nicht genannt. Vermutlich war er ein Deutsch-Böhme.
Wer mit der Geschichte der kleinen poetischen Erzählungen
nur etwas vertraut ist, der weiss, dass die wenigsten von ihnen Er-
findungen der Dichter sind, welche sie in Versen bearbeitet haben.
Jeder hat ältere Stoffe übernommen und mehr oder weniger umge-
112
staltet, was ihm erst aus Büchern, Zeitungen oder mündlicher Er-
zählung bekannt geworden war. Ähnlich verhält es sich mit den
gedruckten Anekdoten. Ihre Sammler schöpften gleichfalls aus der
literarischen oder mündlichen Tradition; sie haben selten erfunden,
meist haben sie nur Entlehntes durch Umgestaltung oder neue Ein-
kleidung dem Geschmacke ihrer Zeit angepasst. So erklärt sich,
dass recht viele, noch heute erzählte Geschichtchen sich durch Jahr-
hunderte in der Literatur zurückverfolgen lassen, mitunter bis in die
Zeiten des Altertums. Anderseits wird so auch verständlich, dass
dasselbe Geschichtchen, mehr oder weniger verändert, sich in sehr
verschiedenen gedruckten Sammlungen und daneben auch im Volks-
munde finden kann.
Das dargelegte Sachverhältnis mahnt zur Vorsicht, wenn es gilt
zu bestimmen, ob irgend ein bestimmtes Buch von einem Dichter als
Quelle benutzt sei. Die Nachweisung einer älteren gedruckten Fassung,
welche dem Dichter den Stoff möglichenfalls geboten hat, ist freilich
stets für die richtige Würdigung des Gedichtes wertvoll. In jedem
Falle wird sie erkennen und scheiden helfen, was das Gedicht an
altem Lehngut, was es an eigener Zutat des Dichters bietet.
Wenn ich und mein Herr Mitarbeiter uns nicht damit begnügt
haben, in den Anmerkungen zu den Läuschen und Rimels Nachweise
zu geben, welche in der besagten Beziehung uns wertvoll schienen,
sondern einige Druckschriften als unmittelbare Quellen Reuters be-
zeichneten, so glauben wir die gebotene Vorsicht nicht ausser Acht
gelassen zu haben Wenn die Fliegenden Blätter wie die Schnurren
nur je ein oder zwei Stücke geboten hätten, so hätten wir nur mit
der Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit gerechnet, dass gerade sie
von Reuter benutzt sind. Beide Druckwerke boten jedoch eine ver-
hältnismässig zu grosse Anzahl, um an einen blossen Zufall glauben
zu können, und es fiel bei den Fliegenden Blättern auch der Umstand
ins Gewicht, dass in ihnen die ermittelten Übereinstimmungen gerade
in den Jahren erschienen sind, welche dem Druck der Läuschen vor-
angegangen waren. Die ;, Schnurren^ sind allerdings schon 1842
gedruckt, und es ist immerhin die Möglichkeit denkbar, dass eine
jüngere, uns unbekannt gebliebene Anekdotensammlung ihr ausser
anderen auch die von Reuter benutzten Stücke entlehnt und diesem
übermittelt haben kann. In diesem Fall, der aber erst nachzuweisen
ist, würden sie nur mittelbare Quelle sein. Jedesfalls kann es kein
Zufall sein, dass die nur 84 Seiten umfassenden Schnurren nicht
weniger als siebenmal zu Reuters Läuschen stimmen. Wenn Gädertz
das trotzdem bestreitet, so liegt ihm ob, die Gegenprobe zu machen,
d. h. irgend ein anderes Druckwerk, wenn auch von etwas grösserem
Umfange, ausfindig zu machen, in welchem sich annähernd die gleiche
Anzahl findet.
Wenn ich behauptet habe, dass Reuter den Fliegenden Blättern
und den Schnurren eine Anzahl Läuschenstoffe entnommen habe, so
^kann freilich für den einzelnen FalP, wie ich in meiner Ausgabe
113
Reuters Bd. 1, S. 389 ausdrücklich betont habe ;,die Möglichkeit
bestehen bleiben," dass ihm ein darin gebotener Stoff aus einer an-
deren Quelle oder auch mündlicher Erzählung bekannt geworden ist.
Einen solchen Fall hat Gädertz für das Läuschen II, Nr. 13
„De beiden Baden" ermittelt. Es ist aber bemerkenswert, dass dieser
Fall, für den ich also mit Unrecht eine literarische Quelle angenommen
hatte, neben meinen übrigen Belegen wie eine Ausnahme, welche die
Regel bestätigt, angesehen werden kann. Wenn man die Ndd. Jahr-
buch 29, S. 52 ff. abgedruckten Texte mit den Läuschen Reuters
vergleicht, wird man finden, dass diese ausser in der Pointe auch
sonst in einer oder der anderen Einzelheit zu Reuter stimmen. In
dem von Gädertz angezogenen Läuschen erstreckt sich dagegen die
Obereinstimmung mit den Fliegenden Blättern nur auf die Pointe.
Um hier an einem kurzen Beispiele nachzuweisen, dass Reuters
Läuschen den „Schnurren*' näher stehen als anderen Fassungen,
beziehe ich mich auf Läuschen I, Nr. 31 „De Hülp^. Es wird darin
erzählt, dass ein Bauer seinen Knecht Johann sucht. Er findet ihn
auf dem Heuboden. „Wat -makst du dor?" Johann antwortet, er
habe etwas schlafen wollen. Er fragt dann den gleichfalls auf dem
Boden befindlichen Christian, was er dort zu tun habe. „0 nix nich,
Herr! Ick hülp Johannen."
Dieses Geschichtchen ist mir noch in vier anderen Fassungen
bekannt, von denen ich zwei Herrn Dr. Tardel in Bremen verdanke.
1) In der „Lebensgeschichte des Baron Friedrich de la Motte
Fouque, aufgezeichnet durch ihn selbst" Halle 1840 S. 106 ein
„niederdeutsches Kinderhistörchen "
„Peter, wat makst du da?" —
„Nischt." —
„Un du, Hans?" —
„Ick helpe ihm."
2) In englischer Sprache von unbekannter Herkunft, abgedruckt
in Süpfles ^Englischer Chrestomathie" 7. Aufl. S. 12.
A master of a ship called down into the hold: „Who is there?" —
„Will, Sir" was the ans wer. — „What are you doing?" — „Nothing, Sir." —
„Is Tom there?" — »Yes" answered Tom. — „What are you doing?" —
„Helping Will, Sir." —
3) Quedlinburger Fassung, c. 1863.
Ein Gärtner kommt in seinen Garten und sieht zwei seiner Leute im
Schatten zweier Bäume auf dem Rasen liegen. „Was machst du da?" rief er
den einen an. — »Ach, ich ruhe mich nur etwas aus." — Er schreitet weiter und
fragt auch den andern, der sich inzwischen erhohen hat. „Ich helfe dem andern"
erhält er zur Antwort.
Niederdeutsches Jahrbuch XXXII. 8
114
4) Schnurren, S. 76.
„Hans, Hans !" rief ein alter Bauer auf seinem Gehöfte. Hans antwortete :
„Was sull ich?« — „Wu biste.« — „üfm Heuboden.« — „Wos machste do?«
— „Nischt." — „Wu is denn Dei Bruder?" — „Der is oben.« — „Wos macht
denn der?" — „A hilft mer.« —
Ein zweiter Fall, den Gädertz anzieht, ist mir nicht glaubhaft.
Er sagt, die in Läuschen II, Nr. 7 „En Missverständnis ^ geschilderte
Begebenheit sei schon ein Lustrum bevor sie 1857 in den Fliegenden
Blättern gestanden habe, in Treptow dem Bürgermeister Krüger nach-
gesagt worden. Die Richtigkeit dieser Nachricht hat mir von einem
Mitgliede des Krüger- Reuter -Schröderschen Familienkreises nicht
bestätigt werden können. Ich vermute, dass das von Gädertz angeführte
Gerede nicht die Quelle des Läuschens war, sondern erst durch dieses
hervorgerufen worden ist. Für meine Vermutung scheint auch die
Tatsache zu sprechen, dass Reuter und Krüger gut befreundet waren.
Diese Freundschaft würde sicher in die Brüche gegangen sein, wenn
Reuter den Bürgermeister Krüger durch sein Läuschen lächerUch
gemacht hätte. Ich kann auch daran erinnern, dass Reuter nach
Gädertz eigener Angabe ;, zartfühlend die zu einer humoristischen
Behandlung herausfordernde Erzählung^ (vgl. oben S. 97) von dem Prozess
des Herrn von Sittmann in Rostock bis nach dessen Tode ;, zurück-
gelegt hat^. Sollte er einem Freunde gegenüber weniger zartfühlend
gewesen sein als bei einem weitab in Rostock wohnenden Unbekannten?
Ich werde jetzt der Reihe nach die Gründe, mit welchen Gädertz
gegen meine Ansicht zu Felde zieht, erörtern.
Zunächst beha